Urteil des OLG Brandenburg vom 02.03.2009

OLG Brandenburg: elterliche sorge, wohl des kindes, haushalt, eltern, jugendamt, kindeswohl, sorgerecht, beeinflussung, anhörung, hauptsache

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 UF 37/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1671 BGB, § 1696 BGB
Elterliches Sorgerecht: Übertragung der elterlichen Sorge auf
einen Elternteil; Kindswohlprüfung; Bedeutung des vom Kind im
Verfahren geäußerten Willens
Tenor
1.
abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Das am 22. März 2001 verkündete Urteil des Amtsgerichts Oranienburg (Aktz. 34
F 9/00) wird hinsichtlich der Ziff. II. des Tenors abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die elterliche Sorge für das Kind N… T…, geboren am …. Mai 1997, wird dem
Antragsteller allein übertragen.
Mit dieser Maßgabe wird die gegen den Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 2.
März 2009 eingelegte befristete Beschwerde der Antragsgegnerin vom 5. April 2009
zurückgewiesen.
2.
erstattet.
3.
einstweilige Anordnung weitere 500 €.
Gründe
I.
Die Kindeseltern streiten um das Sorgerecht für ihren gemeinsamen Sohn
N… T…, geboren am …. Mai 1997
Die Kindeseltern haben 1997 die Ehe geschlossen. Im November 1998 trennten sie sich.
Mit Urteil des Amtsgerichts Oranienburg (34 F 9/00, Bl. 25) vom 22. März 2001 wurde
ihre Ehe geschieden. Zugleich wurde die elterliche Sorge für den betroffenen Sohn der
Antragsgegnerin allein übertragen. Seit Trennung der Kindeseltern lebte N… im Haushalt
der Antragsgegnerin und wurde von dieser betreut und versorgt. Der Antragsteller
erhielt aufgrund einer Vereinbarung der Eltern regelmäßigen Umgang, wobei es
gleichwohl zu Störungen kam.
Die Antragsgegnerin ist von Beruf Architektin. Sie ist erneut verheiratet.
Der Antragssteller lebt in einer neuen Beziehung, gemeinsam mit seiner
Lebensgefährtin betreibt er eine Softwarefirma.
Das Jugendamt … führte auf Bitten des Antragsstellers seit September 2007 mit dem
betroffenen Kind eine Therapie durch. Im Zusammenhang damit wurden
Verhaltensauffälligkeiten bei N… festgestellt und eine psychotherapeutische Hilfe
dringend angeraten.
Am 2. September 2008 fuhren N… und seine Mutter im PKW. Es kam zu einem Streit
zwischen den Beiden. Die Antragsgegnerin hielt den Wagen an und forderte N… auf,
auszusteigen. Dies war etwa 400 m von der Wohnung der Mutter entfernt. Die Mutter
fuhr sodann mit dem PKW fort. N… rief den Antragssteller an, der daraufhin mit seinem
PKW zum Ort des Geschehens fuhr, N… auffand und mit sich nahm. Der Antragssteller
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PKW zum Ort des Geschehens fuhr, N… auffand und mit sich nahm. Der Antragssteller
nahm sogleich Kontakt mit dem Jugendamt auf, das sodann Gespräche mit den Eltern
führte. Weitere Einzelheiten zu diesem Vorfall sind streitig. Jedenfalls kam es
nachfolgend zum Wechsel des betroffenen Kindes – insbesondere auf dessen
geäußerten Wunsch hin – in den Haushalt des Antragsstellers; die Antragsgegnerin
stimmte dem zu. Seither ist N… in B… beim Vater angemeldet und besucht eine
Grundschule dort. Die Therapiemaßnahmen wurden auch nach dem Wechsel in den
väterlichen Haushalt fortgesetzt.
Der erste Umgang mit der Mutter fand am Wochenende 26. September 2008 statt.
Geplant war der Aufenthalt des Sohnes im Haushalt der Mutter über das Wochenende.
Dieser wurde bereits nach wenigen Stunden durch den Sohn abgebrochen, der sodann
zum Vater zurückkehrte. Nachfolgend kam es nur zu wenigen Umgangskontakten. U. a.
fanden begleitete Umgangskontakte, vermittelt über das Jugendamt statt. Vor dem
Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg ist zum Aktenzeichen 173 F 6303/09 ein
Umgangsrechtsverfahren anhängig.
Der Antragssteller hat behauptet, die Antragsgegnerin sei alkoholabhängig, schlage den
Sohn und bestrafe ihn unnötig hart und kindesunangemessen. Wegen der behaupteten
Schläge gegenüber dem Sohn hat der Antragssteller einen Strafantrag wegen
Körperverletzung gegen die Antragsgegnerin gestellt; das Strafverfahren ist mittlerweile
eingestellt worden.
In der mündlichen Verhandlung vom 12. Februar 2009 vor dem Amtsgericht hat die
Antragsgegnerin ihr Einverständnis damit erklärt, dass der Sohn derzeit bei seinem
Vater lebe. Eine Übertragung des alleinigen elterlichen Sorgerechts auf den
Antragssteller hat sie jedoch abgelehnt und nur einer solchen auf das Jugendamt
zugestimmt.
Der Antragssteller hat beantragt,
in Abänderung der früheren sorgerechtlichen Entscheidung ihm das alleinige
Recht der elterlichen Sorge zu übertragen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin hat behauptet, der Antragssteller verdiene seinen Lebensunterhalt
mit dem Betreiben eines pornografischen Internetportals. Da dies auch aus der
Wohnung des Antragsstellers heraus erfolge, bestünde die Gefahr, dass das betroffene
Kind hiervon Kenntnis erlange, was dem Kindeswohl widerspreche. Ferner hat sie dem
Antragsteller die massive Beeinflussung seines Sohnes vorgeworfen.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht Oranienburg der
Antragsgegnerin die elterliche Sorge entzogen und auf den Antragssteller übertragen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die befristete Beschwerde der Antragsgegnerin, mit
der sie ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft.
Sie begehrt in Abänderung der angefochtenen Entscheidung weiterhin die
Zurückweisung des erstinstanzlich gestellten Antrages des Kindesvaters. Bereits kurz
nach dem Aufenthaltswechsel zum Kindesvater sei N… durch deliktisches Verhalten
aufgefallen, insbesondere Zündeln in der Schule und Ladendiebstähle. Ferner unterbinde
der Kindesvater jeglichen Kontakt zwischen ihr und dem Sohn, nunmehr auch zwischen
dem Sohn und seinen mütterlichen Großeltern. Der Kindesvater denunziere sie.
Im Sommer 2009 schlossen die Kindeseltern eine Vereinbarung darüber, dass ein
begleiteter Umgang stattfinden solle. Als Umgangsbetreuer wurde Herr H… von der C…
eingesetzt. Es fanden zwei Umgangstermine am 15. Oktober und 26. Oktober 2009 in
Begleitung von Herrn H… statt. Dieser schilderte die Treffen als harmonisch und dass
sich N… auf seine Mutter freue; gleichwohl sah der Umgangsbegleiter erheblichen
Beratungsbedarf bei den Eltern. Nachfolgend fand der begleitete Umgang zunächst
regelmäßig 14-tägig statt. Nach verschiedenen, im Einzelnen streitigen Vorfällen hat der
Kindesvater von sich aus den vereinbarten Umgang ausgesetzt und möchte diesen
Zustand für die Dauer eines halben Jahres aufrecht erhalten.
Nach einer Auseinandersetzung mit dem Vater am 24. Februar 2010, bei der N… Geld
vom Vater gestohlen hatte, lief dieser vom väterlichen Haushalt weg. In einer
Einkaufsstraße traf der die Großmutter mütterlicherseits, die ihm riet, zur Mutter
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Einkaufsstraße traf der die Großmutter mütterlicherseits, die ihm riet, zur Mutter
(Antragsgegnerin) nach Bä… zu fahren. Dies tat N… sodann, die Mutter nahm ihn
zunächst auf. Sie hat – wohl – davon nicht sogleich den Kindesvater informiert,
nachfolgend aber schon. Nähere Einzelheiten sind streitig. Die Kindesmutter gab dazu
insbesondere an, N… habe erklärt, er wolle sich umbringen bzw. sich aus dem Fenster
stürzen. Im Zuge dessen hat sie nachfolgend einen Antrag auf einstweilige Anordnung
nach § 1666 BGB auf Herausnahme des Kindes aus dem väterlichen Haushalt und der
Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts zu Lasten des Kindesvaters gestellt.
II.
Das Rechtsmittel der Antragsgegnerin ist gemäß § 621 e ZPO a.F. als befristete
Beschwerde statthaft, da das Rechtsmittelverfahren vor dem Inkrafttreten des FamFG
zum 01.09.2009 und damit auf der Grundlage des vor diesem Zeitpunkt geltenden
Rechts eingeleitet worden ist, vgl. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG.
Die im Übrigen zulässige befristete Beschwerde der Antragsgegnerin bleibt in der Sache
jedoch ohne Erfolg. Das Amtsgericht hat zutreffend unter Beachtung der
Voraussetzungen des § 1696 BGB in Abänderung der vormaligen, im
Scheidungsverbundurteil enthaltenen Regelung zum Sorgerecht die elterliche Sorge
dem Antragssteller allein übertragen. Die im Tenor durch den Senat ausgesprochene
teilweise Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung dient allein der Klarstellung.
1.
Nach § 1696 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht seine Anordnungen zu ändern, wenn
dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist.
Das Kindeswohl hat sich dabei wie in allen sorgerechtlichen Entscheidungen an den
Grundsätzen der Kontinuität, der Förderung, der Bindungen des Kindes an seine Eltern
und an seine Geschwister sowie am geäußerten Willen des Kindes zu orientieren. § 1696
BGB verlangt jedoch eine Steigerung der auch sonst im Rahmen von § 1671 BGB
maßgeblichen Kindeswohlerfordernisse, um zu vermeiden, dass bereits abgeschlossene
Verfahren nach Belieben erneut aufgerollt werden. Die damit verbundene Einschränkung
der Abänderungsmöglichkeit hat der Gesetzgeber vor allem deshalb vorgesehen, um die
Erziehungskontinuität für Kinder zu sichern. Die Änderung muss aus Gründen des Wohls
des Kindes geboten sein, dabei müssen die Gründe, die für eine Änderung sprechen, die
damit verbundenen Nachteile deutlich überwiegen (OLG Zweibrücken, FamRZ 2010, 138;
KG Berlin, ZKJ 2009, 211).
2.
Die erforderlichen triftigen, das Kindeswohl nachhaltig berührenden Gründe sind
zunächst dem Grundsatz der Kontinuität zu entnehmen.
Bei dem Grundsatz der Kontinuität handelt es sich um ein wesentliches Kriterium für die
Zuweisung des elterlichen Sorgerechtes. Hier ist zu berücksichtigen, dass seit
September 2008 der betroffene Sohn sich nunmehr im väterlichen Haushalt aufhält. Die
insoweit zurückgelegte Zeitspanne von etwa 1 ½ Jahren spricht jedenfalls angesichts
seines fortgeschrittenen Alters auch unter Beachtung dessen, dass der Sohn zuvor etwa
10 Jahre allein bei der Antragsgegnerin gelebt hat, zugunsten eines Verbleibs des Kindes
beim Antragssteller.
3.
Aus der Erziehungsgeeignetheit und –fähigkeit der Kindeseltern herrührende Gründe
dergestalt, dass die Zuweisung des elterlichen Sorgerechts zugunsten eines Elternteils
und hier insbesondere des Antragsstellers vorzunehmen ist, sind nicht erkennbar.
Allerdings ist nicht zu verkennen, dass beide Kindeseltern erheblichen Einschränkungen
hinsichtlich der Förderungsmöglichkeiten für das Kind unterliegen.
a.
Der Antragssteller zeigt eine erheblich beeinträchtigte Bindungstoleranz, soweit dies die
Förderung des Umgangs des Kindes mit der Antragsgegnerin betrifft. Er hat
eigenmächtig, also ohne dazu berechtigt zu sein, die zuvor vereinbarten begleiteten
Umgänge ausgesetzt. Bedenklich in diesem Zusammenhang erscheint es auch, dass er
dem Kind dabei zumindest den Eindruck vermittelt hat, dass diese Aussetzung auf einer
gerichtlichen Anordnung beruhe. Mag insoweit auch nicht festgestellt werden können,
dass er solches tatsächlich dem Kind gesagt hat, so konnte jedenfalls die
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dass er solches tatsächlich dem Kind gesagt hat, so konnte jedenfalls die
Verfahrenspflegerin bei ihrer Besprechung mit dem Kind feststellen, dass sich bei dem
Kind ein derartiger Eindruck, vermittelt durch den Antragssteller, festgesetzt hatte.
Auch ansonsten ist feststellbar, dass in der Vergangenheit seitens des Antragsstellers
jedenfalls keine konsequente Förderung der Umgänge des Sohnes mit der
Antragsgegnerin erfolgt ist. Insoweit entspricht es aber gerade seiner sorgerechtlichen
Verpflichtung, dem Sohn möglichst störungsfrei die Umgänge mit der Antragsgegnerin
zu ermöglichen. Dies betrifft nicht allein die Organisation der Umgänge; der
Antragssteller muss vielmehr dem Sohn den Eindruck vermitteln, dass er selbst den
Umgang der Antragsgegnerin mit seinem Sohn wünscht und den Sohn auch darin
bestärken, den Kontakt zur Mutter aufrechtzuerhalten und möglichst auszubauen.
Das zumindest feststellbare Unterlassen derartiger Förderungsmaßnahmen hat zwar auf
Seiten des Antragsstellers nicht eine Qualität, die einen Sorgerechtsentzug gemäß §
1666 BGB nahelegt. Gleichwohl ist aber zu berücksichtigen, dass sich insoweit erhebliche
Defizite auf Seiten des Antragsstellers feststellen lassen, die bei ihrem Fortbestand in
der Zukunft möglicherweise weitere Konsequenzen – insbesondere im Hinblick auf einen
Entzug des Rechts zur Umgangsanbahnung – beinhalten können.
Weitergehende Einschränkungen an der Erziehungsfähigkeit des Antragsstellers sind
jedenfalls nicht dergestalt feststellbar, dass daraus Bedenken an der Ausübung des
Sorgerechts durch ihn bestünden. Zwar ist nicht zu verkennen, dass der Antragssteller
den Sohn beeinflusst. Bei der Anhörung des Sohnes haben sich einige stereotype
Äußerungen ergeben, die jedenfalls einen derartigen Schluss nahelegen. Andererseits
hat der Senat keine Zweifel, dass der geäußerte Kindeswille (vgl. dazu nachfolgend)
gleichwohl auf einem frei gebildeten Willen beruht. Im Übrigen haben sich auch sonstige
Vorwürfe gegenüber dem Antragssteller (z. B. das Betreiben eines pornografischen
Internetportals usw.) nicht bestätigt.
b.
Gleichermaßen sind auf Seiten der Antragsgegnerin erhebliche Einschränkungen der
Förderungsmöglichkeiten für das Kind feststellbar.
Die Antragsgegnerin lässt durchgängig eine objektive Befassung mit dem hiesigen Streit
und der für das Kindeswohl notwendigen Maßnahmen vermissen; dieser Eindruck hat
sich auch angesichts ihrer persönlichen Anhörung vor dem Senat in der mündlichen
Verhandlung vom 15. April 2010 verfestigt. Dass sie eigene Fehler begangen hat, die
sich für den Sohn nachteilig ausgewirkt haben, streitet sie in jeglicher Hinsicht vehement
ab. Sämtliche Probleme weist sie vielmehr dem Verhalten des Antragsstellers zu, dem
sie eine beträchtliche Beeinflussung des Kindes vorwirft. Selbst die Umstände, die im
Herbst 2008 zu dem – im Übrigen einvernehmlichen – Wechsel des Sohnes in den
väterlichen Haushalt geführt haben, führt die Antragsgegnerin auf Manipulationen des
Antragsstellers und dessen Beeinflussung des Sohnes – obgleich er zu damaliger Zeit
nicht Sorgerechtsinhaber war - zurück. Diese einseitige Haltung der Antragsgegnerin ist
aus objektiver Sichtweise nicht mehr verständlich und schädigt im gravierenden Maße
das Kindeswohl. Wie der Sohn bereits mehrfach mitgeteilt hat, stört es ihn vor allem,
dass die Antragsgegnerin ihm nahezu ständig das schlechte Verhältnis seiner Eltern vor
Augen führt, insbesondere bei seinen Umgängen über den Vater .
Soweit und solange die Antragsgegnerin ein derartiges Verhalten zeigt, kommt
jedenfalls entsprechend dem geäußerten kindlichen Willen – vgl. dazu nachfolgend – ein
unbegleiteter Umgang (über den der Senat angesichts des vor dem Amtsgericht Berlin-
Tiergarten geführten Verfahrens nicht zu befinden hat) mit der Antragsgegnerin kaum in
Betracht.
3.
Maßgebend für die hier zu treffende Entscheidung ist vor allem, dass der betroffene
Sohn seit 1 ½ Jahren den bestimmten Willen äußert, beim Antragssteller leben zu wollen.
Auch im Rahmen einer Sorgerechtsabänderung kommt dem Kindeswillen grundsätzlich
eine doppelte Bedeutung zu. Zum einen ist er der verbale Ausdruck für die relativ
stärkste Personenverbindung, zum anderen ist er mit zunehmendem Alter ein Akt der
Selbstbestimmung des Kindes als einer zur Selbständigkeit erzogenen und strebenden
Person. Je älter das Kind wird, desto stärker tritt die zweite Funktion in den Vordergrund
(Brandenburgisches OLG, FamRZ 2008, 1471).
Das betroffene Kind ist bereits mehrfach durch staatliche Institutionen bzw. die Gerichte
angehört worden; insoweit ist nicht zu verkennen, dass er bereits einen routinierten
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angehört worden; insoweit ist nicht zu verkennen, dass er bereits einen routinierten
Umgang mit den ihn betreffenden Anhörungen pflegt. Gleichwohl hat das Kind im
hiesigen Verfahren sowohl vor dem Jugendamt, der Verfahrenspflegerin und dem
Amtsgericht wie auch vor dem Senat bei seinen persönlichen Anhörungen durchgängig
den Willen geäußert, nicht zur Mutter zurück, vielmehr beim Vater in dessen Haushalt
leben zu wollen.
Der Senat hat dabei die Überzeugung gewonnen, dass N… seinen Willen zumindest
wesentlich selbstbestimmend entwickelt hat. So konnte der Junge auf Nachfrage seinen
gegenüber dem früheren Zustand geänderten Wunsch, beim Vater leben zu wollen,
nachvollziehbar begründen. Nach seinen eigenen Angaben, die auch durch die
Jugendämter bestätigt werden, hat er sich beim Vater gut eingelebt und fühlt sich dort
insgesamt wohl. Auch seine schulischen Leistungen haben sich zumindest gefestigt,
mögen diese auch verbesserungswürdig sein. Beachtlich ist in diesem Zusammenhang,
dass der Sohn Schwierigkeiten mit dem Antragssteller bereitwillig schildert und dabei
auch klarstellt, dass es ihm nicht immer gefalle. Andererseits hat er den Eindruck
vermittelt, dass er die durchaus strengen erzieherischen Maßnahmen des
Antragsstellers auch akzeptiert, insbesondere wenn er selbst gemacht habe.
Obgleich es mehrfach zu Auseinandersetzungen mit dem Antragssteller gekommen ist,
hat sich gleichwohl der Sohn stets für den Verbleib bei ihm ausgesprochen. Auch dies
spricht deutlich für einen frei entwickelten Willen.
Soweit dagegen in jüngster Vergangenheit insbesondere anlässlich eines Vorfalls am 24.
Februar 2010 die Besorgnis aufgekommen ist, dass der Sohn Suizidgedanken habe, hat
sich dies letztendlich als unbegründet herausgestellt. Das Kind hat bei seiner Anhörung
vor dem Senat wie auch bereits zuvor vor dem Jugendamt klargestellt, dass es dies nicht
ernst, sondern eher in laxer Art gemeint habe. Es hat insoweit klargestellt, dass es sich
um eine Art Floskel handele, zumal sein Vater ebenfalls Floskeln (z.B.
) verwende. Einen ernsten Hintergrund habe dies für ihn in keiner Weise.
Auch die Vertreterinnen des Jugendamtes, die nach den Angaben der Mitarbeiterin B…
am Folgetag (dem 25. Februar 2010) den Sohn intensiv dazu angehört haben, haben
übereinstimmend keinerlei Selbstmordtendenzen erkennen können. Gleichwohl ist aber
nunmehr auch dem Kind ein Familienhelfer zur Seite gestellt worden, mit dem er sich
nach eigenen Angaben recht gut versteht ( ) und
der jedenfalls für N… zur Verfügung steht, um Probleme zu besprechen. Auch der
Antragssteller hat insoweit geäußert, keine Ansätze für eine Selbstmordabsicht des
Sohnes zu erkennen. Soweit dagegen die Antragsgegnerin derartige Bedenken weiterhin
geäußert hat, konnte sie tragfähige Tatsachen dafür auch vor dem Senat nicht
vorbringen. Ihre Angabe, der Sohn habe anlässlich eines Besuches im März zu dem
Großvater mütterlicherseits gesagt, man könne ja von der Terrasse im fünften Stock gut
herunter springen, stellt sich gleichermaßen als kindlich geäußerte Floskel dar und lässt
keinen realen Hintergrund erkennen.
Da auch der Senat letztendlich den Eindruck gewonnen hat, dass der Sohn seinen Willen
frei geäußert hat, ist diesem zu entsprechen und das Sorgerecht dem Antragssteller zu
übertragen. Insoweit stellt es sich als erhebliche Belastung dar, dass die
Antragsgegnerin nach wie vor den so geäußerten Willen ihres Sohnes nicht akzeptiert.
Anhaltspunkte dafür, dass das Kind solchermaßen durch den Vater beeinflusst ist, dass
von einer freien Willensbildung nicht mehr ausgegangen werden kann, können dagegen
nicht festgestellt werden. Wie auch der Senat selbst haben sämtliche übrigen Beteiligten
(Jugendamtsmitarbeiter, Verfahrenspflegerin) den Eindruck gewonnen, dass zwar eine
gewisse Einflussnahme durch den Antragssteller nicht zu verkennen ist, letztendlich aber
der Sohn selbstbestimmend seinen Willen entwickelt und geäußert hat. Solange die
Antragsgegnerin dies nicht akzeptiert, bestehen die Bedenken an ihrer
Erziehungsgeeignetheit fort.
Daher war auch dem ausdrücklich geäußerten Wunsch der Antragsgegnerin, ein
Sachverständigengutachten hinsichtlich des kindlichen Willens und des Umfangs der
Beeinflussung durch den Kindesvater einzuholen, nicht nachzukommen. Der Senat ist –
wie auch die Verfahrenspflegerin – zudem der Auffassung, dass der Sohn bereits mehr
als geboten durch staatliche Institutionen und insbesondere das hiesige Verfahren
belastet worden ist und vielmehr dringend Ruhe benötigt, die er durch eine
Begutachtung bei Fortdauer des Verfahrens kaum erfahren würde.
III.
Mit der hier getroffenen Entscheidung zur Hauptsache elterliche Sorge sind die im
Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 31. März 2010 (9 UFH1/10) enthaltenen Anträge
auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erledigt (vgl. auch §§ 620f Abs. 1 Satz 1, 621g
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auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erledigt (vgl. auch §§ 620f Abs. 1 Satz 1, 621g
Satz 2 ZPO a.F.). Einer Entscheidung des Senats darüber bedurfte es daher nicht.
IV.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 13 a Abs. 1 FGG a.F., §§ 131 Abs. 2, Abs.
3, 30 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 KostO a.F., § 24 Satz 1 RVG entsprechend. Die Zulassung der
Rechtsbeschwerde gem. § 621e Abs. 2 ZPO a.F. war nicht geboten.
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