Urteil des OLG Düsseldorf vom 04.11.2002

OLG Düsseldorf (Ampel, Fahrverbot, Auflage, Fahrbahn, Entscheidungsformel, Sicherheit, Fahrzeug, Marke, Kennzeichen, Fahrspur)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Düsseldorf, 2b Ss (OWi) 216/02 - (OWi) 68/02 I
04.11.2002
Oberlandesgericht Düsseldorf
1. Senat für Straf- und Bußgeldsachen
Beschluss
2b Ss (OWi) 216/02 - (OWi) 68/02 I
b e s c h l o s s e n :
1.
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den dazu
ge-troffenen Feststellungen aufgehoben. Insoweit wird die Sache zu
neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der
Rechtsbe-schwerde, an das Amtsgericht Langenfeld (Rheinland)
zurückverwiesen.
2.
Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
G r ü n d e :
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit
nach §§ 37, 49 StVO, 24 StVG zu einer Geldbuße von 125,00 EUR verurteilt und außerdem
ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. In dem Urteil heißt es unter anderem, der
Betroffene habe am 30. Juni 2001 gegen 13.06 Uhr mit einem Pkw der Marke Ford,
amtliches Kennzeichen ............., die rechte Abbiegerspur der Hochdahler Straße in Hilden
befahren und das Rotlicht der für ihn maßgeblichen Lichtzeichenanlage missachtet. Die
Rotphase habe bereits länger als eine Sekunde angedauert, als der Betroffene die
Lichtzeichenanlage passiert habe.
Die gegen dieses Urteil gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die
Verletzung sachlichen Rechts rügt, führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs. Im
Umfang der Aufhebung ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Im übrigen ist
die Rechtsbeschwerde unbegründet.
II.
Soweit sich der Betroffene gegen den Schuldspruch wendet, hat die Nachprüfung des
Urteils aufgrund der Beschwerderechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Betroffenen ergeben.
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III.
1. Das Landgericht hat seine Überzeugung, der Betroffene habe die Lichtzeichenanlage
passiert, als diese bereits länger als eine Sekunde Rotlicht angezeigt habe, auf die
Bekundungen der als Zeugen vernommenen Polizeibeamten ........ und .......... gestützt und
ausgeführt, diese hätten folgendes ausgesagt:
"Zur fraglichen Zeit hätten sie mit dem Funkstreifenwagen auf der Fahrspur für den
Geradeausverkehr vor der für sie maßgeblichen Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlage
gestanden. Rechts hätten zwei Mädchen gestanden, die offensichtlich an der
Lichtzeichenanlage der Rechtsabbiegerspur auf Grünlicht für Fußgänger warteten. Die
Lichtzeichen für den Rechtsabbiegerverkehr habe mittlerweile Rotlicht gezeigt, und die
Fußgängerampel sei sodann auf Grünlicht umgesprungen, als der Betroffene mit seinem
Fahrzeug die Haltelinie, die für ihn maßgebliche Ampel und die Fußgängerfurt passierte.
Zu diesem Zeitpunkt hätten die beiden Mädchen die Fahrbahn noch nicht betreten. Sie, die
Beamten, seien sich sicher, dass die Fußgängerampel schon grün zeigte, als der
Betroffene die Haltelinie und sodann die für ihn maßgebliche Ampel passierte. Das Rotlicht
der für den Betroffenen maßgeblichen Ampel hätten sie zweifelsfrei wahrgenommen, und
zwar auf jeden Fall länger als 1 Sekunde, bevor der Betroffene die Ampel passierte.
Aufgrund der übereinstimmenden und glaubhaften Schilderung der Zeugen ist davon
auszugehen, dass der Betroffene das Rotlicht der Lichtzeichenanlage missachtet hat, und
dass die Rotlichtphase länger als 1 Sekunde gedauert hatte, als er die Ampel passierte.
Die Beamten konnten sich, nachdem ihnen der Anzeigetext durch Verlesen wieder in
Erinnerung gerufen worden war, an den Vorfall noch gut erinnern, insbesondere daran,
dass die für den Betroffenen maßgebliche Ampel Rotlicht und die Fußgängerampel schon
Grünlicht zeigte, als der Pkw des Betroffenen noch vor der Haltelinie war, und dass die
Ampel mit Sicherheit länger als 1 Sekunde Rotlicht zeigte, bevor sie der Betroffene
passierte."
Die Feststellung eines sogenannten qualifizierten Rotlichtverstoßes, das heißt die
Nichtbeachtung eines bereits länger als eine Sekunde andauernden Rotlichts, begegnet
durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Grundlage einer Sachentscheidung ist der Tathergang, von dem der Tatrichter überzeugt
ist. Ihre Überzeugung, die Rotlichtphase habe bereits länger als eine Sekunde angedauert,
stützt die Amtsrichterin auf die Aussagen der Zeugen ............ und .........., bei denen es sich
ersichtlich um Schätzungen handelt. Die Schätzung eines Zeitablaufs ist allgemein mit
einer hohen Unsicherheit belastet. Dies gilt umso mehr bei Schätzungen von nicht gezielt
wahrgenommenen Zeitabläufen. Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass die
Zeugen die Lichtzeichenanlage und das Verhalten des Betroffenen gezielt beobachtet
haben. Die Rotlichtdauer ist offensichtlich von ihnen nachträglich, und zwar gefühlsmäßig,
geschätzt worden. Dies reicht nicht aus. Wegen der aufgezeigten Unsicherheit der
Schätzung sind objektive und nachprüfbare Umstände erforderlich, aus denen sich die
Grundlagen der Schätzung ergeben. Solche Umstände können beispielsweise das Zählen
("21, 22, 23") oder das Messen der Zeit mittels einer (Stopp-)Uhr sein (vgl. zur Schätzung
Senat VRS 90, 149; OLG Hamm NStZ-RR 1996, 216; Jagow in
Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 17. Auflage 2002, § 37 StVO Rdnr. 31
b; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Auflage 2001, § 37 StVO Rdnr. 61 m.w.N.).
Das Amtsgericht hat vorliegend keine Umstände festgestellt, auf denen die Schätzungen
der Zeugen beruhen. Die Angabe der Zeugen stellen lediglich subjektive Beurteilungen
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dar. Mangels konkreter Grundlagen können diese weder überprüft noch nachvollzogen
werden. Die bloße Feststellung, die Fußgängerampel habe bereits Grünlicht gezeigt,
besagt für die Dauer des Rotlichts der für den Betroffenen maßgebenden
Lichtzeichenanlage nichts.
2. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass, falls eine
Nichtbeachtung eines bereits länger als eine Sekunde andauernden Rotlichts festge-
stellt wird, zwar ein Regelfall im Sinne der BKatV vorliegt, der die Anordnung eines
Fahrverbotes indiziert. Indessen muss sich der Tatrichter der Möglichkeit bewusst sein, die
Geldbuße zu erhöhen und von einem Fahrverbot abzusehen. Die Urteilsgründe müssen
erkennen lassen, dass das Gericht diese Möglichkeit erkannt hat (OLG Hamm VRS 102,
224; Jagow in Janiszewski/Jagow/Burmann, a.a.O., § 25 StVO Rdnr. 10 b m.w.N.). Diesen
Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Tatrichterin hat sich
lediglich darauf gestützt, es liege ein Regelfall vor, der die Verhängung eines Fahrverbotes
rechtfertige. Dass sie sich der Möglichkeit bewusst war, die Geldbuße zu erhöhen und von
der Festsetzung eines Fahrverbotes abzusehen, lässt sich den Urteilsgründen nicht
entnehmen.
3. Der Einwand des Verteidigers, das Amtsgericht habe bei der Frage der Verhängung des
Fahrverbots nicht berücksichtigt, dass die Tat bereits länger zurückliege, ist indes
unzutreffend. Zwar ist es richtig, dass dann, wenn zwischen dem Verkehrsverstoß und dem
Wirksamwerden des Fahrverbots ein erheblicher Zeitraum verstrichen ist, ein Fahrverbot
gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG seinen Sinn verloren haben kann. Der Zeitablauf steht der
Verhängung eines Fahrverbots jedoch dann noch nicht entgegen, wenn seit dem Tattag
noch keine zwei Jahre vergangen sind (vgl. BayObLG, Beschluss vom 25. Oktober 2001 -
Az. 1 ObOWi 508/01, in Juris Nr. KORE 521152002). Dieser Zeitraum ist vorliegend noch
nicht abgelaufen, so dass die Festsetzung eines Fahrverbots grundsätzlich möglich ist.
Die Entscheidungsformel des angefochtenen Urteils gibt erneut Anlass zu dem Hinweis,
dass auch in Bußgeldsachen die Tat in der Urteilsformel mit Worten anschaulich und
verständlich zu bezeichnen ist. Hat ein Bußgeldtatbestand eine gesetzliche Überschrift, so
soll diese zur rechtlichen Bezeichnung der Tat verwendet werden. Stellt das Gesetz - wie
hier - keine Bezeichnungen bereit, ist nach allgemeinen Regeln eine anschauliche und
verständliche Wortbezeichnung zu wählen. Die angewendeten Vorschriften sind weder zu
verlesen noch sonst mündlich bekanntzugeben, sondern erst im schriftlichen Urteil und dort
erst nach der Urteilsformel aufzuführen (§ 71 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 260 Abs. 4
Satz 1 und 2, Abs. 5 Satz 1, 268 Abs. 2 Satz 1 StPO; vgl. BGHR StPO § 260 Abs. 5 Liste 1
= NStZ-RR 1997, 166; Senat NZV 2001, 89 = VRS 99, 468; Senge, in: KK-OWiG, 2. Aufl.
[2000], Rdnr. 97; Rebmann/Roth/Hermann, OWiG, 3. Aufl. [2000], Rdnr. 18; Göhler, OWiG,
13. Aufl. [2002], Rdnr. 41; alle zu § 71 OWiG).