Urteil des OLG Brandenburg vom 02.06.2009

OLG Brandenburg: wohl des kindes, elterliche sorge, mediation, jugendamt, schule, haushalt, familie, kindeswohl, gefährdung, entzug

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 4.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 UF 41/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 621e ZPO, § 1666 BGB
Elterliche Sorge: Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts der
getrenntlebenden Eltern aus Gründen des Kindeswohls
Tenor
Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird der Beschluss des Amtsgerichts Nauen vom
2. Juni 2009 - 20 F 102/07 - unter teilweiser Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen
wie folgt abgeändert:
Den Kindeseltern wird das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das minderjährige Kind D…
F…, geboren am …. April 2002, entzogen.
Insoweit wird das Jugendamt … zum Pfleger bestimmt.
Im Übrigen verbleibt es bei der elterlichen Sorge der Kindeseltern für ihr gemeinsames
Kind D….
Kosten werden nicht erstattet.
Der Beschwerdewert beträgt 3.000 €.
Gründe
I.
Die Parteien sind die Eltern des am …. April 2002 geborenen Kindes D…. Sie streiten seit
ihrer im Juli 2007 erfolgten Trennung um das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihr
gemeinsames Kind.
Nachdem die Kindesmutter zunächst mit dem gemeinsamen Kind die Ehewohnung
verlassen hatte, ist sie nach einer entsprechenden Einigung der Kindeseltern in einem
einstweiligen Verfahren in eine Wohnung in E… – dem Wohnort der Kindeseltern –
gezogen. D… besucht seit September 2008 die Grundschule und wurde zunächst im
sogenannten Wechselmodell mit wöchentlichem Wechsel, sowohl vom Vater als auch
von der Mutter versorgt und betreut.
Während der beim Vater verbrachten Woche besuchte D… vor Schulbeginn und nach
Schul-ende den Kinderhort.
Nachdem beide Kindeseltern zu der Auffassung gelangt waren, dass das Wechselmodell
für das Wohl ihres Sohnes D… nicht förderlich sei, haben beide Eltern die Aufhebung der
gemeinsamen elterlichen Sorge insoweit beantragt, als sie jeweils das
Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihren Sohn D… allein für sich beantragt haben.
Gemäß dem Beweisbeschluss vom 23. September 2008 hat das Amtsgericht Nauen ein
Sachverständigengutachten eingeholt (siehe zum Inhalt des Beweisbeschlusses im
Einzelnen Bl. 90 f. d.A.), das der bestellte Sachverständige Dr. E… S… am 8. April 2009
erstattet hat. Der Begutachtungszeitraum hat sich nach Angaben des Gutachters von
September 2008 bis März 2009 erstreckt. Wegen des weiteren Inhalts des
Sachverständigengutachtens im Einzelnen wird auf das Gutachten Bl. 127 bis 196 d.A.
verwiesen.
Durch den angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht das
Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind D… dem Kindesvater allein übertragen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die gravierenden Kommunikationsprobleme
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Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die gravierenden Kommunikationsprobleme
zwischen den Eltern die Aufhebung der gemeinsamen Elternverantwortung im Hinblick
auf das Aufenthaltsbestimmungsrecht zum Wohl des gemeinsamen Sohnes D…
zwingend erforderlich machten. Die Eltern seien gegenwärtig ausschließlich unter
Mediation in der Lage, einvernehmlich im Interesse ihres gemeinsamen Sohnes zu
handeln. Sie blockierten sich und den jeweils anderen auf Grund individueller Egoismen
und teilweise auch nur aus Trotz. Nach dem Inhalt des Sachverständigengutachtens sei
gegenwärtig davon auszugehen, dass der Kindesvater eine größere Bindungstoleranz
zeigen könne und sich auch in der Mediation nachgiebiger und kompromissbereiter
gezeigt habe. Zudem sei die Mutter für das Kind D… nur auf der Verbalebene die
primäre Bezugsperson, während auf der Darstellungsebene und bei anderen
Verhaltensparametern eindeutig der Kindesvater einen Vorsprung habe.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die befristete Beschwerde der Kindesmutter, die sie
im Wesentlichen damit begründet, dass die Entscheidung des Amtsgerichts
verfahrensfehlerhaft ergangen sei. Es habe dem Amtsgericht oblegen, dem Kind D…
einen Verfahrenspfleger zu bestellen. Dies sei bereits durch die Feststellung, dass D… in
starken Loyalitäts- und Ambivalenzkonflikten stecke, unbedingt erforderlich gewesen.
Der Senat hat den Sachverständigen Dr. S… in der Sitzung zur mündlichen Verhandlung
vom 12. August 2009 persönlich zu seinen Ausführungen im Gutachten befragt. Wegen
der Ausführungen des Sachverständigen wird auf das Sitzungsprotokoll vom 12. August
2009, Bl. 321 d.A., verwiesen. Im Anschluss daran hat der Senat das Kind D… F…
persönlich angehört.
Im Anschluss an den Termin vom 12. August 2009 haben die Kindeseltern zu den
Herbst- und Weihnachtsferien eine einverständliche Vereinbarung getroffen. Während
eines Treffens der Parteien beim Jugendamt in N… haben sie sich am 1. September
2009 auf eine „Umgangsvereinbarung“ geeinigt, nach deren Inhalt gleichzeitig der
ständige Aufenthalt von D… - bis auf Weiteres - geregelt wurde. D… hat sich seitdem in
jeder ungeraden Kalenderwoche von Donnerstag nach der Schule bis Montag vor der
Schule sowie jeden Mittwoch nach der Schule bis zum Ende des Fußballtrainings im
Haushalt der Kindesmutter aufgehalten und im Übrigen im Haushalt des Kindesvaters
gelebt.
Diese jedenfalls für die Zwischenzeit bis zu einer Entscheidung gefundene
einverständliche Lösung der Kindeseltern führte – im erklärten Einverständnis der
Parteien – zur Abgabe der Sache an die Mediationsabteilung im Hause. Die Mediation
führte nicht zu einer von den Parteien ausgehandelten einverständlichen Lösung.
Dem Kind D… wurde ein Verfahrenspfleger gestellt. Die Verfahrenspflegerin Frau Dipl.-
Psychologin B… hat sowohl in ihrem schriftlichen Bericht, datierend vom 4. März 2010,
als auch nochmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 10. März 2010
ausgeführt, es sei der ausdrückliche Wunsch von D…, bei beiden Eltern künftig gleich viel
zu sein. Statt wie zurzeit 4 Tage bei der Mutter und 9 Tage beim Vater wolle er in
Zukunft bei beiden Eltern 14 Tage im Wechsel wohnen. Er wolle im Übrigen auch am
Montag jeweils wechseln, denn er könne schon alleine zur Bushaltestelle gehen, an der
der Schulbus halte. Gleichzeitig äußerte sich D… dahin, dass er nicht wisse, für welchen
der beiden Elternteile er sich entscheiden solle und er wäre auch mit einer Entscheidung
des Gerichts, die bestimme, bei welchem Elternteil er künftig überwiegend wohnen solle,
nicht einverstanden. Er glaube im Übrigen, dass seine Eltern, wenn sie von seinem
dringenden Wunsch erführen, sich in dieser Weise auch einigen würden. In der
mündlichen Verhandlung führte die Verfahrenspflegerin sodann ergänzend aus, D…
habe beide Elternteile gleich lieb und könne seine Wünsche schon deshalb relativ klar
benennen, weil er sich mit anderen Kindern in der Schule, deren Eltern ebenfalls
getrennt lebten, offenbar austausche. Er befürchte insbesondere auch keinen Verlust
seiner Freunde, weil die Eltern ja relativ nahe beieinander wohnten. Gleichzeitig erklärte
die Verfahrenspflegerin, mit D… die Bedeutung eines 14tägigen Modells eingehend
besprochen zu haben, ihm insbesondere den konkreten Zeitablauf erklärt zu haben. Sie
wies darauf hin, dass D… eine niedrige Frustrationsschwelle habe, was man daran sehe,
dass er ihr von seinen Ängsten hinsichtlich der Monster, die ihn auffressen wollten, wenn
er ins Bett gehe und die Gardinen zumache, erzählt habe. Es werde Auswirkungen auf
die Entwicklung des Kindes D… haben, dass sein nunmehr, nach langen Überlegungen
gefundener Entschluss, den er auch noch einem Dritten – nämlich ihr gegenüber –
geäußert habe, derart missachtet werde, ebenso wie sein Appell an die Eltern, sich auf
Dauer zu einigen.
Auf Befragen des Senats erklärte die Kindesmutter in der mündlichen Verhandlung
persönlich gehört, sie sei mit der Situation wie sie gegenwärtig in Bezug auf den
Aufenthalt des Kindes D… bestehe, nicht zufrieden. Das Kind und sie möchten länger
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Aufenthalt des Kindes D… bestehe, nicht zufrieden. Das Kind und sie möchten länger
miteinander zusammen sein.
Der Antragsteller und Kindesvater persönlich gehört erklärte, er sei zufrieden und könne
keine Wünsche des Kindes erkennen, auch nicht im Hinblick auf die Stellungnahme der
Verfahrenspflegerin. Er erklärte nach den weiteren Ausführungen der
Verfahrenspflegerin, für ihn scheide ein Wechselmodell - auch im 14-tägigen Rhythmus -
aus.
II.
Die gemäß § 621 e ZPO zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts
Nauen, mit dem das Amtsgericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind D…
dem Kindesvater allein übertragen hat, führt zu der aus der Beschlussformel
ersichtlichen Entscheidung. Der angefochtene Beschluss ist insoweit abzuändern, als
weder dem Kindesvater noch der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihr
gemeinsames Kind zu übertragen ist, sondern der Teilbereich des
Aufenthaltsbestimmungsrechts den Kindeseltern zu entziehen und einem Pfleger zu
übertragen ist. Im Übrigen verbleibt die elterliche Sorge bei den Kindeseltern.
Nach § 1666 Abs. 1 BGB kann den Sorgeberechtigten die elterliche Sorge entzogen
werden, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes durch
missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes,
durch unverschuldetes Versagen oder durch das Verhalten eines Dritten gefährdet wird,
sofern die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, d.h., die zur
Gefahrabwehr erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Dabei sind Maßnahmen, mit denen
eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, nur zulässig, wenn
der Gefahr nicht auf andere Weise begegnet werden kann (§ 1666 a BGB).
Maßstab für die zu treffende Entscheidung ist das Wohl des Kindes, also der umfassende
Schutz des in der Entwicklung befindlichen jungen Menschen. Eine Gefährdung des
Kindeswohls liegt stets vor, wenn das Kind bereits einen Schaden erlitten hat. Sie ist
aber auch dann anzunehmen, wenn die begründete gegenwärtige Besorgnis besteht,
dass bei Nichteingreifen des Gerichts das Kindeswohl beeinträchtigt würde, d.h., der
Eintritt eines Schadens mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten ist (Palandt/Diederichsen,
BGB, 68. Aufl., § 1666, Rz. 8). Eine begründete Besorgnis zukünftiger Schädigungen des
Kindes entsteht regelmäßig aus Vorfällen in der Vergangenheit. Auf Seiten der
Sorgeberechtigten ist ein Missbrauch der elterlichen Sorge nicht notwendig. Es genügt,
dass sie das Kind vernachlässigen, d.h., ausreichende Maßnahmen, die unter
Berücksichtigung der sozialen, kulturellen und ökonomischen Situation der Familie eine
ungestörte und beständige Erziehung, Beaufsichtigung und Pflege des Kindes im
Rahmen der Familie gewährleisten soll, unterlassen. Möglich ist auch ein
unverschuldetes Versagen der Eltern, wobei mit dem Auffangtatbestand bezweckt wird,
akute und schwerwiegende Gefährdungen des körperlichen und seelischen Wohls der
Kinder abzuwehren. Die Gründe für das elterliche Versagen sind unerheblich (OLG
Brandenburg, FamRZ 2008, 1556).
Liegen diese Voraussetzungen vor, hat das Gericht die zur Gefahrenabwehr
erforderlichen und geeigneten Maßnahmen unter Beachtung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit zu treffen. Denn nach Artikel 6 Abs. 2 S. 1 GG sind Pflege und
Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern. In dieses Recht darf der Staat
grundsätzlich nur im Rahmen des staatlichen Wächteramtes (Artikel 6 Abs. 2 S. 2 GG)
eingreifen. Eingriffe in das Elternrecht sind vorliegend jedoch verfassungsrechtlich
gerechtfertigt, weil das Wohl des Kindes durch die Sorgerechtsausübung der
Kindeseltern gefährdet wird.
Der teilweise Entzug des Sorgerechts – des Aufenthaltsbestimmungsrechts – und die
Anordnung einer Pflegschaft sind geeignet, dem Missbrauch der elterlichen Sorge durch
die Kindeseltern entgegenzuwirken. Die getroffene Maßnahme beachtet den Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit, denn mildere Mittel zur Abwendung der Fortsetzung des
kindeswohlgefährdenden Verhaltens der Kindeseltern sind nicht mit der gleichen
Wirksamkeit ersichtlich. Der teilweise Sorgerechtsentzug und die Anordnung der
Pflegschaft stehen zu dem mit diesen Maßnahmen verfolgten Kindesinteresse nicht
außer Verhältnis; sie sind in Wahrnehmung des staatlichen Wächteramtes vielmehr
geboten (siehe hierzu auch BGH, FamRZ 2008, 45).
Die Auslegung der genannten unbestimmten Rechtsbegriffe „Kindeswohl“,
„Gefährdung“ und „erforderlichen Maßnahmen“ ist geprägt von der
verfassungsrechtlichen Ausgangssituation. Hiernach ist die Erziehung der Kinder das
natürliche Recht der Eltern und die zu vorderst ihnen obliegende Pflicht. Das Elternrecht
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natürliche Recht der Eltern und die zu vorderst ihnen obliegende Pflicht. Das Elternrecht
besteht mithin nicht um seiner selbst Willen, sondern zum Wohle der Kinder. Es
vermittelt daher keinen „ungebundenen Machtanspruch“ der Eltern gegenüber ihren
Kindern, sondern die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Elternrechts gilt in erster
Linie dem Schutz des Kindes (BVerfG-Entscheidung 61, 358, 371; 72, 155, 172). Das
Kindeswohl ist mithin der Richtpunkt für den auch den Familiengerichten durch die
Verfassung übergebenden Auftrag des staatlichen Wächteramtes. Zudem ist das Kind
selbst Grundrechtsträger, denn ihm steht das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus
Artikel 1 i.V.m. Artikel 2 GG zur Seite (vgl. BVerfG-Entscheidung, a.a.O.).
Der Bedeutung und Tragweite des Elternrechts über die Notwendigkeit der
Berücksichtigung des Kindeswohls sind auch durch den Kindeswillen Grenzen gesetzt.
Denn der Wille des Kindes ist grundsätzlich zu berücksichtigen, soweit dies mit seinem
Wohl vereinbar ist (vgl. BVerfG-Entscheidung 55, 171, 182). Das Kind ist bei jeder
Entscheidung des Familiengerichts in seiner Individualität und mit seinem Willen vor
allem auch deswegen einzubeziehen, weil familiengerichtliche Entscheidungen
maßgeblichen Einfluss auf sein künftiges Leben nehmen und es damit unmittelbar
betroffen wird (vgl. BVerfG, FamRZ 2008, 1737, 1738; Kammergericht, FamRZ 2004,
483). Dieser Gesichtspunkt gewinnt mit zunehmenden Alter und zunehmender
Einsichtsfähigkeit des Kindes an Bedeutung, da es sich nur so zu einer
eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Person entwickeln kann.
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe führt eine Gesamtabwägung der maßgeblichen
Umstände dazu, dass den Kindeseltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entziehen
war, weil anderenfalls das Wohl des Kindes D… erheblich gefährdet wäre. Eine weniger
einschneidende Maßnahme reicht hier nicht aus, um die Situation von D… zu
verbessern.
Eine Gefährdung des Wohls des Kindes D liegt darin, dass die Kindeseltern auf Grund
ihres immer noch auf der Trennungsebene ausgetragenen Streites die Bedürfnisse ihres
Kindes nicht zu erkennen vermögen. Bereits der Sachverständige Dr. S… hat in dem von
ihm am 8. April 2009 erstatteten Gutachten aufgrund seiner über einen längeren
Zeitraum gewonnen Erkenntnisse im Einzelnen ausgeführt, dass die Kindeseltern nur
unter Mediation in der Lage seien, einvernehmlich zu handeln und dies letztlich deshalb
nicht zum Erfolg führe, weil beide Eltern eine weitere Mediation ablehnten. Die Elternteile
seien beide derart streitverhangen, dass sie nur wenig zwischen Paar- und Elternebene
trennen könnten. Den Eltern gelängen viele Handlungen zum Wohle von D… nicht, weil
sie noch negative Bindungen aneinander hätten. Die Eltern hätten nicht die Einsicht,
dass sie eine gemeinschaftliche Elternschaft ausüben müssten, die sie gemeinschaftlich
zum Wohle D…s auszuüben hätten. Erzieherisch sei am Wichtigsten, dass beide zu
einem halbwegs kongruenten Verhalten in Bezug auf die Ge- und Verbote von D…
kämen, so dass dieser die beiden Eltern nicht mehr gegeneinander ausspielen könne.
Dazu gehöre es, sich über die Ge- oder Verbote zu einigen und Freizeitangebote für D…
so zu gestalten, dass er sie tatsächlich nutzen könne. Dies erfordere von beiden
Elternteilen ein Zugehen auf die Einstellungen und Erziehungserwartungen des jeweils
anderen.
Die Eltern sind auch gegenwärtig - insoweit hat eine Veränderung ihres Verhaltens seit
der Gutachtenerstattung durch den Sachverständigen S… nach dem Eindruck des
Senats, den er sich selbst in den mündlichen Verhandlungen machen konnte nicht
stattgefunden – nicht in der Lage, sich über den Aufenthalt des Kindes D… zu einigen.
Insbesondere vermögen sie nicht zu erkennen, dass der von dem Kind D… gegenüber
der Verfahrenspflegerin geäußerte Wille ernst zu nehmen ist, denn er entspricht einer
langen Willensbildung des Kindes. Dass der Sohn D… sich umfangreiche Gedanken über
seinen Aufenthalt gemacht hat ist schon daraus ersichtlich, dass er selbst einen
Aufenthaltswechsel immer für den Montag vorgeschlagen hat, weil er bereits groß genug
sei, um allein zum Schulbus zu gehen. Dies hat er ausdrücklich deshalb vorgeschlagen,
damit die Eltern nicht zu häufig aufeinander treffen und so keine Gelegenheit haben, sich
über die ihn betreffenden Dinge zu streiten. Der Wunsch und Wille des Kindes D… ist
auch nachvollziehbar, eben weil er zu beiden Elternteilen ein gutes vertrauensvolles
Verhältnis und eine intensive Beziehung und Bindung hat, wünscht er sich, seine Zeit in
beiden Haushalten der Eltern gleichmäßig zu verbringen. Dass D… nicht für bzw. gegen
einen Elternteil entscheiden möchte, entspricht auch den Äußerungen des Kindes in der
persönlichen Anhörung durch den Senat. Die Eltern, insbesondere der Kindesvater,
können in der gegenwärtigen Situation offenbar nicht erkennen, wie wichtig es für D… ist,
dass seine Eltern sich auf Dauer über seinen Aufenthalt einigen und es hierbei aus
seiner Sicht gerecht zugeht.
Sowohl die Verfahrenspflegerin als auch die Mitarbeiter des Jugendamtes sehen in dieser
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Sowohl die Verfahrenspflegerin als auch die Mitarbeiter des Jugendamtes sehen in dieser
Einstellung der Kindeseltern die Gefahr einer Kindeswohlgefährdung, da D… bereits jetzt
eine sehr niedrige Frustrationsschwelle habe mit der Folge, dass die Missachtung seines
nunmehr sogar Dritten gegenüber geäußerten Willens Auswirkungen negativer Art auf
seine weitere Entwicklung ernsthaft befürchten lässt.
Die Kindeseltern sind gehalten – und dies würde ein 14tägiges Wechselmodell in hohem
Maße erfordern – sich über ein einheitliches Erziehungskonzept für ihren Sohn D… zu
einigen, die Vorstellungen des jeweils anderen in der Frage der Erziehung zu tolerieren
und damit zu verhindern, dass D… die Uneinigkeit der Eltern – mit zunehmenden Alter
immer mehr – nutzt, um diese gegeneinander auszuspielen.
Entgegen der Ansicht der Kindesmutter war nicht ihr allein das
Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen und dem Kindesvater ein annähernd gleich
häufiges Umgangsrecht einzuräumen. Denn die Unfähigkeit der Eltern, sich im Interesse
und zum Wohl ihres Kindes D… dauerhaft zu einigen gebietet es, einem neutralen
Dritten - dem Jugendamt- die Entscheidung zum Aufenthalt des Kindes zu überlassen,
um den zu erwartenden Streit im Rahmen der Ausübung des Umgangsrechts zu
vermeiden und für D… endlich eine dauerhafte Lösung zu finden, die seinem eindeutig
geäußerten Willen entspricht.
Da beide Eltern ihren Sohn lieben und das Beste für ihn wollen, kann angenommen
werden, dass sie nunmehr in der Lage sind, an den erforderlichen Maßnahmen
mitzuwirken, mit der Folge, dass der Entzug der elterlichen Sorge für den Teilbereich
Aufenthaltsbestimmung dem Senat als ausreichend erscheint. Das Jugendamt, das zum
Pfleger bestimmt wird, wird im engen Kontakt mit den Eltern zu entscheiden haben, in
welchem Rhythmus sich das Kind D… im jeweiligen Haushalt der Kindesmutter bzw. des
Kindesvaters aufzuhalten hat.
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