Urteil des OLG Frankfurt vom 12.03.2009

OLG Frankfurt: einwilligung des patienten, ausschluss der haftung, körperliche unversehrtheit, vertragliche haftung, praktikum, klinikum, therapie, gespräch, aufklärungspflicht, bandscheibenvorfall

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Gericht:
OLG Frankfurt 15.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
15 U 18/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 280 BGB, § 823 Abs 1 BGB
Haftungslage bei "gespaltenem
Krankenhausaufnahmevertrag"; Aufklärungspflicht über
alternative Behandlungsmethoden (hier: Alternative zur
Operation bei Bandscheibenvorfall); Arzt als Patient
Orientierungssatz
1. Zur Haftungslage bei einem sog. "gespaltenen Krankenhausaufnahmevertrag"
2. Zur Aufklärungspflicht über alternative Behandlungsmethoden bei einer
Bandscheibeoperation
3. Zur den Aufklärungspflichten gegenüber einem fachlich gebildeten Patienten
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 19. Dezember 2007 verkündete Urteil
der 5. Zivilkammer des Landgerichts Marburg abgeändert.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte zu 2) verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen
materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm durch die Operation
am 15. Dezember 1998 in der Orthopädischen Klinik des Klinikums A der
Beklagten zu 1) entstanden ist und noch entsteht, soweit die Ansprüche nicht auf
Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder
übergehen.
Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) tragen der Kläger und der Beklagte
zu 2) je zur Hälfte.
Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf Schadensersatz im
Zusammenhang mit einer vom Beklagten zu 2) am 15. Dezember 1998 in der
Orthopädischen Klinik der Beklagten zu 1) durchgeführten Operation in Anspruch,
im Berufungsrechtszug nur noch mit dem Vorwurf, über die Risiken der Operation
nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden zu sein.
Der Kläger stürzte am 5. Dezember 1998 bei einer Tanzveranstaltung. Er war Arzt
im Praktikum bei der Beklagten zu 1) und in der Facharztausbildung zum
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im Praktikum bei der Beklagten zu 1) und in der Facharztausbildung zum
Herzchirurgen. Nachdem sich seine Beschwerden auch nach Aufsuchen eines
niedergelassenen Orthopäden nicht gebessert hatten, begab er sich am 13.
Dezember 1998 in die Orthopädische Klinik der Beklagten zu 1). Die nach einer
ärztlichen Untersuchung vorgesehene Durchführung einer Computertomographie
lehnte der Kläger wegen der nach seiner Meinung damit verbundenen
Strahlenbelastung ab. Da die von ihm geforderte Magnetresonanztomographie an
diesem Tag, einem Sonntag, nicht möglich war, wurde die spätere Durchführung
vereinbart. Als der Kläger die Klinik verlassen wollte, bekam er derartige
Schmerzen, dass er sich nicht mehr richtig bewegen konnte. Daraufhin wurde nach
telefonischer Rücksprache mit dem Beklagten zu 2) die stationäre Aufnahme
angeordnet. Bei der nun durchgeführten Computertomographie wurde ein großer
sequestrierter Bandscheibenvorfall LK 5/S 1 mit Wurzelkompression rechts
diagnostiziert. Noch am 13. Dezember 1998 wurde dem Kläger wiederum nach
Rücksprache mit dem Beklagten zu 2) eine Operation angeraten. Der Kläger bat
sich aus, nicht bereits am 14. Dezember 1998 operiert zu werden, sondern
frühestens am 15. Dezember 1998. Bei der Morgenvisite am 14. Dezember 1998
empfahl der Beklagte zu 2) erneut eine sofortige Operation. Nach einem Gespräch
mit dem Zeugen Z1 (damals Oberarzt der Klinik) und einem Aufklärungsgespräch
mit B, damals ebenfalls Oberarzt der Klinik, willigte der Kläger in die Operation ein.
In der von ihm unterzeichneten „Einverständniserklärung“ vom 14. Dezember
1998 (Bd. I Bl. 51 d.A.) heißt es unter anderem:
„Ich erkläre hiermit …, über meine Erkrankung und über die
Behandlungsmöglichkeiten im Einzelnen, ebenso wie auch über die Bedeutung,
Tragweite und Notwendigkeit etc. der Operation und sonstigen
Behandlungsmaßnahmen unterrichtet worden zu sein … Auf die Möglichkeiten von
Komplikationen bin ich hingewiesen worden, ebenso darauf, dass ein bestimmter
Heilungserfolg nicht garantiert bzw. mit Sicherheit vorausgesagt werden kann.“
Nach der Behauptung der Beklagten war dieser vorgedruckten
Einverständniserklärung ein handschriftlicher Zettel beigefügt, in dem es heißt:
„ Nucleotomie
Blutung, Infektion, Thrombose, Embolie, Lähmung, Postnucleotomiesyndrom,
Instabilität, Wundheilungsstörung, Folgeeingriffe, Verletzung innerer Organe,
bleibende Beschwerden, Ileus.“
Bereits am 13. Dezember 1998 hatte der Kläger eine „Vereinbarung von
Wahlleistungen“ (Bd. I Bl. 104 d.A.) unterzeichnet, in der er gesondert
berechenbare Wahlleistungen durch den Beklagten zu 2) beantragte. Im Anschluss
an die Aufführung der möglichen Wahlleistungen folgt die fettgedruckte Überschrift
„Hinweise“. Im zweiten Absatz dieser Hinweise heißt es:
„Mir ist bekannt, dass Vertragspartner für die ärztlichen Wahlleistungen die
liquidationsberechtigten Ärzte sind und nicht das Klinikum (§ 6 Abs. 4 der
Anstaltsordnung). Leistungen der liquidationsberechtigten Ärzte und die von
diesen veranlassten Leistungen werden nicht von dem Klinikum geschuldet.
Das Klinikum haftet daher weder vertraglich noch deliktisch für Schäden, die von
liquidationsberechtigten Ärzten oder deren Erfüllungsgehilfen in Erbringung der
ärztlichen Wahlleistungen verursacht werden“.
Der letzte Satz dieser Hinweise ist in Fettdruck angebracht.
Die Operation wurde vom Beklagten zu 2) komplikationslos durchgeführt, und in
der Folgezeit verwirklichte sich beim Kläger das Risiko eines sogenannten
Postdiskotomiesyndroms oder Postnucleotomiesyndroms. Infolge von
Vernarbungen und Verwachsungen im Wirbelkanal nach dem Bandscheibeneingriff
bestehen schmerzhafte Beschwerden, und es liegt eine irreversible
Segmentinstabilität vor.
Der Kläger hat die Operation für behandlungsfehlerhaft gehalten, weil zuvor die
Möglichkeiten einer konservativen Behandlung hätten ausgeschöpft werden
müssen. Außerdem meint er, über die Vor- und Nachteile des operativen Eingriffs
und alternativer Behandlungsmöglichkeiten nicht aufgeklärt worden zu sein.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im
angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt:
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Die Beklagte zu 1) hafte nicht, weil nach der gewählten Vertragsgestaltung nur der
Beklagte zu 2) haftbar sei. Diesem falle aber ein Behandlungsfehler nicht zur Last.
Der Kläger sei von B auch ausreichend aufgeklärt worden.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches
Begehren weiterverfolgt. Er hält daran fest, die Beklagte zu 1) habe ihre Haftung
nicht wirksam ausgeschlossen. Die Aufklärung sei unzureichend gewesen. Auch
wenn er Arzt im Praktikum gewesen sei, seien an die Aufklärung keine geringeren
Anforderungen zu stellen gewesen.
Wegen des Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf die
Berufungsbegründung vom 28. Februar 2008 und die Berufungserwiderung vom
14. Mai 2008 Bezug genommen.
II.
Die Berufung des Klägers ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere
form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hat sie nur
gegenüber dem Beklagten zu 2) Erfolg.
1. Die Berufung des Klägers gegen die Abweisung der gegen die Beklagte zu 1)
gerichteten Klage ist unbegründet, weil das angefochtene Urteil weder auf einer
Rechtsverletzung beruht noch nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen
eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 ZPO). Denn die Beklagte zu 1)
haftet für eine vom Kläger geltend gemachte schuldhaft rechtswidrige Behandlung
durch den Beklagten zu 2) nicht, weil zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1)
hinsichtlich der vom Beklagten zu 2) durchzuführenden Operation keine
vertraglichen Beziehungen bestanden. Aufgrund der zwischen dem Kläger und der
Beklagten zu 1) geschlossenen Vereinbarung von Wahlleistungen vom 13.
Dezember 1998 wurden die Operationsleistungen des Beklagten zu 2) von der
Beklagten zu 1) nicht geschuldet. Wegen dieser Vereinbarung scheidet auch eine
deliktische Haftung der Beklagten zu1) aus, weil der Beklagte zu 2) weder als
Verrichtungsgehilfe (§ 831 Abs. 1 BGB) noch als Organ (§ 31 BGB) für die Beklagte
zu 1) tätig geworden ist.
Aufgrund des zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) geschlossenen
Krankenhausaufnahmevertrages verbunden mit der gesonderten Vereinbarung
von Wahlleistungen ist zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) ein
sogenannter gespaltener Krankenhausvertrag geschlossen worden mit der Folge,
dass die Beklagte zu 1) keine vertragliche Haftung für Fehler des
selbstliquidierenden Beklagten zu 2) traf, dem Kläger insoweit nur der Beklagte zu
2) als Haftungsschuldner zur Verfügung steht. Zwar geht beim Abschluss einer
Wahlleistungsvereinbarung über privatärztliche Behandlungen durch
liquidationsberechtigte Ärzte der Klinik die Rechtsprechung als Regelmodell von
einem einheitlichen Krankenhausaufnahmevertrag aus, bei dem der Rechtsträger
der Klinik alleiniger Vertragspartner und Haftungsschuldner für sämtliche
Leistungen der stationären Krankenhausbetreuung im ärztlichen wie im
pflegerischen Bereich ist. Denn der Patient erwartet in aller Regel sämtliche im
Krankenhaus vorhandenen und angebotenen ärztlichen Leistungen vom
Krankenhausträger. Er sieht diesen prinzipiell mindestens neben den
liquidationsberechtigten Ärzten als seinen Vertragsschuldner an, zumal er im
Einzelfall schwer unterscheiden kann und will, wann es um ärztliche Leistungen des
Chefarztes geht und wann es um Leistungen von Klinikärzten geht, die ihm nicht
durch besonderen Vertrag verbunden sind. Deshalb ist sein auf Gewährung von
Wahlleistungen gerichteter Antrag grundsätzlich dahin zu verstehen, dass er
besondere ärztliche Leistungen „hinzukaufen“, nicht aber den Krankenhausträger
aus der Verpflichtung entlassen will, ihm diese Leistungen gleichfalls zu schulden.
Folglich bleibt es auch bei Beantragung einer derartigen Wahlleistung grundsätzlich
dabei, dass die ärztlichen Leistungen von den Ärzten nur zusätzlich geschuldet
werden. Ein sogenannter gespaltener Krankenhausvertrag ist jedoch zulässig,
wenn der Ausschluss der Haftung des Klinikträgers für Fehler des
selbstliquidierenden Arztes in einer klaren vertraglichen Vereinbarung zwischen
den Parteien festgelegt wird und – sofern es sich um eine formularmäßige
Vereinbarung handelt – die Regelung deutlich und mit nicht überraschendem
Charakter ausgestaltet ist (vgl. BGH NJW 1998, 1778; NJW 1993, 779; OLG
München, Urteil vom 7. August 2008, 1 U 4979/07; OLG Zweibrücken OLGR 1999,
43; OLG Koblenz NJW 1998, 3425). Sollen die Leistungen des selbst liquidierenden
Arztes aus dem Vertrag mit dem Krankenhausträger völlig herausgenommen
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Arztes aus dem Vertrag mit dem Krankenhausträger völlig herausgenommen
werden, so muss dem Patienten bei Vertragsschluss hinreichend verdeutlicht
werden, dass abweichend vom Regelfall Schuldner dieser Leistungen auch im Fall
einer Haftung für ärztliche Fehler nicht der Krankenausträger ist, sondern der
Patient sich insoweit lediglich an die liquidationsberechtigten Ärzte halten kann
(BGH NJW 1993, 779; NJW 1985, 2189). Dazu ist es erforderlich, dass – wenn nicht
etwa eine mündliche Erläuterung erfolgt – die Klarstellung innerhalb des noch
durch die Unterschrift des Patienten gedeckten Vertragstextes vorgenommen wird
(BGH NJW 1993, 779)
Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die vorliegende
Vertragsgestaltung den Anforderungen an einen gespaltenen
Krankenhausaufnahmevertrag genügt. Dabei kommt es auf die Regelung in § 6
Abs. 4 der Anstaltsordnung nicht an. Denn in der vom Kläger unterschriebenen
einseitigen und übersichtlich gestalteten Vereinbarung von Wahlleistungen ist
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Vertragspartner der ärztlichen
Wahlleistungen die liquidationsberechtigten Ärzte sind und die Leistungen nicht
vom Klinikum geschuldet werden. In Fettdruck wird daran anschließend auf den
Haftungsausschluss hingewiesen. Sowohl inhaltlich als auch nach der formalen
Gestaltung ist das ausreichend (vgl. BGH NJW 1993, 779). Der vom Kläger
geforderte Hinweis auf einem gesonderten Bogen mit der Überschrift
„Vereinbarung zum Haftungsausschluss“ ist nicht erforderlich und bringt für einen
Patienten keinen besonderen Gewinn an Klarheit und Übersichtlichkeit. Zwar muss
der Patient in einer „Vereinbarung von Wahlleistungen“ nicht ohne weiteres einen
Haftungsausschluss der Klinik vermuten. Hier wird ihm das aber eindeutig zum
Ausdruck gebracht und seine Aufmerksamkeit wird durch Fettdruck, der sonst im
Text kaum vorkommt, auf diese Passage gelenkt. Mehr kann auch ein
Vereinbarungen nur flüchtig zur Kenntnis nehmender Patient nicht erwarten.
2. Die gegen den Beklagten zu 2) gerichtete Berufung des Klägers hat dagegen
Erfolg. Der Kläger greift das Urteil des Landgerichts allerdings nicht an, soweit es
eine fehlerhafte Behandlung durch den Beklagten zu 2) nach Einholung eines
Sachverständigengutachtens verneint hat. Damit ist die Haftung wegen eines
Behandlungsfehlers nicht Streitstoff der Berufung. Denn der Berufungsführer muss
klarstellen, in welchen Punkten und mit welchen Gründen er das Urteil angreift
(BGH NJW 2008, 1304). Ist im Arzthaftungsprozess die auf einen Behandlungs-
sowie einen Aufklärungsfehler gestützte Klage unter beiden Gesichtspunkten
abgewiesen worden, muss die Berufungsbegründung erkennen lassen, ob das
Urteil hinsichtlich beider Fehler angegriffen wird (BGH NJW-RR 2007, 414).
Der Senat kann sich aber der Rechtsaufassung des Landgerichts nicht
anschließen, die vom Beklagten zu 2) durchgeführte Operation sei deshalb
rechtmäßig, weil der Kläger nach ausreichender Risikoaufklärung eingewilligt habe.
Denn das Landgericht hat damit zu geringe Anforderungen an die
Aufklärungsverpflichtung des Beklagten zu 2) gestellt.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass
ärztliche Heileingriffe grundsätzlich der Einwilligung des Patienten bedürfen, um
rechtmäßig zu sein, und dass diese Einwilligung nur wirksam erteilt werden kann,
wenn der Patient über den Verlauf des Eingriffs, seine Erfolgsaussichten, seine
Risiken und mögliche Behandlungsalternativen mit wesentlich anderen
Belastungen, Chancen und Gefahren im Großen und Ganzen aufgeklärt worden ist.
Nur so werden sein Selbstbestimmungsrecht und sein Recht auf körperliche
Unversehrtheit gewahrt (grundlegend BGH NJW 1959, 205 und NJW 1959, 814;
zuletzt wohl VersR 2009, 257). Soweit es um gegebene alternative
Behandlungsmethoden geht, ist die Wahl der Behandlungsmethode zwar primär
Sache des Arztes. Gibt es indessen mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte
und übliche Behandlungsmethoden, die wesentlich unterschiedliche Risiken und
Erfolgschancen aufweisen – wie hier die Operation einerseits und die konservative
Behandlung andererseits –, besteht mithin eine echte Wahlmöglichkeit für den
Patienten, dann muss diesem nach entsprechend vollständiger ärztlicher
Aufklärung die Entscheidung überlassen bleiben, auf welchem Wege die
Behandlung erfolgen soll und auf welches Risiko er sich einlassen will (BGH NJW
2006, 2477; NJW 2005, 1718). Die Pflicht zur Selbstbestimmungsaufklärung ist in
gleicher Weise Nebenpflicht des Behandlungsvertrags wie Ausfluss der
Garantenstellung des Arztes (BGH NJW 2005, 1718 m.w.N.).
Nach dem vom Landgericht eingeholten Gutachten des Sachverständigen SV1 war
die vom Kläger durchgeführte Operation nicht absolut indiziert; vielmehr wäre auch
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die vom Kläger durchgeführte Operation nicht absolut indiziert; vielmehr wäre auch
eine konservative Therapie in Betracht gekommen. Das zieht der Beklagte zu 2)
nicht in Zweifel. Die danach gebotene Aufklärung über die in Betracht kommenden
Behandlungsmaßnahmen und deren Risiken und Erfolgschancen hat der Beklagte
zu 2) weder ausreichend behauptet noch gar bewiesen. Nach den Feststellungen
des Landgerichts riet der Beklagte zu 2) sowohl am 13. Dezember 1998
telefonisch gegenüber dem den Kläger zuvor untersuchenden Arzt als auch am
14. Dezember 1998 bei der Morgenvisite eindeutig zu einer Operation. Dass in
diesem Zusammenhang auch eine konservative Behandlung angesprochen und
als ernsthafte Alternative diskutiert worden wäre, ist nicht behauptet. Die
schriftliche Einverständniserklärung des Klägers vom 14. Dezember 1998 enthält
keinen konkreten Hinweis auf die Alternative einer konservativen Behandlung.
Auch die dieser Einverständniserklärung von den Beklagten beigefügte
handschriftliche Auflistung enthält keinen Hinweis hierauf. Die Aussage des
Zeugen B, der das Aufklärungsgespräch geführt hatte, ergibt schließlich ebenfalls
nicht den Nachweis einer Aufklärung über in Betracht kommende
Behandlungsalternativen. Eine konkrete Erinnerung hatte der Zeuge daran nicht.
Er hat es zwar für sehr wahrscheinlich gehalten, seine Aussage im Übrigen weckt
aber Zweifel an der Richtigkeit dieser Einschätzung. Denn nach seiner Aussage war
für ihn die Entscheidung zugunsten einer Operation bereits von dritter Seite,
nämlich von dem Beklagten zu 2) als Chefarzt gefallen. Für ihn bestand deshalb
gar kein Anlass mehr, dem Kläger mit Hilfe einer Aufklärung eine
Entscheidungsmöglichkeit zu geben, weil eine konservative Therapie gar nicht ins
Auge gefasst war. Ausgehend hiervon hatte er den Kläger über die mit der
Durchführung der Operation verbunden Risiken zu unterrichten. Demgemäß
bezieht sich die handschriftliche Aufstellung auch nur auf Risiken der Operation.
Die nach allem an einer hinreichenden Aufklärung bestehenden Zweifel gehen zu
Lasten des insoweit beweispflichtigen Beklagten zu 2).
Dem Beklagten zu 2) kann es entgegen der Meinung des Landgerichts nicht
entlasten, dass der Kläger, der damals Arzt im Praktikum war, gewusst habe oder
jedenfalls hätten wissen können, dass keine zwingende Indikation zur Operation
vorlag und deshalb auch eine konservative Therapie in Betracht kam, zumal die
Operation nicht notfallmäßig durchgeführt wurde, und er selbst den
Operationstermin um einen Tag verschob. Zwar muss ein Patient, der aus
eigenem medizinischem Vorwissen bereits ein hinreichendes Bild von dem Eingriff
hat und deshalb sein Selbstbestimmungsrecht wahrnehmen kann, nicht mehr
über das aufgeklärt werden, was er bereits weiß (vgl. OLG Hamm VersR 1998, 322
für einen Chirurgen und Allgemeinmediziner als Patient ; OLG Celle VersR 2004,
384 für einen Patienten mit Vorwissen aus einem vergleichbarem Fall;
Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, Fallgruppenkommentar,. 2. Auflage, Seite 225
m.w.N.). Eine positive Kenntnis des Klägers von der ernsthaft in Betracht
kommenden konservativen Behandlung hat das Landgericht nicht festgestellt.
Dass es wenig überzeugend sei, dass der Kläger mit dem Zeugen Z1, mit dem er
am 14. Dezember 1998 ein Gespräch geführt hatte, nur die Röntgenbilder
diskutiert haben wolle, nicht aber über die in Betracht kommenden
Behandlungsmaßnahmen, genügt für eine solche Feststellung nicht. Eben so
wenig genügt für die Feststellung einer positiven Kenntnis des Klägers, dass
einiges dafür spricht, dass der Kläger aus den Umständen hätte herleiten können
und müssen, dass die Operation nicht dringend indiziert war und eine konservative
Therapie in Betracht kam. Auch ein informierter Patient ist nicht gehalten, sich
Informationen über Risiken und etwaige andere Behandlungsmöglichkeiten eines
Eingriffs zu beschaffen. Es ist Aufgabe des Arztes, der den Eingriff vornimmt und
damit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine tatbestandsmäßige
Körperverletzung begeht, sich einer wirksamen Einwilligung des Patienten zu
versichern. Das gilt auch gegenüber einem fachlich gebildeten Patienten, es sei
denn es liegt auf der Hand oder es ist dem aufklärungspflichtigem Arzt bekannt,
dass der Patient die Kenntnisse besitzt.
Bei einem Arzt im Praktikum in einer anderen Fachrichtung kann davon nicht ohne
weiteres ausgegangen werden. Es kann dem Kläger zwar kaum geglaubt werden,
dass er nicht von konservativen Behandlungsmöglichkeiten bei
Bandscheibenvorfällen gewusst hat. Denn die Problematik der
Bandscheibenoperation soll zum Standard und Prüfungswissen bei Abschluss der
medizinischen Ausbildung gehören. Darauf kommt es aber nicht an, sondern auf
seine besondere Krankheitssituation. Dass er diese fachlich richtig beurteilt hat,
kann nicht unterstellt werden. Entscheidend ist, ob er wusste, dass der
Bandscheibenvorfall, der zwar nicht notfallmäßig operiert werden musste, zu
dessen Operation der Beklagte zu 2) aber „ohne wenn und aber“ riet, auch Erfolg
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dessen Operation der Beklagte zu 2) aber „ohne wenn und aber“ riet, auch Erfolg
versprechend konservativ behandelt werden konnte. Lässt sich nicht feststellen,
dass der Kläger die erforderliche Kenntnis selbst besaß, war er auch als Arzt im
Praktikum nicht gehalten, sich die medizinischen Kenntnisse durch die Lektüre von
Fachliteratur selbst zu verschaffen. Deshalb kann dahinstehen, ob er in der
konkreten Situation hierzu überhaupt in der Lage war.
- Nach allem war die Einwilligung des Klägers in die Operation am 15. Dezember
1998 unbeachtlich, weil sie nicht von einer hinreichenden Risikoaufklärung durch
den Beklagten zu 2) getragen war.
Der Beklagte kann sich nicht auf eine sogenannte hypothetische Einwilligung
berufen, nämlich darauf, dass der Kläger auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in
die Operation eingewilligt hätte. Der Senat glaubt dem Kläger aufgrund des bei der
Anhörung im Senatstermin am 19. Februar 2009 gewonnenen persönlichen
Eindrucks, dass sich der Kläger ordnungsgemäß aufgeklärt zumindestens in einem
echten Entscheidungskonflikt befunden hätte. An die Substantiierungspflicht für
die Darlegung eines solchen Konflikts dürfen keine zu hohen Anforderungen
gestellt werden (BGH NJW 2007, 2771; VersR 1994, 1235 m.w.N.). Bereits das
Verhalten des Klägers seit seinem ersten Aufsuchen der Orthopädischen Klinik am
13. Dezember 1998 lässt einen eher ängstlichen und zurückhaltenden Patienten
erkennen. So war er schon mit der Durchführung einer Computertomographie
wegen von ihm befürchteter Strahlenbelastung nicht einverstanden, obwohl er
erhebliche Beschwerden hatte. Auch der vom Beklagten zu 2) vorgeschlagenen
Operation stand er trotz sich verstärkender Beschwerden skeptisch gegenüber,
was sich daran zeigt, dass er zum einen um Verschiebung des Operationstermins
bat, zum anderen mit dem ihm vertrauten Zeugen Z1 ein Gespräch führte.
Verbunden mit diesen objektiven Umständen glaubt der Senat dem Kläger, dass
er einer Operation eher ablehnend gegenüber gestanden und sich zunächst wohl
zu einer konservativen Behandlung entschlossen hätte, wenn ihm dargelegt
worden wäre, dass diese ernsthaft in Betracht kam. Wenngleich die Operation den
Vorteil hatte, zu schnellerer Schmerzfreiheit zu führen und eine schnellere
berufliche Integration zu ermöglichen, während der Erfolg der konservativen
Behandlung zweifelhaft war, hätte diese nicht zu einer irreversiblen
Verschlechterung führen können, während die Operation mit dem ernsthaften
Risiko eines Postdiskotomiesyndroms behaftet war. Unabhängig davon, wie sich
der Kläger tatsächlich entschieden hätte, überzeugt es den Senat, dass sich der
Kläger bei hinreichender Aufklärung in einem ernsthaften Entscheidungskonflikt
befunden hätte.
- Dass sich der Kläger gleichwohl zu einer Operation entschieden hätte, hat der
Beklagte zu 2) nicht bewiesen. Allein die bereits dargestellten Vorteile einer
Operation genügen hierfür nicht. Denn auch mit Rücksicht darauf, dass sich der
Kläger in der Facharztausbildung zum Herzchirurgen befand, wäre es nicht völlig
unvernünftig und deshalb als ausgeschlossen anzusehen gewesen, sich gleichwohl
zunächst einer konservativen Behandlung, wenn auch unter Schmerzen, zu
unterziehen. Dass der Kläger bei einer konservativen Behandlung nicht in der Lage
gewesen wäre, seine Facharztausbildung gleichwohl weiterzuverfolgen, hat der
Beklagte zu 2) nicht dargetan.
Da nach alledem die Operation am 15. Dezember 1998 nicht von einer wirksamen
Einwilligung des Klägers gedeckt war, haftet der Beklagte zu 2) ohne Rücksicht
darauf, dass die Operation medizinisch fachgerecht durchgeführt wurde, für die
dem Kläger entstandenen und noch entstehenden Schäden aus dieser Operation.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, Nr. 11 ZPO.
Obwohl das Rechtsmittel der Revision vorliegend grundsätzlich statthaft ist und §
713 ZPO deshalb nicht eingreift, ist das Urteil des Senats als Feststellungsurteil
nur hinsichtlich des Kostenausspruchs vorläufig vollstreckbar.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Entscheidung des Senats auf einer
Würdigung von Tatsachen im einzelnen Fall auf der Grundlage der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs beruht.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.