Urteil des OLG Düsseldorf vom 31.08.2006
OLG Düsseldorf: stand der technik, form, vollstreckbares urteil, gestaltung, aussetzung, nichtigkeitsklage, begriff, druck, sicherheitsleistung, ausführung
Oberlandesgericht Düsseldorf, I- 2 U 48/05
Datum:
31.08.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I- 2 U 48/05
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 31. März 2005 verkündete
Ur-teil der 4b. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird
zurückgewie-sen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die
Vollstreckung durch die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
500.000,00 € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 500.000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
1
I.
2
Die Klägerin macht im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft Ansprüche aus dem
europäischen Patent 0 384 xxx (Anlage K 1, Klagepatent) geltend, welches unter
Inanspruchnahme einer Priorität vom 20. Februar 1989 bzw. 26. Oktober 1989 am 12.
Februar 1990 angemeldet und dessen Erteilung am 26. April 1995 veröffentlicht wurde.
Die Anmeldung wurde am 29. August 1990 bekannt gemacht. Als Inhaberin des in
englischer Sprache abgefassten Klagepatents ist in die Patentrolle die M Company
eingetragen, deren Gesamtrechtsnachfolgerin die N Company, Minnesota/USA ist.
3
Die u.a. von der Beklagten erhobene Nichtigkeitsklage ist vom Bundespatentgericht in
erster Instanz abgewiesen worden. Das Klagepatent ist unverändert mit den erteilten
Ansprüchen aufrechterhalten worden. Auf das Urteil des Bundespatentgerichts vom 6.
September 2005 wird Bezug genommen (Anlage BB 3). Hiergegen hat die Beklagte
Berufung eingelegt.
4
Das Klagepatent betrifft Schaumstoffgegenstände mit gekrümmter Oberfläche sowie
eine Anordnung solcher Gegenstände. Die im vorliegenden Rechtsstreit
interessierenden Patentansprüche 1 und 7 haben in der von der Klägerin als Anlage K 2
zur Akte gereichten deutschen Fassung folgenden Wortlaut:
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1. Schaumstoffgegenstand in Form eines länglichen Streifens mit einer
gekrümmten Oberfläche, dadurch gekennzeichnet, dass der Streifen aus einem
kaltverschweißbaren Schaum gebildet ist und mindestens einen
kaltverschweißten Saum in seiner Längsrichtung aufweist, welcher die Gestaltung
der gekrümmten Oberfläche aufrechterhält.
6
7. Anordnung von benachbarten länglichen parallelen Schaumstoffstreifen, wobei
jeder Streifen eine gekrümmte Oberfläche einschließt und die einzelnen Streifen
von Hand aus der Anordnung abtrennbar sind, dadurch gekennzeichnet, dass
benachbarte Streifen miteinander durch längs verschweißte Säume, die die
Krümmung der Oberfläche aufrechterhalten, verbunden sind.
7
Die Beklagte stellt in Spanien nebeneinander angeordnete längliche
Schaumstoffstreifen mit rundem Querschnitt her, die sie auch in die Bundesrepublik
Deutschland liefert, von denen die Klägerin als Anlage K 8 ein Muster zur Akte gereicht
hat.
8
Die Klägerin hat behauptet, sie sei von ihrer Muttergesellschaft dazu ermächtigt, die
Gegenstände nach dem Klagepatent in der Bundesrepublik Deutschland zu vermarkten
und zu vertreiben. Sie ist der Ansicht, die von der Beklagten hergestellten und auch in
der Bundesrepublik Deutschland vertriebenen Schaumstoffstreifen machten von der
technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch. Sie nimmt die Beklagte
daher auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung und Schadenersatz in
Anspruch.
9
Die Beklagte hat um Klageabweisung gebeten, hilfsweise hat sie beantragt, den
Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die gegen das Klagepatent
erhobene Nichtigkeitsklage auszusetzen. Sie hat geltend gemacht, beim
Zusammenpressen der von ihr hergestellten Streifen verschmelze der Schaumstoff
nicht, so dass kein "Kaltverschweißen" im Sinne des Klagepatents festgestellt werden
könne. Darüber hinaus werde die gekrümmte Oberfläche der von ihr vertriebenen
Schaumstoffstreifen nicht durch die vorhandenen Säume aufrechterhalten, da bei
nachträglicher Entfernung dieser Säume die gekrümmte Oberfläche weitestgehend
beibehalten werde. Des Weiteren könne das Klagepatent keinen Rechtsbestand haben,
da die diesem zugrundeliegende technische Lehre weder neu sei, noch der Fachmann
in Kenntnis des vorbekannten Standes der Technik erfinderisch habe tätig werden
müssen, um zu der Lösung des Klagepatents zu finden.
10
Das Landgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben mit der Begründung, die
angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre des Klagepatents Gebrauch und es
bestehe keine Veranlassung den Rechtsstreit im Hinblick auf die gegen das
Klagepatent anhängige Nichtigkeitsklage gemäß § 148 ZPO auszusetzen, da keine für
eine solche Aussetzung erforderlichen Zweifel an dem Rechtsbestand des Klagepatents
bestünden.
11
Es hat die Beklagte verurteilt,
12
I. 1. es bei Meidung eines für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung
fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6
Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, zu unterlassen,
13
a. Schaumstoffgegenstände in Form eines länglichen Streifens mit einer
gekrümmten Oberfläche
14
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen, zu
gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
15
bei denen der Streifen aus einem kaltverschweißbaren Schaum gebildet ist und
mindestens einen kaltverschweißten Saum in seiner Längsrichtung aufweist,
welcher die Gestaltung der gekrümmten Oberfläche aufrechterhält,
16
und/oder
17
b. Anordnungen von benachbarten länglichen parallelen Schaumstoffstreifen,
wobei jeder Streifen eine gekrümmte Oberfläche einschließt und die einzelnen
Streifen von Hand aus der Anordnung abtrennbar sind,
18
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen, zu
gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
19
bei denen benachbarte Streifen miteinander durch längsverschweißte Säume, die
die Krümmung der Oberfläche aufrechterhalten, verbunden sind;
20
2. der Klägerin für die Zeit ab dem 26. Mai 1995 Auskunft über den Vertriebsweg
der unter I.1. beschriebenen Erzeugnisse zu erteilen, und zwar unter Angabe der
Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer und Auftraggeber, unter
Angabe der Mengen der ausgelieferten oder bestellten Erzeugnisse;
21
3. der Klägerin über den Umfang der vorstehend zu I.1. bezeichneten und seit
dem 26. Mai 1995 begangenen Handlungen Rechnung zu legen, und zwar unter
Vorlage eines Verzeichnisses mit der Angabe der einzelnen Lieferungen unter
Nennung
22
a. der Liefermengen, Typenbezeichnung, Artikel-Nummern, Lieferzeiten,
Lieferpreise sowie Namen der Anschriften der Abnehmer,
23
b. der Gestehungskosten unter Angabe der einzelnen Kostenfaktoren sowie des
erzielten Gewinns, ferner unter Ausschluss derjenigen Gemeinkosten, die nicht
unmittelbar auf die Erzeugnisse entsprechend vorstehend I.1. a und b bezogen
sind,
24
und unter Angabe der einzelnen Angebote und der Werbung unter Nennung
25
c. der Angebotsmengen, Typenbezeichnungen, Artikelnummern, Angebotszeiten
und Angebotspreise sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
26
d. der einzelnen Werbeträger, der Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und
Verbreitungsgebiet,
27
wobei
28
e. der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der
Angebotsempfänger und der nicht gewerblichen Abnehmer statt der Klägerin
einem von dieser zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit
verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die
durch seine Einschaltung entstehenden Kosten trägt und ihn zugleich ermächtigt,
der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob bestimmte Abnehmer und/oder
Angebotsempfänger in der erteilten Rechnung enthalten sind.
29
II. Das Landgericht hat festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin
allen Schaden zu ersetzen, der der N Company, Minnesota/USA, durch die zu I.1.
bezeichneten und seit dem 26. Mai 1995 begangenen Handlungen entstanden ist
und künftig auch entstehen wird.
30
Bezogen auf die Entschädigungsansprüche hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
31
Auf das Urteil vom 21. März 2005 wird Bezug genommen.
32
Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten. Sie macht geltend: Das Landgericht
habe zu Unrecht eine Patentverletzung durch die angegriffene Ausführungsform
angenommen. Zumindest hätte das Gericht das Verfahren bis zur rechtskräftigen
Entscheidung über die Nichtigkeitsklage der Beklagten aussetzen müssen.
33
Die Beklagte beantragt,
34
das Urteil des Landgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die
Aussetzung des Verfahrens.
35
Die Klägerin beantragt,
36
die Berufung zurückzuweisen.
37
Sie trägt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages vor.
38
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
39
II.
40
Die zulässige Berufung der Beklagten ist sachlich nicht gerechtfertigt. Die mit der Klage
angegriffene Ausführungsform macht von der technischen Lehre der Patentansprüche 1
und 7 des Klagepatents Gebrauch, weil sie, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt
hat, sämtliche Merkmale der unter Schutz gestellten Lehre des Klagepatents
wortlautgemäß verwirklicht. Insbesondere weist die angegriffene Ausführungsform
(kalt)verschweißte Säume im Sinne des Klagepatents auf, die die gekrümmte
Oberflächenform aufrechterhalten.
41
1.
42
Das Klagepatent betrifft mit seinem Anspruch 1 einen Schaumstoffgegenstand in Form
eines länglichen Streifens mit einer gekrümmten Oberfläche und mit seinem Anspruch 7
eine Anordnung von benachbarten länglichen parallelen, jeweils mit einer gekrümmten
43
Oberfläche versehenen Schaumstoffstreifen. Derartige nach der Lehre des Klagepatents
hergestellte meterlange Schaumstoffstreifen mit kreisförmigem oder elliptischem
Querschnitt finden insbesondere als Abdeckmaterial bei Fahrzeugkarosseriewerkstätten
Verwendung. Der Streifen wird dazu benutzt, vor dem Aufsprühen von Farbe Spalten
zwischen Tür und Rahmen, Motorhaube und Rahmen, Kofferraumdeckel und Rahmen
und dergl. auszufüllen. Der Streifen besteht vorzugsweise aus offenzelligem Schaum,
weil dieser eine wirksame Farbaufnahme und die Ausführung federartiger Kanten
gestattet ( Klagepatentschrift, Anlage K1, Spalte 6, Zeilen 20 – 30 = deutsche
Übersetzung Anlage K2, Seite 11, Zeilen 14 – 25).
Im Stand der Technik, den die Klagepatentschrift in Spalte 1 (= Seiten 1 und 2 der
deutschen Übersetzung) behandelt, werden Gegenstände aus Schaumstoff, die eine
gekrümmte Oberfläche aufweisen, u.a. aus einer Schaumstoffbahn oder aus einem
Block hergestellt. Die gekrümmten Oberflächen werden durch Falzen oder Verdichten
einer Schaumstoffbahn z.B. in einer Form erzielt, wobei eine weitere Bahn oder ein
Träger an den geformten Schaumstoff geheftet und der geformte Schaum dadurch an
seiner Rückstellung gehindert wird. Ferner ist ein Verfahren zur Oberflächenbearbeitung
von Plastikschaum zu stäbchenförmigen Streifen bekannt, wobei das Ausgangsmaterial
durch Wärmeschrumpfung in einer Form in die oberflächenbearbeitete Gestalt gebracht
wird. Alle diese Verfahren eignen sich nicht, in einfacher und effektiver Weise
ausgedehnte Streifen, insbesondere mit einer Länge von mehreren Metern oder mehr
gewerbsmäßig herzustellen.
44
Dem Klagepatent liegt daher, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, die
Aufgabe zugrunde, einen Schaumstoffgegenstand in der Form eines länglichen
Streifens mit einer gekrümmten Oberfläche bereitzustellen, der einfach und effizient
hergestellt werden kann.
45
Zur Lösung dieser Aufgabe sieht Patentanspruch 1 die Kombination folgender
Merkmale vor: Schaumstoffgegenstand
46
1. in Form eines länglichen Streifens,
2. mit einer gekrümmtem Oberfläche, wobei
47
48
1.4.1 der Streifen aus einem kaltverschweißten Schaum gebildet ist und
49
2. mindestens einen kaltverschweißten Saum
3. in seiner Längsrichtung aufweist,
4. welcher die Gestaltung der gekrümmten Oberfläche aufrecht erhält.
50
51
Mit der Anweisung, gemäß Merkmal 1.4.1 den Streifen aus einem kaltverschweißbaren
Schaum zu bilden, macht sich die Klagepatentschrift die bekannte Tatsache zunutze,
dass manche Schäume – wie Polyesterschaum (vgl. Spalte 5, Zeilen 46 – 51 = Anlage
K2, Seite 10, Zeilen 12-16) – "kalt verschweißt" werden können. Kaltverschweißen
geschieht nach der von der Klagepatentschrift gegebenen Definition (Spalte 1, Zeile 54
– Spalte 2, Zeile2 = Anlage K 2, Seite 3, Zeilen 1 – 8), wenn ein Schaum schmilzt, falls
er geschnitten oder unter Druck geschert wird. Beispielsweise, so die Klagepatentschrift,
würden Kosmetikpolster aus einer dünnen Schaumstoffbahn gestanzt, wobei ein
Schneidewerkzeug mit stumpfer Schneide benutzt werde. Während des Stanzvorgangs
bilde sich an der Stelle, an der der Schaum zusammengedrückt werde, eine
Schweißnaht, was zu einem geschweißten Saum führe. Der Einsatz mindestens eines
kaltverschweißten Saumes in Längsrichtung des Streifens kann nach Maßgabe der
Merkmale 1.4.2 – 1.4.4 die Gestaltung der gekrümmten Oberfläche aufrechterhalten.
Vorausgesetzt wird dabei, dass zusammendrückbare, elastische Schaumstoffe mit
geeignetem Rückstellvermögen verwendet werden (vgl. Spalte 7, Zeilen 30 – 43 =
Anlage K 2, Seite 13, Zeilen 24 ff), wie auch das Landgericht zutreffend angenommen
hat.
52
Entgegen der Ansicht der Beklagten setzt der Begriff des "Kaltverschweißens" keine
Aggregatänderung des Schaumstoffes von fest nach flüssig voraus. Weder sagt die
Klagepatentschrift etwas über das Ausmaß eines Aufschmelzens unter Druck aus, noch
geht es ersichtlich nicht darum, Schaumstoff zu verflüssigen. Im Hinblick auf das, was
mit der Maßnahme angestrebt wird, mit einem kaltverschweißten Saum die Gestaltung
der gekrümmten Oberfläche aufrecht zu erhalten, genügt jegliche Umwandlung der unter
Scherdruck gesetzten Stellen des Schaumstoffes, die ausreicht, eine dauerhafte
Schweißnaht zu bilden. Nichts anderes hat auch das sachkundige Bundespatentgericht
mit seinen Ausführungen auf Seite 7 seines Urteils vom 6. September 2005 (Anlage BB
3) zum Ausdruck gebracht. Dabei kann dahinstehen, ob vom allgemeinen Wortsinn her
der englische Originaltext des Klagepatents (Spalte 1, Zeile 55) mit dem Ausdruck "to
fuse" (= vereinigen, verbinden, verschmelzen) weiter ist als die deutsche Übersetzung,
die nur von "schmelzen" spricht (Anlage K 2 Seite 3, Zeile 2). Der von der
Klagepatentschrift angesprochene Fachmann – ein auf dem Gebiet der
Kunststofftechnologie versierter Maschinenbauingenieur, der ausreichende Kenntnisse
in der Verarbeitung von Schaumstoffen besitzt (vgl. BPatG aaO. S. 11) – hat aus den
oben genannten Gründen jedenfalls keine Veranlassung, den Begriff "schmelzen" in der
deutschen Übersetzung der Patentbeschreibung im Sinne einer Verflüssigung zu
verstehen. Wie das Landgericht daher zu Recht festgestellt hat, kann auch eine
adhäsive, durch Verkleben etwa von Schaumstoffporen bewirkte Verbindung eine
patentgemäße, kaltverschweißte Verbindung darstellen, sofern diese nicht durch die
dem elastischen Schaumstoff innewohnenden Rückstellkräfte wieder aufgehoben
werden kann.
53
Um das insbesondere in Fahrzeugkarosseriewerkstätten bestehende Bedürfnis zu
befriedigen, große Mengen von Schaumstoffstreifen als Abdeckmaterial in leicht
verfügbarer Form bereitzustellen (vgl. Spalte 6, Zeilen 54 – 58 = Anlage K 2 , Seite 12,
Zeilen 17 – 22), stellt Anspruch 7 eine Anordnung zur Verfügung, die folgende
Merkmale vorsieht:
54
55
1. Anordnung von benachbarten länglichen parallelen Schaumstoffstreifen, wobei
2. jeder Streifen eine gekrümmte Oberfläche einschließt und
3. die einzelnen Streifen von Hand aus der Anordnung abtrennbar sind, wobei
4. benachbarte Streifen sind miteinander durch längsverschweißte Säume
verbunden sind und
5. die längsverschweißten Säume die Krümmung der Oberfläche aufrecht. Erhalten.
56
Eine solche Anordnung kann auf einfache Weise, z.B. durch Aufwickeln über einen
Kern aufgerollt werden, und die einzelnen Streifen können einfach getrennt werden, weil
der zusammengedrückte verschweißte Schaumstoff sich zwischen zwei benachbarten
Streifen leicht abreißen lässt (Spalte 6, Zeilen 47 – 51 = Anlage K 2, Seite 12, Zeilen 10
– 14).
57
2.
58
Mit zutreffender Begründung hat das Landgericht eine wortsinngemäße widerrechtliche
Benutzung beider Patentansprüche durch die angegriffene Ausführungsform festgestellt.
59
a)
60
Dass die angegriffene Ausführungsform von Merkmalen 1.1 – 1.3 des Anspruchs 1
Gebrauch macht, ist zwischen den Parteien nicht streitig und aufgrund des von der
Klägerin vorgelegten Musters (Anlage K 8) ohne weiteres ersichtlich.
61
Zwar hat die Beklagte in Abrede gestellt, die angegriffenen Streifen seien aus einem
kaltverschweißbaren Schaum gebildet und zur Begründung ausgeführt, beim
Zusammendrücken des streitgegenständlichen Schaums trete kein (verflüssigendes)
Schmelzen auf, das Zusammenheften werde vielmehr dadurch bewirkt, dass die Poren
des Schaumstoffes zusammengedrückt und diese Poren dann an ihren Innenwänden
durch bloße Adhäsion zusammengeklebt würden (Berufungsbegründung Seite 3 = Bl.
202 GA). Wie oben dargelegt worden ist, umfasst der Begriff "kaltverschweißbar" jedoch
auch ein Aneinanderhaften durch Verkleben bzw. Adhäsion. Ob die
Adhäsionsverbindung durch Ausübung von Zugkräften wiederaufgehoben werden kann,
wie die Beklagte geltend macht (Bl. 203 GA), ist unerheblich, sofern die Adhäsion nicht
durch die Rückstellkräfte des elastischen Schaumstoffs aufgehoben wird. Das aber
behauptet auch die Beklagte nicht. Im Übrigen hat die Beklagte auch nicht geltend
gemacht, das bei den angegriffenen Streifen verwendete Material weiche in seinen
Eigenschaften von dem Schaumstoff ab, den die Klagepatentschrift beispielhaft in
Spalte 5, Zeilen 46 – 51 und Spalte 7, Zeilen 30 – 43 anführt. Merkmal 1.4.1 ist daher
wortsinngemäß erfüllt.
62
Das gilt auch für die weiteren kennzeichnenden Merkmale 1.4.2 – 1.4.4. Wie das
Landgericht zutreffend festgestellt hat, weisen die Streifen des als Anlage K 8
vorgelegten Musters im Übergangsbereich zur gekrümmten Oberfläche
Materialverdichtungen auf, die erkennen lassen, dass dort Schaumstoff verklebt bzw.
"verschweißt" worden ist. Da sich diese Materialverdichtungen in Längsrichtung der
Streifen erstrecken, sind sie als Saum im Sinne der erfindungsgemäßen Lehre
anzusprechen. Die Richtigkeit dieser landgerichtlichen Feststellung wird von der
63
Beklagten ersichtlich auch nicht angegriffen. Sie macht nur geltend - und zwar nicht
schon in der Berufungsbegründung, sondern erst mit Schriftsatz vom 28. Juni 2006
(Seiten 6, 7 = Bl. 241, 242 GA) unter Rückgriff auf erstinstanzliches Vorbringen (vgl. Bl.
123, 124 GA) – die Gestaltung der gekrümmten Oberfläche werde nicht durch
den
aufrechterhalten, sondern durch "die bei der Herstellung der Streifen bewirkte
Veränderung der gesamten Oberflächen- und auch der Schaumstoffzellen-Struktur."
Dieses Vorbringen ist, wie bereits das Landgericht zutreffend angenommen hat, ohne
Substanz. Nachdem sie nämlich erstinstanzlich selbst vorgetragen hatte (Schriftsatz
vom 29. November 2004, Seite 3 = Bl. 98 GA), werde der als Saum angesehene Bereich
nachträglich entfernt, so stelle man fest, dass der Schaumstoff trotzdem seine
gekrümmte Oberfläche weitestgehend beibehalte, konnte das Landgericht zu Recht den
Schluss ziehen, ohne den Saum gebe es ein relevantes anderes
Rückstellungsverhalten als mit dem verschweißten Saum. Diese Schlussfolgerung ist
umso mehr gerechtfertigt, als die Inaugenscheinnahme des Musters Anlage K 8
tatsächlich gegen die Beklagte zu sprechen scheint und eine ihr durchaus zumutbare
konkrete Darlegung (vgl. z.B. BGH, GRUR 2004, 47 – Blasenfreie Gummibahn I) des
angeblich außerhalb der patentgemäßen Lehre stehenden Verfahrens bei der
Herstellung der angegriffenen Schaumstoffstreifen fehlt. Dass es hier um zu wahrende
Betriebsgeheimnisse geht, ist weder ersichtlich noch dargetan. Der Senat hat zudem in
der letzten mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, er gehe mangels eines
Vortrages nachvollziehbarer physikalischer oder chemischer Gründe davon aus, die
gekrümmte Oberflächenform der angegriffenen Streifen werde von dem
(kalt)verschweißten Saum aufrechterhalten; eine andere Ursache sei nicht ersichtlich.
b)
64
Dass die Merkmale 7.1 – 7.3 des die Anordnung benachbarter Streifen betreffenden
Anspruchs 7 erfüllt sind, steht außer Streit und ergibt sich auch aus dem vorgelegten
Muster Anlage K 8. Unbeschadet des Umstandes, dass Anspruch 7 offen lässt, mit Hilfe
welchen Schweißverfahrens die Säume der Streifen auszubilden sind und das
"Kaltschweißen" nur als bevorzugte Ausführung bezeichnet wird (z.B. Spalte 2, Zeilen
23 – 25), gilt auch hier die oben getroffene Feststellung, dass die längsverschweißten
Säume die Krümmung der Oberfläche aufrechterhalten. Daher sind auch die
kennzeichnenden Merkmale 7.4 und 7.5 erfüllt.
65
3.
66
Dass und warum die Beklagte angesichts der von ihr begangenen Patentverletzungen
in dem zugesprochenen Umfang der Klägerin zur Unterlassung, zum Schadenersatz
und zur Rechnungslegung hinsichtlich der ab dem 26. Mai 1995 begangenen
Verletzungshandlungen verpflichtet ist, hat das Landgericht in dem angefochtenen Urteil
zutreffend dargelegt. Auf diese Ausführungen kann zur Vermeidung von
Wiederholungen Bezug genommen werden.
67
4.
68
Eine Aussetzung der Verhandlung bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem das
Klagepatent betreffenden Nichtigkeitsverfahren (§ 148 ZPO) kommt nicht in Betracht.
69
Angesichts des Umstandes, dass ein Patent seinem Inhaber nur ein zeitlich begrenztes
Ausschließlichkeitsrecht gewährt, dessen Durchsetzung durch eine Aussetzung der
70
Verhandlung eines Verletzungsrechtsstreits – selbst dann, wenn bereits, wie hier, ein
nur gegen Sicherheitsleistung des am Patent Berechtigten vorläufig vollstreckbares
Urteil vorliegt – jedenfalls erheblich erschwert würde, kommt eine Aussetzung nur in
Betracht, wenn ein Widerruf oder eine Vernichtung des Klagepatents in dem gegen
dieses Recht anhängigen Verfahren nicht nur möglich, sondern überwiegend
wahrscheinlich ist (vgl. dazu außer BGH, GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug – auch
Senat, Mitt. 1997, 257 ff – Steinknacker – sowie GRUR 1979, 188 - Flachdachabläufe).
Dabei ist zwar, wie der Senat in seiner Entscheidung "Steinknacker" ausgeführt hat, bei
der Prüfung der Aussetzungsfrage im Berufungsverfahren dann ein weniger strenger
Maßstab anzulegen, wenn der Berechtigte bereits – wie hier – über einen
erstinstanzlichen Titel gegen seinen Prozessgegner verfügt, aus dem er – wenn auch
gegen Sicherheitsleistung – vorläufig vollstrecken kann; eine hinreichende
Erfolgsaussicht für den Angriff auf das Klageschutzrecht ist aber auch in derartigen
Fällen erforderlich. Vorliegend fehlt es jedoch an einer solchen. Denn dass die Berufung
gegen das die Nichtigkeit des Klagepatents verneinende Urteil des
Bundespatentgerichts vom 6. September 2005 (Anlage BB 3) Erfolg haben wird, ist nicht
hinreichend wahrscheinlich.
Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass das Bundespatentgericht den Vortrag der
Nichtigkeitsklägerinnen zur angeblichen offenkundigen Vorbenutzung von
Schaumstoffen der Firma R (Berufungsbegründung Anlage B 17, Seiten 4 – 9) zu
Unrecht als nicht schlüssig behandelt hat. Nur in rückschauender Betrachtung und in
Kenntnis der Lehre des Klagepatents kann der Inhalt der Druckschriften NK 4, NK 5a,
NK 7 und NK 9a bis 9d dahin gewertet werden, es würden die Merkmale 1.2, 1.3, 1.4.1 –
1.4.3 sowie 7.1, 7.2 und 7.4 gezeigt. Insoweit handelt es sich um Schlussfolgerungen
der Nichtigkeitsklägerinnen, die ihre Stütze auch nicht in den eidesstattlichen
Versicherungen des als Zeugen benannten Mitarbeiters der Firma Recticel, Juan Lobo
(Anlagen NK 5, NK 8) finden. Dabei kann dahinstehen, ob überhaupt Tatsachen, die
sich nicht aus den vorgenannten Unterlagen ergeben, in das Wissen dieses Zeugen
gestellt werden sollen. Selbst wenn ein entsprechendes Vorbringen der
Nichtigkeitsklägerinnen als schlüssige Darlegung eines Vorbenutzungstatbestandes
angesehen werden könnte, wäre das Erfordernis einer Beweisaufnahme im
Nichtigkeitsverfahren aus den bereits vom Landgericht unter Hinweis auf die in GRUR
1979, 636,637 veröffentlichte Entscheidung "Ventilanbohrvorrichtung" des Senats
zutreffend dargelegten Gründen kein Aussetzungsgrund. Denn wie die allein
zuständigen Nichtigkeitsgerichte eine etwaige Zeugenaussage würdigen werden, kann
der Senat nicht prognostizieren.
71
Entgegen der Ansicht der Nichtigkeitsklägerinnen kann auch kein Fehler des
Bundespatentgerichts bei der Beurteilung des Offenbarungsgehalts der US-PS
3.123.xxx (Anlage NK 6) in Bezug auf Anspruch 7 angenommen werden (vgl. Anlage
BB3, Seite 15 i.V.m. Seite 12). Diese Druckschrift offenbart, dass das Rohmaterial durch
eine Düse geführt wird, die die Kontur des Endproduktes aufweist und etwas über den
Schmelzpunkt des Kunststoffs erhitzt wird (Anlage NK 6, Spalte 1, Zeile 72 – Spalte 2,
Zeile 3). Hierbei erfolgt eine derartige Erwärmung des Materials, dass es auf die
Dimension der Düse schrumpft, und zwar ohne die Anwendung von Druck, sondern
allein durch die Applikation von Wärme (aaO. Spalte 2, Zeilen 4 – 7). Die in Spalte 3,
Zeilen 4 – 7 erwähnten Stege 35 sind keine Säume i.S. der Merkmale 7.4 und 7.5, denn
es gibt keinen Hinweis, dass mit Hilfe der Stege die gekrümmte Oberfläche der
stangenähnlichen Streifen 34 aufrechterhalten wird. Die entgegengesetzte Ansicht der
Nichtigkeitsklägerinnen beruht offensichtlich auf einer rückschauenden Interpretation
72
der US-PS 3.123.656 im Lichte der aus der Klagepatentschrift gewonnenen
Erkenntnisse.
Die gegen das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit angeführte ES 314xxx (Anlage NK 13
NK 13 a) geht, wie das Bundespatentgericht zutreffend dargelegt hat, nicht über die in
Spalte 1, Zeile 56 – Spalte 2, Zeile 2 der Klagepatentschrift beschriebene Lehre hinaus.
Der Senat sieht keinen Anlass, die vom Bundespatentgericht vorgenommene Wertung,
der Durchschnittsfachmann könne nicht erwarten, dass ein an einem kreisrunden,
flachen und dünnen Schaumstoffteil ausgebildeter Saum auch in der Lage sei, an einem
länglichen Streifen die gekrümmte Oberfläche aufrechtzuerhalten, durch eine eigene
abweichende zu ersetzen.
73
Fehler bei der Würdigung der EP 0 157 xxx (Anlage NK 3a, NK 3b) werden in der
Berufungsbegründung im Nichtigkeitsverfahren nicht aufgezeigt; solche sind auch nicht
ersichtlich. Die Entgegenhaltung betrifft die plastische Deformation von Materialien ohne
Rückstell – oder Erinnerungsvermögen, gibt also keinerlei Hinweise auf ein
Kaltverschweißen.
74
5.
75
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
76
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
77
Eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) kam nicht in Betracht, weil die
gesetzlichen Voraussetzungen dafür (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht gegeben sind: Die
vorliegende Rechtssache, die einen reinen Einzelfall betrifft, hat weder grundsätzliche
Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.
78
R1 Dr. R3 R2
79