Urteil des OLG Frankfurt vom 07.05.2009

OLG Frankfurt: eintritt des versicherungsfalles, kündigung, ratio legis, unnötige kosten, vergleich, auflage, versicherer, nummer, versicherungsnehmer, form

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Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 U 200/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Teil 3 Vorbem 3 Abs 4 RVG-
VV, Nr 2300 RVG-VV, Nr 3100
RVG-VV, § 4 Abs 1 Buchst c
ARB 2000
(Deckungsanspruch eines rechtsschutzversicherten
Arbeitnehmers: Rechtsanwaltskosten für Anwaltstätigkeit
bei Aufhebungsvertrag und Kündigungsschutzklage;
Rechtsverstoß durch Angebot eines Aufhebungsvertrages)
Leitsatz
Bei der Tätigkeit des Anwalts im Zusammehang mit dem Angebot eines
Aufhebungsvertrages und der anschließenden Kündigung handelt es sich nicht um
denselben Gegenstand im Sinne der Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV.
Tenor
Die Berufungen des Klägers und der Beklagten gegen das am 18.07.2008
verkündete Urteil des Landgerichts Gießen werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 30%, die Beklagte 70%
zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Der Kläger begehrt Leistungen aus einer Rechtsschutzversicherung für die
Inanspruchnahme eines Rechtsanwaltes im Zusammenhang mit einer ihm
angebotenen Aufhebung seines Arbeitsvertrages und der nachfolgenden
Kündigung.
Das Landgericht hat der Klage durch Urteil vom 18.07.2008, auf dessen
tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, teilweise stattgegeben.
Hiergegen richten sich die vom Kläger und der Beklagten eingelegten Berufungen.
Der Kläger rügt mit seiner Berufung, das Landgericht habe bei der Entscheidung
über die im Zusammenhang mit der Kündigungserklärung (Rechnung Nr. 343)
verkannt, dass in dem Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages
jedenfalls mittelbar eine Kündigungsandrohung gelegen habe und daher der
Versicherungsfall bereits eingetreten gewesen sei. Wenigstens rechtfertige sich
eine Erstattung außergerichtlicher Kosten aus der Tätigkeit der Bevollmächtigten
anlässlich der Kündigung des Arbeitgebers. Bei Berechnung der Kosten im
Zusammenhang mit der Schadensersatzforderung des Arbeitgebers (Rechnung
Nr. 346) sei der vorbehaltene Schadensersatzanspruch derart konkret dargelegt
worden, dass mit einer Geltendmachung gerechnet habe werden müssen und
deswegen auch bezüglich dieses Betrages eine außergerichtliche Zurückweisung
geboten gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landgerichts Gießen vom 18.07.2008 - 3 O 92/08 - teilweise
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das Urteil des Landgerichts Gießen vom 18.07.2008 - 3 O 92/08 - teilweise
abzuändern,
die Beklagte zu verurteilen, ihn in Höhe des Restes der Kostenrechnung der
Rechtsanwälte A und B Nummer 0700346 vom 22.07.2007 in Höhe eines
Restbetrages von weiteren 544,24 € freizustellen,
die Beklagte zu verurteilen, ihn von der Kostenrechnung der Rechtsanwälte A
und B Nummer 0700343 vom 21.07.2007 in Höhe eines Restbetrages von
1.881,06 € freizustellen,
und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Landgerichts Gießen vom
18.07.2008 (Az. 3 O 92/08) die Klage insgesamt abzuweisen
und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Gegen die Berufung des Klägers macht sie geltend, das Aufhebungsangebot
könne nicht als Kündigungsandrohung verstanden werden (Rechnung Nr. 343).
Einer Einbeziehung des lediglich vorbehaltenen Schadensersatzanspruches in die
abgerechnete Geschäftsgebühr stehe die fehlende Geltendmachung entgegen,
jedenfalls habe der Kläger die Obliegenheit verletzt, unnötige Kosten zu vermeiden
(Rechnung Nr. 346).
Mit der von ihr eingelegten Berufung rügt die Beklagte, bei den Kosten der
Kündigungsschutzklage sei die Verfahrensgebühr aufgrund der gebührenrechtlich
gebotenen Anrechnung der Geschäftsgebühr lediglich zur Hälfte angefallen
(Rechnung Nr. 343). Für den die Lohnklage beendenden Vergleich (Rechnung Nr.
349) sei ein zu hoher Streitwert angesetzt worden.
Die Berufungen beider Parteien sind zulässig, insbesondere an sich statthaft sowie
form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie haben indes beide in
der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer
Rechtsverletzung noch rechtfertigen dem Berufungsverfahren zugrunde zu
legende Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).
Die Berufung des Klägers ist unbegründet, soweit er damit Freistellung von
Verbindlichkeiten den Rechtsanwälten A und B gegenüber aus der Rechnung
Nummer 0700346 vom 22.07.2007 in Höhe eines Restbetrages von weiteren
544,24 € begehrt. Ein dahin gehender Anspruch steht ihm aus dem zwischen den
Parteien geschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrag i.V.m. 4 I c) ARB 2000
nicht zu. Danach besteht ein Anspruch auf Rechtsschutz nur von dem Zeitpunkt
an, in dem ein Dritter einen Verstoß gegen Rechtspflichten begangen hat. Hierfür
genügt jeder tatsächliche, objektiv feststellbare Vorgang, der die Anbahnung eines
Rechtskonfliktes in sich trägt (BGH VersR 2005, 1684 m.w.N.). Dies war zum
Zeitpunkt der Beauftragung der Rechtsanwälte durch den Kläger noch nicht der
Fall. Es lag zunächst lediglich das Angebot des Arbeitgebers auf Abschluss eines
Aufhebungsvertrages vor. Dieses stellt entgegen der Ansicht des Klägers weder an
sich noch bezüglich einzelner Vertragsregelungen eine Rechtsverletzung dar. Das
bloße Angebot auf Abschluss eines Vertrages stellt einen Verstoß i.S.d. § 4 I c)
ARB 2000 grundsätzlich nicht dar (Harbauer, Rechtsschutzversicherung, 7.
Auflage, ARB 75 § 14 Rn. 53 m.w.N.). Auch inhaltlich unwirksame, weil gesetzes-
bzw. sittenwidrige oder einer Inhaltskontrolle nach dem AGB nicht standhaltende
Vereinbarungen stellen einen Verstoß gegen Rechte des Versicherungsnehmers
erst mit dem Zustandekommen der Vereinbarung dar. Dahin stehen kann, ob ein
Verstoß in der Verletzung vorvertraglicher Pflichten auch dann liegen kann, wenn
die Vereinbarung später nicht zustande kommt, da vorliegend weder vorgetragen
noch erkennbar ist, dass der Arbeitgeber mit dem Angebot auf Abschluss des
Aufhebungsvertrags eine solche Pflichtverletzung begangen haben könnte. Dem
Kläger stand es im Rahmen der arbeitsvertraglichen Vertragsfreiheit frei, das
Angebot anzunehmen oder abzulehnen. Dass er dabei getäuscht oder bedroht
worden wäre, ist nicht ersichtlich.
Dahin stehen kann auch, ob das Angebot eines Aufhebungsvertrags als
Rechtsverstoß dann angesehen werden kann, wenn darin für den Fall des
Nichtabschlusses eine Kündigung angedroht wird (so OLG Saarbrücken NJW 2006,
3730). Selbst wenn man dem entgegen der h.M. (AG Köln r + s 1997, 377; AG
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3730). Selbst wenn man dem entgegen der h.M. (AG Köln r + s 1997, 377; AG
Gießen r + s 1997, 24; vgl. auch Prölss/Martin, VVG, 27. Auflage, § 14 ARB 75
Rn.25 m.w.N. aus der Rspr.; Harbauer, a.a.O., § 14 ARB 75 Rn.53) folgt, fehlt es im
vorliegenden an konkreten objektiven, sich aus dem schriftlichen Angebot selbst
ergebenden Anhaltspunkten dafür, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis in
jedem Fall beenden wollte. Im Text des Angebots ist von einer anderenfalls
erfolgenden Kündigung nicht explizit die Rede. Sie liegt auch nicht in der
Formulierung, die Aufhebung erfolge auf Veranlassung des Arbeitgebers aus
betriebsbedingten Gründen. Dies mag Assoziationen mit einer betriebsbedingten
Kündigung hervorrufen, drückt aber bei unbefangener Betrachtung zunächst nur
ein Motiv für eine einvernehmliche Lösung aus und soll den Arbeitnehmer vor
Nachteilen bei der Sozialversicherung und der Suche nach einer neuen Stelle
bewahren. Nicht zur Auslegung der Erklärung herangezogen werden können bloß
subjektive-individuelle Kenntnisse des Arbeitgebers über die Absichten des
Arbeitgebers. Der Versicherer könnte ansonsten mangels genauer Fixierbarkeit
des Rechtsverstoßes den Eintritt des Versicherungsfalles dem
Versicherungsvertrag in zeitlicher Hinsicht nicht sicher zuordnen.
Unbegründet ist die Berufung des Klägers auch, soweit er Freistellung aus der
Rechnung Nr. 346 in Höhe weiterer 1.881,06 € begehrt. Dem Kläger steht kein
Freistellungsanspruch zu, der über die von der Beklagten gezahlten 1.948,91 €
hinausgeht. Insoweit fehlt es an einem Gebührenanspruch der für den Kläger
tätigen Anwälte. Zu Recht sind die Beklagte und das Landgericht davon
ausgegangen, dass der Streitwert für die außergerichtliche Verteidigung des
Klägers gegen Schadensersatzforderungen des Arbeitgebers sich lediglich auf
82.000,- €, und nicht auf 352.000,- € belief. Nur die Zahlung des erstgenannten
Betrags war unter Fristsetzung gefordert, den weiteren Betrag behielt der
Gläubiger sich ausdrücklich nur vor.
In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, ob sich die Zurückweisung der
Bevollmächtigten - wie der Kläger vorbringt - tatsächlich auch auf die
vorbehaltenen Ansprüche bezog. Entscheidend ist vielmehr, ob die
Bevollmächtigten vom Kläger entsprechend mandatiert worden waren. Der Kläger
hat nicht substantiiert vorgetragen, dass er seine Anwälte auch für den Fall einer
ausbleibenden Deckungszusage bereits mit der Zurückweisung auch der
vorbehaltenen Schadensersatzansprüche beauftragen wollte. Bei verständiger
Würdigung der Interessen des Mandanten durften die Anwälte in der Überlassung
des Schreibens des Arbeitgebers vom 30.06.2006 nicht bereits einen vom
Ergebnis der Deckungsanfrage unabhängigen Auftrag zur Zurückweisung der bloß
vorbehaltenen Schadensersatzansprüche sehen. Das gilt insbesondere angesichts
der nicht unbeträchtlichen Höhe der Forderungen und des sich daraus ergebenden
Gebührenstreitwertes.
Selbst bei Annahme einer entsprechenden Mandatierung oder einer Genehmigung
seitens des Klägers scheitert ein versicherungsvertraglicher Freistellungsanspruch
jedenfalls an der sich aus einem solchen Verhalten ergebenden
Obliegenheitsverletzung gemäß § 17 V c) cc) der ARB. Das Berufungsgericht folgt
auch in diesem Punkt der Feststellung des Landgerichts, dass ein anwaltliches
Tätigwerden im fraglichen Zeitpunkt einen Verstoß gegen die vorgenannte
versicherungsvertragliche Obliegenheit darstellt. Für die dem Kläger gemäß Abs. 6
der Vorschrift obliegenden Entlastung wurde nichts vorgetragen.
Unbegründet ist auch die Berufung der Beklagten.
Zutreffend das Landgericht dem Kläger Freistellung aus der Rechnung Nr. 343 in
Höhe der vollen Verfahrensgebühr zugesprochen. Eine Reduzierung wegen der
vorprozessual angefallenen Geschäftsgebühr nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV
RVG war insoweit nicht geboten.
Eine solche Anrechnung kam schon deswegen nicht in Betracht, weil die
anwaltliche Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Angebot eines
Aufhebungsvertrages und die anschließende Kündigungsschutzklage nicht
denselben Gegenstand i.S.d. Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG betreffen, die
insoweit erbrachten anwaltlichen Tätigkeiten beruhen vielmehr zwei
unterschiedlichen Angelegenheiten i.S.d. § 15 II 1 RVG zuzuordnen sind.
Das RVG definiert den von ihm genannten Begriff der Angelegenheit (so z.B. in §§
7 I, 14 I 1, 15 ff., 22 I) nicht explizit. Er dient gebührenrechtlich zur Abgrenzung
desjenigen anwaltlichen zusammenhängenden Tätigkeitsbereiches, den eine
Pauschgebühr abgelten soll, nämlich die gesamte Tätigkeit des Anwalts von der
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Pauschgebühr abgelten soll, nämlich die gesamte Tätigkeit des Anwalts von der
Erteilung des jeweiligen Auftrages bis zu dessen Erledigung (OLG Frankfurt NJW-RR
2005, 67 (68); Hartmann, Kostengesetze, 37. Auflage, RVG, § 15, Rn.10 f. m.w.N.
aus der Rspr.) Daraus wird deutlich, dass es wesentlich auf die Art und den
Umfang des Auftrages des Anwaltes ankommt. Voraussetzung für das Vorliegen
„derselben Angelegenheit“ ist die Erteilung eines einheitlichen Auftrages. Ein
Auftrag leitet grundsätzlich eine neue Angelegenheit ein. Bei einem zeitlichen
Aufeinanderfolgen von Aufträgen bedarf es für die Annahme einer Angelegenheit
eines inneren Zusammenhanges zwischen den Aufträgen (Hartmann,
Kostengesetze, 37. Auflage, RVG, § 15, Rn.20). Ein solcher ist zu bejahen, wenn die
mandatierten Gegenstände einem einheitlichen Lebensvorgang entstammen und
in einem Verfahren gleichzeitig verfolgt werden können (OLG Frankfurt NJW-RR
2005, 67 (68); Mayer/Kroiß, RVG, 3. Auflage, § 15, Rn.20).
Die beiden vom Kläger erteilten, zeitlich aufeinanderfolgenden Aufträge weisen
nicht diese für die Annahme einer Angelegenheit i.S.d. RVG erforderlichen
Voraussetzungen auf. Die mit beiden Aufträgen jeweils verfolgten Ziele hätten
nicht gleichzeitig in einem Verfahren verfolgt werden können. Das zunächst am
11.05.06 erteilte Mandat beschränkte sich auf die Beratung über die
Zweckmäßigkeit der Annahme oder Ablehnung des Angebotes, war also
grundsätzlich ergebnisoffen, während die zweite Mandatierung sich in erster Linie
auf die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses in Form der Rücknahme der
Kündigung richtete.
Soweit die Rspr. (BGH NJW 2007, 2050; LG Bonn NJW 2006, 2641) - in Abkehr von
einer nur formalen Bewertung - aufgrund einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise
zur Annahme eines einheitlichen Gegenstandes und einer Angelegenheit kommt,
führt dies hier zu keiner abweichenden Beurteilung. Die dabei maßgebliche
Überlegung stellt auf die ratio legis der Anrechnungsnorm ab, wonach die gleiche
anwaltliche Tätigkeit nicht zweimal honoriert werden solle (BGH a.a.O., 2051). Der
in diesem Zusammenhang beurteilte Falltypus, nämlich die außergerichtliche
Kündigung eines Mietverhältnisses und die darauf gestützte spätere
Räumungsklage, weicht von der Typik des vorliegenden Falles jedoch in relevanter
Weise ab: Denn der mögliche Abschluss eines Aufhebungsvertrages hätte gerade
die Abwehr einer nachfolgenden Kündigung vermieden, stellt sich somit nicht
lediglich als ohnehin zu prüfende Vorfrage dar. Darüber hinaus lässt sich
gemessen am Umfang beider Mandate schwerlich von einer „gleichen Tätigkeit“
im Sinne einer doppelten Honorierung sprechen. Die Bevollmächtigten hatten im
Rahmen des späteren Mandats zusätzlich die Rechtmäßigkeit der nunmehr
konkret ausgesprochenen und nicht lediglich nur als möglich in Rechnung
gestellten Kündigung zu prüfen. Außerdem bestand im Falle einer Verhandlung
über den Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs eine nunmehr veränderte
Ausgangsposition.
Teilt man vorstehende Auffassung von den unterschiedlichen Angelegenheiten
nicht, folgt das Verbot einer Anrechnung der Geschäfts- auf die Verfahrensgebühr
zumindest aus dem Rechtsgedanken der §§ 62, 63 VVG. Macht der
Versicherungsnehmer Aufwendungen zur Minderung des vom Versicherer zu
ersetzenden Schadens („Rettungskosten“), fallen diese dem Versicherer zur Last.
Nach den zur Berufung des Klägers gemachten Ausführungen kann dieser die
durch die Beauftragung der Rechtsanwälte im Zusammenhang mit dem Angebot
einer arbeitsrechtlichen Aufhebungsvereinbarung gemachten Aufwendungen nicht
verlangen, hat sie alleine zu tragen. Kommt es hierdurch dann zu einer
Reduzierung der später anfallenden Gerichtskosten, kann dies nicht dem
Versicherer zu Gute kommen.
Ohne Erfolg bleibt letztlich auch die Berufung der Beklagten, soweit sie sich gegen
eine Freistellung des Klägers wegen der im Zusammenhang mit dem in der
Lohnzahlungsklage geschlossenen Vergleich richtet. Diesem Vergleich liegt ein
Gebührenstreitwert in Höhe von 399.725,12 € zu Grunde.
Unabhängig vom Wert des übrigen Rechtsstreits richtet sich der Wert eines
Prozessvergleichs nach dem Gesamtwert aller in den Vergleich einbezogenen und
mit ihm abgegoltenen Ansprüche, unabhängig davon, ob diese im gleichen
Verfahren, in anderen Verfahren oder überhaupt nicht rechtshängig waren
(Hartmann, Kostengesetze, 37.Auflage, ZPO, § 3, Rn.127 m.w.N.). Zutreffend hat
deswegen das Arbeitsgericht Offenbach neben dem eigentlichen Verfahrenswert
der Lohnklage auch die Werte der durch den verglich mit erledigten
Parallelverfahren einbezogen. Zutreffend war auch die Einbeziehung der noch nicht
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Parallelverfahren einbezogen. Zutreffend war auch die Einbeziehung der noch nicht
rechtshängigen Schadensersatzforderung des Arbeitsgebers in Höhe von
351.617,12 €. Diese wurde von der Abgeltungsvereinbarung umfasst. Dabei spielt
es – anders als bei der Wertbestimmung für die vorgerichtliche Verteidigung gegen
diese Forderung (oben zu Rechnung Nr. 346) – keine Rolle, ob oder inwieweit diese
Forderung bereits tatsächlich erhoben war. Ein Vergleich dient der Beseitigung
eines Streits der Parteien auch und gerade über ungewisse Forderungen (§ 779
BGB). Wertmäßig gar nicht oder nur teilweise berücksichtigt werden allenfalls
Forderungen, die erkennbar aus der Luft gegriffen sind, bei verständiger Würdigung
offensichtlich nicht gegeben sind oder praktisch nicht realisierbar erscheinen
(Hartmann, a.a.O. m.w.N.). Dass diese Ausnahme für den vom Arbeitgeber in
seinem Anspruchsschreiben vom 30.06.2006 nicht unbedingt geforderten,
sondern nur vorbehaltenen Teil des Schadensersatzes zuträfe, lässt sich dem
Vortrag der Parteien nicht entnehmen. Hierzu genügt weder die unterschiedliche
Behandlung der beiden Schadenersatzteile (die möglicherweise nur aus
Kostengründen erfolgte) noch der Umstand, dass der vorbehaltene Teil nicht
näher substantiiert war (was mangels konkreter Forderung noch nicht erforderlich
war). Für die Ernsthaftigkeit der Forderung sprechen ihre Aufnahme in ein
anwaltliches Forderungsschreiben und die konkrete Bezifferung. Auch wenn dabei
eine kostenauslösende Verteidigung gegen den angekündigten Anspruch noch
nicht erforderlich war, ist die endgültige Abwendung des Anspruchs im
gerichtlichen Vergleich wertmäßig zu berücksichtigen.
Entgegen der Ansicht der Beklagten führt dabei der Umstand, dass das
Arbeitsgericht den Vergleichswert zunächst nur auf 98.108,- € festgesetzt hatte
und ihn erst auf eine Beschwerde des Klägers (richtigerweise: seines
Prozessbevollmächtigten) auf 399.725,12 € nicht zu einer Leistungsfreiheit der
Versicherung. Der Versicherungsnehmer und sein Prozessbevollmächtigter sind
nicht verpflichtet, einen zu ihren Lasten wirkenden Fehler des Gerichts zu
akzeptieren, nur um der Versicherung Kosten zu ersparen. Ist die Beschwerde
begründet, stellt ihre Einlegung auch dann weder eine Obliegenheitsverletzung des
Versicherungsvertrags noch einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht
dar, wenn hierdurch die von der Versicherung zu leistende Entschädigung höher
wird. Dass die Beklagte von dem Streitwertbeschluss des Arbeitsgerichts nicht in
Kenntnis gesetzt wurde, hat zu einem Nachteil nicht geführt, weil dieser Beschluss
nach den vorstehenden Ausführungen zutreffend ist und nicht anders hätte
ergehen dürfen.
Die Kosten der Berufung haben die Parteien in dem Verhältnis zu tragen, in dem
sie an dem Streitgegenstand zweiter Instanz unterlegen sind (§§ 92 Abs. 1, 97
Abs. 1 ZPO)
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10,
711, 713 ZPO.
Eine Zulassung der Revision kommt nicht in Betracht, da die Voraussetzungen des
§ 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.