Urteil des OLG Celle vom 25.08.2010

OLG Celle: strafverfahren, einzelrichter, gebühr, vertreter, vergütung, körperverletzung, zivilprozessordnung, gerichtsverfassungsgesetz, begriff, ermessen

Gericht:
OLG Celle, 02. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 2 Ws 303/10
Datum:
25.08.2010
Sachgebiet:
Normen:
RVG § 15 Abs. 2 Satz 1
Leitsatz:
Vertritt ein Rechtsanwalt in einem Strafverfahren den Angeklagten, welcher als Nebenkläger
zugelassen ist, sowohl als Verteidiger als auch als Vertreter der Nebenklage, handelt es sich bei
dieser Tätigkeit gebührenrechtlich jedenfalls dann um dieselbe Angelegenheit i. S. von § 15 Abs. 2
Satz 1 RVG, wenn Verteidigung und Nebenklage dieselbe prozessuale Tat betreffen.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
2 Ws 303/10
KLs 406 Js 7477/08 (1/09) LG Bückeburg
406 Js 7477/08 StA Bückeburg
B e s c h l u s s
In der Strafsache
gegen A. M. u. a.
hier: gegen M. G. ,
geboren am 1. April 1989 in C. (T.),
wohnhaft B.straße, B.,
zugleich Nebenkläger
Verteidiger und zugleich Nebenklagevertreter: Rechtsanwalt S., B.
wegen Freispruch vom Verdacht der gefährlichen Körperverletzung u. a.
hier: Kostenfestsetzung
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht
xxxxxxxxx, die Richterin am Oberlandesgericht xxxxxxxxxx und den Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxx -
letzterer zu 1. als Einzelrichter - am 25. August 2010 beschlossen:
1. Das Verfahren wird dem Senat zur Entscheidung übertragen.
2. Die sofortige Beschwerde des Verteidigers und Nebenklagevertreters gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss
des Landgerichts
Bückeburg vom 9. Juli 2010 wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu
tragen.
4. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 7.170,94 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Der Beschwerdeführer vertrat den früheren Angeklagten und inzwischen rechtskräftig freigesprochenen M. G. in
einem Strafverfahren vor der 1. großen Jugendkammer des Landgerichts Bückeburg wegen gefährlicher
Körperverletzung in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei als Verteidiger. In diesem Strafverfahren, welches
wegen desselben Tatgeschehens gegen fünf Angeklagte geführt wurde, wurde M. G. durch Beschluss der 1. großen
Jugendkammer vom 06.02.2009 als Nebenkläger zugelassen und ihm der Beschwerdeführer als Beistand
beigeordnet, welcher G. in der Hauptverhandlung zugleich als Nebenklagevertreter vertrat. M. G. wurde mit
rechtskräftigem Urteil der 1. großen Jugendkammer vom 03.07.2009 freigesprochen. Nach der Kostenentscheidung
des Urteils, welche mit Beschluss der 1. großen Jugendkammer vom 11.03.2010 ergänzt worden ist, hat die
Landeskasse betreffend M. G. die Kosten des Verfahrens sowie die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen zu
tragen. Dem Verurteilten M. wurden die notwendigen Auslagen des Nebenklägers M. G. auferlegt.
Mit Schriftsatz vom 08.07.2009, mit dem zugleich eine Abtretungserklärung des freigesprochenen M. G. gemäß § 43
RVG vorgelegt wurde, beantragte der Beschwerdeführer für seine Tätigkeit als Wahlverteidiger 12.596,03 € an
Gebühren festzusetzen. Er beantragte ferner für seine Tätigkeit als Nebenklägervertreter weitere 7.170,94 € an
Gebühren festzusetzen. Bei der Beantragung der Festsetzung der Wahlverteidigergebühren wurden für die
Grundgebühr aus Nr. 4100 VV RVG und die Verfahrensgebühren aus Nr. 4104 und 4118 VV RVG jeweils die
Höchstgebühr sowie für sämtliche Hauptverhandlungstage mit Ausnahme von zwei Tagen die Höchstgebühr aus
dem Gebührentatbestand Nrn. 4118, 4120 VV RVG in Höhe von 780 € geltend gemacht, im Übrigen Gebühren von
445 €.
Die geltend gemachten Gebühren für die Nebenklagevertretung in Höhe von 7.170,94 € wurden dem
Beschwerdeführer bereits ausgezahlt.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 09.07.2010 hat die Rechtspflegerin bei dem Landgericht Bückeburg die von
der Landeskasse an den Angeklagten zu erstattenden notwendigen Auslagen auf (weitere) 5.425,09 € festgesetzt.
Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, bei der Vertretung einer Person zugleich als Angeklagten und als
Nebenkläger handele es sich um eine Angelegenheit i. S. des § 15 Abs. 2 RVG. Die im Wege der Beiordnung
ausgezahlte Vergütung für die Tätigkeit des Beschwerdeführers als Nebenklagevertreter in Höhe von 7.170,94 € sei
auf die geltend gemachte Vergütung für die Tätigkeit als Verteidiger in Höhe von 12.596,03 € anzurechnen, sodass
ein festzusetzender Rest in Höhe von 5.425,09 € verbleibe.
Gegen diesen ihm am 14.07.2010 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss hat der Beschwerdeführer mit am
15.07.2010 bei dem Landgericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat der
sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 12.08.2010 nicht abgeholfen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
1.
a) Für die zu treffende Entscheidung ist grundsätzlich der Einzelrichter des Strafsenats zuständig. Nach § 464 b
Satz 3 StPO gelten für das Kostenfestsetzungsverfahren die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend.
Damit findet auch § 568 Satz 1 ZPO für das Beschwerdeverfahren Anwendung, wonach über die Beschwerde der
Einzelrichter entscheidet, wenn der Einzelrichter oder wie hier der Rechtspfleger die angefochtene Entscheidung
getroffen hat (vgl. OLG Celle, 2. Strafsenat, Beschluss vom 21.07.2010 ¬ 2 Ws 266/10 . 1. Senat, Beschluss vom
06.10.2009 1 Ws 488/09 ).
b) Nach § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO überträgt der Einzelrichter das Verfahren dem Spruchkörper zur Entscheidung in der
vom Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung
aufweist. Dies ist hier der Fall, denn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob der Rechtsanwalt, welcher
zugleich als Verteidiger und als Nebenklagevertreter dieselbe Person im Strafverfahren vertritt, in derselben
Angelegenheit i. S. d. § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG tätig wird, ist - soweit ersichtlich - obergerichtlich noch nicht geklärt.
2.
a) Die gemäß § 464 b Satz 3 StPO i. V. m. § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO, § 11 Abs. 1 RpflG statthafte sofortige
Beschwerde ist zulässig, insbesondere in der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegt. Der Beschwerdeführer
ist, nachdem ihm der Freigesprochene und Nebenkläger seinen Kostenerstattungsanspruch nach § 43 RVG wirksam
abgetreten hat, auch beschwerdebefugt.
b) Das Rechtsmittel bleibt jedoch ohne Erfolg.
Vertritt ein Rechtsanwalt in einem Strafverfahren den Angeklagten, welcher als Nebenkläger zugelassen ist, sowohl
als Verteidiger als auch als Vertreter der Nebenklage, handelt es sich bei dieser Tätigkeit gebührenrechtlich
jedenfalls dann um dieselbe Angelegenheit i. S. von § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG, wenn Verteidigung und Nebenklage -
wie hier - dieselbe prozessuale Tat betreffen.
Der Begriff derselben Angelegenheit wird durch das RVG nicht definiert (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., §
15 Rdnr. 9). Die Frage, ob dieselbe Angelegenheit oder verschiedene Angelegenheiten vorliegen, bestimmt sich
maßgeblich nach der Art und des Umfanges des Auftrages (vgl. BGH NJW 1995, 1431), wobei eine Angelegenheit i.
S. des § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG auch bei mehreren gleichzeitig oder sukzessiv erteilten Aufträgen bestehen kann
(vgl. Hartmann a. a. O. Rdnr. 15). Erforderlich ist, dass bei objektiver Betrachtung die einzelnen Tätigkeiten des
Rechtsanwaltes innerlich zusammen gehören (vgl. Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller Rabe, RVG, 17. Aufl., §
15 Rdnr. 9. Hartmann a. a. O.), wobei sich die innere Zusammengehörigkeit u. a. aus der Frage ergibt, ob die
verschiedenen, den Aufträgen zugrundeliegenden Gegenstände in einem Verfahren verfolgt werden können
(Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/
MüllerRabe a. a. O.).
Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Tätigkeit des Rechtsanwaltes als Verteidiger des Angeklagten und
zugleich als Vertreter des Angeklagten als Nebenkläger fand in demselben Strafverfahren statt. Gebührenrechtlich
ist in Strafsachen das gleiche Strafverfahren stets die gleiche Angelegenheit (vgl. Gerold/Schmidt/ v. Eicken/Madert
Müller Rabe, § 15 Rdz. 13). Zwar übt der Rechtsanwalt, der zugleich als Verteidiger und Nebenklägervertreter tätig
wird, in dem Strafverfahren und somit auch in der Hauptverhandlung eine Doppelfunktion aus. Diese Doppelfunktion
führt jedoch nicht dazu, dass der Rechtsanwalt nicht mehr in derselben Angelegenheit i. S. des § 15 Abs. 2 Satz 1
RVG tätig wird (vgl. Gerold/Schmidt/ v. Eicken/Madert Müller Rabe § 15 Rdnr. 14 a. E.. für die alte Rechtslage unter
Geltung der BRAGO Göttlich/Mümmler u. a., BRAGO, 20. Aufl., S. 1002). Eine Addition der Gebühren scheidet also
aus (so bereits LG Krefeld, Rechtspfleger 1978, 462). Auch eine Erhöhung der Gebühren nach Nr. 1008 VV RVG
findet nicht statt, da der Rechtsanwalt auch in Ansehung der Doppelfunktion nur eine Person vertritt
(Göttlich/Mümmler/Rehberg/Xanke, RVG, 2. Aufl., S. 654).
Die Doppelfunktion kann allerdings bei der Bemessung der Gebühr aus dem Grundrahmen der Gebühren gemäß Nrn.
4100 ff. VV RVG zu berücksichtigen sein, da die Doppelfunktion als Verteidiger und als Nebenklagevertreter für den
Rechtsanwalt in der Regel eine ins Gewicht fallende Mehrbelastung mit sich bringt (vgl. Gerold/Schmidt/v.
Eicken/Madert Müller Rabe, § 14 Rdnr. 24. Göttlich/ Mümmler/Rehberg/Xanke, RVG, 2. Aufl., S. 654. LG Freiburg
Anwaltsblatt 1982, 390 . LG Krefeld, Rechtspfleger 1978, 462 zitiert nach juris).
Danach hätte hier die Doppelfunktion des Beschwerdeführers bei der Bestimmung der Gebühren nach § 14 Abs. 1
RVG nach billigem Ermessen zu berücksichtigen sein können. Dies kommt hier jedoch nicht in Betracht.
Der Beschwerdeführer hat nämlich für die Grundgebühr aus Nr. 4100 VV RVG und die Verfahrensgebühren aus Nr.
4104 und 4118 VV RVG jeweils die Höchstgebühr sowie für die Verhandlungstage am 11., 16.03., 17., 27., 29.04.,
06., 18.05., 08., 16. und 30.06.2009 jeweils die Höchstgebühr aus dem Gebührenrahmen der Nr. 4120 von 780 € in
Ansatz gebracht, sodass auch die zusätzliche Berücksichtigung seiner Doppelfunktion eine weitere
Gebührenerhöhung nicht ermöglichen würde. Soweit der Beschwerdeführer für die Hauptverhandlungstermine am
25.05. und 30.07.2009 die Gebühr auf jeweils 445 € bestimmt hat, vermag auch die Berücksichtigung seiner
Doppelfunktion innerhalb des vorgegebenen Gebührenrahmens von Nr. 4120 VV RVG von 100 € bis 780 € in
Ansehung der Tatsache, dass die Hauptverhandlung am 25.05.2009 nur von 08:44 Uhr bis 08:57 Uhr und am
03.07.2009 von 09:16 Uhr bis 10:10 Uhr dauerte, eine höhere Gebühr nicht zu rechtfertigen. Die von dem
Beschwerdeführer vorgenommene Bestimmung der Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens ist somit nicht unbillig i.
S. des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG und damit für die Gebührenfestsetzung bindend.
Die von dem Landgericht vorgenommene Festsetzung von insgesamt 12.596,03 € an Gebühren ist daher im
Ergebnis nicht zu beanstanden.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.
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