Urteil des OLG Celle vom 22.09.2005

OLG Celle: eltern, tunesien, reiseveranstalter, mangel, unruhen, anschlag, warnung, schmerzensgeld, festland, tourismus

Gericht:
OLG Celle, 11. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 11 U 297/04
Datum:
22.09.2005
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 651f Abs 1
Leitsatz:
Dem Reiseveranstalter obliegt es im Rahmen seiner vertraglichen Pflichten und seiner
Verkehrssicherungspflichten bei der Ausübung seines Gewerbes grundsätzlich diejenigen
Sicherungsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter
Angehöriger der jeweiligen Berufsgruppe für ausreichend halten darf, um andere Personen vor
Schaden zu bewahren und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind. Für die deliktsrechtliche
Haftung des Reiseveranstalters wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten ist es deshalb
von Bedeutung, welche vertragsrechtlichen Verpflichtungen ihm nach dem Gesetz und nach den von
der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen typischerweise obliegen.
Es gehört zu den Grundpflichten des Veranstalters, die Personen, deren er sich zur Ausführung seiner
vertraglichen Pflichten bedient, hinsichtlich ihrer Eignung und Zuverlässigkeit sorgfältig auszuwählen.
Darin erschöpft sich jedoch seine Verantwortung für die Vertragserfüllung nicht. Er muss regelmäßig
dem jeweiligen Angebot entsprechend seine Leistungsträger und deren Leistungen überwachen. Eine
Kontrollpflicht besteht in der Regel auch hinsichtlich gesondert zu buchender Veranstaltungen des
Leistungsträgers aufgrund des mit diesem bestehenden Vertragsverhältnisses
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
Im Namen des Volkes
Urteil
11 U 297/04
13 O 114/04 Landgericht Hannover Verkündet am
22. September 2005
...,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
des am 11. September 1998 geborenen Kindes A. E.,
gesetzlich vertreten durch die Eltern A. E. und M. E., ...,
Kläger und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte ...
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt ...,
gegen
Reiseveranstalterin,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte ...,
hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 30. August 2005 durch den
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am
Oberlandesgericht ... für Recht erkannt:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 27. Oktober 2004
wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird gestattet, die Vollstreckung der Beklagten durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % der von der Beklagten aufgewendeten notwendigen außergerichtlichen
Kosten des Berufungsrechtszuges abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe
von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer des Klägers übersteigt 20.000 Euro.
Gründe:
I.
Die Eltern des am 11. September 1998 geborenen Klägers buchten für sich und den Kläger am 3. Februar 2002 eine
Flugpauschalreise nach Djerba für die Zeit vom 8. bis 22. April 2002 zum Reisepreis von 1.886 EUR. Vor Ort
buchten die Eltern des Klägers auf Empfehlung des Reiseleiters für Donnerstag den 11. April 2002 einen
Halbtagesausflug auf der Insel unter der Bezeichnung „Land und Leute“, deren Veranstalter die Beklagte war. Letztes
Ziel dieses Ausfluges war die
Synagoge „La Ghriba“.
Als der Kläger mit seinen Eltern am 11. April 2002 die Synagoge betreten hatte, kam es zu einer Explosion, weil
Terroristen einen mit Flüssiggas gefüllten Tankwagen, der vor dem Eingang der Synagoge abgestellt war,
entzündeten. Der Kläger erlitt durch die Flammen schwerste Verbrennungen zweiten und dritten Grades an ca. 40 %
seiner Körperoberfläche, insbesondere auch an Händen, Armen, Haupt und Gesicht; bei ihm sind bleibende
Entstellungen und Beeinträchtigungen zu befürchten.
In den Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes für das Reiseland Tunesien gab es bis zum 11. April 2002
keine Hinweise auf ein erhöhtes Sicherheitsrisiko.
Der Kläger hat gemeint und meint, die Beklagte habe sich schadensersatzpflichtig gemacht, weil sie es versäumt
habe, die Eltern des Klägers vor Antritt der Reise bzw. des Ausfluges über eine konkrete Gefahrenlage in Tunesien
zu informieren.
Der Kläger hat dazu behauptet, in der Zeit vom 26. März 2002 bis zum 9. April 2002 sei es zu mehreren Übergriffen
auf Touristen und Reisebusse gekommen, von denen die Beklagte zwangsläufig habe Kenntnis erlangt haben
müssen. Wegen der einzelnen Vorfälle, die sich im Rahmen propalästinensischerDemonstrationen in den Städten
Mahdia, Sfax, Medenine und Mareth zugetragen haben sollen, wird auf deren Wiedergabe im landgerichtlichen Urteil
sowie die Seiten 25 ff. der Klageschrift Bezug genommen.
Der Kläger hat behauptet, wenn seine Eltern über diese Vorfälle informiert worden wären, hätten sie die Reise nicht
angetreten bzw. hätten an dem Ausflug nicht teilgenommen.
Der Kläger hat - unstreitig - 250.000 EUR aus einem Opferentschädigungsfonds der Bundesregierung sowie weitere
100.000 EUR aus von den tunesischen Hoteliers für die Opfer bereit gestellten Geldern erhalten.
Der Kläger hat ein angemessenes Schmerzensgeld von mindestens 100.000 EUR, eine angemessene
Schmerzensgeldrente von mindestens 500 EUR monatlich sowie den Ausgleich eines verletzungsbedingten
Mehraufwandes an Betreuungsleistungen von 300 EUR monatlich sowie Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten
begehrt.
Die Beklagte hat gemeint, die Gefahr von Terroranschlägen gehöre zum allgemeinen Lebensrisiko und hat
behauptet, Tunesien sei bis zu dem Anschlag vom 11. April 2002 ein ruhiges und sicheres Reiseland gewesen. Sie
habe keinerlei Informationen über eine veränderte Sicherheitslage und einen bevorstehenden Terroranschlag gehabt.
Zu massiven Übergriffen auf Touristen sei es zuvor nicht gekommen. Ein ihr bekannt gewordener Vorfall in Mahdia
habe sich immerhin 400 km von der Insel Djerba entfernt zugetragen.
Das Landgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Es hat gemeint, dem Kläger stünden
Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte nicht zu. Ein vertraglicher Schmerzensgeldanspruch scheide aus,
weil § 253 Abs. 2 BGB gemäß Art. 229 § 8 EGBGB nur für nach dem 31. Juli 2002 eingetretene Schadensereignisse
anzuwenden sei. Für einen Schmerzensgeldanspruch des Klägers aus unerlaubter Handlung gemäß §§ 823, 847
BGB fehle es an der Darlegung einer Pflichtverletzung durch den hierfür darlegungs und beweispflichtigen Kläger.
Zwar müsse ein Reiseveranstalter sich Informationen über objektiv bestehende Gefahren im Zielgebiet der Reise
verschaffen und diese gegebenenfalls auch weitergeben. Diese Hinweispflicht bestehe jedoch nur bei konkreter
Gefahrenlage, nicht aber bei allgemeiner politischer Instabilität des Reiselandes. Konkrete Pflichten habe die
Beklagte nicht verletzt. Das allgemeine Risiko von Anschlägen auch auf Tourismuszentren mit westlichen Touristen
habe jedermann aus allgemein zugänglichen Quellen nach den Terroranschlägen in New York und Washington vom
11. September 2001 vor Augen gestanden. Terroristische Einzelakte, die nicht auf bürgerkriegsähnlichen Unruhen
beruhten, gehörten im Übrigen zu dem von jedem Menschen selbst zu tragenden allgemeinen Lebensrisiko. Der
Vortrag des Klägers, die Beklagte habe über konkrete Informationen verfügt, aufgrund derer damit zu rechnen
gewesen sei, dass es zu Anschlägen auf die Synagoge auf Djerba kommen könne, stelle eine Behauptung ins Blaue
hinein dar, die der Kläger durch nichts belegt habe. Ohne nähere Erkenntnisse habe die Beklagte sich auf die
Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes verlassen dürfen und dem Kläger und den Eltern des Klägers nähere
Informationen nicht zuteil werden lassen müssen. Hieran habe sich auch dadurch nichts geändert, dass es in der
Woche vor dem 11. April 2002 in einigen tunesischen Städten zu Demonstrationen und dabei vereinzelt auch zu
Übergriffen auf ausländische Touristen gekommen sei. Dabei handele es sich um Einzelfälle, durch die zwar
möglicherweise Touristen auf dem Festland gefährdet worden seien, die aber weder den Schluss darauf zugelassen
hätten, dass es auf Djerba zu ähnlichen Übergriffen auf Touristen kommen werde, noch dass mit einem Attentat auf
die Synagoge konkret zu rechnen sei.
Das Landgericht hat weiter gemeint, dem Kläger stehe auch ein materieller Schadensersatzanspruch hinsichtlich des
durch die Verletzungen bedingten Mehraufwandes und die Betreuungsleistungen unter keinem rechtlichen
Gesichtspunkt zu. Es hat bejaht, dass die Reise i. S. v. § 651 c BGB mit einem Mangel behaftet gewesen sei. Die
Beklagte habe diesen Mangel jedoch nicht zu vertreten. Die Beklagte hafte nicht für solche Vorgänge, die außerhalb
des von ihr übernommenen Gefahrenbereichs lägen und bei denen sich das allgemeine Lebensrisiko verwirkliche. So
liege es im Streitfall. Die Beklagte habe den Reisemangel auch nicht wegen unzureichender Information der Gäste
zu vertreten, weil sie nicht über konkrete Informationen verfügt habe, aus denen sich die Gefährdung der Reisenden
hätte ergeben können. Insoweit sei es zunächst Sache des Reisenden, mit Substanz vorzutragen, wer auf Seiten
des Reiseveranstalters von wem unter welchen Umständen welche Informationen über eine veränderte
Sicherheitslage, einen bevorstehenden Terroranschlag in Tunesien, die behaupteten gewalttätigen Demonstrationen,
die Übergriffe auf ausländische Touristen, die seitens des Klägers nach dem Anschlag recherchierten
Botschaftsbriefe, Geheimdienstberichte, Telefonabhörprotokolle etc. sowie die angebliche Sicherheitskonferenz vom
10. April 2002 erhalten habe. Erst dann könne es Aufgabe des Reiseveranstalters sein, die Unrichtigkeit dieser
Behauptungen nachzuweisen. An der zu fordernden Darlegung des Klägers fehle es aber. Ein
Schadensersatzanspruch stehe dem Kläger auch nicht aus positiver Vertragsverletzung gemäß §§ 241 Abs. 2, 280
BGB zu. Die Beklagte habe ihre Aufklärungspflichten nicht verletzt.
Gegen dieses Erkenntnis wendet sich der Kläger mit seiner form und fristgerecht eingelegten Berufung.
Mit ihr nimmt er die Unanwendbarkeit von § 253 Abs. 2 BGB für den Streitfall hin.
Er macht im Wesentlichen geltend, eine Informationspflichtverletzung habe die Beklagte begangen, weil sie die
Eltern des Klägers nicht auf die allgemeine politische Instabilität des Reiselandes hingewiesen habe, insbesondere
nicht darauf hingewiesen habe, dass in Tunesien wegen der Unterdrückung Andersdenkender besondere
Gefahrenlagen gegeben seien, aus denen instabile politische Verhältnisse herrührten. Sodann habe es keine
Informationen darüber gegeben, dass die tunesische Volkswirtschaft derart von den Einnahmen aus dem Tourismus
abhängig sei, dass von den herrschenden Politikern alles unterbunden werde, was dem Tourismus abträglich sein
könne. Die Beklagte habe den Eltern des Klägers eine eigene Entscheidung ermöglichen müssen, ob sie unter
diesen Umständen nach Tunesien reisen bzw. den Tagesausflug unternehmen wollten.
Auf die Frage, wer bei der Beklagten Kenntnis von welchen Vorfällen im näheren zeitlichen Umfeld der Reise des
Klägers und seiner Eltern gehabt habe, komme es daher nicht an.
Die Beklagte habe zudem ihre Erkundigungspflicht im Reisegebiet vernachlässigt. Insoweit könne die Beklagte sich
auch nicht auf das Auswärtige Amt oder ähnliche Informationsquellen beziehen. Vielmehr sei sie es, die Mitarbeiter
in den Touristenzentren beschäftige. Über diese habe sie Wahrnehmungen über dortige Entwicklungen einzuziehen.
Dergleichen habe sie entweder unterlassen oder habe eingezogenes Wissen nicht ausreichend weitergegeben. In
diesem Zusammenhang habe das Landgericht unberücksichtigt gelassen, dass die Beklagte nicht im Ansatz zu den
von ihr getroffenen Maßnahmen im Rahmen der Informationsbeschaffung vor Ort vorgetragen habe.
Der Kläger behauptet zudem auf Blatt 10 und 21 der Berufungsbegründung vom 21. Dezember 2004 (GA 332 und
343), es sei auch auf der Insel Djerba zu Gewaltakten und Unruhen bzw. propalästinensischen Demonstrationen
gekommen.
Mit der zweiten Berufungsbegründungsschrift macht der Kläger im Wesentlichen geltend, das Landgericht habe die
Beweislast rechtsfehlerhaft verteilt. Verkannt worden sei die Bedeutung des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 9.
November 2004 - X ZR 119/01, in welchem der Bundesgerichtshof ausgeführt habe, dass, wenn mehrere Ursachen
für den Mangel der Reiseleistung ernstlich in Betracht kämen, der Reiseveranstalter für jede den Entlastungsbeweis
erbringen müsse. Der Kläger folgert daraus, dass die Beklagte im Streitfall den Vortrag des Klägers zum
wahrnehmbaren Stimmungsumschwung vor Ort habe widerlegen müssen. Er untermauert dies unter Verweis auf
weitere Gerichtsentscheidungen.
Der Kläger beantragt,
das landgerichtliche Urteil abzuändern und
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu Händen seiner Eltern A. E. und M. E. ein angemessenes
Schmerzensgeld - dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird - nebst Zinsen in Höhe von 5 %Punkten
über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu Händen seiner Eltern A. E. und M. E. eine angemessene monatliche
Schmerzensgeldrente - deren Höhe in das Ermessen der Gerichts gestellt wird - seit dem 1. Mai 2002 bis auf
Weiteres zunächst bis zum 11. September 2016 jeweils monatlich im Voraus zu zahlen;
3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu Händen seiner Eltern A. E. und M. E. zunächst für den Zeitraum
vom 1. Mai 2002 bis zunächst einschließlich 30. September 2010 einen Betrag in Höhe von 300 EUR als
Betreuungsleistung i. S. d. § 843 Abs. 1 BGB zu zahlen;
4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche zukünftigen materiellen wie immateriellen
Schäden, die aus dem Schadensereignis/dem Brandanschlag vom 11. April 2002 auf die Synagoge La Ghriba auf
der Insel Djerba/Tunesien resultieren, zu ersetzen, sofern Ersatzansprüche nicht auf den Sozialversicherungsträger
oder sonstige Dritte übergegangen sind oder abgetreten wurden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Beklagte erweitert unter Verteidigung des ihr günstigen landgerichtlichen Urteils ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Sie meint, entgegen der vom Landgericht vertretenen Rechtsansicht komme es für die vom Kläger begehrte
Mehrbedarfsrente nicht auf eine reisevertragliche Anspruchsgrundlage an; sie könne allenfalls aus § 843 BGB
deliktsrechtlich in Betracht kommen; insoweit erhebt die Beklagte eine antragslose Anschlussberufung (GA 378 f.).
Die Beklagte verwahrt sich gegen den erstmals im Berufungsvorbringen enthaltenen Angriff, es habe Unruhen auf
Djerba gegeben.
Der Senat hat die Parteien aufgrund einer ihm aus Anlass von Presseberichten aufgrund der ersten
Senatsverhandlung zugegangenen EMail darauf hingewiesen, dass eine Besichtigung der Synagoge am Donnerstag
vor dem Schadensereignis eventuell wegen des PessachFestes nicht möglich gewesen sein könnte. Daraufhin ist
zwischen den Parteien unstreitig geworden, dass es sich bei dem Donnerstag vor dem Schadenstage um den
letzten Tag des jüdischen PessachFestes gehandelt hat und an diesem Tag eine Besichtigung nicht möglich
gewesen ist. Die Parteien sind jedoch unterschiedlicher Auffassung darüber geblieben, warum an diesem Tage keine
Besichtigungen möglich waren und welche Wahrnehmungen die an diesem Tage vergeblich angereisten
Besichtigungsinteressenten gemacht haben.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen D. und K.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten
Schriftsätze nebst deren Anlagen und das landgerichtliche Urteil Bezug genommen, wegen des Beweisergebnisses
wird ferner auf die Sitzungsniederschrift vom 30. August 2005 Bezug genommen.
II.
Die Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg.
1. Dem Kläger stehen vertragliche Ansprüche auf Ersatz immateriellen Schadens gemäß § 253 Abs. 2 BGB in der
Fassung, die seit 1. August 2002 gilt, nicht zu, weil das in Rede stehende Schadensereignis vor dem Tag des
Inkrafttretens der Norm liegt; die Berufung erinnert gegen diese Wertung des Landgerichts auch nichts.
2. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Ersatz seines immateriellen Schadens (Anträge zu 1, 2
und 4 teilweise) nicht auf der Grundlage des auf den Sachverhalt anzuwendenden Deliktsrechts, insbesondere nicht
aus §§ 823 Abs. 1, 847 BGB zu.
Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass Voraussetzung für einen derartigen Anspruch wäre, dass
die schweren Körperschäden, die der Kläger erlitten hat, auf einer Pflichtverletzung beruhen müssten, die der Kläger
ebenso darzutun und gegebenenfalls zu beweisen hätte, wie ein Verschulden der beklagten Reiseveranstalterin.
Eine konkrete Pflichtverletzung eines Vorstandsmitgliedes der Beklagten oder eines von deren Verrichtungsgehilfen
macht der Kläger nicht geltend. In Betracht käme mithin allein die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht.
Dem Reiseveranstalter obliegt es nicht nur im Rahmen seiner vertraglichen Pflichten, sondern auch im Rahmen
seiner Verkehrssicherungspflichten bei der Ausübung seines Gewerbes grundsätzlich diejenigen
Sicherungsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger
der jeweiligen Berufsgruppe für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schaden zu bewahren und die ihm
den Umständen nach zuzumuten sind. Für die deliktsrechtliche Haftung des Reiseveranstalters wegen Verletzung
von Verkehrssicherungspflichten ist es deshalb von Bedeutung, welche vertragsrechtlichen Verpflichtungen ihm
nach dem Gesetz und nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen typischerweise obliegen. Denn
die gewerblichen Berufspflichten begründen und begrenzen zugleich auch die Verkehrssicherungspflichten. Es
gehört zu den Grundpflichten des Veranstalters, die Personen, deren er sich zur Ausführung seiner vertraglichen
Pflichten bedient, hinsichtlich ihrer Eignung und Zuverlässigkeit sorgfältig auszuwählen. Darin erschöpft sich jedoch
seine Verantwortung für die Vertragserfüllung nicht. Er muss regelmäßig dem jeweiligen Angebot entsprechend seine
Leistungsträger und deren Leistungen überwachen. Eine Kontrollpflicht besteht in der Regel auch hinsichtlich
gesondert zu buchender Veranstaltungen des Leistungsträgers aufgrund des mit diesem bestehenden
Vertragsverhältnisses (BGH vom 12. März 2002, X ZR 226/99).
Die Anwendung dieser Erfordernisse führt für den Streitfall dazu, dass die Beklagte keinerlei Anlass zum Ausspruch
konkreter Warnungen hatte.
a) Die Beklagte hatte keinerlei (geschweige denn hinreichend konkrete) Anhaltspunkte davon auszugehen, dass am
11. April 2002 auf die Synagoge von Djerba ein Terroranschlag verübt werden könnte. Der Kläger hat entsprechende
Anhaltspunkte auch nicht dargetan.
Insbesondere begründeten die konkreten Geschehnisse aus der Woche vor dem Ausflug des Klägers und seiner
Eltern keine Pflicht zu einem irgendgearteten warnenden Hinweis im Vorfeld von Buchung und Durchführung des
Ausfluges „Land und Leute“ am 11. April 2002.
Mit der Aussage des Zeugen K. hat der Kläger nicht bewiesen, dass die Zustände in der Woche vor dem
Besichtigungstage eine Warnpflicht für den Tag begründet hätten, an dem der Kläger und seine Eltern an dem
Ausflug „Land und Leute“ teilnahmen. Der Zeuge K. hat bekundet, eine Rundreise durch Tunesien mit einem anderen
Veranstalter unternommen zu haben. Am 4. April 2002 habe die geplante Besichtigung der Synagoge nicht
durchgeführt werden können, sondern man sei abgewiesen worden. Er habe dies aber nicht als auf
Sicherheitsbedenken beruhend erklärt erhalten und auch so nicht wahrgenommen, sondern ihm sei die an der
Synagoge vorgefundene Bewachung nur als der ihm auch aus anderen Fällen bekannte polizeiliche Schutz jüdischer
Einrichtungen vorgekommen. Die bewachenden Beamten seien ihm als zwei Dorfpolizisten erschienen.
Diese vom Zeugen K. bekundeten Wahrnehmungen vermochten eine Pflicht der Beklagten zur Warnung ihrer
Reisegäste oder zu deren Aufklärung vor Gefahren des Synagogenbesuchs nicht auszulösen. Es gab hier keine
Wahrnehmung, die auf einen Terroranschlag oder auch nur annähernd ähnliche Gefahren hindeutete.
Ebensowenig gaben die Wahrnehmungen des Zeugen D. hier Anlass dazu, aus der Art und Weise der Überwachung
der Synagoge bzw. der Abweisung der Touristen am Donnerstag vor dem Schadenstage darauf zu schließen, dass
Gefahren für besichtigende Touristen bevorstehen könnten. Auch er hatte die Synagoge lediglich von zwei
Polizeibeamten bewacht und für eine Besichtigung unzugänglich vorgefunden und durch einen Anruf am nächsten
Tage bei der für ihn zuständigen Serviceagentur mitgeteilt erhalten, dass die Schließung auf dem jüdischen Festtag
beruht habe. Umstände, die etwa eine Warnpflicht auslösen konnten, waren auch aus seinen Bekundungen nicht
abzuleiten.
Angesichts dieser ähnlichen Bekundungen beider Zeugen hinsichtlich der Vorgänge an der Synagoge am 4. April
2002 hat der Senat keinen Anlass gesehen, etwa noch den örtlichen Rabbiner, von dem die Beklagte nur eine
schriftliche Mitteilung ähnlichen Inhalts vorgelegt hat, persönlich zu hören.
b) Auch die weiteren Bekundungen des Zeugen K. von Demonstrationen, die er im Rahmen seiner Rundreise
gesehen hat, lösten eine Warnpflicht der Beklagten gegenüber dem Kläger und seinen Eltern nicht aus. Zunächst
sind schon große Zweifel geboten, ob propalästinensische Demonstrationen zwingend als antiwestlich begriffen
werden müssen und ob derartige Demonstrationen, selbst wenn sie in einem Fall zu einem Schlag mit einem
Knüppel gegen einen Touristenbus geführt haben, bereits eine Warnpflicht auszulösen vermögen, denn sie hätten
jedenfalls eine Terrorgefahr nicht in den Raum gestellt. Eine konkrete Warnpflicht lösten diese
Demonstrationsereignisse gegenüber den DjerbaTouristen, zu denen der Kläger und seine Eltern gehörten, aber auch
deshalb nicht aus, weil keine der Demonstrationen sich auf Djerba zugetragen hat. Vielmehr haben sich alle vom
Zeugen geschilderten Demonstrationsereignisse auf dem Festland zugetragen.
Des Weiteren wurden - nach der Wahrnehmung des Zeugen K. - die Touristen von den Demonstrationsereignissen
von Polizisten nach Kräften ferngehalten. Für die Beklagte bestand mithin nicht einmal Anlass damit zu rechnen,
dass ihre nach Djerba verbrachten Reisenden auch nur im Ansatz oder etwa in geringerem Maß als das tatsächlich
eingetretene Geschehen sich dargestellt hat, gefährdet sein könnten.
c) Der Vortrag des Klägers zu Unruhen und propalästinensischen Demonstra tionen auf Djerba selbst ist - wie von
der Beklagten zutreffend moniert - ohne jede Substanz geblieben und deshalb unbeachtlich. Daraus folgten Pflichten
der Beklagten nicht.
d) Es bestand auch keine generelle Verkehrssicherungspflicht der Beklagten, die Reisenden, im Streitfall die Eltern
des Klägers, in dem Sinne, wie der Kläger es meint, über instabile politische Verhältnisse in Tunesien bzw. die
dortigen politischen Verhältnisse überhaupt aufzuklären. Eine solche generelle Aufklärung obliegt dem
Reiseveranstalter grundsätzlich nicht. Es fällt in die Sphäre des einzelnen Reisenden, sich über die grundlegenden
politischen, wirtschaftlichen und religiösen Verhältnisse des Reiselandes selbst zu informieren, wenn sich der
Reisende dafür interessiert. Die Mitteilung derartiger Tatsachen hat Sachbüchern und Reiseführern vorbehalten zu
bleiben. Der Reiseveranstalter selbst kann sie in allgemein gehaltenen Informationen nicht unterbringen, ohne den
Rahmen und den Zweck solcher Informationsmittel (Kataloge und kleine Broschüren) zu sprengen. Dies gilt umso
mehr, als die Mitteilungen auch Gewichtungen und Wertungen enthalten müssten, wodurch der Reiseveranstalter
zum einen in außenpolitische Belange der Bundesrepublik Deutschland eingreifen würde und zum anderen seine
Duldung und seine Position im Gastland möglicherweise verschlechtern bzw. gefährden könnte. Allgemein gehaltene
Mitteilungen über das Reiseland, die politischen Verhältnisse und die politischen Freiheiten oder Unfreiheiten und die
Behandlung Andersdenkender vor Ort zu benennen und zu konkretisieren, ist einem Reiseveranstalter grundsätzlich
nicht zumutbar und gehört deshalb auch nicht zu den von ihm einzuhaltenden Verkehrssicherungspflichten.
e) Ein Verstoß der Beklagten gegen Verkehrssicherungspflichten, der für den Schaden des Klägers kausal geworden
sein könnte, liegt nicht in dem der Beklagten vom Kläger zum Vorwurf gemachten vermeintlich unzureichenden
Krisenmanagement, das - wie einer der Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor
dem Senat verdeutlicht hat - der Kläger darin sehen und an der Aussage des Zeugen D. verdeutlichen will, dass die
örtlichen Mitarbeiter der Beklagten nicht darin unterwiesen sind, welche Beobachtungen sie gegebenenfalls wem
mitzuteilen hätten.
Ungeachtet der Frage, ob entsprechende Dienstanweisungen überhaupt in sinnvoller Weise verfasst und erteilt
werden könnten, ohne makaber oder lächerlich zu sein (Beispiel: „Wenn Sie in einer Hotellobby einen Koffer sehen,
der 5 Minuten von niemandem berührt wird, bleiben Sie in der Nähe, informieren Sie die Rezeption, den
Sprengstoffentsorgungsdienst ... und sodann die Zentrale in Hannover, es könnte ein Anschlag drohen“ oder: „Wenn
Sie an der Synagoge mehr als drei Polizeibeamte sehen, informieren Sie ...“ ist das Fehlen derartiger Anweisungen
im Streitfall nicht für die vom Kläger erlittenen Verletzungen kausal geworden, denn der Kläger hat nichts die Insel
Djerba Betreffendes aufzuzeigen vermocht, das überhaupt von den Reiseleitern wie dem Zeugen D. an
übergeordnete Stellen hätte gemeldet und dort in Warnungen der Reisenden hätte umgesetzt werden müssen.
3. Dem Kläger stehen auch keine Ansprüche auf Ersatz der erlittenen materiellen Schäden aufgrund Vertragsrechts
(§ 651 f BGB) zu.
Der Kläger hat eine fristwahrende Anspruchsanmeldung rechtzeitig vorgenommen.
Die von der Beklagten dem Kläger erbrachten Reiseleistungen, in concreto die Ausflugsleistung und die restlichen
geschuldeten Aufenthaltsleistungen litten auch in dem Sinne an einem Mangel, als sie ab dem 11. April 2002 nicht
so erbracht wurden/werden konnten, wie sie vertraglich geschuldet waren. Da im Streitfall der Tauglichkeitsmangel
auch nicht aus der Sphäre der Reisenden, insb. nicht des Klägers und seiner Eltern selbst, herrührte, hat die
Beklagte grundsätzlich vertraglich für das Nichtgelingen der Reise einzustehen, es sei denn, sie könnte sich
dahingehend entlasten, dass sie den Nichteintritt des Erfolges der Reise nicht zu vertreten habe.
Eine Verletzung einer vertraglichen Pflicht der Beklagten, die im Vorfeld des
Attentats gelegen hätte, hat der insoweit darlegungspflichtige Kläger nicht dargetan. Folglich hatte die Beklagte
insoweit nicht zu beweisen, dass sie kein Verschulden treffe. Insbesondere hat schon der Kläger nicht dargetan,
dass es irgend geartete konkrete oder abstrakte Hinweise auf einen bevorstehenden Anschlag auf Djerba gegeben
hätte, die der Beklagten Anlass hätten sein müssen, die Reisenden von Reisen auf die Insel Djerba oder von der
Teilnahme an dem Ausflug abzuhalten. Weitere Warnpflichten, die zugleich Verkehrssicherungspflichten wären,
bestanden - wie oben bereits erörtert - nicht.
Mithin konnte es an dieser Stelle nur noch darum gehen, dass die Beklagte darzulegen und zu beweisen hatte, dass
sie nicht aufgrund konkreter Vorgänge, die im zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit der Buchung und
Durchführung des Ausflugs, an dem der Kläger und seine Eltern teilgenommen haben, Warnpflichten zugunsten der
Reisenden missachtet hat. Diese Feststellung lässt sich aufgrund der Vernehmung der Zeugen D. und K. treffen.
Die an der Synagoge am Donnerstag vor dem Ausflug des Klägers und seiner Eltern wahrnehmbaren Umstände der
Schließung für touristische Besichtigung lösten keinerlei Warnpflicht aus. Die Absperrung der Synagoge war
unauffällig durch zwei Polizisten vorgenommen, der Anlass der Sperrung wurde dem Reiseleiter D., der gar nicht erst
angehalten hatte, am Folgetag von seiner örtlichen Zentrale mit einem jüdischen Festtag erläutert; daraus folgte
nichts, was an die Ausflugsteilnehmer des 11. April 2002 im Sinne einer Warnung oder nur eines Risikohinweises
hätte weitergegeben werden müssen.
Nichts dem Kläger Günstigeres folgt aus der Aussage des Zeugen K., der nicht bekundet hat, wie vom Kläger
vorgetragen, er und seine Gruppe seien ultimativ und martialisch zurückgewiesen worden, was auf eine bekannt
gewordene Gefahrenlage hätte hindeuten können, sondern dem die Absperrung als normal und unauffällig
vorgekommen ist.
Eine allgemeine Pflicht, den Reisenden, die wussten, dass der Synagogenbesuch zum Ausflugsprogramm gehörte,
vor Augen zu führen, dass es problematisch sein könnte, eine jüdische Einrichtung in einem arabischen Land zu
besuchen gibt es ebensowenig, wie es generell keine Warnpflichten vor der Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs
bzw. der UBahn in London, Tokio, Madrid oder New York gibt.
III.
Die prozessualen Nebenentscheidungen gründen sich auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO hinsichtlich der vorläufigen
Vollstreckbarkeit sowie auf § 97 Abs. 1 ZPO hinsichtlich der Kosten der Berufungsinstanz.
Zur Zulassung der Revision hat der Senat keinen Grund gesehen. Auch die Parteien haben insoweit nichts
vorgetragen, das zu anderer Beurteilung Anlass gegeben hätte.
... ... ...