Urteil des OLG Düsseldorf vom 08.07.2005

OLG Düsseldorf: gemeinsame elterliche sorge, unterhalt, aufrechnung, unterstufe, einverständnis, quote, gegenseitigkeit, brief, englisch, verrechnung

Oberlandesgericht Düsseldorf, II-3uf 21/05
Datum:
08.07.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
3. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
II-3uf 21/05
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts –
Familiengericht – Geldern vom 20.12.2004 unter Zurückweisung des
weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu
gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.167 € zu zahlen. Die
weitergehende Klage wird abgewiesen, soweit sie nicht durch den
Teilvergleich vom 8.11.2004 erledigt ist.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien sind getrenntlebende Ehegatten. Sie haben zwei Söhne, L. (*10.9.1990)
und N. (*31.7.1992). Es besteht die gemeinsame elterliche Sorge.
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Nachdem die Parteien sich vor dem Amtsgericht durch Teilvergleich über laufenden und
rückständigen Kindesunterhalt sowie Trennungsunterhalt geeinigt haben, streiten sie in
der Berufungsinstanz nur noch darüber, ob der Beklagte zwei weitere Positionen des
Kindesunterhalts zu übernehmen verpflichtet ist, namentlich - die hälftigen Kosten eines
Zeltlagers für beide Söhne - Nachhilfekosten für den jüngeren Sohn N. (Juli 2004 bis
einschließlich Juli 2005).
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Das Amtsgericht hat die Klage mit einer Begründung von einem Satz (Kommentarzitat)
abgewiesen. Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie – nach
eingeschränkter Prozeßkostenhilfe-Bewilligung durch den Senat – nurmehr noch die
Zahlung von 1.401 € beantragt. Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
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Streitpunkte sind zwischen den Parteien: - hinsichtlich des Zeltlagers: Die hälftige
Beteiligung ist hier vereinbart worden, der Beklagte hat allerdings die Aufrechnung
("Verrechnung") mit einer Gegenforderung gegen die Klägerin erklärt. – hinsichtlich der
Nachhilfekosten: Der Beklagte ist mit den Nachhilfekosten von mtl. 132 € für eine
professionelle Nachhilfe in Englisch nicht einverstanden. Er meint, seine heutige
Lebensgefährtin oder er selbst hätten dies aufgrund entsprechender Vorbildung
ebensogut und kostenlos erledigen können. Er sei vor der Entscheidung nicht gefragt
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worden.
II.
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Die Berufung ist nach eingeschränkter Prozeßkostenhilfe-Bewilligung überwiegend
begründet. Allerdings ist gegenüber dem PKH-Beschluss des Senats noch ein
Rechenfehler zu korrigieren, der zu einem geringeren Anspruch führt. Der Beklagte
schuldet die anteiligen Kosten des Zeltlagers wie auch (ebenfalls anteilig) weiteren
Unterhalt wegen des durch den Nachhilfeunterricht entstandenen Mehrbedarfs gemäß
§§ 1601, 1602 BGB.
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1. Die Beteiligung des Beklagten an den Kosten des Zeltlagers haben die Parteien
unstreitig vereinbart. Der Vortrag des Beklagten, seiner Erklärung habe der
Rechtsbindungswille gefehlt, ist nicht recht nachzuvollziehen. Eine Aufrechnung
scheitert schon an der fehlenden Gegenseitigkeit der Forderungen.
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2. Bei den Kosten der Nachhilfe handelt es sich um angemessenen Kindesunterhalt, der
vom Beklagten zwar nicht als Sonderbedarf, aber als regelmäßiger Mehrbedarf
mitzutragen ist.
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a) Entgegen der Auffassung des Beklagten konnte die Klägerin auch ohne sein
Einverständnis N. zur Nachhilfe beim Nachhilfezentrum G. anmelden (vgl. § 1612 Abs.2
S.3 BGB). Bei der Nachhilfe handelt es sich um eine Angelegenheit des täglichen
Lebens, über die der Elternteil, bei dem sich das Kind aufhält, nach § 1687 Abs.1 S.2
BGB auch bei gemeinsamer elterlicher Sorge allein entscheiden kann (vgl. etwa
Schwab, FamRZ 1998, 457, 469; Anwaltkommentar/Peschel-Gutzeit, § 1687 Rdnr.14;
Bamberger/Roth/Veit, § 1687 Rdnr.12).
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b) Auch wenn die Kosten von monatlich 132 € nicht unerheblich sind, stehen sie nicht
außer Verhältnis zum Nutzen der Maßnahme. Das gilt erst recht, weil der Beklagte bei
der gegebenen Sachlage nicht für die gesamten Kosten aufzukommen hat, sondern ein
Teil dem regelmäßigen Kindesunterhalt zu entnehmen ist und ein weiterer Teil von der
Klägerin zu tragen ist. Dadurch, dass die Klägerin nicht auf die vom Beklagten
angebotene Hilfe zurückgegriffen hat, hat sie nicht ohne weiteres sachwidrig gehandelt,
schon weil die professionelle Nachhilfe erfahrungsgemäß effektiver ist.
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c) Für die Zeit von März 2004 bis einschließlich Juni 2004 scheidet eine Beteiligung des
Beklagten schon wegen der mangelnden Möglichkeit rückwirkender Geltendmachung
nach § 1613 Abs.1 BGB aus.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich nämlich bei den Kosten der
Nachhilfe im vorliegenden Fall nicht um Sonderbedarf, sondern um regelmäßigen
Mehrbedarf (vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 1994, 770; OLG Hamm FamRZ 1991, 857),
der nur unter den Voraussetzungen des § 1613 Abs.1 BGB für die Vergangenheit
geltend gemacht werden kann.
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Sonderbedarf ist nach § 1613 Abs.2 Nr.1 BGB lediglich ein unregelmäßiger
außergewöhnlich hoher Bedarf. Zumal von der Klägerin zunächst Nachhilfekosten von
März 2004 bis Juli 2005, also für insgesamt siebzehn Monate geltend gemacht worden
sind, kann von einem unregelmäßigen Bedarf nicht mehr gesprochen werden. Ob die
Nachhilfe im nächsten Schuljahr entbehrlich sein wird, ist zudem noch unklar. Es kommt
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hinzu, dass der Nachhilfebedarf schon frühzeitig, namentlich in der gymnasialen
Unterstufe aufgetreten ist. Schließlich handelte es sich auch nicht ohne weiteres um
einen unvorhergesehenen Bedarf. Denn ein "blauer Brief" kommt bekanntlich – gerade
in einem Hauptfach mit regelmäßigen Klausuren – nicht ohne Vorwarnung.
Da die Klägerin die Nachhilfekosten erstmals im Schriftsatz vom 29.6.2004 (Bl.10 GA)
geltend gemacht hat, können Zahlungen auf den Mehrbedarf erst ab 7/04 verlangt
werden.
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d) Mehrbedarf ist nur geschuldet, soweit die Kosten nicht aus dem regelmäßigen
Kindesunterhalt gedeckt werden können. Das ist bei Nachhilfekosten in den unteren
Einkommensgruppen der Düsseldorfer Tabelle zwar grundsätzlich nicht möglich (OLG
Köln NJW 1999, 295). Im vorliegenden Fall haben die Parteien indessen einen
Kindesunterhalt nach Gruppe 7 der Düsseldorfer Tabelle (142% des Regelbetrags)
vereinbart. Geht man davon aus, dass bei einem Unterhalt nach Einkommensgruppe 6
monatlich etwa 20 € für weitere Bedarfspositionen abgezweigt oder angespart werden
können und zusätzlich je Einkommensgruppe die Hälfte des Differenzbetrages zum
Betrag nach der 6. Einkommensgruppe (vgl. Eschenbruch/Wohlgemuth, Der
Unterhaltsprozess, 3.Aufl. Rdnr.3042), hier also 10 €, so sind monatlich 30 € vorab aus
dem Kindesunterhalt zu decken.
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e) Am verbleibenden Bedarf von mtl. 102 € hat sich neben dem Beklagten auch die
Klägerin zu beteiligen. Dass sie den Sohn N. betreut, befreit sie nach § 1606 Abs.3 S.2
BGB nur von einer Barunterhaltspflicht hinsichtlich des Elementarbedarfs, nicht
hinsichtlich des Mehrbedarfs. Das wird hier auch daran deutlich, dass der Klägerin
durch die Nachhilfe in gewissem Umfang eigene Betreuungsaufgaben sogar
abgenommen werden. Bei ausreichendem Einkommen muss sich der betreuende
Elternteil am Mehrbedarf beteiligen (vgl. Wendl/Scholz, Das Unterhaltsrecht in der
familiengerichtlichen Praxis, 6.Aufl., § 2 Rdnr.136).
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Hier ist die Haftungsquote des Beklagten nach dem unter Berücksichtigung der
Unterhaltsleistungen sich ergebenden Einkommen beider Parteien zu bemessen. Nach
der Grundlage der im Teilvergleich durchgeführten Unterhaltsbemessung hat der
Beklagte (ab 7/04) ein Einkommen von 1.499,82 € (= 1.875,81 € ./. 375,99 €
Trennungsunterhalt), während die Klägerin über ein Einkommen von 1.356,47 € (=
980,48 € + 375,99 € Trennungsunterhalt) verfügt.
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Nach jeweiligem Abzug des angemessenen Selbstbehalts von 1.000 € ergibt sich für
den Beklagten eine Quote von rund 58% (= 499,82 : 856,29 x 100). Daraus ergibt sich
sein Haftungsanteil von monatlich gerundet 59 € (die Berechnung im PKH-Beschluss ist
hier versehentlich von dem nicht um den Kindesunterhaltsanteil bereinigten Betrag
ausgegangen). Für die Zeit von Juli 2004 bis Juli 2005 errechnet sich eine
Gesamtsumme von 767 € (= 13 x 59 €), insgesamt beträgt die Forderung 1.167 € (767 €
+ 400 €).
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3. Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 92, 516 Abs.3, 708, 713 ZPO.
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Streitwert für das Berufungsverfahren: - bis einschließlich der Erörterung im
Senatstermin vom 24.6.2005: 2.578 EUR - danach: 1.401 EUR.
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