Urteil des OLG Frankfurt vom 18.03.2008

OLG Frankfurt: geschäftsjahr, aufsichtsrat, rückstellung, wichtiger grund, kontrolle, interview, entlastung, aktionär, satzung, geschäftsordnung

1
2
Gericht:
OLG Frankfurt 5.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 U 171/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 72 AktG, § 76 AktG, § 111
AktG, § 130 AktG, § 131 AktG
(Anfechtung- bzw. Nichtigkeitsklage gegen Beschlüsse der
Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft: Nichtigkeit
eines Gewinnverwendungsbeschlusses wegen Ansatzfehler
in einem festgestellten Jahresabschluss; Nichtigkeit der
Entlastungsbeschlüsse für Vorstand und Aufsichtsrat
wegen Informationsmängeln)
Leitsatz
1. Eine unterbliebene Rückstellung wegen möglicher Schadensersatzansprüche gegen
die AG im Jahresabschluss ist dann kein Ansatzfehler, wenn die Schadensersatzbeträge
in einem verschwindend geringen Verhältnis zur Gesamtbilanzsumme stehen (hier:
weniger als 1/2 Prozentpunkt).
2. Der Umstand, dass der Vorstand der AG in der Hauptversammlung eine berechtigte
Frage nach der Organisationsstruktur des Unternehmens (hier: Verpflichtung zur
eigenverantwortlichen Leitung des Unternehmens nach § 76 AktG) nicht oder nicht
ausreichend beantwortet, kann zur Nichtigerklärung der Entlastungsbeschlüsse für
Vorstand und Aufsichtsrat führen.
Tenor
Die Berufungen gegen das am 26.9.2006 verkündete Urteil der 5. Kammer für
Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main werden zurück-gewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger 2/3 und die Beklagte 1/3 zu
tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die
Zwangsvollstreckung der jeweiligen Gegenpartei durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des gegen sie aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages
abzuwenden, soweit nicht die jeweilige Gegenpartei vor der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu ihren Gunsten vollstreckbaren
Betrages leistet.
Gründe
I. Die Kläger waren und sind Aktionäre der Beklagten. Sie wenden sich gegen
Beschlüsse der ordentlichen Hauptversammlung 2005 der Beklagten, nämlich
vom 18.5.2005, und zwar wie folgt: Gewinnverwendung (TOP 2), Entlastung des
Vorstands (TOP 3), Entlastung des Aufsichtsrates (TOP 4), Wahl des
Abschlussprüfers (TOP 5) und gegen die Feststellung des Jahresabschlusses 2004,
die Klägerin zu 2) erstinstanzlich allein auch gegen einen
Geschäftsordnungsbeschluss, durch den die Abwahl des Versammlungsleiters X
abgelehnt wurde.
Im Dezember 2001 kam die Unternehmensgruppe des Ehemanns der Klägerin zu
1), Y, nach Medienberichten in finanzielle Bedrängnis. Am 3.2.2002 hielt der
damalige Vorstandsvorsitzende der Beklagten, X, der später - bei umstrittener
Wirksamkeit - zum Aufsichtsrat gewählt und als dessen Vorsitzender tätig wurde,
3
4
5
6
7
8
9
10
Wirksamkeit - zum Aufsichtsrat gewählt und als dessen Vorsitzender tätig wurde,
ein Fernsehinterview, das in seinem Kern eine, wie inzwischen rechtskräftig
feststeht, schadensersatzbegründende Äußerung enthielt („Was alles man
darüber lesen und hören kann ist ja, dass der Finanzsektor nicht bereit ist, auf
unveränderter Basis noch weitere Fremd- oder gar Eigenmittel zur Verfügung zu
stellen.“).
Die Kläger sehen dieses Interview als Ursache für hohe finanzielle Verluste des Y
bzw. der von ihm beherrschten Gesellschaften.
Die Kläger halten die gefassten Beschlüsse für nichtig bzw. anfechtbar. Eine
Berechtigung des X zur Leitung der Hauptversammlung 2005 habe gefehlt und
das Versammlungsprotokoll sei nicht rechtzeitig erstellt worden. Die
satzungsmäßige Berechtigung des Versammlungsleiters wird von den Klägern
angezweifelt, weil die Satzung die Leitung der Hauptversammlung durch den
Aufsichtsratsvorsitzenden oder ein anderes Mitglied des Aufsichtsrats vorsehe.
Aus dem Interview und der späteren Handhabung der vermeintlichen Ansprüche
ergäbe sich ein wichtiger Grund für seine Abwahl, die zu Unrecht verweigert worden
sei. Die Feststellung des Jahresabschlusses für das Geschäftsjahr 2004 sei nichtig,
weil der Abschlussprüfer im Vorjahr unwirksam, jedenfalls aber von einem noch
offenen Anfechtungsverfahren betroffen, bestellt worden sei und weil der
Jahresabschluss 2004 zu Unrecht keine Rückstellung für Schadensersatzansprüche
aus dem Interview enthalte, deren die Milliardengrenze übersteigende Höhe sich
aus Schriftsätzen des Y zur Feststellungsklage vor dem Landgericht München und
dem Oberlandesgericht München ergeben habe. Zumindest für die Prozesskosten
hätte ein Betrag zurückgestellt werden müssen. Die Prüferbestellung sei
anfechtbar, weil der Abschlussprüfer das Fehlen einer Rückstellung für das
Interview nicht beanstandet habe. Aus der Nichtigkeit der Abschlussfeststellung
folge auch die Nichtigkeit des Gewinnverwendungsbeschlusses. Zu den
Entlastungsbeschlüssen für Vorstand und Aufsichtsrat haben die Kläger u.a.
Informationsmängel eingewandt, weil zahlreiche in der Hauptversammlung
gestellte Fragen nicht oder nicht ausreichend beantwortet worden seien,
namentlich nach der Leitung des Unternehmens, zu der im Geschäftsbericht
Äußerungen zur Aufgabenzuweisung an andere Gremien enthalten waren.
Die Kläger haben beantragt,
festzustellen, dass die Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom
18.5.2005, durch welche die Verwendung des Bilanzgewinns (TOP 2), die
Entlastung des Vorstandes (TOP 3), des Aufsichtsrats (TOP 4), und die Wahl des
Abschlussprüfers (TOP 5) beschlossen wurden, nichtig sind, bzw. sie für nichtig zu
erklären und festzustellen, dass der Jahresabschluss der Beklagten für das
Geschäftsjahr zum 31.12.2004 nichtig ist,
darüber hinaus noch die Klägerin zu 2), festzustellen, dass der Beschluss über die
Geschäftsordnung für den Fall, dass kein Versammlungsleiter gewählt wird und der
Aufsichtsratsvorsitzende X die Versammlungsleitung übernimmt, Herrn X aus
wichtigem Grund als Leiter der Hauptversammlung vom 18.2.2005 abzuberufen,
nichtig ist, bzw. ihn für nichtig zu erklären.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Die Beklagte hat die Beschlüsse und die Abschlussfeststellung verteidigt. Das
Landgericht hat mit dem beiderseits angefochtenen Urteil die
Entlastungsbeschlüsse für nichtig erklärt, weil Fragen zur Funktion und Kontrolle
von Leitungsgremien und zur Vergütung deren Mitglieder nicht ausreichend
beantwortet worden seien, wie auch Fragen im Zusammenhang mit dem USA-
Geschäft der Beklagten offen geblieben seien. Ansonsten hat das Landgericht die
Klagen abgewiesen. Zu den tatsächlichen Feststellungen in erster Instanz und zu
den Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf das am 26.9.2006 verkündete
Urteil Bezug genommen (Bl. 760 bis 787 d.A.).
Die Berufungsbegründung der Klägerin zu 2), der sich der Kläger zu 1)
angeschlossen hat, macht erneut geltend, die Satzungsbestimmung zur
Versammlungsleitung sei durch das Landgericht falsch ausgelegt worden und der
als Aufsichtsratsvorsitzender auftretende X nicht ordnungsgemäß bestellt worden.
Als Versammlungsleiter sei er ungeeignet gewesen, was sich aus der
strafrechtlichen Qualität der Interviewäußerung und aus der Behandlung von
Auskunftsverlangen ergebe. Die notarielle Niederschrift der Hauptversammlung
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
Auskunftsverlangen ergebe. Die notarielle Niederschrift der Hauptversammlung
sei verspätet unterschrieben worden. Der Jahresabschluss sei nichtig festgestellt,
weil die Prüferbestellung des Vorjahres angefochten sei. Bis zu deren gerichtlicher
Klärung müsse der Rechtsstreit ausgesetzt werden. Ansonsten wiederholt und
vertieft die Berufung der Kläger die erstinstanzlichen Angriffe gegen die
Beschlussfassungen zu den Tagesordnungspunkten 2 und 5 und hinsichtlich des
Geschäftsordnungsbeschlusses sowie zur Feststellung der Nichtigkeit des
Jahresabschlusses.
Die Klägerin zu 2) rügt die geschäftsplanmäßige Zuständigkeit des Senats und
beantragt im Übrigen,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, dass die Beschlüsse
der Hauptversammlung der Beklagten vom 18.5.2005 zu dem TOP 2 (Verwendung
des Bilanzgewinns) mit dem Inhalt: „Der zur Verfügung stehende Bilanzgewinn von
924.552.218,20 € wird zur Ausschüttung einer Dividende von 1,70 € je Stückaktie
auf die 510.474.966 dividendenberechtigten Stückaktien verwendet, der
Restbetrag von 56.744.766,00 € als Gewinn auf neue Rechnung vorgetragen“,
zu TOP 5 (Wahl des Abschlussprüfers für das Geschäftsjahr 2005): „Die A AG …,
O1 wird zum Abschlussprüfer für das Geschäftsjahr 2005 bestellt“ und
zur Geschäftsordnung mit folgendem Inhalt: „Für den Fall, dass kein
Versammlungsleiter gewählt wird und der Aufsichtsratsvorsitzende X die
Versammlungsleitung übernimmt, Herrn X aus wichtigem Grund als Leiter der
Hauptversammlung vom 18.5.2005 abzuberufen“,
nichtig sind, hilfsweise,
die Beschlüsse der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 18. Mai
2005 zu den Tagesordnungspunkten 2 und 5 und zur Geschäftsordnung (Antrag
auf Abberufung des Versammlungsleiters), so wie die Hauptversammlung sie
gefasst hat und wie sie im vorstehenden Antrag wiedergegeben sind, für nichtig zu
erklären, sowie
festzustellen, dass der Jahresabschluss der Beklagten für das Geschäftsjahr zum
31.12.2004, festgestellt durch den Aufsichtsrat am 18.3.2005, nichtig ist.
Der Kläger zu 1) stellt keinen Antrag.
Die Beklagte beantragt,
die Berufungen der Kläger zurückzuweisen, und beantragt mit eigener
Berufung,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Soweit die Klage abgewiesen worden ist, verteidigt die Beklagte das angefochtene
Urteil. Die Entlastungsbeschlüsse seien wirksam gefasst worden, weil die als offen
angenommenen Fragen entweder nicht nötig gewesen oder beantwortet worden
seien sowie auch in Einzelfällen die Auskunft hätte verweigert werden können.
Die Klägerin zu 2) beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
II. Die Berufungen der Klägerin zu 2) und der Beklagten sind zulässig, insbesondere
form- und fristgerecht eingelegt und gerechtfertigt worden. Ob die Berufung des
Klägers zu 1) zulässig begründet worden ist, kann dahin stehen. Das Rechtsmittel
des Klägers zu 1) wäre ohnehin nicht als unzulässig zu verwerfen, weil die Klägerin
zu 2) die Berufung durchgeführt hat und der Kläger zu 1) ihr notwendiger
Streitgenosse ist (MüKo/Schilken ZPO, 2. Aufl. 2000, § 62 Rdz. 52;
Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., Rdz. 42 zu § 62 ZPO; Zöller/Vollkommer, ZPO, 26.
Aufl. 2007, § 62 Rdz. 32; HK-ZPO/Kayser, 2. Aufl. 2007, § 62 Rdz. 23).
Der Senat ist aufgrund der zuerst eingelegten Berufung der Beklagten nach dem
Geschäftsverteilungsplan 2006 - entgegen der Rüge der Klägerin zu 2) zuständig
geworden, weil dort - im Gegensatz zu späteren Regelungen - die
Sonderzuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten, mit denen ein Kreditinstitut im Sinne
des § 32 KWG verklagt ist, jener des erkennenden Senats noch nicht vorging.
Die vom Vertreter der Klägerin zu 2) im Senatstermin vertretene Auffassung, das
erst in 2007 eingelegte Rechtsmittel der Klägerin zu 2) habe zu einer besonderen
Zuständigkeit für dieses Rechtsmittel geführt, verkennt die Einheit der
Anfallwirkung des erstinstanzlichen Rechtsstreits bei Einlegung der Berufung einer
23
24
25
26
27
28
29
Anfallwirkung des erstinstanzlichen Rechtsstreits bei Einlegung der Berufung einer
Partei, die aus § 525 ZPO folgt (vgl. etwa RGZ 144, 116, 118; MüKo/ZPO,
Rimmelspacher, wie oben, § 518 Rdz. 44).
Die Berufung der Beklagten ist am 27.11.2006 und die Berufung des Klägers zu 2.)
am 11.12.2006 eingegangen.
Die Berufungen haben jedoch jeweils in der Sache keinen Erfolg, weil das
angefochtene Urteil nicht auf einem Rechtsfehler beruht und auch nach § 529 ZPO
zu berücksichtigendes abweichendes Tatsachenvorbringen eine andere
Entscheidung nicht rechtfertigt (§ 513 Abs.1 ZPO). 1. Die Berufung der Kläger hat
keinen Erfolg.
a) Zutreffend hat das Landgericht nämlich gesehen, dass Nichtigkeitsgründe zu
den gefassten Beschlüssen gemäß § 241 AktG nicht vorliegen. Die
Hauptversammlung ist ausreichend beurkundet worden, denn die getroffenen
Feststellungen über die Beschlussfassungen waren solche des Vorsitzenden im
Sinne des § 130 Abs. 2 AktG. Das folgt daraus, dass sich die Wirkungen der
öffentlichen Urkunde gemäß § 415 Abs. 1 ZPO nicht auf die Berechtigung des
tatsächlichen Versammlungsleiters beziehen. Eine späte Einreichung der
Notarurkunde beim Handelsregister ist kein Nichtigkeitsgrund gemäß § 241 Nr. 2
AktG. Dort ist § 130 Abs. 5 AktG nicht erwähnt.
b) Es liegen auch keine Anfechtungsgründe vor, die die Beschlüsse zu TOP 2 und 5
sowie zur Abwahl des Versammlungsleiters gemeinsam beträfen, weil diese
Entschließungen der Hauptversammlungen weder gesetzeswidrig noch
satzungswidrig erfolgten (§ 243 Abs. 1 AktG).
aa) Der Aufsichtsratsvorsitzende war satzungsgemäß als Versammlungsleiter
bestimmt, nämlich in § 19 Abs. 1 der Satzung (Anlage K 2, Bl. 97). Dort heißt es:
„Den Vorsitz … führt der Vorsitzende des Aufsichtsrats oder ein anderes …
Aufsichtsratsmitglied.“ Das ist bei der gebotenen objektiven Betrachtung dahin
auszulegen, dass der Vorsitzende des Aufsichtsrats in erster Linie berufen ist.
Anderenfalls hätte es seiner Voranstellung nicht bedurft, sondern genügt
auszudrücken, dass den Vorsitz ein Mitglied des Aufsichtsrats führt, dem der
Vorsitzende schließlich angehört.
bb) Selbst wenn die Wahl des tatsächlichen Versammlungsleiter zum Aufsichtsrat
in der Hauptversammlung vom 10.6.2003 wegen eines Beurkundungsmangels
nichtig gewesen wäre, wie die Kläger geltend machen, wäre ein solcher
Verfahrensfehler für die gefassten Beschlüsse nicht relevant. Die Bedeutung eines
Verfahrensfehlers für die Anfechtbarkeit der Beschlussergebnisse hängt nämlich
von einer am Zweck der verletzten Norm orientierten wertenden Betrachtung ab.
Zweck einer Satzungsregelung zur Versammlungsleitung ist es, eine geordnete
Verfahrensweise sicherzustellen. Dem dient hier die Satzungsbestimmung, indem
mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden eine Person benannt wird, die bei der
Hauptversammlung regelmäßig hohes Ansehen genießt und nach dem ihr
übertragenen Amt auch regelmäßig ausreichend befähigt erscheinen muss. Selbst
wenn X bei der zwei Jahre zurückliegenden Hauptversammlung als Aufsichtsrat
unwirksam bestellt worden wäre, würden weder sein Ansehen noch seine
Befähigung zur Wahrnehmung der Aufgaben des Versammlungsleiters in Frage
stehen. Mit seiner Leitungstätigkeit als solcher, von deren Fehlerfreiheit hier
auszugehen ist, sind Rechte der Aktionäre aber noch nicht berührt.
Die Kläger können auch nicht eine Unwirksamkeit des Beschlusses zur Abwahl des
Versammlungsleiters als Verfahrensfehler im Hinblick auf die übrigen
Beschlussfassungen einwenden, weil der negative Geschäftsordnungsbeschluss
zur Abwahl nicht wirksam angefochten ist. Er beruht nämlich seinerseits nicht auf
einer Verletzung des Gesetzes oder der Satzung, wobei hier dahinstehen kann, ob
ein satzungsmäßig berufener Versammlungsleiter sich überhaupt einem
Abwahlverfahren stellen kann. Selbst wenn ein solches Verfahren möglich wäre,
unterläge die Abwahlentscheidung nur einer beschränkten Kontrolle. Bis zur
Grenze der Verletzung von Treuepflichten gegenüber der Aktionärsminderheit
kann die Mehrheit dem Versammlungsleiter das Vertrauen aussprechen. Für eine
Verletzung von Treuepflichten, etwa bei offenbaren und schweren Leitungsfehlern,
fehlen hier konkrete Anhaltspunkte: Eine Verantwortlichkeit des X für Unklarheiten
bei der Beurkundung früherer Hauptversammlungen ist von den Klägern mit dem
Abwahlantrag der Hauptversammlung des Jahres 2005 nicht unterbreitet worden
(Anlage K 9, Bl. 146 d.A.). Ein mit dem Abwahlantrag behaupteter charakterlicher
Mangel des X wäre nicht ausreichend, eine positive Vertrauensentscheidung der
30
31
32
33
34
35
Mangel des X wäre nicht ausreichend, eine positive Vertrauensentscheidung der
Aktionärsmehrheit als treupflichtwidrig anzusehen. Denn ein Zusammenhang
zwischen Äußerungen in dem Fernsehinterview und dem späteren Umgang mit
den sich daraus ergebenden Auswirkungen einerseits und der Eignung zur Führung
einer Hauptversammlung andererseits drängt sich nicht auf. Auf
Informationsmängel in Ansehung offen gebliebener Fragen kann die
Beschlussfassung über die Abwahl schon deshalb nicht gestützt werden, weil die
Fragen erst nach der Entscheidung über den Geschäftsordnungsantrag gestellt
wurden.
cc) Auch eine Überschreitung der Frist des § 130 Abs. 5 AktG führt nicht zu einer
Gesetzeswidrigkeit der gefassten Beschlüsse, der mögliche Verfahrensverstoß
würde den Beschlussfassungen der Hauptversammlung nachfolgen, die damit auf
der Hand liegend nicht auf ihm beruhen können.
c) Es liegen auch die besonderen, nur zur Wahl des Abschlussprüfers geltend
gemachten Gesetzesverletzungen nicht vor. Die Berufung verfolgt insoweit eine
Anfechtbarkeit, weil der Abschlussprüfer bereits in mehr als sieben Fällen den
Konzernabschuss bestätigt habe. Dabei wird jedoch nicht beachtet, worauf auch
die Beklagte hingewiesen hat, dass § 319 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 HGB gemäß Art. 58
Abs. 4 Satz 4 EGHGB erstmals auf Abschlussprüfungen für ein nach dem
31.12.2006 beginnendes Geschäftsjahr anzuwenden ist.
Auch die Auffassung, die Bestellung des Abschlussprüfers für 2005 sei anfechtbar,
weil dieser mit dem Unterlassen von Rückstellungen für 2004 fehlerhaft gehandelt
habe, hat keine gesetzliche Grundlage. Nach § 243 Abs. 3 Nr. 2 AktG n.F. kann die
Anfechtung nicht auf Ablösungsgründe des § 318 Abs. 3 HGB gestützt werden, zu
denen die des § 319 Abs. 2 HGB gehören. § 243 Abs. 3 Nr. 2 AktG ist mit dem
Bilanzrechtsreformgesetz wirksam geworden.
Ein Informationsmangel wegen Nichtbeantwortung der in der Klageschrift
aufgelisteten Fragen war aus der Sicht eines objektiv urteilenden Aktionärs nicht
wesentliche Vorrausetzung für die Wahrnehmung seiner Teilnahme- oder
Mitgliedsrechte im Hinblick auf die Bestellung des Abschlussprüfers. Hierauf hat
bereits das Landgericht hingewiesen, ohne dass die Klägerin ihr Vorbringen
insoweit im Berufungsverfahren ausreichend konkretisiert hätte. Dies gilt auch zu
den hervor gehobenen Fragen Nr. 25 und 26 (Auflistungsreihenfolge der
Klageschrift).
d) Der Gewinnverwendungsbeschluss ist über die zu allen Beschlusspunkten
geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe hinaus weder wegen Nichtigkeit der
Abschlussfeststellung gemäß § 253 Abs. 1 AktG nichtig, noch wegen eines
Informationsmangels nach § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar.
aa) Der gemäß § 172 AktG festgestellte Jahresabschluss für das Geschäftsjahr
2004 ist nicht gemäß § 256 Abs. 1 Ziff. 2 AktG nichtig. Denn die Abschlussprüfer
sind in der Hauptversammlung des Jahres 2004 bestellt worden. Dass diese
Bestellung ihrerseits nichtig wäre, ist nicht ersichtlich. Eine Anfechtung der
Bestellung ist zwar durch Klage eingewandt worden. Ein Eintritt der Wirkungen des
§ 248 Abs. 1 AktG ist aber noch nicht erfolgt. Es ist insoweit das Verfahren nicht
auszusetzen, weil weder die Erfolgsaussicht der Anfechtungsklage (derzeit 23 U
90/07 Oberlandesgericht Frankfurt am Main) aus dem Vortrag der Klägerin
beurteilt werden kann, noch sich ein ausreichendes Aufschubinteresse der Kläger
ergibt. bb) Der Jahresabschluss ist auch nicht nach § 256 Abs. 5 Satz 1 Ziff. 1 Satz
2 AktG nichtig. Ein Ansatzfehler durch Unterlassen einer nach § 249 Abs. 1 HGB
gebotenen Rückstellung für einen Schadensersatzanspruch im Zusammenhang
mit dem Fernsehinterview wäre nicht wesentlich, weil eine Rückstellung keine
bedeutsame Veränderung des Bildes von der Vermögens-, Finanz- und
Ertragslage der Beklagten ergeben hätte. Unwesentliche Beeinträchtigungen des
Bildes haben aber mit Rücksicht auf den gebotenen Gläubigerschutz außer
Betracht zu bleiben (vgl. BGHZ 83, 341, 347; OLG Hamm AG 1992, 233, 234;
Spindler/Stiltz/Rölicke, AktG, 2007, § 256 Rz.60; Hüffer, AktG, 6. Aufl., § 256 Rz.25).
Es kann dahinstehen, ob trotz nicht ausreichender Bezifferung und trotz des
Gebots der Einzelbewertung verschiedener Schadensersatzforderungen aus den
Angaben in dem zur Feststellungsklage geführten Rechtsstreit ausreichender
Anlass zu einer Rückstellung bestanden haben kann. Diese Beträge berührten
nämlich - trotz ihrer beträchtlichen Höhe - die Bewertung der Beklagten nicht. Was
die Vermögenslage der Beklagten anbelangt, bewegten sich die Beträge
angesichts der Bilanzsumme von 840 Mrd. € im Geschäftsjahr 2004 in einem
36
37
38
39
40
41
42
angesichts der Bilanzsumme von 840 Mrd. € im Geschäftsjahr 2004 in einem
verschwindend geringen Verhältnis, nämlich deutlich unter 1/2 Prozentpunkt
liegend. Dass eine beachtliche Beeinträchtigung der Liquiditätslage hätte
entstehen können, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Auch wenn die Bildung einer
Rückstellung die Höhe des Bilanzgewinns in dem Geschäftsjahr 2004 überstiegen
hätte, ergab sich daraus eine Verzerrung der Darstellung der Ertragslage nicht.
Die für die Bewertung des Unternehmens maßgebliche Fähigkeit der Beklagten, in
Zukunft Erträge zu generieren, wäre durch die Bildung einer einmaligen
Rückstellung - auch in der erheblichen Größenordnung, um die es hier geht - nicht
entscheidend beeinträchtigt worden. Auf die Relation des Ansatzfehlers zum
Bilanzgewinn eines einzelnen Geschäftsjahres, etwa des laufenden Jahres, kann es
für das Wesentlichkeitsurteil nicht ankommen, wie sich bereits daraus erhellt, dass
dann eine Gesellschaft, die ohne oder mit ganz geringem Gewinn wirtschaftet,
durch nahezu jeden Ansatzfehler wesentlich falsch dargestellt wäre.
Damit kann dahinstehen, ob die Beklagte am 15.3.2005, also zu dem im
Senatstermin unwidersprochen benannten Aufstellungszeitpunkt, zur
haftungsausfüllenden Kausalität ein ausreichendes Wahrscheinlichkeitsurteil
treffen konnte. Das im Rahmen des § 256 Abs. 1 ZPO vom Oberlandesgericht
München zum Feststellungsinteresse in dem Urteil vom 10.12.2003 getroffene
Wahrscheinlichkeitsurteil war jedenfalls auf die nach § 249 Abs. 1 HGB von der
Beklagten zu treffende Bewertung nicht übertragbar.
Rückstellungen zu den Prozesskosten des Schadensersatzprozesses gegen die
Beklagte erreichten die Wesentlichkeitsgrenze ohnehin nicht.
bb) Soweit jetzt zusätzlich geltend gemacht ist, die
Gewinnverwendungsentscheidung beruhe auch auf einem Informationsmangel aus
der Nichtbeantwortung der Fragen 26 und 28 gemäß der Auflistung in der
Klageschrift, fehlt ein rechtzeitig geltend gemachter Anfechtungsgrund, weil die
Kläger zu dem Gewinnverwendungsbeschluss Informationsmängel konkret nicht
mit Klage geltend gemacht haben. Dessen ungeachtet handelte es sich ohnedies
nicht um eine für die Verwendung eines wirksam festgestellten Gewinns
wesentliche Information.
2. Auch die Berufung der Beklagten gegen die Nichtigerklärung der Beschlüsse zur
Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat ist unbegründet, weil die
Entlastungsentscheidungen auf einer Gesetzesverletzung beruhen (§ 243 Abs. 1
AktG) und die Kläger dies rechtzeitig und anfechtungsbefugt, insoweit von der
Beklagten nicht in Zweifel gezogen, geltend gemacht haben (§§ 245, 246 AktG).
Die Entlastungsbeschlüsse beruhen auf einem Verfahrensfehler, nämlich auf der
Nichterteilung einer Information durch den Vorstand der Beklagten, obwohl dieser
gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG auf die Frage des heutigen
Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu 2) zur Auskunftserteilung verpflichtet war.
Dies bezieht sich auf die in der Klageschrift unter Nr. 23 bezeichnete Frage, die in
der notariellen Niederschrift mit Nr. 28 bezeichnet ist (Klageschrift S. 23, 24, Bl.
64, 65 d.A.; Notarurkunde in Anlage B 1, S. 19) und die für die Klägerin zu 2) durch
ihren Vertreter in der Hauptversammlung unstreitig gestellt worden ist.
Die Frage wurde zulässigerweise gestellt. Selbst wenn man in einer
Generaldebatte verlangen wollte, dass der von der Frage betroffene Gegenstand
der Beschlussfassung bei der Anbringung genannt wird, ergab sich der Bezug der
Frage auf die Entlastungsentscheidungen ausreichend deutlich aus dem Inhalt der
Frage selbst, die sich bezieht auf die Wahrung der gesetzlichen Verantwortung des
Vorstands. Die Klägerin zu 2) missbrauchte auch ihr Fragerecht dazu nicht. Ob sich
aus der Anzahl gestellter Fragen eines Aktionärs ein ausreichendes Indiz für die
Verfolgung sachfremder Ziele ergeben kann, wie dies der Senat früher für den Fall
der Anbringung von 308 Einzelfragen durch einen Aktionär angenommen hat, kann
hier dahinstehen, weil sich der Vorstand auf die Frage durch Erteilung einer - wenn
auch unzureichenden - Antwort eingelassen hat.
Die Beklagte war nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG zur Beantwortung verpflichtet, weil
eine Angelegenheit der Gesellschaft betroffen war und die Antwort zur
sachgemäßen Beurteilung der Entlastungsentscheidungen aus der Sicht eines
objektiv denkenden Aktionärs wesentliche Bedeutung hatte. Der Frage lag die
berechtigte Besorgnis zugrunde, dass der Vorstand seine gesetzliche
Verpflichtung zur eigenverantwortlichen Leitung des Unternehmens aus § 76 AktG
verletzt haben könnte und der Aufsichtsrat es dabei an der nötigen Überwachung
gemäß § 111 Abs. 1 AktG habe fehlen lassen können. Diese Sorge war berechtigt
43
44
45
46
gemäß § 111 Abs. 1 AktG habe fehlen lassen können. Diese Sorge war berechtigt
aus der Darstellung in S. 8 des Jahresberichts 2004 (Anlage B 11 S. 8), wonach die
operative Steuerung drei „divisionalen Committees“ überlassen sei, während der
Vorstand sich auf die „strategische Steuerung, Zuteilung der Ressourcen,
Risikomanagement und Kontrolle des Konzern“ konzentriere. Der Aktionär darf
sich bei dieser Lage, ungeachtet der grundsätzlichen Grenzen einer möglichen
Aufgabenzuweisung an nachgeordnete Unternehmensebenen, fragen, ob der
Vorstand seinen gesetzlichen Aufgaben noch genügen kann und muss sich dazu
ein Bild über die Aufgabenverteilung und Kontrollen machen können. Die Frage
betraf auch den für die Entlastungsentscheidungen maßgeblichen Zeitraum,
nämlich das Geschäftsjahr 2004, obwohl die Führungsstruktur bereits früher
eingeführt wurde, weil eine mögliche Verletzung von Geschäftsleiterpflichten und
Aufsichtspflichten in das Geschäftsjahr 2004 hinein andauerte.
Die Antwort, namentlich im Hinblick auf die beim Vorstand gegenüber den
Gremien liegende Führung und Kontrolle, war auch nicht deshalb entbehrlich, weil
sie sich einem durchschnittlichen Aktionär aus allgemein zugänglichen Quellen
ohnehin ergeben hätte. Die Geschäftsberichte 2001 bis 2003 (Anlage B 43 bis B
45) ergeben solches nicht. Im Geschäftsbericht 2001, soweit von der Beklagten
vorgelegt (Anlage B 43, dort S. 7 und 10), ist eine Aufgabenverteilung zwischen
Vorstand und den „Committees“ berichtet und zur Führung durch den Vorstand
nahezu nichts oder allenfalls andeutungsweise enthalten. Die Darstellung
rechtfertigt eher Zweifel, als sie sie beseitigt („...richten wir uns zur
Führungsstruktur noch konsequenter auf das Modell einer virtuellen Holding aus“).
Die Jahresberichte 2003 und 2004 enthalten dazu im Wesentlichen
Wiederholungen. Zu einer Internetrecherche war der durchschnittliche Aktionär
nicht verpflichtet. Insoweit veranlasst auch der nachgereichte Schriftsatz der
Beklagten vom 5.2.2008 keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§
156 ZPO).
Die tatsächlich erteilte Antwort der Beklagten („Die Steuerung des
Gesamtunternehmens erfolgt, wie gesetzlich vorgeschrieben, durch den
Vorstand“; „Die Leiter der divisionalen Committees sind Mitglieder im GEC. Sie
berichten an den Vorstand“; Anlage B 33, S. 123 und 208) erklären die bei dem
Vorstand gebliebenen Aufgaben und die Ausübung der Kontrolle über die
nachgeordneten Gremien im Rahmen einer Delegation von
Geschäftsleiteraufgaben nicht weiter. Auch wenn die Frage der Klägerin zu 2)
allgemein gehalten war, war ein Hinweis auf die Gesetzeslage nicht ausreichend.
Die Antwort auf die Frage wurde gerade erstrebt, um die Einhaltung der
gesetzlichen Aufgabenzuweisungen überprüfen zu können.
Die Erfüllung der Pflicht zur Informationserteilung war auch wesentliche
Voraussetzung für die Ausübung des Mitgliedschaftsrechts der Klägerin zu 2).
Damit kann dahinstehen, ob § 243 Abs. 4 AktG n.F. für die vor Inkrafttreten des
UMAG erfolgte Anfechtung anwendbar sein kann.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10 und
711 ZPO. Das Rechtsmittel des Klägers zu 1) ist nicht beschränkt worden, vielmehr
hat er sich auf die Berufungsbegründung der Klägerin zu 2) bezogen (Schriftsatz
vom 10.8.2007, S. 3, Bl. 1140 d.A.), so dass im Berufungsverfahren von einem
einheitlichen Angriff der Kläger gegen die Klageabweisung auszugehen ist. Die
Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor, weshalb die Revision nicht
zuzulassen war. Der nachgereichte Schriftsatz des Klägers zu 1.) vom 7.2.2008
(Bl. 1674 d.A.) veranlasst keine weiteren Entscheidungen, wie auch die nach
Schluss der mündlichen Verhandlung durch die Klägerin zu 2.) und die Beklagte
angebrachten Schriftsätze, soweit sie nicht durch Schriftsatznachlass gedeckt
sind, nicht zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung führen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.