Urteil des OLG Frankfurt vom 11.12.2006

OLG Frankfurt: ausbildung, fachschule, qualifikation, universität, vergütung, abschlussprüfung, anerkennung, fachhochschule, anknüpfung, bankrecht

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Gericht:
OLG Frankfurt 20.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
20 W 365/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1836 BGB, § 1908i Abs 1
BGB, § 1 Abs 2 VBVG, § 4 Abs
1 S 2 Nr 2 VBVG, § 27 Abs 1
FGG
Betreuervergütung: Stundensatz einer staatlich
anerkannten Sondererzieherin
Leitsatz
Einer staatlich anerkannten Sondererzieherin, die zu dieser Zusatzausbildung
zugelassen wurde, nachdem ihre zuvor durchlaufene sonder- und heilpädagogische
Ausbildung und Tätigkeit durch staatliche Anerkennung als dem Fachschulabschluss
Sozialpädagogik vergleichbar anerkannt worden war, kann die Vergütungsstufe des § 41
Abs. 1 Satz 2 Ziffer 2 VBVG zugebilligt werden.
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts
Idstein vom 07. April 2006 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die notwendigen Auslagen des
Erstbeschwerdeverfahrens und des weiteren Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Beschwerdewert: 159,60 EUR.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über den der Antragstellerin als Berufsbetreuerin bei der
Vergütungsfestsetzung zustehenden Stundensatz.
Die Antragstellerin studierte von Oktober 1972 bis März 1975 fünf Semester
Erziehungswissenschaften an der A-Universität in O1. Außerdem war sie von Juli
1977 bis März 1983 als Gruppenleiterin bei einem gemeinnützigen Verein für
Behindertenhilfe in dessen Werkstätten für Behinderte beschäftigt. Auf der
Grundlage dieser Studien- und Tätigkeitsnachweise erkannte die Bezirksregierung
in O2 mit Bescheid von 08. Juni 1976 die bisherige Ausbildung der Antragstellerin
als eine dem Abschluss der Fachschule für Sozialpädagogik vergleichbare
Ausbildung an. Aufgrund dieser Anerkennung wurde die Antragstellerin in die
Fachschule für Sondererzieher der Diakonieanstalten O3 aufgenommen, die sie in
der Zeit von September 1976 bis Juli 1977 in Vollzeitform besuchte. Ihr wurde dort
nach bestandener Prüfung im Abschlusszeugnis vom 14. Juli 1977 die Bezeichnung
„Staatlich geprüfte Sondererzieherin“ zuerkannt. Des Weiteren wurde in dem
Zeugnis bescheinigt, dass die Ausbildung zum staatlich geprüften Sondererzieher
in … eine heilpädagogische Zusatzausbildung ist, die der Ausbildung des
Heilpädagogen entspricht.
Im Hinblick auf diese berufliche Qualifikation hat das Amtsgericht der
Antragstellerin mit Beschluss vom 07. April 2006 für die Zeit vom 01. Juli 2005 bis
zum 29. Oktober 2005 unter Zugrundelegung eines Stundensatzes von 44,00 EUR
und eines pauschalen Zeitaufwandes von 15,2 Stunden eine Betreuervergütung
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und eines pauschalen Zeitaufwandes von 15,2 Stunden eine Betreuervergütung
von 668,80 EUR gegen die Staatskasse antragsgemäß festgesetzt.
Das Landgericht hat auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin mit dem
angefochtenen Beschluss die Betreuervergütung für diesen Zeitraum auf 509,20
EUR herabgesetzt und zur Begründung ausgeführt, es dürfe nur der Stundensatz
von 33,50 EUR zu Grunde gelegt werden; da die mit einer Prüfung abgeschlossene
Ausbildung der Antragstellerin lediglich ein Jahr gedauert habe, könne sie auch
unter Berücksichtigung der in Bezug genommenen Senatsentscheidung vom 19.
Juli 2002 – 20 W 241/02 -(OLG-Report Frankfurt 2002, 277 und FamRZ 2002, 277)
in ihrer Wertigkeit nicht einer Hochschulausbildung gleichgesetzt werden.
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der vom Landgericht zugelassenen
sofortigen weiteren Beschwerde, mit der sie insbesondere geltend macht, neben
der vom Landgericht isoliert betrachteten Zusatzausbildung müsse auch ihre
mehrjährige theoretische und praktische vorherige Ausbildung Berücksichtigung
finden, welche dem Abschluss der Fachschule für Sozialpädagogik entspreche.
II.
Die kraft Zulassung im angefochtenen Beschluss gemäß § 56 g Abs. 5 Satz 2 FGG
statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte sofortige weitere Beschwerde ist
zulässig. Sie führt auch in der Sache zum Erfolg, da die Entscheidung des
Landgerichts auf einem Rechtsfehler beruht (§§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO). Der
Vergütung der Antragstellerin ist der ihr bereits vom Amtsgericht mit zutreffenden
Erwägungen zugebilligte Stundensatz von 44,-- EUR zu Grunde zu legen.
Nach §§ 1908 i Abs. 1, 1836 Abs. 1 und 2 BGB bemisst sich die Vergütung des
Berufsbetreuers seit Inkrafttreten des Gesetzes über die Vergütung von
Vormündern und Betreuern – VBVG – vom 21. April 2005 (BGBl. I S. 1073) am 1.
Juli 2005 nach § 1 Abs. 2 Satz 2 VBVG und den weiteren Vorschriften dieses
Gesetzes.
Für die Ermittlung des maßgeblichen Stundensatzes hat der Gesetzgeber in § 4
VBVG in Anknüpfung an die bisherige gesetzliche Regelung des § 1 Abs. 1
BVormVG an der entsprechend der Qualifikation des Betreuers typisierten,
dreistufigen Skala mit verbindlich geregelten Stundensätzen festgehalten, die
allerdings nunmehr gemäß § 4 Abs. 2 VBVG auch die Ansprüche auf
Aufwendungsersatz und Umsatzsteuer mit abgelten und dementsprechend erhöht
wurden. Der Mindestsatz beträgt nach § 4 Abs. 1 Satz 1 VBVG 27,-- EUR. Verfügt
der Betreuer über besondere Kenntnisse, die für die Führung der Betreuung
nutzbar sind, so erhöht sich der Stundensatz auf 33,50 EUR, wenn diese
Kenntnisse durch eine abgeschlossene Lehre erworben sind und auf 44,-- EUR,
wenn diese Kenntnisse durch eine abgeschlossene Ausbildung an einer
Hochschule erworben sind (§ 4 Abs. 1 S. 2 Ziffer 1 und 2 VBVG). Dabei hat der
Gesetzgeber – um ein zu grobes Raster zu vermeiden – einer abgeschlossenen
Lehre bzw. Hochschulausbildung jeweils vergleichbare abgeschlossene
Ausbildungen gleichgestellt, wodurch eine schematisches Abstellen auf die
Bezeichnung der Schule oder Ausbildungsstätte ohne eine inhaltliche Bewertung
der Vergleichbarkeit ausgeschlossen wird (vgl. OLG Hamm FamRZ 2001, 1398;
OLG Zweibrücken, FamRZ 2004, 1323). Hierzu ist anerkannt, dass zu den
Hochschulen im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 2 Ziffer 2 BVormVG bzw. § 4 Abs. 1 S. 2
Ziffer 2 VBVG auch Fachhochschulen zu rechnen sind (vgl. BayObLG BtPrax 2001,
36; OLG Braunschweig BtPrax 2000, 130; Senatsbeschluss vom 19. Juli 2002 – 20
W 241/02 a.a.O.).
An der Nutzbarkeit der von der Antragstellerin im Rahmen ihrer Ausbildung in den
Pflichtfächern Sonderpädagogik, Psychologie, medizinische Grundlagen sowie
Rechts- oder Verwaltungskunde erworbenen Kenntnisse für die Führung einer
rechtlichen Betreuung besteht im vorliegenden Fall kein Zweifel.
Die Gleichwertigkeit mit einer Hochschulausbildung ist dann anzunehmen, wenn
die Ausbildung staatlich reglementiert oder zumindest staatlich anerkannt ist und
der durch sie vermittelte Wissensstand nach Art und Umfang dem Studium an
einer Universität oder Fachhochschule entspricht. Dabei können als Kriterien für
die Vergleichbarkeit insbesondere der mit der Ausbildung verbundene
Zeitaufwand, der Umfang und der Inhalt des Lehrstoffes sowie die Ausgestaltung
der Abschlussprüfung herangezogen werden (vgl. BayObLG BtPrax 2001, 36; OLG
Köln FamRZ 2001, 1398; OLG Braunschweig, FamRZ 2000, 1307; Senatsbeschluss
20 W 241/02 a.a.O.). Daneben kann auch auf die durch die Abschlussprüfung
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20 W 241/02 a.a.O.). Daneben kann auch auf die durch die Abschlussprüfung
erworbene Qualifikation abgestellt werden. Eröffnet sie den Absolventen den
Zugang zu beruflichen Tätigkeiten und den entsprechenden Besoldungs- bzw.
Vergütungsgruppen, die sonst üblicherweise Hochschulabsolventen vorbehalten
sind, so spricht dies für eine Annahme der Vergleichbarkeit (vgl. BayObLG BtPrax
2001, 36). Allerdings kommt ein rein schematisches Abstellen auf die
Schulbezeichnung ohne eine inhaltliche Bewertung der Vergleichbarkeit nicht in
Betracht. So liegt die an einer Fachschule vermittelte Qualifikation zwar in aller
Regel unterhalb des für die Bewilligung der höchsten Besoldungsstufe
erforderlichen Fachhochschulniveaus (vgl. BayObLG FamRZ 2005, 932; OLG
Schleswig BtPrax 2000, 172; BayObLG FamRZ 2000, 1307; OLG Dresden FamRZ
2000, 316, Senatsbeschlüsse 20 W 503/01=BtPrax 20021, 169 und 20 W 241/02
a.a.O.). Es kann jedoch nach der jeweils gebotenen inhaltlichen Bewertung im
Einzelfall auch eine als Fachschule bezeichnete Ausbildungsstätte eine Ausbildung
vermitteln, die mit einem Fachhochschulstudium gleichgesetzt werden kann (vgl.
OLG Hamm FamRZ 2001, 1398 und Senatsbeschluss 20 W 241/02 a.a.O.).
Ob ein Berufsbetreuer im konkreten Falle die Voraussetzung für die Bewilligung
eines erhöhten Stundensatzes nach der früheren Regelung des § 1 Abs. 1 S. 1
Ziffer 1 und 2 BVormVG oder der jetzigen Regelung des § 4 Abs. 1 S. 2 Ziffer 1 und
2 VBVG erfüllt, ist vom Tatrichter zu beurteilen, dessen Würdigung im Verfahren
der sofortigen weiteren Beschwerde nur darauf überprüft werden kann, ob von
ungenügenden oder verfahrenswidrig zustande gekommene Feststellungen
ausgegangen, wesentliche Umstände außer Acht gelassen oder gegen
Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen wurde (vgl. OLG Zweckbrücken
FamRZ 2004, 1323; BayObLG FGPrax 2000, 22; OLG Jena FGPrax 2000, 110;
Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 27 Rn. 42).
Die hier angefochtene Entscheidung des Landgerichts, mit welcher der
Antragstellerin der Stundensatz von 44,-- EUR versagt wurde, weist einen
derartigen Rechtsfehler auf, weil die Kammer bei der Bewertung der Kriterien zur
Beurteilung der Vergleichbarkeit wesentliche Umstände außer Acht gelassen hat.
Sie ist zwar im Ansatz zutreffend von den eingangs genannten Kriterien
ausgegangen und hat insbesondere berücksichtigt, dass die Antragstellerin ihre
Ausbildung an einer staatlich anerkannten Fachschule abgeschlossen hat, die in
aller Regel einem Fachhochschulabschluss nicht gleichgestellt werden kann.
Allerdings hat das Landgericht die Besonderheiten der von der Antragstellerin
insgesamt absolvierten und mit einer Prüfung abgeschlossenen Ausbildung nicht
genügend berücksichtigt. Zwar trifft es zu, dass die Antragstellerin vor Ablegung
ihrer Prüfung an der staatlich anerkannten Fachschule für Sondererzieher selbst
nur eine einjährige Ausbildung in Vollzeitform mit den im einzelnen näher im
Zeugnis aufgeführten Pflicht- und Wahlpflichtfächern absolviert hat. Entgegen der
Auffassung des Landgerichts darf aber nicht mit einer isolierten Betrachtung allein
auf diesen kurzen Ausbildungsabschnitt abgestellt und bereits deshalb eine
Vergleichbarkeit mit einem Fachhochschulstudium verneint werden. Denn das
Landgericht hat bei seiner Entscheidung nicht hinreichend berücksichtigt, dass
Zugangsvoraussetzung für diese einjährige Fachschulausbildung zum
Sondererzieher eine mit dem Abschluss der Fachschule für Sozialpädagogik
vergleichbare Ausbildung war. In diesem Zusammenhang hat das Landgericht
außer Acht gelassen, dass der Antragstellerin durch den vorgelegten Bescheid der
Bezirksregierung Koblenz vom 08. Juni 1976 die von ihr zuvor durchlaufene
nachgewiesene sonder- und heilpädagogische Ausbildung ausdrücklich als eine
dem Abschluss der Fachschule für Sozialpädagogik vergleichbare Ausbildung
anerkannt worden war und sie gerade deshalb zu der als Zusatzausbildung
ausgestalteten weiteren Ausbildungsmaßnahme an der Fachschule zugelassen
worden war. Auch wenn die Antragstellerin ihr erziehungswissenschaftliches
Studium von 5 Semestern an der Universität nicht mit einer Prüfung beendet hat,
war es dem Landgericht aufgrund der ausdrücklich erteilten staatlichen
Anerkennung ( vgl. hierzu etwa BayObLG BtPrax 2003, 135; OLG Dresden FamRZ
2001, 188) verwehrt, die während dieses Studiums und in der langjährigen
beruflichen Tätigkeit erworbenen Kenntnisse mit dem Hinweis eines insoweit
fehlenden Abschlusses völlig außer Betracht zu lassen. Denn der von § 4 Abs. 1 S.
2 Ziffer 2 VBVG ausdrücklich geforderte Abschluss der Ausbildung bezieht sich
nach dem Wortlaut der Vorschrift und dem Gesamtzusammenhang auf die am
Ende der Ausbildung abzulegende Prüfung oder sonstige staatliche reglementierte
oder anerkannte Leistungsüberprüfung. Ist aber ausweislich der von der
Antragstellerin vorgelegten Unterlagen der vorherige Abschluss der Fachschule für
Sozialpädagogik die regelmäßige Zugangsvoraussetzung für die hierauf
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Sozialpädagogik die regelmäßige Zugangsvoraussetzung für die hierauf
aufbauende und weiterführende Zusatzausbildung als Sondererzieher und wird für
einen Bewerber durch eine staatliche Stelle aufgrund einer allgemeinen
Reglementierung eine andere vorher absolvierte Ausbildung und/oder Tätigkeit
ausdrücklich anerkannt, so ist dies im Rahmen der Einstufung eines
Berufsbetreuers für die Vergütungsentscheidung ebenfalls zu Grunde zu legen.
Auf dieser Grundlage hat das Amtsgericht hier zutreffend darauf abgestellt, dass
der Abschluss an einer Fachschule für Sozialpädagogik in der Regel erst nach einer
dreijährigen Ausbildung an einer solchen Fachschule erreicht werden kann und
eine einjährige praktische hauptberufliche Tätigkeit auf dem Gebiet der
Sozialarbeit, Sozialpflege, Sozialpädagogik oder Sonderpädagogik hinzukommen
muss, um sodann als Zusatzausbildung in Vollzeitform die einjährige Fachschule
für Sondererzieher besuchen und mit der Prüfung zum staatlich geprüften
Sondererzieher abschließen zu können.
Unter Berücksichtigung der insoweit maßgeblichen Gesamtausbildungsdauer, der
ausweislich der vorgelegten Unterlagen unterrichteten Pflicht- und
Wahlpflichtfächer, der staatlichen Abschlussprüfung und der im Prüfungszeugnis
bescheinigten Gleichstellung mit der Ausbildung eines Heilpädagogen und der
hierdurch eröffneten beruflichen Tätigkeiten ist deshalb im vorliegenden Falle
davon auszugehen, dass die von der Antragstellerin insgesamt durchlaufene
staatlich reglementierte Ausbildung einschließlich der als ausbildungsbezogen
anerkannten theoretischen und praktischen Tätigkeiten und der in einer
staatlichen Prüfung erreichte Abschluss einer abgeschlossenen Ausbildung an
einer Fachhochschule vergleichbar ist.
Das Amtsgericht hat deshalb der Antragstellerin für ihre Tätigkeit als
Berufsbetreuerin zutreffend den Stundensatz gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 VBVG
zuerkannt, so dass der dies abändernde Beschluss des Landgerichts aufzuheben
und die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Vergütungsfestsetzung des
Amtsgerichtes zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG.
Die Festsetzung des Beschwerdewertes ergibt sich aus §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 1
KostO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.