Urteil des OLG Frankfurt vom 13.12.2006

OLG Frankfurt: rücktritt vom vertrag, zustand, sachmangel, tatsachenfeststellung, kaufvertrag, rechtshängigkeit, rückgabe, rückzahlung, herausgabe, reparaturkosten

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Gericht:
OLG Frankfurt 19.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
19 U 100/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 434 BGB, § 437 Nr 2 BGB
(Fahrzeugkauf: Qualifizierung von Verschleißerscheinungen
eines gebrauchten Mähdreschers als Sachmangel)
Leitsatz
Zur Frage der Qualifizierung von Verschleißerscheinungen eines gebrauchten
Mähdreschers als Sachmangel
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 12.04.2006 verkündete Urteil der 5.
Zivilkammer des Landgerichts Gießen abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von
110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht
der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden
Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Kläger erwarben von dem Beklagten im Juli 2004 einen gebrauchten
Mähdrescher, der erstmals 1992 eingesetzt worden war und 1.200
Betriebsstunden aufwies, zum Kaufpreis von 20.000,-- EUR. Nach Ausführung
verschiedener Reparaturen rügten die Kläger mit anwaltlichem Schreiben vom
11.08.2004, dass das hintere Lamellensieb sich auflöse, die Kupplung defekt sei,
die Kette am Einzug gerissen sei und zwei Einzugsleisten verbogen seien. Nach
dem der Beklagte Gewährleistungsansprüche abgelehnt hatte, erklärten die Kläger
den Rücktritt vom Kaufvertrag.
Im ersten Rechtszug haben die Kläger Schadensersatz wegen der von ihnen
verauslagten Reparaturkosten, Rückzahlung des Kaufpreises gegen Herausgabe
des Mähdreschers sowie Feststellung des Annahmeverzuges des Beklagten
hinsichtlich der Rückgabe des Mähdreschers verlangt. Wegen des erstinstanzlichen
Sach- und Streitstandes und des Ergebnisses der vom Landgericht durchgeführten
Beweisaufnahme wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug
genommen. Das Landgericht hat der Klage unter Zurückweisung der geltend
gemachten Schadensersatzforderung durch am 12.04.2006 verkündetes Urteil
stattgegeben (Bl. 157 bis 167 d.A.). Gegen das ihm am 18.04.2006 zugestellte
Urteil hat der Beklagte am 08.05.2006 Berufung eingelegt und das Rechtsmittel
nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 18.07.2006 an diesem Tage
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nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 18.07.2006 an diesem Tage
begründet.
Im Berufungsrechtszug ist unstreitig geworden, dass die Kläger den vom
Beklagten erworbenen Mähdrescher nach Rechtshängigkeit an einen Dritten
weiterverkauften. Der Beklagte rügt mit der Berufung die Tatsachenfeststellung
des Landgerichts hinsichtlich der Annahme, dass die Kupplung des Mähdreschers
bei Übergabe an der Verschleißgrenze gewesen sei. Im übrigen handele es sich
um den bei einem Gebrauchtfahrzeug zu erwartenden Zustand und nicht um
einen Mangel im Rechtssinne. Hilfsweise macht der Beklagte geltend, dass die
Kläger sich für die Nutzung des Mähdreschers während 69 Betriebsstunden eine
Nutzungsentschädigung von 4.031,-- EUR anrechnen lassen müssten.
Der Beklagte beantragt,
unter Abänderung des am 12.04.2006 verkündeten Urteils des Landgerichts
Gießen die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Herrn A als Zeuge sowie
durch Anhörung des Sachverständigen B. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 08.11.2006 und vom
22.11.2006 Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist begründet. Die Kläger können die Rückgängigmachung des
Kaufvertrages und die Feststellung des Annahmeverzuges nicht beanspruchen.
Denn der von ihnen erklärte Rücktritt vom Kaufvertrag ist unwirksam. Ein zum
Rücktritt berechtigender Sachmangel gemäß §§ 437 Nr. 2, 434 BGB liegt nicht vor.
Es kann offen bleiben, ob die Undichtigkeit eines Hydraulikzylinders, ein falsch
eingestellter Sensor, schiefstehende Dreschkorbleisten und ein verbogener
Zinkenhalter der Haspel bei Übergabe vorlagen und als Sachmangel eines
gebrauchten Mähdreschers mit 1.200 Betriebsstunden anzusehen sind. Denn der
von den Klägern behauptete Zustand des Mähdreschers rechtfertigt insoweit
schon deshalb keine Gewährleistungsansprüche, weil die Kläger auf ihre Kosten die
Reparatur des Mähdreschers veranlassten, ohne dem Beklagten zuvor
Gelegenheit zur Nacherfüllung zu geben.
Auch die von den Klägern mit anwaltlichem Schreiben vom 11.08.2004 gerügten
Mängel begründen kein Recht zum Rücktritt vom Vertrag. Es handelt sich nicht um
Sachmängel im Sinne des § 434 BGB.
Insbesondere ist der Zustand der Kupplung nicht als Sachmangel zu qualifizieren.
Allerdings hat das Landgericht für das Berufungsgericht bindend gemäß § 529 Abs.
1 Nr. 1 ZPO festgestellt, dass sich die Kupplung bei Übergabe des Mähdreschers in
einem Zustand nahe der Verschleißgrenze befand. Es bestehen keine konkreten
Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser
Tatsachenfeststellung, die das Landgericht in nicht zu beanstandender
Beweiswürdigung auf der Grundlage des überzeugenden Gutachtens des
Sachverständigen B getroffen hat. Der Umstand, dass sich die Kupplung nahe der
Verschleißgrenze befand, ist indes kein Sachmangel im Sinne des § 434 BGB. Eine
Beschaffenheitsvereinbarung im Sinne des § 434 Abs. 1 S. 1 BGB haben die
Parteien nicht getroffen. Die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung des
Mähdreschers wird durch den Verschleiß der Kupplung nicht tangiert (§ 434 Abs. 1
S. 2 Nr. 1 BGB). Bei dem Verschleiß der Kupplung handelt es sich schließlich auch
nicht um eine Beschaffenheit, die bei Sachen der gleichen Art nicht üblich ist und
die der Käufer nach der Art der Sache nicht erwarten kann (§ 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
BGB). Wie auch sonst beim Gebrauchtwagenkauf gilt beim Kauf eines gebrauchten
Mähdreschers, dass normale Verschleiß-, Abnutzungs- und Alterserscheinungen
keinen Mangel darstellen (BGH NJW 2006, 434, 435; OLG Düsseldorf, NJW 2006,
2858, 2860; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 9. Aufl., Rdnr. 1228, 1238). Eine
Verschleißerscheinung kann vielmehr nur dann als Sachmangel angesehen
werden, wenn diese nach der berechtigten Erwartung eines verständigen Käufers
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werden, wenn diese nach der berechtigten Erwartung eines verständigen Käufers
nicht dem Zustand entspricht, mit dem bei einem vergleichbaren Fahrzeug
gerechnet werden kann (OLG Düsseldorf a.a.O.; Reinking/Eggert a.a.O.). Vor
diesem rechtlichen Hintergrund kann der Umstand, dass sich die Kupplung des
Mähdreschers bei Übergabe nahe der Verschleißgrenze befand, nicht als Mangel
gewertet werden. Zwar hat der Sachverständige B dargelegt, dass die
Lebensdauer einer Kupplung bei durchschnittlicher Beanspruchung 2.000 bis 2.500
Betriebsstunden beträgt. Der Sachverständige hat aber weiter ausgeführt, dass
die Kupplung bei einem Mähdrescher ohne weiteres auch bereits nach etwa 1.000
Betriebsstunden verschlissen sein kann, weil bei dem Betrieb eines Mähdreschers
viele Faktoren eine Rolle spielen, die eine besondere Beanspruchung der Kupplung
ergeben. Hierzu zählen insbesondere das Hineinfahren des Mähdreschers in das
Erntegut mit großem Vorschub, die Steigung des Geländes, in dem der
Mähdrescher zum Einsatz kommt, der Feuchtegehalt des Erntegutes, die
Getreideart sowie die Verunreinigung mit Unkräutern. Mit Rücksicht auf die
zahlreichen Faktoren, die bei der Benutzung eines Mähdreschers im Ernteeinsatz
zu einer besonderen Beanspruchung der Kupplung führen können, war der
Zustand der Kupplung nahe der Verschleißgrenze bei Übergabe des Mähdreschers
keine ungewöhnliche Verschleißerscheinung, mit der die Kläger nicht rechnen
mussten.
Bei der Beurteilung, ob der Zustand der Kupplung als Mangel anzusehen ist, hatte
außer Betracht zu bleiben, dass der Beklagte nur ein Jahr vor dem Verkauf des
Mähdreschers an die Kläger die Kupplung erneuert hatte. Die Erneuerung der
Kupplung war bei den Verkaufsverhandlungen unstreitig nicht angesprochen
worden. Für die nach dem Vertrag berechtigte Erwartung der Kläger hinsichtlich
des Verschleißzustandes kommt es deshalb auf den zu erwartenden Verschleiß
einer Kupplung mit 1.200 Betriebsstunden an.
Ein Gewährleistungsanspruch der Kläger ergibt sich auch nicht aus dem als defekt
gerügten hinteren Lamellensieb. Abgesehen von der Frage, ob es sich hierbei um
eine normale Verschleißerscheinung handelt, konnte der Zeuge C nicht
bestätigen, dass sich Lamellen des Lamellensiebs bereits bei Übergabe ablösten.
Auch der Sachverständige B fand keinen Hinweis darauf, dass der Zustand des
Lamellensiebs bereits bei Übergabe vorhanden war.
Ebenso kann das Reißen der Einzugskette nicht als Sachmangel angesehen
werden. Zwar hat der Sachverständige bestätigt, dass die Einzugskette bei der
Begutachtung im Jahre 2005 Schweißungen, Rostanhaftungen und großes Spiel
zwischen den Kettengliedern erkennen ließ. Er hielt es jedoch für möglich, dass der
Riss eines Kettengliedes darauf beruhte, dass ein Fremdkörper (z.B. ein Stein)
beim Dreschen aufgenommen wurde und gegen die Kette schlug. Auch konnte der
Sachverständige nicht bestätigen, dass sich die Einzugskette trotz ihres
erheblichen Verschleißes in einem Zustand befand, der bei normalem Gebrauch
nicht zu erwarten war.
Schließlich können auch die Verbiegungen von zwei Dreschtrommelleisten nicht
als Sachmangel angesehen werden. Hierbei handelt es sich um normalen
Verschleiß. Nach dem Gutachten des Sachverständigen B entstehen derartige
Verbiegungen in der Regel dadurch, dass Fremdkörper (z.B. Steine) aufgenommen
werden und dann gegen die Leisten schlagen. Für das Dreschergebnis – und damit
für die Gebrauchstauglichkeit des Mähdreschers – hat eine solche Verbiegung
keine Bedeutung.
Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da ihre Klage im Ergebnis
erfolglos ist (§ 91 ZPO). Die Entscheidungen über die vorläufige Vollsteckbarkeit
beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die
Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.