Urteil des OLG Düsseldorf vom 27.09.2006

OLG Düsseldorf: integration, treu und glauben, ausschluss, abstimmung, irrtum, neubewertung, fahrplan, unternehmen, ausschreibung, zuschlagserteilung

Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 36/06
Datum:
27.09.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vergabesenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VII-Verg 36/06
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der
Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln vom 01. August 2006,
VK VOL 17/2006, aufgehoben.
Die Antragsgegner werden verpflichtet, die Angebote der Antragstellerin
und der Beigeladenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Senats erneut zu werten.
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer werden der
Antragstellerin zu 50% sowie den Antragsgegnern und der
Beigeladenen zu 50% auferlegt.
Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen
tragen die Verfahrensbeteiligten selbst.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens – einschließlich des Verfahrens
über den Antrag nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB – werden zu 50% der
Antragstellerin sowie zu 50% den Antragsgegnern und der
Beigeladenen auferlegt.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Streitwert: bis zu 4.100.000 €
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
1
I.
2
Die Antragsgegner schrieben im August 2005 in einem europaweiten offenen
Vergabeverfahren die Auswahl eines Dienstleisters für die Erbringung von Leistungen
3
zur Personenbeförderung im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) für die Zeit von
Ende 2008 bis Ende 2023 aus. Die Gesamtleistung wurde in zwei Lose aufgeteilt, wobei
Los 1 die Kursbuchstrecke 470 (K. /K. – K.) und Los 2 die Kursbuchstrecke 471 (K. – M.)
umfasst. Die Bieter durften Angebote für das Los 1, das Los 2 und ein rabattiertes
Kombinationsangebot für beide Lose abgeben.
Die formalen und inhaltlichen Anforderungen an die Angebote wurden in einem von der
R...
Leistungsbeschreibung enthielt detaillierte Regelungen hinsichtlich der Anforderungen
an das einzusetzende Material, Personal und die Fahrpläne. Gefordert war u.a., dass
der erfolgreiche Bieter sich in die beteiligten Verkehrsverbünde
S...
GmbH (M) und
N...
Tarifbestimmungen und Beförderungsbedingungen einhalten solle.
4
Insoweit bestimmte Ziff. 4.1 der Leistungsbeschreibung:
5
"Das E... verpflichtet sich insbesondere dazu, auf der .... im
S...
den
S...
6
...
7
Für die Integration eines E... in den
S...
Einnahmenaufteilungsvertrag abzuschließen. Der Leistungsbeschreibung sind ein
Kooperationsvertrag (Anlage 15) und der Einnahmenaufteilungsvertrag in der
derzeit gültigen Fassung sowie etwaige ergänzende begriffliche Erläuterungen
beigefügt (Anlage 15)."
8
Im Hinblick auf die Integration in den
M...
Abschluss der in Anlage 15 beigefügten Verträge vor.
9
Insgesamt gaben vier Bieter Angebote ab, darunter auch die Antragstellerin und die
Beigeladene.
10
In der Präambel zu ihrem Angebot sagte die Antragstellerin zu:
11
"..., dass sämtliche Mindestanforderungen der Ausschreibung von ihr erfüllt
werden. Das gilt auch dann, wenn im folgenden nicht explizit auf eine
Mindestanforderung eingegangen wird.
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Die den Verdingungsunterlagen beiliegenden Verkehrsvertragsentwürfe werden
unter Berücksichtigung der dazu in Bieterinformationen veröffentlichten
Änderungen von der
D...
13
Die Antragstellerin hatte ferner ihrem individuellen Angebot, das spiegelbildlich zum
Leistungsverzeichnis aufgebaut war und konkrete Angaben zu dessen Vorgaben
enthielt, das von den Antragsgegnern vorformulierten Einleitungsschreiben
vorangestellt. In diesem hieß es:
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"Grundlagen meines/unseres Angebots sind die Aufforderungen zur
Angebotsabgabe und die mir vorliegenden Verdingungsunterlagen,
15
bestehend aus - Leistungsbeschreibung, - Verkehrsvertrag und
Anlagen
16
17
sowie die allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von
Leistungen (VL-B) in der zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der oben genannten
Ausschreibung gültigen Fassung.
18
Alle in den Verdingungsunterlagen formulierten Anforderungen werden von
mir/uns akzeptiert und erfüllt. Die von mir/uns gemachten Angaben hierzu sind
verbindlich."
19
Bezüglich der Vorgabe in Ziff. 4.1 der Leistungsbeschreibung führte die Antragstellerin
unter Ziff. B 4.1 auf Seite 66 ihres Angebotes zur Integration in den
S...
20
"Die voll umfängliche Integration in den
S...
entsprechender Kooperationsvertrag und Einnahmenaufteilungsvertrag
existieren. Eventuell nötige Änderungen werden in Abstimmung mit den
SPNV-Aufgabenträgern vorgenommen."
21
Den Angebotsunterlagen der Antragstellerin waren unter Ziff. B 3.3.2.5.1 und 3.3.2.5.2
die Fahrplantestate der
DN...
2005 (Los 1) beigefügt. Die
DN...
Zugkonfiguration die Fahrbarkeit
22
"... auf Grundlage des der Leistungsbeschreibung unterstellten
Betriebsprogramms".
23
Nach erfolgter Angebotswertung teilten die Antragsgegner der Antragstellerin unter dem
4. Mai 2006 mit, dass ihr Angebot nicht für den Zuschlag in Betracht komme. Zur
Begründung führten sie aus, dass die vorgelegten Fahrplantestate sich nicht auf den
angebotenen, sondern auf den Musterfahrplan der Leistungsbeschreibung bezögen.
Zudem habe sich die Antragstellerin nicht bereit erklärt, den den
Ausschreibungsunterlagen beigefügten Kooperationsvertrag für den Verbundtarif
S...
vorbehaltlos abzuschließen. Insoweit liege eine unzulässige Abweichung von den
Verdingungsunterlagen vor. Ferner sei das Angebot der Antragstellerin nicht das
wirtschaftlichste.
24
Mit Schreiben vom 5. Mai 2006 rügte die Antragstellerin die vorgesehene
Zuschlagserteilung an die Beigeladene als vergaberechtswidrig. Nachdem die
Antragsgegner die Rügen der Antragstellerin mit Schreiben vom 12. Mai 2006
zurückgewiesen hatten, leitete diese ein Nachprüfungsverfahren vor der
Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln ein.
25
Mit Beschluss vom 1. August 2006 wies die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag
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der Antragstellerin zurück. Zur Begründung stellte sie im Wesentlichen darauf ab, dass
die Antragstellerin entgegen den Vorgaben der Leistungsbeschreibung nicht ihre
vorbehaltlose Bereitschaft zur vollumfänglichen Integration in den
S...
Änderungen an den Verdingungsunterlagen im Sinne des § 25 Nr.1 Abs.1 lit. d VOL/A
vorgenommen habe.
Mit der sofortigen Beschwerde hat die Antragstellerin zunächst nicht nur die
Neubewertung ihrer eigenen Angebote, sondern darüber hinaus einen Ausschluss der
Angebote der Beigeladenen begehrt. Sie hat beanstandet, dass die von der
Beigeladenen vorgelegten Testate sich nicht auf die angebotene Fahrzeug-
konfiguration bezögen und für die Strecke zwischen R. und K. nur die Fahrbarkeit einer
Einfach – anstelle der vorgesehenen Doppeltraktion bestätigt werde. Darüber hinaus sei
das vorgesehene Betriebsprogramm mit der von der Beigeladenen angebotenen
Zugkonfiguration nicht fahrbar.
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Nach Durchführung der Beweisaufnahme und Würdigung der Beweisergebnisse hat die
Antragstellerin auf einen entsprechenden Hinweis des Senates von dem auf den
Ausschluss der Angebote der Beigeladenen gerichteten Begehren Abstand genommen.
Ihre Beschwerde richtet sich nunmehr noch gegen den Ausschluss ihrer Angebote von
der Wertung.
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Die Antragstellerin beantragt,
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die Antragsgegner zu verpflichten, das Vergabeverfahren unter Einbeziehung
ihrer, der Antragstellerin, Angebote und unter Berücksichtung der
Rechtsauffassung des Senats neu zu bewerten, hilfsweise, die
Ausschreibung aufzuheben.
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Die Antragsgegner und die Beigeladene verteidigen den angefochtenen Beschluss. Die
Vergabekammer habe die Angebote der Antragstellerin zu Los 1 und Los 2 aus
zutreffenden Erwägungen der Vergabekammer für zwingend auszuschließen gehalten.
31
Die Antragsgegner und die Beigeladene beantragen,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
33
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze nebst
Anlagen sowie die Vergabeakte und die Vergabekammerakte verwiesen.
34
II.
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Soweit die Antragstellerin nach der Aufgabe des weitergehenden Begehrens nunmehr
nur noch eine erneute Bewertung ihrer Angebote unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Senates anstrebt, hat die zulässige Beschwerde Erfolg.
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Die Angebote der Antragstellerin sind nicht zwingend von der Wertung auszuschließen.
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1. Mit ihren Angaben zur Integration in die beteiligten Verkehrsverbünde hat die
Antragstellerin keine Änderungen an den Verdingungsunterlagen im Sinne des § 25
Nr.1 Abs.1 lit. d VOL/A in Verbindung mit § 21 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A vorgenommen.
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Gemäß Ziffer 4.1, 4.2 und 4.3 der Leistungsbeschreibung war zur Leistungserbringung
die Integration des oder der ausgewählten Bieter in die beteiligten
S...
GmbH und
N...
betreffenden Strecken die jeweiligen Tarife der Verkehrsverbünde zu akzeptieren und
die in Anlage 15 der Vergabeunterlagen enthaltenen Kooperations- und Einnahmen-
aufteilungsverträge abzuschließen.
39
Die Vergabekammer ist zu Recht davon ausgegangen, dass damit von den Bietern
gefordert war, mit dem Angebot vorbehaltlos ihre Bereitschaft zu erklären, die in Anlage
15 enthaltenen Vertragsentwürfe vollumfänglich zu akzeptieren. Wortlaut, Systematik
und Zweck der Leistungsbeschreibung belegen, dass die in Anlage 15 enthaltenen
Kooperations- und Einnahmenaufteilungsverträge so unterschrieben werden sollten,
wie sie sich dort als Muster präsentierten.
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Für diese Wertung spricht zunächst die Formulierung in Ziffer 4 der
Leistungsbeschreibung, in der es heißt, dass der Verkehrsvertrag und die für die
Einbindung in die Verkehrsverbünde erforderlichen Verträge nach Möglichkeit zeitgleich
unterschrieben werden sollen. Schon daraus folgt, dass die Auftraggeber Bezug
nehmen auf bereits vorliegende Vertragsentwürfe. Würden sie im Hinblick auf den Inhalt
der noch abzuschließenden Verträge Verhandlungsbedarf erkennen, wäre die Prämisse
der möglichst zeitgleichen Unterschriftsleistung praktisch kaum umsetzbar und damit
wenig sinnvoll. Da des weiteren in Ziff. 4 ausdrücklich vorgesehen ist, dass die
Unterzeichnung des Verkehrsvertrages und der übrigen Verträge unverzüglich nach der
Versendung des Zuschlagschreibens erfolgen soll, ist ein Zeitraum für weitere
Vertragsverhandlungen ersichtlich nicht einkalkuliert. Dem deutlich zum Ausdruck
gebrachten Interesse der Antragsgegner an einer zeitnahen Umsetzung der
Verkehrsverträge, deren Voraussetzung die Integration des ausgewählten Bieters in die
beteiligten Verkehrsverbünde ist, konnte demnach nur Genüge getan werden, wenn die
Bieter ihre Bereitschaft zur Integration in die Verkehrsverbünde schon mit der Abgabe
des Angebots vorbehaltlos erklärten. Den Auftraggebern, die auf der Grundlage der
einschlägigen landesrechtlichen Rechtsvorschriften zuständige Aufgabenträger für den
Schienenpersonennahverkehr sind, kam es ersichtlich darauf an, dass eine unbedingte
Bereitschaft der Bieter zur Integration in die beteiligten Verkehrsverbünde besteht.
Nachverhandlungen mit den Verkehrsverbünden sollten vermieden werden, damit eine
zeitnahe Unterzeichnung und Umsetzung der Verkehrsverträge und der der Einbindung
in die Verkehrsverbünde dienenden Verträge erfolgen konnte. Entgegen der Auffassung
der Antragstellerin war diese Anforderung der Leistungsbeschreibung nicht
ungewöhnlich und damit für den Bieter schwer durchschaubar. Es war vielmehr
offensichtlich, dass die Antragsgegner genaue Vorstellungen darüber hatten, welche
vertraglichen Vorgaben zwecks Integration in die beteiligten Verkehrsverbünde zu
erfüllen waren und dass sie ihre Zuschlagsentscheidung von der Bereitschaft zum
Vertragsschluss mit diesen Dritten abhängig machen wollten.
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Gegen diese Bewertung spricht auch nicht das im 1. Absatz von Ziffer 4 vorgesehene
außerordentliche Kündigungsrecht. Die Argumentation der Antragstellerin, die
Einräumung des Kündigungsrechtes mache keinen Sinn, wenn das bietende
Unternehmen bereits mit der Angebotsabgabe alle zur vollständigen Integration
erforderlichen vertraglichen Regelungen akzeptieren müsse, überzeugt nicht. Vielmehr
ist das außerordentliche Kündigungsrecht für den Fall vorgesehen, dass die
vertraglichen Verpflichtungen nicht
erfüllt
den Bietern, dass sie die Bereitschaft zur Integration erklären und behielten sich ein
42
den Bietern, dass sie die Bereitschaft zur Integration erklären und behielten sich ein
Kündigungsrecht für den Fall vor, dass trotz dieser vorgegebenen Bereitschaft die
Vertragspflichten schlecht oder gar nicht erfüllt würden.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin enthält auch Ziffer 5.3.2 Abs. 2 der
Leistungsbeschreibung keinen Hinweis auf die Unverbindlichkeit der in Anlage 15
enthaltenen Vertragsentwürfe. Soweit es dort heißt, dass die Antragsgegner den
bietenden Unternehmen nachrichtlich und unverbindlich die in Anlage 15 enthaltenen
Einnahmenaufteilungsverträge als Kalkulationsgrundlage zur Verfügung stellten,
erschöpft sich darin die Funktion der Einnahmen-aufteilungsverträge nicht. Vielmehr
weist die Aufnahme der Einnahmenaufteilungsverträge in Anlage 15 eine
Doppelfunktion auf. Sie geben zum einen Aufschluss über den Inhalt der mit den
Verkehrsverbünden zu schließenden Verträge und sollen zum anderen dem bietenden
Unternehmen als Kalkulationsgrundlage dienen. Der Hinweis auf die Unverbindlichkeit
besagt dabei nur, dass die Auftraggeber nicht das Risiko für eine zutreffende und
rechnerisch richtige Kalkulation der Anbieter übernehmen wollen.
43
Die Auslegung des Angebots ergibt, dass die Antragstellerin die geforderte
vorbehaltlose und unbedingte Erklärung, zum Abschluss der in Anlage 15 enthaltenen
Verträge bereit zu sein, abgegeben hat.
44
Im Hinblick auf die für die Leistungserbringung zu Los 1 erforderliche Integration in die
S...
erklärt, dass die vollumfängliche Integration bereits vollzogen sei und eventuell nötige
Änderungen in Abstimmung mit den SPNV-Aufgabenträgern vorgenommen würden. Die
Antragsgegner haben in der mündlichen Verhandlung am 27. September
unwidersprochen gelassen, dass die auf den
M...
Antragstellerin zutreffend sind. Insoweit ist nicht veranlasst, weitere Absichtserklärungen
zu verlangen. Der Hinweis auf die bereits abgeschlossene Integration in den
M...
somit keine Änderung der Verdingungsunterlagen, sondern eine korrekte Beschreibung
des Vertragsstatus.
45
Dagegen sind die Angaben der Antragstellerin in Ziff. B.4.1 zur bereits vollzogenen
Integration in den
S...
integriert. Vielmehr wurden entsprechende Verträge im Jahre 2003 zwischen dem
S...
und der heutigen
D...
Antragstellerin, abgeschlossen. Aus diesen Verträgen sind keinerlei Rechte bzw.
Pflichten der Antragstellerin herzuleiten.
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Infolgedessen fehlt im Angebot der Antragstellerin eine ausdrückliche Absichts-
erklärung bezüglich der zukünftigen Integration in den
S...
Übrigen weder die ausdrückliche Erklärung enthält, die Antragstellerin sei zum
Abschluss der in Anlage 15 genannten Verträge bereit, noch sich dem Angebot in
eindeutiger Weise das Gegenteil entnehmen lässt, waren die Antragsgegner zur
Ermittlung des wahren Willens der Antragstellerin durch Auslegung nicht nur berechtigt,
sondern verpflichtet (vgl. Beschluss des Senats vom 06.12.2004, Verg 79/04, Bl. 6 des
Umdrucks).
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Maßstab der Auslegung ist, wie ein mit den Umständen des Einzelfalles vertrauter
Dritter in der Lage der Vergabestelle das Angebot nach Treu und Glauben mit Rücksicht
auf die Verkehrssitte verstehen musste oder durfte (BayObLG, VergabeR 2002, 77). Die
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Antragsgegner, denen bekannt war, dass die Integration der Antragstellerin in den
S...
tatsächlich noch nicht stattgefunden hatte, mussten erkennen, dass die zum Ausdruck
gebrachte Absicht der Antragstellerin, die bestehenden Verträge in Abstimmung mit
ihnen ändern zu wollen, "ins Leere" ging. Ihnen musste somit zugleich bewusst sein,
dass sich die Antragstellerin in einem Irrtum befand und ihre Angaben unter Ziffer B.4.1
auf diesem Irrtum beruhten. Allein der Umstand, dass die Antragstellerin von falschen
Tatsachen ausging, rechtfertigte aber nicht den Schluss, dass sie bei zutreffender
Würdigung des Sachverhaltes zum Abschluss des vorgesehenen
Kooperationsvertrages nicht bereit sei, sondern sich Nachverhandlungen vorbehalten
wolle.
Die Auslegung der Erklärung durch die Vergabekammer, die einen solchen
Verhandlungsvorbehalt der Antragstellerin angenommen hat, berücksichtigt den
offensichtlichen und auch für die Antragsgegner erkennbaren Irrtum, auf dem die
Angaben in Ziff.B.4.1 basierten, nicht in hinreichender Weise. Die Erklärung der
Antragstellerin ist dahingehend zu verstehen, dass sie das – in den
Verdingungsunterlagen vorausgesetzte – Bedürfnis für den Abschluss von Kooperations
- und Einnahmenaufteilungsverträgen irrtumsbedingt verneinte, die erforderlichen und
von den Auftraggebern gewünschten vertraglichen Anpassungen der – nach ihrer
Auffassung – bestehenden Verträge aber vornehmen würde.
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Die Antragstellerin wollte erkennbar zum Ausdruck bringen, dass sie nicht nur zum
Abschluss der erforderlichen Verträge bereit sei, sondern diese sogar schon
abgeschlossen habe. Es kam ihr nicht darauf an, sich Nachverhandlungen über den
Inhalt der der Integration dienenden Verträge vorzubehalten; der Hinweis, die
erforderlichen Änderungen vornehmen zu wollen, ist vielmehr ausschließlich vor dem
Hintergrund der irrtumsbedingten Aussage zum Vertragsstatus zu verstehen. Schon die
Formulierung "in Abstimmung" belegt, dass die Antragstellerin nicht eigene
Änderungswünsche verfolgte, sondern alle vom
S...
Änderungen akzeptieren würde.
50
Da die Angaben zu Ziff. B. 4.1 auf dem Irrtum der Antragstellerin über den bestehenden
Vertragsstatus beruhen, vermitteln sie allein keine hinreichende Erkenntnis bezüglich
ihrer Bereitschaft, die in Anlage 15 enthaltenen Verträge noch abzuschließen. Für die
Ermittlung des rechtlich maßgebenden Sinnes ihres Angebotes sind vielmehr auch die
Angaben der Antragstellerin in der von ihr verfassten Präambel und in dem – von den
Antragsgegnern vorformulierten – Formblatt heranzuziehen. Dem Rückgriff auf die dort
enthaltenen Aussagen steht nicht entgegen, dass es sich bei diesen Angaben um
solche allgemeiner Natur handelt, denen die konkreten Erläuterungen unter Ziff. B. 4.1
vorgehen. Da den spezifischen Erklärungen unter Ziff. B.4.1 wegen des offensichtlichen
Irrtums auf denen sie beruhen, kein eindeutiger Erklärungsinhalt zukommt, besteht
insoweit eine ausfüllungsbedürftige Lücke.
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Die Erklärungen in dem Einleitungsschreiben zum Angebot und in der Präambel
belegen, dass die Antragstellerin bereits im Zeitpunkt der Angebotsunterbreitung die
Absicht hatte, die in Anlage 15 enthaltenen und der Integration in die beteiligten
Verkehrsverbünde dienenden Verträge abzuschließen. So hat die Antragstellerin das
vorformulierte (und im tatbestandlichen Teil, S. 5, wiedergegebene)
Einleitungsschreiben ohne Einschränkungen und Bedingungen unterzeichnet und
ihrem Angebot beigefügt. Indem der Verkehrsvertrag und die Anlagen dort als
Grundlagen des Angebotes bezeichnet werden und die Versicherung enthalten ist, dass
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alle Anforderungen der Verdingungsunterlagen erfüllt werden, hat die Antragstellerin
erklärt, auch mit den spezifischen Anforderungen zur Integration in die beteiligten
Verkehrsverbünde einverstanden zu sein. Die Bereitschaft zur Erfüllung aller in der
Leistungsbeschreibung enthaltenen Mindestanforderungen wird auch in der Präambel
zum Angebot nochmals ausdrücklich von der Antragstellerin formuliert. Soweit dort
darüber hinaus darauf hingewiesen wird, dass diese Bereitschaft auch dann bestehe,
wenn in dem konkreten Teil des Angebotes auf eine Mindestanforderung nicht explizit
eingegangen werde, wollte die Antragstellerin erkennbar einen Maßstab für den
Umgang mit etwaigen Lücken ihres Angebots vorgeben und sicherstellen, dass für den
Fall fehlender oder unvollständiger Angaben Klarheit bezüglich ihrer unbedingten und
vorbehaltlosen Erfüllungsbereitschaft besteht. Da die Antragstellerin als erfahrene
Bieterin wusste, dass die Zuschlagschancen von der bedingungslosen Einhaltung der
Anforderungen der Leistungs-beschreibung abhängen, hätte es ihrem erkennbaren
Interesse am Auftrag widersprochen, hinsichtlich der Integration in die beteiligten
Verkehrsverbünde und damit in Bezug auf eine wesentliche Anforderung einen
Vorbehalt und eine Ausnahme von ihrer ausdrücklich und mehrfach zum Ausdruck
gebrachten allgemeinen Erfüllungsbereitschaft zu erklären. Eine verständige Auslegung
unter Heranziehung und Würdigung der Gesamtheit der Aussagen des Angebotes und
unter Beachtung der allgemein anerkannten Auslegungsregel, wonach die Parteien im
Zweifel vernünftige Ziele und redliche Absichten verfolgen (BGHZ 79, 18; BGH NJW
1993, 1978; 1994, 1538), musste demnach zu dem Schluss kommen, dass die
Antragstellerin den Zuschlag für den ausgeschriebenen Dienstleistungsauftrag erhalten
wollte und aus diesem Grund sämtliche für die Zuschlagserteilung erforderlichen
Voraussetzungen zu akzeptieren bereit war.
Ein Ausschluss des Angebots zu Los 2 gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. d VOL/A in
Verbindung mit § 21 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A scheidet aus. Ebenso wie die Angaben zur
bereits vollzogenen Integration in den
M...
Hinweis unter Ziff. 4.3 auf die vollumfängliche Integration in den
N...
53
2. Die Angebote der Antragstellerin sind auch nicht gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A in
Verbindung mit § 21 Nr. 1 Abs. 1 S. 1 VOL/A wegen Fehlens der geforderten Angaben
und Erklärungen in den vorzulegenden Testaten der
DN...
Ziff. 3.3.2 Abs. 5 der Leistungsbeschreibung war zur Vermeidung von Trassenkonflikten
sowie zur Bestätigung der Fahrbarkeit des angebotenen Fahrplans vom Bieter eine
schriftliche Bestätigung der
DN...
54
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass
die zugunsten der Antragstellerin ausgestellten Testate den Anforderungen der
Leistungsbeschreibung entsprechen. Ausweislich der insoweit übereinstimmenden
Aussagen der Zeugen W... und K..., an deren Glaubhaftigkeit keine Zweifel bestehen,
war Grundlage der Prüfung für jeden Bieter zunächst, ob die Vorgaben des
Musterfahrplans, den die
DN...
entwickelt hatte und der für die das Los 1 betreffende Strecke dem aktuellen Fahrpan
entspricht, von der jeweils angebotenen Zugkonfiguration eingehalten werden konnten.
Untersuchungsgegenstand war danach, ob mit dem vom Bieter vorgesehenen Zug die
Zeitvorgaben des Musterfahrplans, von denen nur innerhalb der gemäß Ziff. 3.2 der
Leistungsbeschreibung bestimmten Toleranzen abgewichen werden durfte, bewältigt
werden konnten. Beide Zeugen haben betont, dass sich weitere Prüfungen erübrigten,
wenn dieses der Fall gewesen sei und der Fahrplan des Bieters lediglich
55
Fahrzeitunterschiede im Toleranzbereich, aber keine weiteren Abweichungen von den
Vorgaben des Musterfahrplans aufgewiesen habe. Abhängig von der eingesetzten
Fahrzeugkonfiguration hätten sich dabei unterschiedliche und den individuellen
Fahrplan bildende Fahrzeitberechnungen ergeben, deren Fahrbarkeit sich aus den
Testaten ergebe.
Der mit der eigentlichen Prüfung betraute Zeuge K... hat darüber hinaus plausibel und
nachvollziehbar erläutert, dass bei denjenigen Bietern, unter ihnen auch die
Antragstellerin, die den Musterfahrplan ohne Abweichungen fahren wollten, keine
Trassenkonflikte hätten entstehen können und festgestanden habe, dass der Bieter die
Fahrplanvorgaben des Leistungsverzeichnisses einhalten würde. Dieses sei den
Bietern – u.a. der Antragstellerin – mit den Testaten bestätigt worden.
56
Habe ein Bieter dagegen – so wie u.a. die Beigeladene – andere als die Fahrtzeit
betreffende Abweichungen in den Angebotsfahrplan aufgenommen – der Zeuge K...
nannte das Beispiel eines im Musterfahrplans nicht vorgesehenen Wendens – seien
diese Besonderheiten einer genauen Überprüfung auf ihre Fahrbarkeit hin unterzogen
worden.
57
In diesem Zusammenhang betonte der Zeuge W..., dass die von ihm für die Testate der
Beigeladenen gewählte Formulierung "auf der Grundlage des ...angebotenen
Betriebsprogramms"" im Unterschied zu der in den Testaten der Antragstellerin
verwandten Formulierung "auf der Grundlage des in der Leistungsbeschreibung
enthaltenen Betriebsprogramms" lediglich einen Hinweis an die Antragsgegner habe
enthalten sollen, dass der Fahrplan des Bieters derartige Besonderheiten enthalte.
58
Auf der Grundlage der Zeugensaussagen steht demnach fest, dass trotz der
unterschiedlichen und in der Sache auch missverständlichen Formulierung der für die
Antragstellerin und Beigeladene ausgestellten Testate beiden Bietern bescheinigt
wurde, dass sie mit der angebotenen Zugkonfiguration die Fahrzeit- und
Fahrplanvorgaben der Leistungsbeschreibung ohne Trassenkonfikte einhalten würden.
59
3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 128 Abs. 3 S. 1 und 2 GWB sowie aus §§ 91
Abs. 1, 92 Abs. 1, 100 Abs. 1, 101 Abs. 1, 2. HS, 516 Abs. 3 ZPO (analog).
60
Die Auferlegung von Kosten findet abweichend von der mit Schriftsatz vom 6.10.2006
vorgetragenen Rechtsansicht der Antragstellerin ihre Rechtfertigung nicht in einem
Teilunterliegen in der Beschwerdeinstanz. Der von der Antragstellerin in dieser Instanz
noch verfolgte Sachantrag ist vollumfänglich erfolgreich. Die Überbürdung von Kosten
ist die gesetzliche Folge der teilweisen Beschwerderücknahme. Soweit die
Antragstellerin das ursprünglich vor der Vergabekammer und zunächst auch in der
Beschwerdeinstanz verfolgte Begehren, den Ausschluss der Angebote der
Beigeladenen zu erreichen, nach einem Hinweis des Senates auf die insoweit fehlende
Erfolgsaussicht nicht mehr aufrechterhalten hat, handelt es sich um eine sachliche
Beschränkung des gestellten Antrages, auch wenn dieser in der Formulierung
unverändert geblieben ist. Die diesbezügliche Erklärung des Vertreters der
Antragstellerin im Senatstermin ist als eine Teilrücknahme des prozessualen Anspruchs
zu werten.
61
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin hat sie nicht nur in Verfolgung des
ausschließlich auf die Neubewertung ihrer Angebote gerichteten Rechtsschutzzieles zur
62
Begründung u.a. auch darauf abgestellt, dass die Angebote der Beigeladenen zwingend
auszuschließen seien. Vielmehr folgt schon aus dem Aufbau der Antragsschrift vor der
Vergabekammer und der Beschwerdeschrift, dass die Antragstellerin in beiden
Instanzen zwei voneinander unabhängige Angriffe gegen die beabsichtigte
Zuschlagsentscheidung unternommen hat. Sie hielt nicht nur den Ausschluss ihrer
Angebote für rechtswidrig, sondern machte darüber hinaus geltend, dass die Angebote
der Beigeladenen zwingend auszuschließen seien. Die Begründetheit sowohl ihres
Nachprüfungsantrages als auch ihrer Beschwerde stützte sie gleichrangig auf beide
Angriffspunkte, die sie folgerichtig auch auf derselben Gliederungsebene anordnete.
Dieser Betrachtung steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin ausweislich der
Formulierung ihres Antrages lediglich eine Neubewertung unter Einschluss ihrer
Angebote angestrebt hat. Zur Bestimmung des prozessualen Anspruchs ist nicht nur auf
die Formulierung des Antrages sondern auch auf dessen Begründung abzustellen. Aus
der Begründung hat sich ergeben, dass die Antragstellerin zwei selbständige
Angriffsziele verfolgte: die Wiederaufnahme ihrer Angebote in die Wertung und einen
Ausschluss der Angebote der Beigeladenen aus der Wertung. Im Erfolgsfall wäre die
Angebotswertung unter beiden Gesichtspunkten zu wiederholen gewesen.
Da die Antragstellerin die Beschwerde auf die Überprüfung des Ausschlusses ihrer
Angebote beschränkt hat, hat sie einen Teil, und zwar einem sehr gewichtigen Teil, des
ursprünglichen prozessualen Anspruchs fallengelassen. Die vom Senat
ausgesprochene Kostenfolge ist in § 516 Abs.3 ZPO zwingend vorgesehen, so dass die
Kostenentscheidung kein Überraschungselement enthält.
63
4. Die Festsetzung des Gegenstandeswertes beruht auf § 50 Abs. 2 GKG.
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Maßgeblich für die Streitwertbemessung ist die Angebotssumme. Von der
Streitwertberechnung auszunehmen sind aber die aus Rechtsgründen, nämlich nach §
2 Abs. 3 oder § 14 Abs. 4 AEG anfallenden Infrastrukturentgelte. Diese entstehen beim
Betrieb des Schienenverkehrs und sind nicht "angebotsbedingt" (vgl. Beschluss des
Senats vom 20.01.2006, Verg 79/04, Bl.2).
65
D.
D.-B.
F.
66