Urteil des OLG Dresden vom 13.03.2017

OLG Dresden: befangenheit, behandlungsfehler, hauptsache, sachverständiger, assistenzarzt, vorprüfung, voreingenommenheit, schadenersatz, zustellung, ernennung

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Leitsatz:
1. Ergeben sich die Gründe, auf die die Ablehnung des Sach-
verständigen gestützt wird, aus dessen Gutachten, ist der
Befangenheitsantrag innerhalb der nach § 411 Abs. 4 ZPO ge-
setzten oder verlängerten Frist zu stellen, wenn sich die
Besorgnis der Befangenheit erst aus einer inhaltlichen Aus-
einandersetzung mit dem schriftlichen Gutachten ergibt. 2.
Nicht jede für die Partei ungünstige Beurteilung kann als
einseitig zu ihren Lasten qualifiziert werden, soweit der
Sachverständige hierdurch den Boden einer sachlichen Ausei-
nandersetzung nicht verlässt. 3. Zur Frage, ob folgende Äu-
ßerung des Sachverständigen einen Befangenheitsgrund dar-
stellt: Das von der Beklagten vertretene Verständnis des
Operationsberichts kennzeichne "entweder eine völlig absurde
und abenteuerliche Vorstellung der Beklagten bezüglich offe-
ner Bauchchirurgie oder (sei) eine bewusste Verleugnung bes-
seren Wissens und entbehrt dann jeglicher Sachargumentati-
on".
OLG Dresden, 4. Zivilsenat, Az.: 4 W 20/10, Beschluss vom
14.01.2010
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Oberlandesgericht
Dresden
4. Zivilsenat
Aktenzeichen: 4 W 0020/10
1 O 272/07 LG Görlitz
Beschluss
des 4. Zivilsenats
vom 14.01.2010
In dem Rechtsstreit
xxx
Klägerin
Prozessbevollmächtigte: xxx
gegen
xxx
Beklagte und Beschwerdeführerin
Prozessbevollmächtigte: xxx
wegen Arzthaftung
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hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne
mündliche Verhandlung durch
Richter am Oberlandesgericht Hörner,
Richter am Oberlandesgericht Schlüter und
Richterin am Oberlandesgericht Enders
beschlossen:
1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Be-
schluss des Landgerichts Görlitz vom 26.11.2009 - 1 O
272/07 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 13494,67 EUR
festgesetzt.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
G R Ü N D E:
I.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten materiellen und imma-
teriellen Schadenersatz sowie die Feststellung der Ver-
pflichtung zum Ersatz künftiger Schäden aus behaupteten Be-
handlungsfehlern anlässlich einer am 15.8.2002 erfolgten
Entfernung der Gebärmutter, bei der sie am Nervus femoralis
verletzt wurde. Das Landgericht hat mit Beschluss vom
1.11.2007 (Bl. 106) die Einholung eines schriftlichen Sach-
verständigengutachtens beschlossen und mit Beschluss vom
7.2.2008 Prof. xxx zum Sachverständigen bestellt. Der Sach-
verständige hat sein Gutachten am 22.10.2008 erstattet und
auf weiteren Beschluss des Landgerichts vom 17.2.2009 am
17.9.2009 ein Ergänzungsgutachten vorgelegt (Bl. 235). Zu
dem Ergänzungsgutachten konnten die Parteien bis zum
23.10.2009 Stellung nehmen. Mit am 13.10.2009 eingegangenem
Schriftsatz hat die Beklagte beantragt, den Sachverständigen
und den Co-Sachverständigen Dr. xxxx wegen sich aus der
Wortwahl im Ergänzungsgutachten ergebenden Besorgnis der Be-
fangenheit abzulehnen. Gegen den ihm am 9.12.2009 zugestell-
ten Beschluss des Landgerichts vom 26.11.2009 hat die Be-
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klagte am 15.12.2009 sofortige Beschwerde eingelegt, der das
Landgericht nicht abgeholfen hat.
Auf die Begründung des angefochtenen Beschlusses wird Bezug
genommen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 406 Abs. 5, 567ff.
ZPO), aber unbegründet. Das Landgericht hat den auf Ableh-
nung des Sachverständigen gerichteten Antrag zu Recht zu-
rückgewiesen.
1. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist das Ablehnungs-
gesuch zulässig, insbesondere ist die am 13.10.2009 er-
folgte Ablehnung nicht verspätet. Ein Ablehnungsgesuch
ist nach § 406 Abs. 2 ZPO binnen zwei Wochen nach Zustel-
lung des Beschlusses über die Ernennung eines Sachver-
ständigen zu stellen. Zu einem späteren Zeitpunkt ist die
Ablehnung nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft
macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den
Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Ergeben sich
die Gründe, auf die die Ablehnung des Sachverständigen
gestützt wird, aus dessen Gutachten, ist die Frist des
§ 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO maßgebend. Ein Befangenheitsan-
trag, der innerhalb der zur Stellungnahme nach § 411
Abs. 4 ZPO gesetzten oder verlängerten Frist eingereicht
wird, ist immer dann als rechtzeitig anzusehen, wenn sich
die Besorgnis der Befangenheit erst aus einer inhaltli-
chen Auseinandersetzung mit dem schriftlichen Gutachten
ergibt. Die am Rechtsstreit beteiligten Parteien müssen
sich nämlich innerhalb dieser Frist abschließend mit dem
Inhalt des Gutachtens auseinandersetzen und mitteilen, ob
und gegebenenfalls in welchen Punkten Ergänzungsbedarf
gesehen wird. Kommt hierbei eine Partei aufgrund der in-
haltlichen Prüfung des Gutachtens nicht nur zu dem Ergeb-
nis, dass dieses unrichtig oder ergänzungsbedürftig ist,
sondern dass bestimmte Ausführungen des Sachverständigen
in seinem schriftlichen Gutachten auf Voreingenommenheit
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ihr gegenüber zurück zu führen sind, ist auch diese Be-
sorgnis Ergebnis der inhaltlichen Auseinandersetzung mit
dem schriftlichen Gutachten. Hieraus folgt, dass der An-
tragsteller nicht verpflichtet ist, binnen kürzerer Frist
eine Vorprüfung des Gutachtens vorzunehmen, nur um fest-
stellen zu können, ob das Gutachten Mängel enthält, die
aus seiner Sicht nicht nur einen Ergänzungsantrag nötig
machen, sondern sogar die Besorgnis der Befangenheit
rechtfertigen (BGH NJW 2005, 1869; OLG Düsseldorf OLGR
2001, 469; Senat, Beschluss vom 18.12.2009 - 4 W 1282/09;
21.9.2009 - 4 W 948/09 n.V.; a.A. allerdings OLG Koblenz,
OLGR Koblenz 1998, 470; OLG Köln, OLGR Köln 1995, 147;
OLG Naumburg, 10 W 23/01, juris; OLG München, OLGR Mün-
chen 2004, 117; 2003, 58). Vorliegend wurde der Ableh-
nungsantrag innerhalb der bis zum 23.10.2009 gesetzten
Stellungnahmefrist gestellt.
2. Die von der Beklagten vorgetragenen Gründe rechtfertigen
die Ablehnung des Sachverständigen und die Beauftragung
eines anderen Sachverständigen indes nicht.
Nach §§ 406 Abs. 1 S. 1, 42 ZPO kann ein Sachverständiger
nur dann abgelehnt werden, wenn objektive Umstände gege-
ben sind, auf Grund deren vom Standpunkt der ablehnenden
Partei bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung be-
steht, er stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegen-
über (vgl. BGH NJW 1975, 1363; OLG Köln MDR 2002, 53;
Zöller-Greger, ZPO, 28. Aufl. § 406 Rn 8). Grundsätzlich
kann auch eine überzogene Ausdrucksweise eines Sachver-
ständigen die Besorgnis der Befangenheit begründen (OLG
Brandenburg MDR 2009, 288; Senat Beschluss vom 18.12.2009
aaO; vgl. auch OLG Oldenburg NJW-RR 2000, 1166; OLG Zwei-
brücken VersR 1998, 1438). Allerdings kann nicht jede für
die Partei ungünstige Beurteilung als einseitig zu ihren
Lasten qualifiziert werden, soweit der Sachverständige
hierdurch den Boden einer sachlichen Auseinandersetzung
nicht verlässt (BGH NJW 1981, 2009; Senat, Beschluss vom
7.5.2008 - 4 W 377/08; Beschluss vom
19.7.2007,
4 U 601/06). Maßgeblich ist, ob sich die getätigten Äuße-
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rungen des Sachverständigen noch im Bereich der sachli-
chen Auseinandersetzung halten oder damit bereits die
Grenze zu einer persönlichen Herabsetzung überschritten
wird (vgl. OLG Saarbrücken MDR 2005, 648).
Vorliegend wird das Ablehnungsgesuch primär auf die Be-
wertung des Sachverständigen auf S. 3 des Ergänzungsgut-
achtens gestützt, das von der Beklagten vertretene Ver-
ständnis des Operationsberichts kennzeichne "entweder ei-
ne völlig absurde und abenteuerliche Vorstellung der Be-
klagten bezüglich offener Bauchchirurgie oder [sei] eine
bewusste Verleugnung besseren Wissens und entbehrt dann
jeglicher Sachargumentation". Dem Landgericht ist darin
beizupflichten, dass es sich hierbei um eine drastische
Bewertung seitens des Gutachters handelt, die sich an der
Grenze dessen bewegt, was von einem unvoreingenommenen
Sachverständigen erwartet werden kann, ohne jedoch die
Grenze zur persönlichen Auseinandersetzung zu überschrei-
ten. Dies folgt aus dem Kontext, in dem diese Äußerung
steht. Während die Beklagte aus dem Operationsbericht, in
dem die Verwendung eines Bauchdeckenspreizers nicht auf-
geführt ist, ableitet, es sei kein solcher Spreizer ver-
wendet, sondern der Operationsweg sei durch "Abstopfen
des Bauchraumes mit Tüchern und Weghalten der angrenzen-
den Organe durch den Assistenzarzt" freigehalten worden,
geht der Sachverständige auf S. 2 des Ergänzungsgutach-
tens von einem bloßen Dokumentationsversäumnis aus, das
keinen eigenständigen Behandlungsfehler darstellt. Zur
Begründung führt er aus, eine abdominale Hysterektomie
sei ohne einen solchen Spreizer überhaupt nicht durch-
führbar und werde nirgends so praktiziert, es könne somit
nicht in dem von der Beklagten geschilderten Sinne vorge-
gangen worden sein. Um zu verdeutlichen, wie fernliegend
die von der Beklagten dargelegte Verfahrensweise wäre,
wird sodann auf die mit dem Ablehnungsgesuch beanstande-
ten Formulierungen zurückgegriffen. Diese dienen in der
Gesamtwürdigung nicht der persönlichen Herabsetzung der
Beklagten, sondern sollen ersichtlich verdeutlichen, dass
den Ärzten der Beklagten ein grober Behandlungsfehler un-
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terlaufen wäre, wenn sie tatsächlich in dem von dem Be-
klagtenvertreter im Schriftsatz vom 12.1.2009 geschilder-
ten Sinne vorgegangen wären. Eben davon geht der Sachver-
ständige jedoch gerade nicht aus. Durch die Bewertung als
Dokumentationsmangel wird die Beklagte damit im Ergebnis
sogar besser gestellt, als sie bei Zugrundelegung ihres
eigenen Vorbringens stünde, bleibt ihr doch hiernach der
Beweis möglich, dass in standardgerechter Weise ein
Bauchdeckenspreizer verwendet wurde. Auch die weiteren
Formulierungen im Ergänzungsgutachten, mit denen das Ab-
lehnungsgesuch begründet wird, sind nicht geeignet, eine
Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen zu be-
gründen.
Auf
den
Beschluss
des
Landgerichts
vom
26.11.2009 wird zur Vermeidung von Wiederholungen inso-
fern Bezug genommen. Ein Befangenheitsantrag gegen den
Mitunterzeichner Dr. xxxx scheidet unabhängig hiervon
schon deswegen aus, weil dieser zu keinem Zeitpunkt zum
gerichtlichen Sachverständigen bestellt, sondern vom
Sachverständigen Prof. xxxx lediglich zu Vorbereitungstä-
tigkeiten zugezogen wurde. An der alleinigen Verantwor-
tung des Gerichtsgutachters ändert dies nichts (vgl. Zöl-
ler-Greger, aaO. § 404 Rn 1a).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der
Streitwert des Beschwerdeverfahrens war auf ein Drittel des
Streitwerts der Hauptsache festzusetzen (BGH AGS 2004, 159;
OLG Koblenz OLGR 2005, 466; OLG Düsseldorf OLGR 2004, 372;
Senat aaO, Beschluss vom 30.1.2008 - 4 W 1462/07).
Hörner
Schlüter
Enders