Urteil des OLG Brandenburg vom 18.05.2006

OLG Brandenburg: wiederaufnahme des verfahrens, gerichtshof für menschenrechte, im bewusstsein, sittenwidrigkeit, ddr, zwangsvollstreckung, mitgliedschaft, vererblichkeit, rechtskraft, unrichtigkeit

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 2.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 U 28/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 826 BGB, § 839 BGB, Art 233 §
12 BGBEG, Art 34 GG, § 767
ZPO
Vollstreckungsschutz wegen Sittenwidrigkeit der
Vollstreckungshandlung; rechtsfehlerhaft festgestellter
Rückauflassungsanspruch zugunsten des Bodenfonds in der
Zwangsvollstreckung; Einzelfall zur Rückauflassung eines
Bodenreformgrundstücks an ein Bundesland nach
abgeschlossenem Zivilrechtstreit trotz geänderter BGH-
Rechtsprechung zugunsten des Grundeigentümers
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 05.04.2006 verkündete Urteil der Einzelrichterin
der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) in der Fassung des
Berichtigungsbeschlusses vom 18.05.2006, Az. 13 O 406/05, wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt die Unterlassung der Vollstreckung aus einem rechtskräftigen Urteil
des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 01.12.1999 (Az. 18 O 233/99) gemäß § 826 BGB,
hilfsweise im Wege der Vollstreckungsgegenklage sowie Titelherausgabe. Wegen der
Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand der angefochtenen
Entscheidung Bezug genommen.
In dem angegriffenen Urteil vom 05.04.2006 hat das Landgericht Frankfurt (Oder) die
Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Mitarbeiter
des beklagten Landes, der am 12.01.2006 den Eintragungsantrag beim Grundbuchamt
gestellt habe, habe, da die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches nach §
826 BGB nicht vorlägen, keine Amtspflichtverletzung infolge Missbrauchs von
Vollstreckungstiteln begangen. Es sei bereits zweifelhaft, ob das Urteil des Landgerichts
Frankfurt (Oder) vom 01.12.1999 materiell unrichtig sei. Denn dem Urteil des
Bundesgerichtshofes vom 16.01.2004 (Az. V ZR 449/02) könne gerade nicht
entnommen werden, dass es allgemein nur auf die Zuteilungsfähigkeit von Verwandten
ankomme. Zudem sei nicht ersichtlich, dass der Kläger im Ausgangsverfahren daran
gehindert gewesen sei, die für die Zuteilungsfähigkeit seiner Geschwister maßgeblichen
Tatsachen vorzutragen. Jedenfalls fehle es an einer sittenwidrigen Ausnutzung der
formellen Rechtsposition aus dem Urteil, die das Verhalten des beklagten Landes als
sittenwidrig erscheinen ließen. Es sei auch nicht erkennbar, dass das beklagte Land eine
von der damals herrschenden Rechtsauffassung abweichende Rechtsmeinung zur Frage
des Bestehens eines Rückauflassungsanspruches gehabt und den Kläger wissentlich
falsch belehrt habe. Auch die vom Kläger dargelegten körperlichen Beeinträchtigungen
genügten nicht zur Darlegung der Sittenwidrigkeit. Die hilfsweise erhobene
Vollstreckungsgegenklage sei bereits unzulässig, da es an einer materiellen Einwendung
im Sinne des § 767 Abs. 2 ZPO fehle.
Mit der Berufung rügt der in der ersten Instanz unterlegene Kläger die Rechtsanwendung
des Landgerichts. Er ist der Auffassung, das Landgericht habe seinen erstinstanzlichen
Vortrag, den er mit der Berufung vertieft, nicht hinreichend oder rechtlich fehlerhaft
gewürdigt. Das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 16.01.2004 ergebe zweifelsfrei, dass
es nicht nur auf die Zuteilungsfähigkeit des Erben ankomme, vielmehr auch diejenige
eines Verwandten ausreiche. Das erstmals in der Klageschrift erfolgte Vorbringen zur
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eines Verwandten ausreiche. Das erstmals in der Klageschrift erfolgte Vorbringen zur
LPG-Mitgliedschaft seiner Schwester sei im Ausgangsverfahren allein deshalb nicht
erfolgt, da das beklagte Land stets darauf hingewiesen und den Kläger dahingehend
belehrt habe, dass es lediglich auf die Zuteilungsfähigkeit des Klägers selbst ankomme.
Auch die entscheidenden Gerichte seien ihrer diesbezüglichen Hinweispflicht nicht
nachgekommen. Vor diesem Hintergrund sei das Urteil des Landgerichts Frankfurt
(Oder) vom 01.12.1999 (Az. 18 O 233/99) materiell unrichtig.
Die Vollstreckung aus diesem Urteil verletze das Rechtsgefühl aller billig und gerecht
Denkenden in schlechthin unerträglicher Weise, dies insbesondere vor dem Hintergrund,
dass der Kläger, der seit dem 29.03.1990 berufsunfähig sei, den Verlust seiner
Anstellung als Platzwart bei dem Pächter des streitgegenständlichen Grundstücks, das
seinen einzigen Vermögenswert darstelle, zu befürchten habe. Diese Angst habe bei ihm
über die Jahre zu schwersten Herzleiden, Bluthochdruck und psychischen Störungen
geführt, wodurch er schwerbehindert geworden sei. Zudem seien die Pachteinnahmen
für den am Rande des Existenzminimums lebenden Kläger, der eine vorgezogene
Altersrente von 933,94 € erziele, unverzichtbar. Des Weiteren habe das Landgericht
verkannt, dass der vorliegende Sachverhalt zu einer Enteignung des Klägers führte, die
zu DDR-Zeiten nicht vorgenommen worden wäre. Insofern bestrafe das beklagte Land,
als dem Rechtsstaat unterworfen, den Kläger bei Vollstreckung aus dem Urteil
nachträglich diskriminierend und exempelstatuierend für die Deutsche Einheit.
Schließlich seien im Rahmen der Sittenwidrigkeit die Besonderheiten des
Zusammenbruchs der DDR, die daraus resultierenden ungeklärten
Grundstücksverhältnisse sowie die mehrfach nachgebesserte Gesetzgebung und
Rechtsprechung in Bezug auf die Bodenreform zu berücksichtigen.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 05.04.2006 in der Fassung
des Berichtigungsbeschlusses vom 18.05.2006, Az. 13 O 406/05, aufzuheben
und das beklagte Land zu verurteilen, die Zwangsvollstreckung aus dem
rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 01.12.1999, Az.
18 O 233/99, zu unterlassen und die vollstreckbare Ausfertigung dieses
Urteils an den Kläger herauszugeben,
2. hilfsweise, das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 05.04.2006 in
der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 18.05.2006, Az. 13 O
406/05, aufzuheben und das beklagte Land zu verurteilen, es zu unterlassen,
von dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom
01.12.1999, Az. 18 O 233/99, Gebrauch zu machen und die vollstreckbare
Ausfertigung dieses Urteils an den Kläger herauszugeben,
3. hilfsweise, das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 05.04.2006 in
der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 18.05.2006, Az. 13 O
406/05, aufzuheben und die Vollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts
Frankfurt (Oder) vom 01.12.1999, Az. 18 O 233/99, für unzulässig zu erklären
sowie das beklagte Land zu verurteilen, die vollstreckbare Ausfertigung
dieses Urteils an den Kläger herauszugeben,
4. hilfsweise, das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 05.04.2006 in
der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 18.05.2006, Az. 13 O
406/05, aufzuheben und das Gebrauchmachen von dem Urteil des
Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 01.12.1999, Az. 18 O 233/99, für
unzulässig zu erklären sowie das beklagte Land zu verurteilen, die
vollstreckbare Ausfertigung dieses Urteils an den Kläger herauszugeben.
Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Es verteidigt das erstinstanzliche Urteil, hält die Rechtsanwendung des Landgerichts für
fehlerfrei und tritt den klägerischen Rechtsausführungen in der Berufungsbegründung
entgegen.
Die Akten des Landgerichts Frankfurt (Oder) zum Aktenzeichen 18 O 233/99 lagen vor
und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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II.
Die Berufung ist statthaft, insbesondere form- und fristgerecht eingereicht und
begründet worden (§§ 511 Abs. 1 und 2, 513, 514, 519, 520 ZPO). Im Ergebnis hat sie
jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung aus
dem Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 01.12.1999 aus § 826 BGB oder aus §
839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG noch ist die Vollstreckung aus diesem im Hinblick
auf § 767 ZPO unzulässig.
1. Die Anwendung von § 826 BGB ist auf besonders schwerwiegende, eng begrenzte
Ausnahmefälle beschränkt, da andernfalls die Rechtskraft ausgehöhlt, die
Rechtssicherheit beeinträchtigt und der Rechtsfriede in untragbarer Weise in Frage
gestellt würde (BGH NJW 1987, 3256; 2005, 2991, 2994). Ein solcher, von § 826 BGB
erfasster Ausnahmefall liegt indes nicht vor.
a) Zwar dürfte der klägerischen Auffassung zur Zuteilungsfähigkeit von Erben
zuzustimmen sein, dies mit der Folge, dass das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder)
vom 01.12.1999 materiell unrichtig sein könnte.
Der Kläger beruft sich hierzu auf das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 16.01.2004
(VIZ 2004, 233 f.). Die dortige Beklagte machte eine Besserberechtigung im Sinne von
Art. 233 § 12 EGBGB als Erbin einer Bodenreformeigentümerin, die am 24.02.1990
verstorben war, geltend. Sie war zum Stichtag am 15.03.1990 weder 10 Jahre in der
Landwirtschaft tätig noch Mitglied einer LPG. Ihre landwirtschaftliche Tätigkeit hatte sie
im Jahre 1985 aufgrund Kündigung aufgeben müssen; seit Dezember 1985 war sie
krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Die LPG-Mitgliedschaft war ihr trotz mehrmaligen
Antrags verwehrt worden, weil sie im Hinblick auf die Einbringung der Grundstücke in die
LPG durch ihre Eltern über kein Land verfügte. Zum Stichtag waren indes ihr Sohn und
ihr Ehemann in der Landwirtschaft tätig.
Der Bundesgerichtshof hat hierzu ausgeführt, die dort streitgegenständlichen
Grundstücke seien mit Ablauf des 15.03.1990 nicht in den Bodenfonds zurückzuführen
gewesen, sodass für einen Auflassungsanspruch des Fiskus kein Raum sei. Zwar habe
der Übertragung der Grundstücke auf die Beklagte gemäß § 4 Abs. 1 BesitzwechselVO
nach dem Tod der Erblasserin entgegengestanden, dass die Beklagte zu ihrer
Bewirtschaftung nicht mehr in der Lage gewesen sei. Die Nutzflächen seien jedoch nicht
aus dem Nachlass in den Bodenfonds zurückzuführen, weil die Beklagte als Erbin der
Erblasserin gemäß § 4 Abs. 1, 3 BesitzwechselVO die Übertragung der Grundstücke auf
ihren Sohn habe verlangen können, der die Voraussetzungen der zweckentsprechenden
Nutzung der Grundstücke erfüllt habe. Dass der Sohn bis zum Ablauf des 15.03.1990
keinen Antrag auf Aufnahme in die LPG gestellt habe, sei ohne Bedeutung. Einen
solchen Antrag hätte er frühestens nach der Eröffnung des Testaments am 06.03.1990
stellen können. An diesem Tag sei jedoch das Landwirtschaftsanpassungsgesetz
beschlossen worden; ein Antrag auf Aufnahme in eine LPG sei seit diesem Zeitpunkt
nicht mehr in Betracht gekommen.
Mit dieser Entscheidung dürfte der Bundesgerichtshof den Anwendungsbereich des Art.
233 § 12 EGBGB erweitert haben. Bis dahin wurde stets auf die Zuteilungsfähigkeit der
Erben selbst abgestellt, mithin nicht auf Verwandte der Erben. Zwar hat der
Bundesgerichtshof nicht ausdrücklich erklärt, von seiner bisherigen Rechtsprechung
abzurücken und eine Grundsatzentscheidung zur Erweiterung des Art. 233 § 12 EGBGB
zu treffen. Auch der amtliche Leitsatz, der lediglich auf den Zeitpunkt bzw. die
Erforderlichkeit der Antragstellung auf die Mitgliedschaft in einer LPG nach dem
06.03.1990 abstellt, lässt nicht auf eine Grundsatzentscheidung zur Zuteilungsfähigkeit
schließen. Demgegenüber ist festzustellen, dass der Bundesgerichtshof in Kenntnis der
namentlich nur auf den Erben abstellenden Entscheidung des Berufungsgerichts
eindeutig die Zuteilungsfähigkeit des Sohnes der Erbin, mithin eines Verwandten (§ 4
Abs. 1 BesitzwechselVO vom 07.01.1988), hat ausreichen lassen. Hinzu kommt, dass er
nochmals auf die von dem Bundesgesetzgeber mit Art. 233 §§ 11, 12 EGBGB gewählte
Nachzeichnungslösung hinsichtlich der Zuteilungs- und Übertragungsgrundsätze der
BesitzwechselVO (s. hierzu ausführlich das Grundsatzurteil vom 18.07.1997 (BGHZ 136,
283 ff.)) hingewiesen hat. In § 4 Abs. 1 BesitzwechselVO in der Fassung vom 07.01.1988
war die Übertragung der Bewirtschaftung auf einen Verwandten ausdrücklich
vorgesehen, sodass dies im Zuge der Nachzeichnung auch bei Auslegung des Art. 233 §
12 EGBGB Berücksichtigung finden muss. Zwar war der Erbfall hier bereits 1983
eingetreten. Zu diesem Zeitpunkt galt jedoch § 45 Abs. 3 S. 3 LPG-G vom 02.07.1982,
worin ebenfalls die Übertragung des Eigentumsrechts an genossenschaftlich genutztem
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worin ebenfalls die Übertragung des Eigentumsrechts an genossenschaftlich genutztem
Boden auf Familienangehörige des Erben vorgesehen war. Demgemäß wäre der Kläger
bei Unterstellung der von ihm vorgetragenen Tatsachen, zuteilungsfähig im Sinne des
Art. 233 § 12 EGBGB gewesen. Im Ergebnis kann dies jedoch dahinstehen.
b) Denn auch, wenn das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 01.12.1999
materiell unrichtig sein sollte, wäre ein Anspruch aus § 826 BGB zu verneinen:
aa) Die Unrichtigkeit des Titels ist im Rahmen des § 826 BGB nicht ausreichend, wenn
die Unrichtigkeit auf nachlässige Prozessführung des Betroffenen zurückzuführen ist
(BGH NJW-RR 1988, 957). Dies könnte vorliegend möglicherweise zu bejahen sein. Denn
dem Kläger war der Vortrag zur LPG-Mitgliedschaft seiner Schwester bereits im
Ausgangsverfahren grundsätzlich möglich. Zum einen verfügte er mangels
entgegenstehenden Vortrags bereits damals über alle Informationen, die er nunmehr
erstmals im Rahmen des hiesigen Verfahrens vorgebracht hat. Zum anderen hat bereits
das Landgericht in seinem Urteil vom 01.12.1999 auf § 4 der BesitzwechselVO und damit
indirekt auf die Möglichkeit der Übertragung des Grundstücks auf Verwandte
hingewiesen; auch in dem Urteil des Oberlandesgerichts vom 29.09.2000 ist
ausdrücklich auf die Vorschrift des § 4 BesitzwechselVO Bezug genommen worden. In
diesem Zusammenhang wurde ausgeführt, dass die vom Bundesgesetzgeber in Art.
233 § 12 EGBGB gewählte Nachzeichnungslösung Ungerechtigkeiten vermeiden sollte
und nicht der „zufällig entfaltete oder auch nicht entfaltete Eifer der früher in der DDR
zuständigen Stellen bei Anwendung der Besitzwechselvorschriften darüber entscheidet,
welche ein Bodenreformgrundstück behalten oder nicht behalten darf.“ In § 4
Abs. 1 der BesitzwechselVO in der Fassung vom 07.01.1988 konnte das vererbte
Bodenreformgrundstück „auf Verlangen des Erben ihm oder einem seiner von ihm
benannten Verwandten“ übertragen werden, „wenn er oder der Verwandte das
Bodenreformgrundstück als Genossenschaftsmitglied oder Arbeiter zweckentsprechend
nutzen wird“. Ob die Prozessführung des Klägers insoweit jedoch bereits als nachlässig
bezeichnet werden kann, ist indes zweifelhaft. Letztlich kann jedoch auch dies offen
bleiben.
bb) Denn die Klage scheitert - wie das Landgericht im Ergebnis zutreffend festgestellt
hat - nach Auffassung des Senats jedenfalls an der fehlenden Sittenwidrigkeit der
Vollstreckung aus dem Urteil.
(1) Die Vollstreckung aus einem Urteil kann sittenwidrig sein, wenn eine Partei das Urteil
oder seine Rechtskraft erschlichen, das heißt durch eine rechts- oder sittenwidrige
Handlung im Bewusstsein der Unrichtigkeit herbeigeführt hat (Palandt/Sprau, BGB, 66.
Aufl., § 826 Rn. 52). Dies ist vorliegend zu verneinen; das beklagte Land hat den
Vollstreckungstitel nicht erschlichen. Der Vortrag des damals klagenden Landes
entsprach den - zudem unstreitigen - tatsächlichen Gegebenheiten. Die
Rechtsauffassung, die seitens des Landgerichts und des Oberlandesgerichts bestätigt
wurde, stimmte überein mit der bis dahin ergangenen Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes (s. hier nur BGHZ 136, 283 ff. sowie auch dem Urteil der Großen
Kammer des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 30.09.2005). Bis zum
Urteil des Bundesgerichtshofes vom 16.01.2004 existierte zudem keine Rechtsprechung
zu der hier nunmehr vorgetragenen Zuteilungsfähigkeit eines Verwandten. Ein
Bewusstsein der Unrichtigkeit im Ausgangsverfahren seitens des beklagten Landes
behauptet auch der Kläger selbst nicht. Den an ihn gerichteten Schreiben des beklagten
Landes ist auch nicht zu entnehmen, dass es erklärt hätte, es käme gerade nicht auf
Verwandte, sondern allein auf den Kläger, an. Vielmehr hat es ohne die von dem Kläger
vorgenommenen Hervorhebungen und wohl auch mangels Kenntnis anderer Umstände
Nachweise für die Zuteilungsfähigkeit des Klägers als Erben erbeten.
(2) Sittenwidrigkeit kann auch zu bejahen sein, wenn die Ausnutzung des zwar nicht
erschlichenen, aber (auch nachträglich) als unrichtig erkannten Urteils in hohem Maße
unbillig und geradezu unerträglich ist (BGHZ 26, 396; 112, 54). Die Rechtskraft muss
dabei nur dann zurücktreten, wenn es mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin
unvereinbar wäre, dass der Gläubiger seine formale Rechtsstellung unter Missachtung
der materiellen Rechtslage zu Lasten des Schuldners ausnutzt (BGH NJW 1987, 3256;
2002, 2940, 2943; 2005, 2991, 2994). Solche Umstände, die von der Rechtsprechung
bislang in erster Linie bei sittenwidrigen Verträgen oder bewusster Ausnutzung des
Mahnverfahrens angenommen wurden, sind vorliegend nicht ersichtlich. Allein der
Umstand, dass der Gläubiger mehr erhält, als ihm bei zutreffender Beurteilung der
Rechtslage zustünde, genügt nicht (BGHZ 112, 54).
(a) Unbeachtet bleiben kann hierbei zunächst der klägerische Vortrag zu seiner
faktischen Enteignung und zum Übersehen der Vererblichkeit des
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faktischen Enteignung und zum Übersehen der Vererblichkeit des
Bodenreformeigentums durch das Landgericht. Die Zulässigkeit der
entschädigungslosen Enteignung ist sowohl durch das Bundesverfassungsgericht
(Beschlüsse vom 06.10.2000 und 10.10.2000, Az. 1 BvR 1637/99 und 1 BvR 2062/99) als
letztlich auch seitens des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (Große
Kammer; Urteil vom 30.09.2005) bestätigt worden.
(b) Auch die Annahme der Vererblichkeit des Bodenreformeigentums (s. hierzu BGH,
Urteil vom 17.12.1998, Az. V ZR 200/97, BGHZ 140, 223) hat vorliegend keine
Auswirkungen. Zwar bedurfte es der Eigentumszuweisung nach Art. 233 § 11 Abs. 2
EGBGB aufgrund der anzunehmenden Vererblichkeit von Bodenreformeigentum nicht (s.
hierzu auch Brandenburgisches OLG, Urteil vom 12.12.2002, 5 U 244/01). Da das
Bodenreformeigentum jedoch von öffentlich-rechtlichen Zuteilungs-, Rückführungs- und
Übertragungsvorschriften überlagert war, hatte es gemäß Art. 233 § 11 Abs. 3 in
Verbindung mit § 12 EGBGB nur dann Bestand, wenn kein Anspruch eines nach dieser
Vorschrift Besserberechtigten bestand (BGH, a.a.O.; Brandenburgisches OLG, a.a.O.).
Dies war indes Prüfung des Ausgangsverfahrens. Die Rechtsprechung zur Vererblichkeit
des Bodenreformeigentums hatte sich zum Zeitpunkt des Erlasses des Urteils vom
01.12.1999 auch bereits gewandelt.
(c) Die wirtschaftlichen Verhältnisse gebieten ebenfalls keine besondere Betrachtung.
Der Kläger erzielt eine vorgezogene Rente von monatlich 933,94 €. Seine Frau erzielt
Arbeitseinkommen in Höhe von 834,38 €. Die Miete der bewohnten Wohnung beträgt
321,32 € (brutto/warm). Das Familieneinkommen ist - auch ohne Hinzurechnung der
dem Gericht nicht bekannten Pachteinnahmen für das streitgegenständliche Grundstück
- daher nicht so gering, dass die wirtschaftliche Lage im Rahmen der Sittenwidrigkeit
Berücksichtigung finden müsste. Die für die Rechtsverfolgungskosten aufgenommenen
Kredite sind hier außer Acht zu lassen; denn hier hätte sich der Kläger auf die
Durchführung eines Prozesskostenhilfeverfahrens im Ausgangsverfahren beschränken
können.
(d) Auch die vorgetragene Krankheit kann weder für sich genommen noch im
Zusammenspiel mit den sonstigen Umständen zur Unzulässigkeit der
Zwangsvollstreckung führen. Hierbei ist zunächst zu verzeichnen, dass der Kläger seit
Oktober 1990 arbeitsunfähig ist. Aus der Arbeitsunfähigkeit seit 1990 folgt, dass er
bereits zu diesem Zeitpunkt, zu dem Rechtsstreitigkeiten nicht ohne weiteres zu
erwarten waren, gesundheitlich angeschlagen gewesen sein muss. Er hat auch nicht
vorgetragen, welche Krankheiten seit der erstmaligen Inanspruchnahme durch das
beklagte Land hinzugekommen sind oder sich verschlimmert haben. Hierauf kommt es
jedoch letztlich nicht an. Denn auch der Grad der Behinderung beträgt im Hinblick auf
die von dem Kläger dargelegten Krankheiten ausweislich des Bescheides des
Landesamtes für Soziales und Versorgung vom 30.05.2005 „lediglich“ 50 %. Ungeachtet
des Umstands, dass Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule und der Kniegelenke,
Knorpelschäden, Bandscheibenbeschwerden etc. sowie Bluthochdruck auch alters- und
konstitutionsbedingt sein können, verstieße eine Vollstreckung aus dem Ausgangsurteil
auch unter Berücksichtigung der Behinderung des Klägers nicht gegen das
Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden.
(e) Der Kläger kann im Rahmen der Sittenwidrigkeit auch nicht für sich in Anspruch
nehmen, der Zusammenbruch des sozialistischen Systems, die in der Folge ergangene
Gesetzgebung und die sich mehrfach ändernde Rechtsprechung benachteilige gerade
ihn und ließe die oben dargestellte Nachzeichnungslösung der Besitzwechselvorschriften
außer Betracht. Denn eine Zuteilung nach § 45 Abs. 3 S. 3 LPG-G respektive § 4 Abs. 1
BesitzwechselVO durch Übertragung des Eigentumsrechts an genossenschaftlich
genutztem Boden wäre nicht zu Gunsten des Klägers, sondern zu Gunsten seiner
zuteilungsfähigen Schwester erfolgt. Dass der Kläger seine Schwester nach deren Tod im
Jahre 2002 beerbt hätte, ist nicht ersichtlich. Mithin wäre der Kläger gerade bei
Nachzeichnung der zu DDR-Zeiten geltenden Gesetzeslage nicht Inhaber des
Eigentumsrechts. Darüber hinaus war nach dem Bodenreformvermerk eine Verpachtung
des Grundstücks zu DDR-Zeiten untersagt. Auch vor diesem Hintergrund ist eine
sittenwidrige Schlechterstellung des Klägers nicht zu verzeichnen. Zudem hat der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 22.01.2004 zutreffend
ausgeführt, dass die Erben von Bodenreformeigentümern nach dem Inkrafttreten des
Gesetzes vom 06.03.1990 nicht in schützenswerter Weise darauf vertrauen durften, ihr
auf der unterbliebenen Umsetzung der Besitzwechselvorschriften der DDR beruhendes
Eigentum behalten zu dürfen.
(f) Schließlich verstieße die Vollstreckung auch unter dem Gesichtspunkt, dass das
beklagte Land dem Rechtsstaat unterworfen ist und daher im besonderen Maße
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beklagte Land dem Rechtsstaat unterworfen ist und daher im besonderen Maße
Vertrauen in Anspruch nimmt, nicht in schlechthin unvereinbarer Weise gegen den
Gerechtigkeitsgedanken. Anderenfalls müssten bei Beteiligung des Staates materiell
unrichtige Urteile stets einem Vollstreckungsverbot unterliegen. Dies wäre jedoch
deutlich zu weitgehend. Denn dadurch würde die Rechtskraft von Titeln ausgehöhlt und
die Rechtssicherheit beeinträchtigt (vgl. BGH NJW 2002, 2940, 2943). Hierbei ist auch der
Rechtsgedanke des § 580 ZPO zu berücksichtigen. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens
käme jedoch im Falle der Änderung der Rechtsprechung nicht in Betracht.
2. Auch ein Anspruch aus § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG gerichtet auf die
Unterlassung der Zwangsvollstreckung ist zu verneinen. Es mangelt bereits an einer
Amtspflichtverletzung. Denn die seitens des beklagten Landes erteilten Auskünfte und
von ihm geteilten Rechtsauffassungen standen jeweils mit dem Gesetz und der
Rechtsprechung in Einklang. Die ausgegebenen Merkblätter beruhten auf der
Kommentierung und höchstrichterlichen Rechtsprechung. Auch der Kläger selbst macht
nicht geltend, dass es vor der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 16.01.2004
zu der Zuteilungsfähigkeit eines Verwandten Rechtsprechung dazu gegeben hätte, die
ausdrücklich nicht allein auf die Zuteilungsfähigkeit des Erben abgestellt hat.
3. Die hilfsweise erhobene Vollstreckungsgegenklage ist bereits unzulässig. Hierzu wird
auf die zutreffenden Ausführungen in dem landgerichtlichen Urteil Bezug genommen.
Aus dem von dem Kläger zitierten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom
06.12.2005 (1 BvR 1905/02) ergibt sich vorliegend keine andere Wertung. Der Beschluss
traf ausweislich des Leitsatzes und der Gründe eine Aussage zur analogen Anwendung
des § 79 Abs. 2 S. 3 BVerfGG auf nicht mehr anfechtbare Entscheidungen, die auf einer
vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung als
verfassungswidrig verworfenen Interpretationsvariante einer Rechtsvorschrift oder auf
der Auslegung und Anwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe beruhen, die
für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden sind.
Die von dem Kläger zitierte Stelle enthält zwar eine Aussage dazu, dass gemäß § 79
Abs. 2 BVerfGG § 767 ZPO entsprechend gelte. Eine allgemeine Erklärung, wonach
Änderungen in der Rechtsprechung des BGH nach Schluss der letzten mündlichen
Verhandlung im Ausgangsverfahren eine Einwendung im Sinne des § 767 Abs. 2 ZPO
darstellen, kann der Entscheidung indes gerade nicht entnommen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen gemäß § 543 ZPO nicht
vorliegen. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache nicht zu. Auch ist die
Zulassung nicht zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erforderlich. Die Entscheidung beruht allein auf der Würdigung der
Umstände des Einzelfalles.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 37.743,06 € festgesetzt.
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