Urteil des OLG Frankfurt vom 06.07.2004

OLG Frankfurt: ärztliche behandlung, entlastungsbeweis, anweisung, unfall, reithalle, tierhalterhaftung, sorgfalt, reiten, gefahr, beweiswürdigung

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Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 U 59/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 833 S 2 BGB
(Tierhalterhaftung: Entlastungsbeweis bei Reitunfall
während des Reitunterrichts)
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts
Frankfurt am Main vom 28.1.03 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beschwer der Klägerin beträgt 5.752,03 Euro.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Von einer Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen, da ein Rechtsmittel nicht
eröffnet ist.
Die zulässige Berufung der zwischenzeitlich volljährigen Klägerin ist nicht
begründet.
Die Voraussetzungen einer Haftung des Beklagten auf Ersatz des materiellen oder
immateriellen Schadens der Klägerin aus dem Reitunfall vom 21.9.00 in der
Reithalle des Beklagten sind nicht gegeben.
Eine zum Ersatz des materiellen Schadens verpflichtende schuldhafte Verletzung
des Reitunterrichtsvertrages durch die Reitlehrerin X (§ 278 BGB) oder durch den
Beklagten selbst ist nicht gegeben, da beiden aus den nachfolgend genannten
Gründen kein schuldhaftes Verhalten vorzuwerfen ist.
Die Voraussetzungen einer Tierhalterhaftung nach § 833 Satz 1 BGB sind
vorliegend zwar zu bejahen, wie das Landgericht unangegriffen festgestellt hat; der
Beklagte hat jedoch den Entlastungsbeweis nach § 833 Satz 2 BGB geführt.
Dabei ist nicht im Streit, dass das vorliegend vom Beklagten eingesetzte Reitpferd
„Y“ als Haustier im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist. Der Beklagte hat zur
Überzeugung des Gerichts bewiesen, dass er und die von ihm eingesetzte
Reitlehrerin, die Zeugin X, bei der Beaufsichtigung des Pferdes Y die im Verkehr
erforderliche Sorgfalt beobachtet hat.
Der Entlastungsbeweis nach § 833 Satz 2 BGB richtet sich gegen die
Verschuldens- oder gegen die Kausalitätsvermutung des Satzes 1 (vgl. Palandt,
BGB, 63. Aufl., § 833, Rdnr. 14). An deren Widerlegung sind, worauf die Berufung
zutreffend hinweist, strenge Anforderungen zu stellen (vgl. OLG Frankfurt
VersRecht 82, 908). Andererseits darf aber nicht außer Acht gelassen werden,
dass nach Wortlaut und Sinn des Gesetzes die Beobachtung der im Verkehr
erforderlichen Sorgfalt ausreicht. Damit wird abgehoben auf den Sorgfaltsmaßstab
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erforderlichen Sorgfalt ausreicht. Damit wird abgehoben auf den Sorgfaltsmaßstab
des § 276 Abs. 2 BGB, wonach die Sorgfaltsanforderungen nach dem jeweiligen
Verkehrskreis zu bestimmen sind (BGHZ 39, 283).
Stellt man mithin auf die besonderen Gegebenheiten eines Reitunterrichts und
den diesbezüglich allgemein üblichen Standard ab, so darf nicht verkannt werden,
dass das Reiten grundsätzlich seiner Art nach mit besonderen Gefahren
verbunden ist, insbesondere auch mit der Gefahr des Sturzes des Reiters vom
Pferd. Letzteres kann - auch bei Beobachtung sämtlicher Sorgfaltspflichten in
optimaler Weise - nicht in jedem Fall verhindert werden, weshalb z.B. auch das
Tragen einer besonderen Schutzkappe zur unbedingten Pflicht des Reiters gehört.
Die mit dem Reiten zusammenhängenden Gefahren sind naturgemäß besonders
groß beim Erlernen des Reitens, so dass vom Betreiber eines Reitunterrichts sowie
dem Reitlehrer die Erfüllung ganz besonderer Sorgfaltspflichten zu verlangen ist.
Andererseits dürfen die Anforderungen aber auch nicht überspannt werden.
Ausreichend ist die Wahrung der Sorgfaltspflichten, wie sie sich für einen allgemein
üblichen, ordnungsgemäßen Reitunterricht entwickelt haben. In diesem Rahmen
sind Reitunfälle nicht auszuschließen; der Reitunterricht muss aber so organisiert
und durchführt werden, dass die Reitschüler/innen nicht in s t ä r k e r e m Maß
gefährdet werden, als dies bei jedem Reitunterricht naturgemäß der Fall ist (vgl.
auch OLG Düsseldorf VersRecht 80, 270).
Dass der Beklagte bzw. die Zeugin X eine Gefahrerhöhung in diesem Sinne
geschaffen und dadurch den Sturz der Klägerin von dem Pferd Y verursacht
hätten, hat die Beweisaufnahme jedoch nicht ergeben; vielmehr entsprach nach
dem Ergebnis der Beweisaufnahme der vorliegende Reitunterricht, in dessen
Rahmen die Klägerin gestürzt ist, in jeder Hinsicht den Anforderungen an einen
verkehrsüblichen, ordnungsgemäßen Reitunterricht.
Dabei war das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die
Beweiswürdigung des Landgerichts gebunden. Denn diesbezüglich sind
Anhaltspunkte für Fehler oder lückenhafte Feststellungen nicht ersichtlich. Das
Landgericht hat in seiner Beweiswürdigung auch nicht gegen Denkgesetze oder
allgemein anerkannte Erfahrungssätze verstoßen, sondern jedenfalls eine
vertretbare Beurteilung vorgenommen, was für § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO
ausreichend ist. Insbesondere hat das Landgericht zu Recht darauf hingewiesen,
die Aussagen der Klägerin und ihrer Schwester, auf die die Berufung im
Wesentlichen abhebt, differierten in mehreren Punkten, weshalb es nicht diesen
beiden Aussagen folge, sondern den Aussagen der Zeugen X, Z1 und Z2.
Mithin ist das Berufungsgericht an die landgerichtliche Feststellung gebunden,
dass nicht das später in die Reithalle gekommene Privatpferd ursächlich für das
„Buckeln“ des von der Klägerin gerittenen Pferdes war, sondern die Tatsache, dass
die Klägerin entgegen der ausdrücklichen Anweisung der Reitlehrerin angaloppiert
und nicht vor dem Longekreis abgewendet hat. Eine Anweisung der Zeugin X an
die Klägerin, mit ihrem Pferd „anzugaloppieren“ - die unbestritten regelwidrig
gewesen wäre - hat es mithin nicht gegeben.
Die Beweisaufnahme hat auch nicht ergeben, dass das Privatpferd in die Reitbahn
der Klägerin geraten wäre. Nach den überzeugenden Ausführungen des im
Berufungsverfahren beauftragten Sachverständigen Dr. A, hinsichtlich dessen
besonderer Sachkunde und Unabhängigkeit das Gericht keinen Zweifel hat, war es
auch nicht unüblich oder gefahrerhöhend, dass die Einzelreiterin mit ihrem
Privatpferd während des Reitunterrichts zusätzlich die Reithalle benutzt hat.
Vielmehr war die Reithalle außerordentlich großzügig dimensioniert und groß
genug, dass darin gleichzeitig der Reitunterricht mit der Zeugin X als Reitlehrerin,
die von der Zeugin Z2 im hinteren Bereich mittels des Longierens durchgeführte
„Sitzschulung“ eines Reiters sowie die Benutzung durch eine Einzelreiterin erfolgen
konnten; nach den Ausführungen des Sachverständigen war diese Form der
Nutzung nicht unüblich und auch nicht gefahrerhöhend bezüglich des
Reitunterrichts durch die Zeugin X.
Soweit die Beweisaufnahme ergeben hat, dass beim Einreiten der Einzelreiterin in
die Halle deren Pferd und das Pferd Y die Ohren angelegt haben, so hat sich auch
aus diesem Umstand keine Risikoerhöhung bzw. die Veranlassung zum
Tätigwerden durch die Reitlehrerin ergeben. Nach den Ausführungen im
Sachverständigengutachten wird daraus zwar eine gewisse Aggressivität der
beiden Pferde im Verhältnis zueinander ersichtlich, die jedoch nicht als
ungewöhnlich zu bezeichnen ist. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ist
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ungewöhnlich zu bezeichnen ist. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ist
insbesondere die Gefahr des Buckelns durch das Pferd Y dadurch nicht erhöht
worden und die Zeugin X hatte deswegen keine Veranlassung, etwa den Unterricht
abzubrechen oder die Einzelreiterin zum Verlassen der Halle aufzufordern.
Dementsprechend haben auch die - unbeteiligten - Zeuginnen Z1 und Z2
ausgesagt, von dem fremden Einzelpferd sei jedenfalls zum Unfallzeitpunkt keine
auffällige Unruhe mehr ausgegangen und dieses Pferd habe sich auch nicht in der
Nähe des Pferdes Y befunden, als dieses „gebuckelt“ habe.
Nach dem oben Gesagten ist das Berufungsgericht an die landgerichtliche
Feststellung gebunden, wonach die Zeugin X der Klägerin die Anweisung gegeben
hat, vor dem Longierkreis abzuwenden; der Sachverständige hat auch diese
Anweisung als nicht zu beanstanden bezeichnet. Allerdings hatten, wie die Zeugin
Z2 bestätigt hat, schon vor dem Unfall einige Reitschüler Probleme mit dem
Abwenden, was die Zeugin X mithin berücksichtigen musste. Auch daraus ergab
sich jedoch nicht die Notwendigkeit, diesbezüglich besondere Vorkehrungen zu
treffen. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. A war es nicht
gefährlich, wenn die Reitschüler/innen der Gruppe X in den Bereich hinter das
Longierpferd gerieten. Denn die Zeugin Z2 führte, wie sie ausgesagt hat, das Pferd
an der Longe in einem sehr engen Kreis. Dementsprechend hat auch die Klägerin
selbst ausgesagt, das Pferd an der Longe habe mit dem Unfall nichts zu tun
gehabt. Die Tatsache, dass die Zeugin X die Reitgruppe aufgefordert hatte, das
hintere 20 x 20 Meter große Areal zu meiden, hatte nach dem
Sachverständigengutachten andere, nicht sicherheitsbedingte Gründe.
Nach alldem ist das Buckeln des Pferdes Y weder auf das fremde Einzelpferd oder
das Longierpferd, noch auf ein Fehlverhalten der Zeugin X oder einen
Organisationsfehler des Beklagten zurückzuführen. Nach dem Gutachten des
Sachverständigen Dr. A war das Buckeln des Pferdes Y vielmehr ein Vorgang, wie
er bei jedem ordnungsgemäßen Reitunterricht unvermeidbar vorkommen kann.
Die für die Klägerin bedauerlicherweise erheblichen Verletzungsfolgen sind nach
dem Gutachten nur dadurch entstanden, dass die Klägerin, was der
Sachverständige als untypisch bezeichnet hat, beim Herunterrutschen
unglücklicherweise vom Huf des Pferdes im Gesicht getroffen worden ist.
Nach alldem ist der Entlastungsbeweis nach § 833 Satz 2 BGB vorliegend als
geführt anzusehen.
Die Klägerin hat schließlich auch keinen Anspruch auf Erstattung des Betrages von
127,82 €. Nach Darstellung der Klägerin handelt es sich dabei um in Form eines
„Gutscheins“ bereits beim Beklagten verauslagte Kosten für zukünftige
Reitstunden, die wegen des vorliegenden Unfalls nicht mehr in Anspruch
genommen worden seien. Der diesbezügliche Gutschein (Bl. 49) begünstigt
allerdings nicht nur die Klägerin, sondern gleichermaßen auch deren Schwester.
Eine Rückerstattung dieses Betrages nach § 812 BGB käme nur in Betracht, wenn
der Klägerin und deren Schwester ein Kündigungsgrund nach § 626 BGB zur Seite
gestanden hätte. Dies wäre der Fall, wenn durch den streitgegenständlichen Vorfall
das Vertrauen in eine ordnungsgemäße restliche Vertragserfüllung durch den
Beklagten berechtigterweise erschüttert gewesen wäre (vgl. Palandt, aaO, § 626,
Rdnr. 40). Nach dem oben Gesagten ist dem Beklagten bzw. der Zeugin X jedoch
nicht vorzuwerfen, durch eine Pflichtwidrigkeit den Unfall der Klägerin verursacht zu
haben. Da die Verletzung der Klägerin eine sofortige ärztliche Behandlung vor Ort
nicht erforderlich machte, war es auch ausreichend, dass die Zeugin X, wie sie
ausgesagt hat, die Mutter der Klägerin von dem Unfall verständigt und die
Abholung der Klägerin durch diese veranlasst hat. Ob der Klägerin selbst die
Fortsetzung des Reitunterrichts beim Beklagten noch zuzumuten war, kann
dahinstehen. Denn auch dann, wenn man die enge familiäre Beziehung
berücksichtigt, erscheint eine Fortsetzung des Reitunterrichts jedenfalls für die
Schwester der Klägerin, die gleichberechtigte Begünstigte aus der Gutschrift war,
nicht unzumutbar. Die Schwester war nämlich an dem Vorfall selbst in keiner
Weise beteiligt, sondern insoweit nur Zuschauerin.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) sind
vorliegend nicht gegeben.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.