Urteil des OLG Düsseldorf vom 13.03.2008

OLG Düsseldorf: squeeze out, börsenkurs, verkehrswert, abfindung, bekanntgabe, ertragswert, liquidationswert, entschädigung, holding, unternehmen

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-26 W 8/07 AktE
Datum:
13.03.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
26. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-26 W 8/07 AktE
Leitsätze:
Leitsatz:
Art. 14 GG, §§ 327 a Abs. 1 Satz 1, 327 b Abs. 1 Satz 1 AktG
1. Liegen Planungsrechnungen eines Unternehmens nicht vor, muss der
Sachverständige eine Zukunftsprognose treffen, indem er die in der
Vergangenheit erzielten Unternehmensergebnisse und erkennbaren
Entwicklungen der Zukunft berücksichtigt. Der satzungsmäßig
bestimmte Unternehmensgegenstand kann die Entscheidung über die
zukünftige Ausrichtung eines Unternehmens nur beeinflussen, soweit er
in die unternehmerische Planungsentscheidung der Geschäftsführung
einfließt, korrigieren kann er sie nicht.
2. Werden Aktien an der Wertpapierbörse nur im Freiverkehr gehandelt,
bedarf es besonderen Augenmerks darauf, ob dieser Börsenhandel so
liquide ist, dass die dabei erzielten Börsenpreise auch den Verkehrswert
wiederspiegeln.
Tenor:
Die sofortigen Beschwerden des Antragstellers zu 6) und des
gemeinsamen Vertreters der außenstehenden Aktionäre gegen den
Beschluss der 9. Kam-mer für Handelssachen des Landgerichts
Düsseldorf vom 3. August 2007 werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsteller zu 6)
vorab seine außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen; die übrigen
Kosten des Be-schwerdeverfahrens einschließlich der Vergütung und
Auslagen des gemein-samen Vertreters der außenstehenden Aktionäre
hat die Antragsgegnerin zu 2) zu tragen.
Der Geschäftswert wird für die Beschwerdeinstanz auf 200.000 €
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
A.
2
Die Antragsteller sind frühere (Minderheits-)Aktionäre der R.-W. K. AG, deren Aktien
durch Beschluss der Hauptversammlung vom 30. August 2002 auf die R. AG – die
seinerzeitige Hauptaktionärin – gegen Gewährung einer Barabfindung in Höhe von 175
€/Aktie übertragen worden sind (so gen. Squeeze-out).
3
Der Gegenstand des Unternehmens der R.-W. K. AG (im Folgenden RWK) war laut
Satzung: ".. die Leitung und Verwaltung von Unternehmen und
Unternehmensbeteiligungen, die insbesondere in der Gewinnung, Erzeugung, Be– und
Verarbeitung von Kalk-, Dolomit-, Zement- und ähnlichen Produkten sowie von
Baustoffen und Erzeugnissen der Industrie der Steine und Erden sowie mit der
Durchführung aller Geschäfte, Geschäftsführungstätigkeiten und Dienstleistungen tätig
sind, die mit den vorgenannten Geschäftsbereichen zusammenhängen."
4
Zum Bewertungsstichtag 30. August 2002 übte die RWK keine eigene operative
Geschäftstätigkeit mehr aus. Seit dem 1. Januar 1990 bestand zwischen der R. AG als
Obergesellschaft und der RWK als Organgesellschaft ein Beherrschungs- und
Gewinnabführungsvertrag. Im Jahre 1993 erfolgte die Ausgliederung des Kalkgeschäfts
auf die RWK K. AG, in deren Zusammenhang auch sämtliche aktiven
Arbeitsverhältnisse übertragen wurden, so dass die RWK keine Mitarbeiter mehr
beschäftigte. Mit Kaufvertrag vom 23. Juli 2001 veräußerte sie ihre Beteiligung an der Y.
Holding AG an die H. B.-I. Porenbeton Holding GmbH, D.; die Übertragung der Aktien
und die Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 550 Mio. DM (entspricht 281 Mio. €)
erfolgte nach Genehmigung der Kartellbehörden im Mai 2002. Auch ihre Anteile an der
B. Rohstoffbetriebe GmbH, M., veräußerte sie im Geschäftsjahr 2001. Das Vermögen
der Gesellschaft bestand danach im Wesentlichen noch aus land- und
forstwirtschaftlichen Grundstücken in W.-V., einer 50%igen Beteiligung an der M. GmbH
und aus Forderungen gegen verbundene Unternehmen in Höhe von 209 Mio. €.
Letztere resultierten im Wesentlichen aus dem Zahlungseingang des Kaufpreises für die
Y. Holding AG im Jahre 2002 nach Ausgleich der bisher ausgewiesenen
Verbindlichkeiten von 59 Mio. €. Ihr Grundkapital betrug 32.760.000 €, aufgeteilt in
1.260.000 auf den Inhaber lautende Stückaktien. Nachdem die Zulassung der
Gesellschaft zum Börsenhandel mit amtlicher Notierung mit Ablauf des 2. August 1996
widerrufen worden war, erfolgte eine Preisfeststellung nur noch im Freiverkehr der
Rheinisch-Westfälischen Börse zu Düsseldorf. Dort wurden im Jahre 2001 an 8 Tagen
245 Aktien und in den Monaten März und August des Jahres 2002 an 9 Tagen 29 Aktien
5
gehandelt.
Nachdem die R. AG - Hauptaktionärin der RWK mit 1.258.408 Stück Aktien (99,87 %) –
verlangt hatte, dass die nächste Hauptversammlung der Gesellschaft die Übertragung
der Aktien aller übrigen Aktionäre der Gesellschaft auf sie gegen Gewährung einer
angemessenen Abfindung beschließe, bestellte das Landgericht Düsseldorf mit
Beschluss vom 3. Juni 2002 die K. Deutsche Treuhand-Gesellschaft, B. und F., zum
sachverständigen Prüfer der Angemessenheit der Barabfindung. Diese ist in ihrem
Bericht vom 8. Juli 2002 zu dem Ergebnis gelangt, dass sich bei einem Liquidationswert
von 164,93 Mio. € zum 30. August 2002 ein Aktienwert von 130,90 € ergebe, so dass die
von der Hauptaktionärin freiwillig auf 175 € je Aktie festgelegte Barabfindung der
Minderheitsaktionäre angemessen sei. In der Hauptversammlung vom 30. August 2002
ist die Übertragung entsprechend dem Verlangen der Hauptaktionärin – der R. AG -
beschlossen worden.
6
Die Übertragung wurde am 11. November 2002 in das Handelsregister eingetragen und
am 3. Januar 2003 im Bundesanzeiger veröffentlicht. Nach der Eintragung des
Beschlusses wurde der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag aufgehoben.
7
Durch Verschmelzungsvertrag vom 15. Juli 2003, dem die Hauptversammlungen des
übertragenden und des übernehmenden Rechtsträgers zugestimmt haben, ist die RWK
mit der R. AG als übernehmendem Rechtsträger verschmolzen worden. Deren Firma ist
im Jahr 2005 in C. Deutschland AG geändert worden.
8
Die Antragsteller und der gemeinsame Vertreter der außenstehenden Aktionäre haben
die Barabfindung für unzureichend gehalten und die gerichtliche Festsetzung einer
angemessenen Abfindung beantragt. Ihre Kritik gegen den der Barabfindung zu Grunde
liegenden Übertragungsbericht der Hauptaktionärin sowie den Prüfbericht des
gerichtlich bestellten Übertragungsprüfers richtet sich u.a. darauf, dass bei der
Ermittlung des Unternehmenswerts davon ausgegangen worden sei, dass die
Antragsgegnerin zu 1) keine operative Tätigkeit mehr ausübe und der Börsenwert nicht
angesetzt worden sei. Darüberhinaus seien auch die Parameter der
Unternehmensbewertung unzutreffend.
9
Die Antragsgegnerin hat die beschlossene Barabfindung verteidigt. Der
Unternehmenswert sei zutreffend ermittelt worden, etwaige geringfügige Änderungen
der Wertansätze seien wegen der erheblichen Spanne zwischen dem
Unternehmenswert von 130,90 € je Aktie und der festgesetzten Barabfindung von 175 €
rechnerisch irrelevant. Der Börsenkurs sei wegen der Marktenge und mangels
tatsächlichen Handels mit der Aktie nicht zu berücksichtigen.
10
Mit Beschluss vom 13. Mai 2005 hat das Landgericht die
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft S. & H. AG mit der Erstellung eines
Sachverständigengutachtens beauftragt, durch das u.a. dem Einwand nachgegangen
werden sollte, ob sich bei überschlägiger Ermittlung des Ertragswerts der RWK zum
Stichtag 30. August 2002 ein höherer Unternehmenswert ergibt als auf Grund des
Liquidationswerts. In ihrem Gutachten vom 28. März 2006 hat der Wirtschaftsprüfer W.
einen Ertragswert der RWK einschließlich ihrer Beteiligungsgesellschaft M. GmbH von
132,005 Mio.€ und damit einen Wert von 104,77 € pro Aktie ermittelt. Durch den
angegriffenen Beschluss hat das Landgericht die Anträge auf Erhöhung der
Barabfindung zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die festgesetzte
11
Abfindung sei nach dem Ergebnis der eingeholten Gutachten nicht zu beanstanden. Da
die RWK kein operatives Geschäft mehr betreibe, seien die gerichtlichen und
außergerichtlichen Gutachten bei ihrer Bewertung zutreffend davon ausgegangen, dass
sie lediglich ihre vorhandenen Vermögenswerte halte und anlege. Zukünftige,
theoretisch mögliche unternehmerische Betätigungen der tatsächlich nicht mehr operativ
tätigen RWK könnten nicht in die Abfindungsbewertung einbezogen werden, weil eine
so durchgeführte Bewertung nach fiktiven künftigen Geschäftsmöglichkeiten rein
spekulativ wäre und eine nach objektiven Kriterien ermittelte Unternehmensbewertung
ausschlösse. Der Börsenwert könne nicht als Untergrenze für die Barabfindung
herangezogen werden, weil er den Verkehrswert der Aktien nicht widerspiegele. Die
Aktie sei in den Jahren 2001 und 2002 bis zum 30. August 2002 nur an insgesamt 17
Tagen gehandelt worden. Im Jahre 2002 habe über längere Zeiträume, nämlich von
Januar bis Februar 2002 und von April bis Juli 2002 überhaupt kein Handel
stattgefunden. Danach seien an drei Handelstagen im August insgesamt nur 14 Aktien
umgesetzt worden. An den übrigen Tagen seien nur Tax-Kurse notiert worden, die
dadurch zu Stande gekommen seien, dass ein Angebot von RWK-Aktien vorgelegen
habe, es aber mangels Nachfrage nicht zu einem entsprechenden Umsatz gekommen
sei.
Gegen den Beschluss richten sich die fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerden
des Antragstellers zu 6) und des gemeinsamen Vertreters der außenstehenden
Aktionäre.
12
Sie wiederholen und vertiefen ihre erstinstanzlichen Einwendungen zur fehlenden
Annahme eines operativen Geschäfts im Ertragswertverfahren und der Maßgeblichkeit
des Börsenkurses. Sie meinen, die von den Sachverständigen angenommene Inaktivität
stehe nicht im Einklang mit dem in der Satzung festgelegten Unternehmensgegenstand
der Antragsgegnerin zu 1). Unstreitig sei bei der Gesellschaft kein
Liquidationsbeschluss gefasst worden, so dass die Liquidation tatsächlich ohne
Hauptversammlungsbeschluss rechtswidrig betrieben werde. Daher sei der Vorstand
unverändert verpflichtet gewesen, das Unternehmen im Rahmen des satzungsgemäß
festgelegten Unternehmensgegenstands oder gegebenenfalls nach entsprechenden
Satzungsänderungen fortzuführen. Einen solchen rechtmäßig zu betreibenden
Unternehmensgegenstand hätten die Sachverständigen zu Grunde legen müssen, für
den immerhin ein ausreichender Finanzierungsbetrag von über 200 Mio. € ohne jegliche
Verbindlichkeiten vorhanden gewesen sei. Streitentscheidend sei daher die Frage, ob
eine nicht vom satzungsgemäßen Unternehmensgegenstand gedeckte Planung einer
interaktiven Tätigkeit des Unternehmens für alle Zukunft vom Vorstand einer Planung für
die Ertragsbewertung zu Grunde gelegt werden dürfe. Zu Unrecht habe das Landgericht
die Maßgeblichkeit des Börsenkurses als Untergrenze der Abfindung verneint. Im
Eigentum der außenstehenden Aktionäre hätten sich insgesamt 1.592 Stückaktien
befunden. Im Jahre 2001 habe ein Handel von 245 Stückaktien (15,4% des free-float) zu
Kursen zwischen 485 € und 510 € stattgefunden. Betrachte man den gesamten Zeitraum
vom 1. Januar 2001 bis 29. August 2002 (20 Monate), so seien in diesem 274 Stück
gehandelt worden, was einem durchschnittlichen Handelsvolumen pro Jahr von 164
Stück (= 10,3% des free-float) entspreche. In dem vom Bundesgerichtshof angesetzten
Referenzzeitraum von drei Monaten unmittelbar vor der Hauptversammlung - hier im
Zeitraum vom 30. Mai 2002 bis 29. August 2002 - hätten Umsätze von 14 Stück zu
Kursen von 270 € bzw. 300 € stattgefunden. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts
Stuttgart in seinem Vorlagebeschluss vom 16. Februar 2007 sei hingegen auf einen
nach Umsätzen gewichteten durchschnittlichen Börsenkurs in einem Referenzzeitraum
13
von drei Monaten vor Bekanntgabe der Strukturmaßnahme und nicht auf den
Durchschnittskurs in den letzten drei Monaten vor dem Hauptversammlungsbeschluss
abzustellen. Dann käme es darauf an, wann die Durchführung des Squeeze-out
öffentlich bekannt gemacht worden sei. Aus dem Übertragungsbericht der
Hauptaktionärin ergebe sich, dass der Ausschluss der Minderheitsaktionäre für den Fall
des Inkrafttretens der entsprechenden gesetzlichen Regelungen bereits in der
Hauptversammlung vom 21. September 2001 angekündigt worden sei und die
Antragsgegnerin zu 2) sodann mit Schreiben vom 30. April 2002 von dem Vorstand der
Antragsgegnerin zu 1) das Ergreifen der entsprechend notwendigen Maßnahmen
verlangt habe. Von Mitte 2001 bis zum 26. März 2002 seien die Kurse von 500 € bis zu
620 € angestiegen, der durchschnittliche Börsenkurs habe sich auf etwa 600 € belaufen.
Danach sei der Umsatz dann rapide abgefallen auf durchschnittlich 289,28 €. Der
Antragsteller zu 6) wendet ergänzend ein, das Landgericht habe bei der Beurteilung der
Marktenge unzutreffender Weise nur auf Umsatzkurse abgestellt und die Taxkurse
unberücksichtigt gelassen. Taxkurse bildeten eine Situation ab an, in der weder
Angebot noch Nachfrage bestehe und deswegen vom Makler ein Preis der Aktie
geschätzt werde. In der Zeit vom 1. August bis zum 21. August 2002 sei die Aktie an fünf
Börsentagen gehandelt worden, wobei der Kurs von 550 € auf 270 €
zusammengebrochen sei, nachdem die Abfindung von 175 € angeboten worden sei. Da
der Großaktionär den Kurs durch das unzureichende Abfindungsangebot de facto nach
unten manipuliert habe, müsse auf einen anderen Referenzzeitraum zurückgegriffen
werden. Im März 2002 seien an sechs Tagen RWK-Aktien umgesetzt worden, sieben
Taxkurse ohne Zusatz und ein reiner Geldkurs seien gestellt worden, 12 Tax-
Geldkursen hätten 19 Briefkurse gegenübergestanden. Auch die Kostenentscheidung
sei fehlerhaft, denn es sei schon fehlerhaft zu behaupten, dass es "nicht zu erwarten"
gewesen sei, selbst bei Erfolg einzelner Rügen eine Erhöhung der Barabfindung zu
erreichen.
Sie beantragen,
14
die Barabfindung unter Aufhebung des Beschlusses der 9. Kammer für
Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf vom 3. August 2007 höher
festzusetzen.
15
Die Antragsgegnerin bittet, die sofortigen Beschwerden als unbegründet
zurückzuweisen. Sie verteidigt die Entscheidung des Landgerichts und damit die
festgesetzte Barabfindung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen
Vorbringens.
16
B.
17
I.
18
Die sofortigen Beschwerden des Antragstellers zu 6) und des gemeinsamen Vertreters
der außenstehenden Aktionäre sind gemäß §§ 17 Abs. 2 Satz 2, 12 Abs. 1 SpruchG, §
22 FGG zulässig, denn sie sind form- und fristgerecht. Da sie nach dem 1. September
2003 eingelegt worden sind, sind die Vorschriften des Spruchverfahrensgesetzes gem.
§ 17 Abs. 2 Satz 2 SpruchG – lediglich - auf das Beschwerdeverfahren anzuwenden.
19
II.
20
In der Sache haben die sofortigen Beschwerden keinen Erfolg. Zu Recht hat das
Landgericht die Anträge auf Festsetzung einer erhöhten Barabfindung zurückgewiesen.
Die durch Beschluss der Hauptversammlung der RWK vom 30. August 2002 auf 175
€/Aktie festgesetzte Barabfindung für die Übertragung der Aktien der
Minderheitsaktionäre auf die Hauptaktionärin – die R. AG – ist angemessen i.S.d. § 327
a Abs. 1 Satz 1 AktG.
21
1. Gemäß § 327 a Abs. 1 AktG kann die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft
oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien auf Verlangen eines Aktionärs, dem Aktien
der Gesellschaft in Höhe von 95 % des Grundkapitals gehören, die Übertragung der
Aktien der übrigen Aktionäre auf diesen gegen Gewährung einer angemessenen
Barabfindung beschließen. Dabei unterliegt die Angemessenheit der vom Hauptaktionär
festzulegenden Barabfindung vorab der Prüfung durch einen sachverständigen Prüfer,
der vom Gericht ausgewählt und bestellt wird (§ 327 c Abs. 2 Satz 2 AktG). Die
Angemessenheit der beschlossenen Barabfindung können die ausgeschiedenen
Minderheitsaktionäre im Spruchverfahren überprüfen lassen (§ 327 f. Abs. 1 Satz 2
AktG).
22
1.1. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 30. Mai 2007 die ganz
herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur bestätigt, dass die gesetzlichen
Regelungen der §§ 327 a ff. AktG den Anforderungen entsprechen, welche
verfassungsrechtlich an den Ausschluss von Minderheitsaktionären zu stellen sind, und
sie als Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums i.S.d. Artikel 14 Abs. 1
Satz 2 GG damit verfassungskonform sind (BVerfG ZIP 2007, 1261 = BB 2007, 1515 =
NZG 2007, 587; BGH BB 2005, 2651; OLG Düsseldorf AG 2005, 293 = NZG 2005, 347
= WM 2005, 650; AG 2004, 207 = DB 2004, 590 = WM 2004, 728; OLG Oldenburg ZIP
2003, 1351; OLG Köln BB 2003, 2307; OLG Hamburg AG 2003, 696; ZIP 2003, 1344 =
NZG 2003, 539 = AG 2003, 441; OLG Stuttgart ZIP 2003, 2363 = AG 2004, 105 = OLGR
2004, 139 = NZG 2004, 146; Steinmeyer/Häger, WpÜG, Rdnr. 8 ff. zu § 327 a; Hüffer,
AktG, 7. Aufl., Rdnr. 4 zu § 327 a; Grzimek in: Geibel/Süssmann, WpÜG, Rdnr. 26 ff. zu
§ 327 a; Kölner Kommentar/Hasselbach WpÜG, Rdnr. 11 zu § 327 a; Grunewald in:
MünchKommAktG, 2. Aufl., Rdnr. 6 zu § 327 a; Emmerich/Habersack, Aktien- und
GmbH-Konzernrecht, 4. Aufl., Rdnr. 7 zu § 327 a; Sieger/Hasselbach, ZGR 2002, 121,
127; Fleischer ZGR 2002, 757, 763 f.; Wirth/Arnold AG 2002, 503 ff.; Krieger BB 2002,
53, 54; Gesmann-Nuissl WM 2002, 1205; Sellmann WM 2003, 1545 ff.; a.A. Hans
Hanau NZG 2002, 1040).
23
Danach schließt Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG es nicht grundsätzlich aus, eine
Aktionärsminderheit auch gegen ihren Willen aus einer Aktiengesellschaft zu drängen,
(BVerfG a.a.O.; DStR 2003, 990; AG 2001, 42 "Moto Meter"; E 100, 289 (301 f.)
"DAT/Altana"). Der Gesetzgeber verfolgt mit den Regelungen der §§ 327 a ff. AktG
einen legitimen Zweck und gewährleistet den Schutz der Minderheitsaktionäre, indem
sie für den Verlust der Aktie voll entschädigt werden und die Möglichkeit haben,
insbesondere die Richtigkeit der Wertbemessung in einem gerichtlichen Verfahren
überprüfen zu lassen (BVerfG a.a.O.). Da die verfassungsrechtliche
Rechtfertigungsbedürftigkeit eine volle wirtschaftliche Entschädigung voraussetzt, muss
die Abfindung der ausscheidenden Aktionäre zum "wirklichen" oder "wahren" Wert ihrer
Beteiligung an dem Unternehmen erfolgen.
24
1.2. Die von der Hauptversammlung festgesetzte Entschädigung in Höhe von 175 €/
Aktie ist angemessen, denn sie liegt sogar über dem sachverständig festgestellten
25
wirklichen Wert ihrer Beteiligung.
Ob die Barabfindung angemessen ist und die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt
der Beschlussfassung berücksichtigt (§ 327 a Abs. 1 Satz 1, 327 b Abs. 1 Satz 1 2.
Halbs. AktG), unterliegt vollumfänglich gerichtlicher Überprüfung. Zur Ermittlung der
vollen Entschädigung ist grundsätzlich eine Unternehmensbewertung nach anerkannten
betriebswirtschaftlichen Methoden durchzuführen, wobei gesetzlich eine
Bewertungsmethode nicht vorgeschrieben ist. Grundlage der Wertermittlung ist
regelmäßig die Prognose der zukünftigen Entwicklung des Unternehmens mit den zu
erwartenden Erträgen. Für die Ermittlung der künftigen Überschüsse gibt es mehrere
Bewertungsverfahren. Durchgesetzt hat sich die im IDW Standard S1 niedergelegte
Ertragswertmethode, durch die der nachhaltige Zukunftsertrag eines Unternehmens
ermittelt wird, der dann auf den Bewertungsstichtag abzuzinsen ist. Sie geht von der
Prämisse aus, dass "der Wert eines Unternehmens unter der Voraussetzung
ausschließlich finanzieller Ziele grundsätzlich durch seine Eigenschaft abgeleitet wird,
finanzielle Überschüsse für die Unternehmenseigner zu erwirtschaften" (IDW S1, WPg
2000, 825 ff. Tz. 4). Sie macht eine Prognose der zu erwartenden Überschüsse des
Unternehmens auf der Grundlage der Unternehmensplanung und eine Abschätzung
eines nachhaltigen Ergebnisses erforderlich, das für den Zeitraum jenseits der
Planjahre als dauerhaft erzielbar angesehen werden kann. Nicht der Ertragswert,
sondern der Liquidationswert ist jedenfalls dann als Wertuntergrenze anzusetzen, wenn
– wie hier - der Barwert finanziellen Überschüsse, die sich bei einer Liquidation des
gesamten Unternehmens ergeben, den Ertragswert bei Annahme der Fortführung des
Unternehmens übersteigt (Simon/Leverkus, Spruchverfahrensgesetz, 2007, Rn 169 zu
Anh. § 11). Von daher bedarf es keiner Entscheidung, ob der Liquidationswert bei der
Unternehmensbewertung stets (BayObLG BB 1995, 1759, 1760; Hachenburg/Ulmer,
GmbHG, 8. Aufl., Rn. 73 zu § 34; Baumbach/Hopt, HGB, 32. Aufl., Rn. 36 f. vor § 1; H. P.
Westermann in Erman, BGB, 11. Aufl., Rn. 5 zu § 738; einschränkend derselbe in:
Scholz, GmbHG, 9. Aufl., Rn. 22 zu § 34) oder nur unter bestimmten Voraussetzungen
(OLG Düsseldorf NZG 2004, 324, 327; Großfeld, Unternehmensbewertung im
Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. S. 203 ff.; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der
Rechtsprechung, 3. Aufl. S. 189 ff.; Koppensteiner in Kölner Komm.z.AktG, 2. Aufl., Rn.
44 zu § 305; Hirte/Hasselbach in: Großkomm.z.AktG, 4. Aufl., Rn. 148 ff zu § 305.; IDW
S 1, WPg 2000, 825 ff. Tz. 141; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl., Rn. 50 zu § 34;
Bilda in: MünchKommAktG, 2. Aufl., Rn. 85 zu § 305) die Untergrenze für den der
Abfindung zugrunde zu legenden Unternehmenswert bildet.
26
Die gerichtlich bestellte Vertragsprüferin – die K. Deutsche Treuhand-Gesellschaft, B.
und F. – ist davon ausgegangen, dass der Ertragswert der nicht mehr operativ tätigen
Antragsgegnerin zu 1) sich nahezu ausschließlich anhand der zu erwirtschaftenden
Zinserträge ermitteln würde und damit unter dem Liquidationswert liege. Sie hat es
daher für sachgerecht gehalten, den Unternehmenswert der Antragsgegnerin zu 1) als
Liquidationswert zu ermitteln, wobei sie allerdings die 50 %ige Beteiligung an der M.
GmbH nach dem Ertragswertverfahren bei unterstellter unbegrenzter Lebensdauer des
Unternehmens bewertet hat. In ihrem Bericht vom 8. Juli 2002 ist sie auf dieser
Grundlage zu dem Ergebnis gelangt, dass sich bei einem Liquidationswert von 164,93
Mio. € zum 30. August 2002 ein Aktienwert von 130,90 € ergibt.
27
Das Landgericht hat auf die Einwände der Antragsteller den Wirtschaftsprüfer W. mit der
Erstellung eines Gutachtens u.a. dazu beauftragt, ob sich bei überschlägiger
Berechnung des Ertragswerts der Antragsgegnerin zu 1) ein für die Aktionäre erhöhter
28
Unternehmenswert ergebe. In seinem Gutachten vom 28. März 2006 hat er einen
Ertragswert der RWK einschließlich ihrer Beteiligungsgesellschaft M. GmbH von nur
132,005 Mio.€ und damit einen Wert von lediglich 104,77 € pro Aktie ermittelt und damit
die Annahme der Vertragsprüfer bestätigt, dass der Ertragswert unter dem
Liquidationswert liege.
Hiergegen wenden sich der Antragsteller zu 6) und der gemeinsame Vertreter der
außenstehenden Aktionäre ohne Erfolg. Die gerichtlichen Sachverständigen haben den
Ertragswert der Antragsgegnerin zu 1) ermittelt, indem sie zunächst eine
Vergangenheitsanalyse vorgenommen und aufbauend auf dieser die künftigen
finanziellen Überschüsse prognostiziert haben. Dabei haben sie für die
Beteiligungsgesellschaft M. GmbH die vorliegenden Planzahlen der Gesellschaft
überarbeitet und angepasst. Für die Antragsgegnerin zu 1) mussten sie hingegen eine
vollständig neue eigene Planung vornehmen, weil für diese Planzahlen nicht vorlagen.
Dabei sind sie im wesentlichen davon ausgegangen, dass die Gesellschaft Erträge nur
aus der Anlage der ihr aus der Veräußerung der Y. Holding AG zur Verfügung
stehenden liquiden Mitteln erzielen werde und haben von daher die liquiden Mittel nicht
als so genanntes nicht betriebsnotwendiges Vermögen qualifiziert.
29
Diese Vorgehensweise ist nicht zu beanstanden, insbesondere waren die gerichtlich
bestellten Sachverständigen vor dem Hintergrund des in der Satzung festgelegten
Unternehmensgegenstands nicht verpflichtet, hypothetisch eine Planung für eine
operativ tätige Antragsgegnerin zu 1) zu entwickeln.
30
Liegen Planungsrechnungen eines Unternehmens gar nicht oder nicht im erforderlichen
Ausmaß vor oder erweisen sie sich als nicht plausibel, so sind durch den
Sachverständigen sachgerechte Prognosen zu treffen oder Anpassungen vorzunehmen
(Simon/Leverkus, Rn. 81 zu Anh. § 11). Die zwangsläufig mit einer Zukunftsprognose
verbundenen Unsicherheiten muss der Sachverständige möglichst gering halten, indem
er die in der Vergangenheit erzielten Unternehmensergebnisse, aber auch erkennbare
Entwicklungen der Zukunft berücksichtigt und auswertet (Bilda in: MünchKommAktG, 2.
A., Rn. 70 zu § 305). Hier konnten die Sachverständigen ihre Zukunftsprognose nur auf
die Ergebnisse der Vergangenheit stützen, weil jegliche Anhaltspunkte für eine
Wiederaufnahme des - eingestellten - operativen Geschäfts fehlten. Schon in der
außerordentlichen Hauptversammlung der RWK vom 21. September 2001 hatte der
Vorstandsvorsitzende erklärt, nach der beabsichtigten Übertragung der Aktien der
Minderheitsaktionäre sei die Verschmelzung der RWK auf die R. die sinnvollste
Abwicklungsmaßnahme. In ihrem Übertragungsbericht hatte die seinerzeitige
Hauptaktionärin dementsprechend ausführen lassen, dass es nicht beabsichtigt sei, die
RWK mit neuen Aktivitäten zu versehen. Von daher war die Annahme, die Gesellschaft
könne Erträge nur aus der Anlage der ihr aus der Veräußerung der Y. Holding AG zur
Verfügung stehenden liquiden Mittel erzielen, durchaus sachgerecht. Anderes können
auch die Beschwerdeführer nicht darlegen, insbesondere können sie keinerlei
Tatsachen dafür aufzeigen, dass die Unternehmensleitung entgegen den vorstehend
angeführten Erklärungen die liquiden Mittel für eine unternehmerische Tätigkeit
einsetzen wollte. Von daher geht auch der Verweis auf den satzungsmäßig bestimmten
Unternehmensgegenstand fehl. Dieser kann die Entscheidung über die zukünftige
Ausrichtung eines Unternehmens schon grundsätzlich nicht beeinflussen. Planungen
und Prognosen sind in erster Linie ein Ergebnis der jeweiligen unternehmerischen
Entscheidung der für die Geschäftsführung verantwortlichen Personen. Diese
Entscheidungen müssen auf zutreffenden Informationen und daran orientierten,
31
realistischen und widerspruchsfreien Annahmen aufbauen (OLG Stuttgart, Beschluss
vom 14. Februar 2008, 20 W 10/06; AG 2007, 596, 597; 705, 706; NZG 2007, 112, 114;
AG 2006, 420, 425). Nichts anderes gilt für die sachgerechte Prognose eines
Sachverständigen, der eine fehlende Planung ersetzen muss.
Damit war kein Raum für die vom gemeinsamen Vertreter der außenstehenden
Aktionäre angeregte Anhörung des gerichtlich bestellten Sachverständigen zu der
Frage, welche Ertragsbewertung sich ergeben hätte, wenn das Unternehmen im
Rahmen seines satzungsgemäßen Unternehmensgegenstands mit einem
Aktivvermögen von 209 Mio. € operativ tätig geworden wäre.
32
2. Mit der weit über dem Liquidations-, aber auch über dem ermittelten Ertragswert
liegenden Barabfindung i.H.v. 175 €/Aktie sind die ausgeschiedenen
Minderheitsaktionäre für den Verlust ihrer Beteiligung an der RWK in jeder Hinsicht
angemessen abgefunden worden. Zu Recht hat das Landgericht es abgelehnt, bei der
Ermittlung der Barabfindung den durchschnittlichen Börsenkurs der letzten drei Monate
vor dem Tag der Hauptversammlung oder vor der Veröffentlichung der Einladung zu
dieser als die für die Entschädigung nach § 327 a AktG maßgebliche Untergrenze
anzusehen.
33
2.1. Allerdings muss die Abfindung im Rahmen der §§ 305, 320 b AktG bei
börsennotierten Gesellschaften nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts in der Regel mindestens dem Börsenkurs der Aktien der
beherrschten bzw. eingegliederten Gesellschaft zum Stichtag entsprechen (BVerfGE
100, 289 ff. "DAT/Altana").
34
Zur Begründung hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass die
Verkehrsfähigkeit als Eigenschaft des Aktieneigentums bei der Wertbestimmung des
Eigentumsobjekts grundsätzlich nicht außer Betracht bleiben dürfe. Der
Vermögensverlust, den der Minderheitsaktionär durch die Strukturmaßnahme erleide,
stelle sich für ihn als Verlust des Verkehrswerts der Aktie dar, der die Untergrenze der
"wirtschaftlich vollen Entschädigung" bilde. Der Verkehrswert der Aktie sei mit dem
Börsenkurs regelmäßig identisch. Von daher müsse die Abfindung so bemessen sein,
dass die Minderheitsaktionäre jedenfalls nicht weniger erhalten, als sie bei einer freien
Deinvestitionsentscheidung zum Zeitpunkt des Unternehmensvertrages oder der
Eingliederung erhalten hätten.
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Diese für das Unternehmensvertragsrecht entwickelten Grundsätze sind ohne weiteres
auf die Bewertung der Angemessenheit der Barabfindung nach § 327 a AktG zu
übertragen (BVerfG a.a.O., s. dazu auch Senatsbeschluss vom 4.10.2006, I-26 W 7/06
(AktE), DB 2006, 2391). Wie bei der Eingliederung sind auch hier die
Minderheitsaktionäre in ihrem Anteilseigentum betroffen, indem sie ihre bisherige
Mitgliedschaft verlieren. Diesen Rechtsverlust kann der Hauptaktionär – mittelbar durch
seine Stimmabgabe in der Hauptversammlung - bewirken, so dass seine Rechtsmacht
derjenigen eines herrschenden Unternehmens oder einer Hauptgesellschaft entspricht
und die anderen Anteilseigner ihm gegenüber angemessen zu schützen sind.
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2.2. Ob die von den Beschwerdeführern herangezogenen Börsenkurse schon deshalb
keine Berücksichtigung finden können, weil die Preisfindung nicht wie bei der amtlichen
Notierung an einer Börse auf einem staatlich überwachten Handelsplatz zustande
gekommen ist, bedarf hier letztlich keiner Entscheidung (s. zu der Frage auch Bungert
37
BB 2001, 1163, 1166). Gegen diese Auffassung der Antragsgegnerin spricht allerdings,
dass auch Kurse oder andere Werte aus außerbörslichem Handel grundsätzlich ein bei
der Wertfindung zu berücksichtigendes Wertgeschehen darstellen können, aus dem
sich ein Verkehrswert ableiten lässt.
Indessen gilt das Gebot, den Börsenkurs bei der Festsetzung der angemessenen
Entschädigung zu berücksichtigen, nicht uneingeschränkt. Da Artikel 14 Absatz 1 GG
keine Entschädigung zum Börsenkurs, sondern zum "wahren" Wert, mindestens aber
zum Verkehrswert verlangt, kommt eine Unterschreitung in Betracht, wenn der
Börsenkurs ausnahmsweise nicht den Verkehrswert der Aktien widerspiegelt. Dies ist
insbesondere dann der Fall, wenn über einen längeren Zeitraum mit Aktien der
Gesellschaft praktisch kein Handel stattgefunden hat, auf Grund einer Marktenge der
einzelne außenstehende Aktionäre nicht in der Lage ist, seine Aktien zum Börsenpreis
zu veräußern oder der Börsenpreis manipuliert worden ist (BGHZ 147, 108
"DAT/Altana"; OLG Düsseldorf AG 2000, 421, 422; 2003, 329; OLG Hamburg AG 2003,
583; OLG Karlsruhe AG 2005, 45). Gerade bei Aktien, die an der Wertpapierbörse
lediglich im Freiverkehr gehandelt werden, bedarf es des besonderen Augenmerks
darauf, ob bei ihnen gleichwohl ein so liquider Börsenhandel stattfindet, dass die dabei
erzielten Börsenpreise auch den Verkehrswert widerspiegeln. Auch nach einem so
genannten Delisting, dem Rückzug der Gesellschaft aus dem Amtlichen Handel und
dem geregelten Markt an allen Börsen, bleibt die Verkehrsfähigkeit der Aktie zwar
grundsätzlich bestehen, denn die freie Handelbarkeit wird nicht aufgehoben. Mit ihm
geht aber in der Regel eine erhebliche Beeinträchtigung der Verkehrsfähigkeit der Aktie
einher, weil dem Aktionär mit dem Rückzug der Gesellschaft aus dem amtlichen Handel
oder vom geregelten Markt der Markt genommen wird, der ihn in die Lage versetzt, den
Wert seiner Aktien jederzeit durch Veräußerung zu realisieren. Gerade für Minderheits-
und Kleinaktionäre, deren Engagement bei der Aktiengesellschaft allein in der
Wahrnehmung von Anlageinteressen besteht, bringt der Wegfall des Marktes daher
wirtschaftlich gravierende Nachteile mit sich, die durch die Einbeziehung der Aktien in
einen Freihandel nicht ausgeglichen werden können. Handelt es sich um ein Delisting
auf Antrag des Emittenten, bedarf dieses nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs daher eines Beschlusses der Hauptversammlung und eines im
Spruchverfahren zu überprüfenden Abfindungsangebots (BGHZ 153, 57 ff. "Macrotron").
38
Auch hier spiegelt der von den Beschwerdeführern herangezogene Börsenkurs nicht
den Verkehrswert der Aktie wider, weil dieser sich ganz offensichtlich als Folge des
Delistings im Jahre 1996 nicht jederzeit realisieren ließ. Dabei kommt es nicht
entscheidend auf die derzeit in der Rechtsprechung streitige Frage an, ob der
maßgebliche Referenzzeitraum von drei Monaten erst mit der Durchführung der
Hauptversammlung oder schon mit der Bekanntgabe der Strukturmaßnahme endet.
39
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 147, 108, 118 "DAT/Altana",
156, 57), der sich ein Teil der Oberlandesgerichte (OLG Hamburg NZG 2002, 189; 2003,
89; OLG Düsseldorf NZG 2003, 588) angeschlossen hat, ist für die Ermittlung des als
Untergrenze maßgeblichen Börsenkurses auf einen dreimonatigen Referenzzeitraum
vor dem Tag der Hauptversammlung abzustellen. Mit diesem Endpunkt der
Referenzperiode hat sich der Bundesgerichtshof von der Anregung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 100, 289, 309 f. "DAT/Altana") gelöst, auf einen
Durchschnittskurs im Vorfeld der Bekanntgabe der Strukturmaßnahme abzustellen und
damit hingenommen, dass dieser durch die Bekanntgabe etwa in einer Ad-hoc-
Mitteilung oder der Einladung zur Hauptversammlung beeinflusst werden kann. Nach
40
der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29. November 2006 ist dies
verfassungsrechtlich unbedenklich (NZG 2007, 629).
Die hiergegen in der Literatur geäußerte Kritik ist von einigen der mit Spruchverfahren
befassten Oberlandesgerichten aufgegriffen worden (OLG Stuttgart Beschlüsse vom
14.02.2008, 20 W 9/08 und 20 W 10/08; NZG 2007, 302, 303 ff.; AG 2007, 705, 710; KG
NZG 2007, 71). Mit Beschluss vom 16. Februar 2007 hat das Oberlandesgericht
Stuttgart die Auffassung vertreten, dass auf den nach Umsätzen gewichteten
durchschnittlichen Börsenkurs in einem Referenzzeitraum von drei Monaten vor der
Bekanntgabe der Maßnahme und nicht auf den Durchschnittskurs in den letzten drei
Monaten vor dem Hauptversammlungsbeschluss abzustellen sei und hat die Frage dem
Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt (NZG 2007, 302). Dieser hatte allerdings
über die Frage nicht zu entscheiden, weil die Beschwerdeführer ihre Beschwerden
zurückgenommen haben.
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Für eine Vorverlagerung der Referenzperiode sprechen gewichtige Gründe, so hat auch
das Bundesverfassungsgericht in der bereits oben zitierten Entscheidung vom 29.
November 2006 darauf hingewiesen, dass es mit Blick auf den intendierten Schutz der
Minderheitsaktionäre besser sein könne, auf eine Referenzperiode im Vorfeld der
Bekanntgabe abzustellen (NZG 2007, 629).
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In keinem dieser Zeiträume lag indessen ein aussagekräftiger Handel der Aktie im
Freiverkehr vor, so dass das Landgericht zu Recht auch aus ihm einen Verkehrswert der
Beteiligung zum Stichtag nicht abgeleitet hat. Im Jahr 2002 fand ausweislich der von der
Antragsgegnerin vorgelegten Jahresübersicht im Freiverkehr der Börse Düsseldorf ein
Handel mit den Aktien der RWK überhaupt nur in den Monaten März – an sechs Tagen
mit 15 Stück – und August – an drei Tagen mit 14 Stück – statt. Stellt man mit dem
Bundesgerichtshof auf den Zeitraum der drei Monate vor der Hauptversammlung ab, so
sind in diesem - vom 30. Mai bis zum 29. August 2002 – folglich nur 14 Stückaktien an
drei Tagen gehandelt worden, das entspricht 0,88 % der 1.592 Aktien der
Minderheitsaktionäre. Da die Aktien der RWK nur im Freiverkehr gehandelt wurden und
die Mehrheitsaktionärin nicht börsennotiert war, bedurfte es keiner ad-hoc Mitteilung
nach § 15 WpHG. Knüpft man den dreimonatigen Referenzzeitraum von daher an die
Einladung zur Hauptversammlung mit der Bekanntgabe der Abfindungskonditionen an,
die am 18. Juli 2002 veröffentlicht worden ist, so lässt sich für diesen – vom 18. April bis
zum 17. Juli 2002 - kein Handel mit Aktien der RWK feststellen. Entgegen der
Auffassung der Beschwerdeführer ist für die Berücksichtigung der notierten Briefkurse
kein Raum, denn zu diesen Kursen lag lediglich ein Angebot der verkaufswilligen
Aktionäre vor, dem indessen gerade keine Nachfrage gegenüberstand. Da es nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf die Deinvestitionsmöglichkeit
ankommt, muss entscheidend sein, ob auch eine entsprechende Nachfrage bestand.
Eine solche fehlte auch bei den Taxkursen, die mangels Kauf- oder Verkaufsauftrag
lediglich geschätzt werden. Ein Geldkurs, der eine Nachfrage belegen würde, ist in
diesem Zeitraum lediglich an einem Tag, dem 14. Mai 2002, notiert worden, so dass
sich für den ansonsten handelsfreien Zeitraum noch nicht einmal eine anhaltende
Nachfrage feststellen lässt.
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Eine weitere Vorverlegung des Referenzzeitraums kam nicht in Betracht, da es dabei
nur darauf ankommen kann, Beeinflussungen durch die konkrete Bekanntgabe der
Strukturmaßnahme und des damit zu unterbreitenden Abfindungsangebots
auszuschließen und eine hinreichende Nähe zum Bewertungsstichtag gegeben sein
44
muss. Der beabsichtigte Squeeze-out ist erst durch die Veröffentlichung der Einladung
zur Hauptversammlung am 18. Juli 2002 bekannt geworden. Damit kommt es nicht
weiter darauf an, dass davor Geldkurse ohnehin zuletzt im Monat März notiert worden
sind und sie lediglich an sechs Tagen zu der Veräußerung von 15 Stückaktien führten.
Von daher ist die Frage, ob mit dem Oberlandesgericht Stuttgart und dem
Kammergericht für den dreimonatigen Referenzzeitraum an die Bekanntgabe der
Strukturmaßnahme anzuknüpfen ist, hier nicht von Relevanz. Für eine Vorlage des
Verfahrens an den Bundesgerichtshof nach § 12 Abs. 2 SpruchG, § 28 Abs. 2 FGG
besteht kein Anlass, denn der Senat weicht weder von einer auf eine weitere
Beschwerde ergangenen Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts noch von
der Entscheidung des Bundesgerichtshofs über eine Rechtsfrage ab.
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3. Von einer mündlichen Verhandlung konnte im Streitfall auch unter Berücksichtigung
von Art. 6 Abs. 1 EMRK abgesehen werden, da eine solche in erster Instanz
stattgefunden hat (Simon/Leverkus, Rn. 25 zu § 12; Wilske in: Kölner Kommentar zum
SpruchG, Rn. 34 zu § 12).
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4. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens hat gem. § 15 Abs. 2 Satz 1 SpruchG
die Antragsgegnerin zu tragen. Billigkeitsgründe, die es rechtfertigen, die Kosten einem
anderen Beteiligten aufzuerlegen, liegen nicht vor. Der gemeinsame Vertreter der
außenstehenden Aktionäre kann gem. § 6 Abs. 2 SpruchG von der Antragsgegnerin in
entsprechender Anwendung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes den Ersatz seiner
Auslagen und eine Vergütung für seine Tätigkeit verlangen. Hinsichtlich der
außergerichtlichen Kosten des beschwerdeführenden Antragstellers zu 6) hält der Senat
die Anordnung einer Kostenerstattung nicht für veranlasst (§ 15 Abs. 4 SpruchG), da
auch das Beschwerdeverfahren nicht zu der begehrten Erhöhung der Barabfindung
geführt hat.
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Eine Änderung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung war dementsprechend nicht
veranlasst.
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Den Geschäftswert für die Beschwerdeinstanz setzt der Senat gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2
SpruchG auf den Mindestwert von 200.000 € fest. Als Geschäftswert ist grundsätzlich
der Betrag anzunehmen, der von allen Antragsberechtigten auf Grund der Entscheidung
des Gerichts zusätzlich zu dem ursprünglich angebotenen Betrag insgesamt gefordert
werden kann (vgl. nur: Emmerich/Habersack, Rn. 7 zu § 15 SpruchG m.w.N.). Kommt es
nicht zu einer gerichtlichen Entscheidung oder werden die Anträge als unzulässig oder
unbegründet zurückgewiesen, ist daher der Mindestgeschäftswert von 200.000 €
maßgeblich (Krieger in: Lutter/Winter, UmwG, 3. A., 2004, Rn. 4 zu § 15 SpruchG;
Rosskopf in: Kölner Kommentar zum SpruchG, Rn. 16 zu § 15).
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Der Geschäftswert gilt nach § 6 Abs. 2 Satz 3 SpruchG auch für die Bemessung der
Vergütung des Vertreters der außenstehenden Aktionäre.
50
L. R. W.
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