Urteil des OLG Dresden vom 08.12.2010

OLG Dresden: freispruch, steuerhinterziehung, geldstrafe, strafantrag, belastung, rechtspflege, kriminalität, entlastung, strafbefehlsverfahren, ausnahme

Leitsatz:
§ 313 Abs. 1 Satz 2 StPO findet auch dann Anwendung, wenn die
Staatsanwaltschaft zwar Freispruch beantragt hatte, aufgrund
eines vorausgegangenen Strafbefehlsverfahrens jedoch bereits
ein konkreter Strafantrag der Staatsanwaltschaft existiert,
der die Annahme eines Bagatelldeliktes zulässt
OLG Dresden, 2. Strafsenat, Beschluss vom 08. Dezember 2010,
Az. 2 Ws 347/10
2
Oberlandesgericht
Dresden
2. Strafsenat
Aktenzeichen: 2 Ws 347/10
12 Ns 207 Js 28644/09 LG Leipzig
13 Ws 481/10 GenStA Dresden
Beschluss
vom 08. Dezember 2010
in der Strafsache gegen
wegen Steuerhinterziehung
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Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft
gegen den Beschluss des Landgerichts Leipzig vom
01. Juli 2010 wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem
Angeklagten
insoweit
erwachsenen
notwendigen
Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
G r ü n d e :
I.
Das Amtsgericht hatte auf Antrag der Staatsanwaltschaft am
07. Juli 2009 einen Strafbefehl gegen den Angeklagten wegen
Steuerhinterziehung
erlassen
und
eine
Geldstrafe
von
25 Tagessätzen zu je 50,00 EUR festgesetzt. In der auf den
Einspruch des Angeklagten hin anberaumten Hauptverhandlung
hatte das Amtsgericht den Angeklagten aus tatsächlichen
Gründen freigesprochen. Die Entscheidung entsprach dem An-
trag des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft.
Gleichwohl legte die Staatsanwaltschaft gegen das freispre-
chende Urteil Berufung ein. In der Berufungsbegründung ver-
tritt die Staatsanwaltschaft die Auffassung, dass der Tat-
bestand der Steuerhinterziehung auch in subjektiver Hin-
sicht begründet sei.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht die Be-
rufung der Staatsanwaltschaft als unzulässig verworfen. Die
Kammer hat einen Fall der Annahmeberufung im Sinne des
§ 313 StPO angenommen.
Gegen den Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde
der Staatsanwaltschaft.
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, auf
die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft den Be-
schluss des Landgerichts aufzuheben.
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II.
1. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist zulässig.
Zwar sind Entscheidungen des Berufungsgerichts über die
Annahme einer Berufung gemäß § 322 a Satz 2 StPO grund-
sätzlich nicht anfechtbar. Hiervon wird jedoch in dem
Fall eine Ausnahme gemacht, dass zwischen den Verfah-
rensbeteiligten Streit darüber besteht, ob die Voraus-
setzungen einer Annahmeberufung vorliegen (OLG Koblenz
NStZ-RR 2000, 306 m.w.N.; Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl.
§ 322 a Rdnr. 8).
2. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft erweist
sich jedoch als unbegründet. Das Landgericht hat zu
Recht einen Fall der Annahmeberufung gemäß § 313 StPO
angenommen.
Die Frage, ob auch im Falle eines Freispruchs, der auf
einem Antrag der Staatsanwaltschaft beruht, von einer
Annahmeberufung ausgegangen werden kann, wird in Recht-
sprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt. Der
bisher überwiegende Teil der Rechtsprechung hält in ei-
nem solchen Fall § 313 Abs. 1 Satz 2 StPO für unanwend-
bar (OLG Koblenz, NStZ 1994, 601; OLG Celle, NStZ-RR
1996, 43; OLG Köln, NStZ 1996, 150; OLG Karlsruhe StV
1997, 69; OLG Zweibrücken MDR 1996, 732; OLG Oldenburg,
Beschluss vom 08. Februar 1005, Az.: 1 Ws 5/95 - juris;
KG Berlin, Beschluss vom 07. Mai 1997, Az.: 3 Ws 226/97
- juris; OLG Hamm VRS 95, 382; OLG Jena StraFo 2000,
292; OLG Stuttgart, NStZ-RR 2001, 84; OLG Brandenburg
OLG-NL 2005, 45). Diese Auffassung wird maßgeblich damit
begründet, dass der Antrag des Vertreters der Staatsan-
waltschaft auf Freispruch kein Minus gegenüber dem in
§ 313 Abs. 1 Satz 2 StPO genannten Antrag auf Verhängung
einer Geldstrafe von höchstens 30 Tagessätzen sei. Wenn
die Staatsanwaltschaft nach durchgeführter Beweisaufnah-
me zu dem Ergebnis komme, ein strafrechtlicher Schuld-
nachweis sei überhaupt nicht zu führen, könne aus ihrem
Antrag auf Freispruch nicht auf ein Bagatelldelikt ge-
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schlossen werden. Aus Gründen der Rechtssicherheit sei
deshalb nicht hinnehmbar, der Anwendung des § 313 Abs. 1
Satz 2 StPO eine fiktive Tat und eine fiktive Rechtsfol-
ge zugrundezulegen. Im Interesse der Rechtsklarheit ver-
biete sich deshalb eine erweiternde Auslegung der Aus-
nahmevorschrift des § 313 Abs. 1 Satz 2 StPO.
Von dieser grundsätzlichen Auffassung weicht eine Min-
dermeinung jedenfalls dann ab, wenn aufgrund eines
Strafbefehlsantrags bereits ein konkreter Strafantrag
der Staatsanwaltschaft existiert, ohne dass hypotheti-
sche Erwägungen angestellt werden müssten (OLG Hamm NStZ
1996, 455; OLG Koblenz, NStZ-RR 2000, 306; Schleswig-
Holsteinisches Oberlandesgericht SchlHA, 2000, 256; Mey-
er-Goßner, § 313 Rdnr. 4 a).
Dieser Aufassung schließt sich der Senat für den vorlie-
genden Fall an. § 313 StPO ist durch das Gesetz zur Ent-
lastung der Rechtspflege (BGBl. I 1993, S. 50) eingefügt
worden. Hintergrund war die außerordentliche Belastung
der Strafjustiz nach dem Beitritt der fünf neuen Länder.
Die Berufungsgerichte sollten deshalb in Fällen entlas-
tet werden, denen kleinere Kriminalität und Straftaten
geringer Schwere zugrundelagen (BT-Drs. 12/1217). Zwar
wird dem Sinn und Zweck dieses Gesetzes in Fällen, in
denen die Staatsanwaltschaft in der amtsgerichtlichen
Hauptverhandlung einen Freispruch beantragt hat, nicht
dadurch Rechnung getragen werden können, dass Spekulati-
onen darüber angestellt werden, welchen Antrag die
Staatsanwaltschaft im Falle der Erweisbarkeit der Tat
gestellt hätte. Allerdings kann mit der notwendigen
Rechtsklarheit das Vorliegen eines Falles von Bagatell-
kriminalität dann festgestellt werden, wenn die Staats-
anwaltschaft in einem vorangegangenen Strafbefehlsver-
fahren die geringe Straferwartung deutlich zum Ausdruck
gebracht hat.
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III.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens waren mangels eines an-
deren Kostenschuldners der Staatskasse aufzuerlegen. Die
Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Angeklagten
beruhen auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1
StPO.
Drath
Gorial
Denk
Vorsitzender Richter
Richter am
Richter am
am Oberlandesgericht
Oberlandesgericht
Oberlandesgericht