Urteil des OLG Brandenburg vom 13.03.2017

OLG Brandenburg: wesentliche veränderung, selbstbehalt, unterhalt, beweislast, erwerb, hochschulreife, schulausbildung, besuch, volljährigkeit, verfügung

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 2.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 WF 255/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 114 ZPO, § 127 Abs 2 ZPO, §
286 ZPO, § 323 ZPO, § 1603 Abs
2 BGB
Abänderungsklage des Unterhaltsschuldners gegen das
volljährige Kind: Darlegungs- und Beweislast für das Einkommen
des anderen Elternteils; Privilegierung des Volljährigen bei
Besuch einer Förderschule; Neuberechnung des Unterhalts
anderer Berechtigter bei Mangelverteilung
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe für die Klage in vollem Umfang bewilligt.
Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Das als Beschwerde bezeichnete Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde gemäß § 127
Abs. 2 Satz 2 ZPO anzusehen und als solche zulässig.
Die sofortige Beschwerde ist begründet. Dem Kläger ist Prozesskostenhilfe nicht nur, wie
vom Amtsgericht angenommen, teilweise, sondern in vollem Umfang zu bewilligen.
Seine Klage bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 114 ZPO.
1. Der Kläger begehrt Wegfall des titulierten Unterhalts ab Juni 2006. Die Beklagte ist am
19.5.2006 volljährig geworden. Mit Eintritt der Volljährigkeit ist grundsätzlich auch die
Mutter der Beklagten barunterhaltspflichtig, § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB. Das Einkommen
ihrer Mutter hat die Beklagte jedoch nicht dargelegt. Deshalb ist im
Prozesskostenhilfeverfahren zu Gunsten des Klägers davon auszugehen, dass er der
Beklagten überhaupt keinen Unterhalt mehr schuldet.
Im Abänderungsverfahren nach § 323 ZPO trägt grundsätzlich der Abänderungskläger
die Darlegungs- und Beweislast für eine wesentliche Veränderung der Umstände, die für
die Unterhaltsfestsetzung im vorausgegangenen Verfahren maßgeblich waren (BGH,
FamRZ 1987, 259; Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis,
6. Aufl., § 6, Rz. 726). Vor diesem Hintergrund wird teilweise die Auffassung vertreten,
dass der auf Abänderung klagende Unterhaltsschuldner bei Volljährigkeit des Kindes
auch das Einkommen des anderen Elternteils zur Ermittlung der Haftungsanteile
darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen hat (so OLG Zweibrücken, FamRZ 2001,
249; OLG Hamburg, FamRZ 1993, 1475; Wendl/Dose, a.a.O.). Nach der
Gegenauffassung trägt das auf Abänderung in Anspruch genommene volljährige Kind die
Darlegungs- und Beweislast bezüglich des Einkommens und damit des Haftungsanteils
des nicht am Prozess beteiligten Elternteils, da es insoweit um die Aufrechterhaltung des
Unterhaltsanspruchs geht (so Senat, FamRZ 2003, 48, 49; FamRZ 2004, 552, 553; KG,
FamRZ 1989, 1206, 1207; FamRZ 1994, 765, 766; OLG Hamm, FamRZ 2000, 904; OLG
Köln, FamRZ 2000, 1043 f.; Wendl/Scholz, a.a.O., § 2, Rz. 451). Diese streitige
Rechtsfrage darf im Prozesskostenhilfeverfahren nicht zu Lasten des Klägers
beantwortet werden.
Soweit es bei der Frage, ob für das Begehren der um Prozesskostenhilfe nachsuchenden
Partei hinreichende Erfolgsaussicht besteht, um die Rechtslage geht, reicht es aus, dass
der Standpunkt des Antragstellers zumindest vertretbar ist. Um die Chancengleichheit
der bedürftigen und der bemittelten Partei zu wahren, dürfen schwierige Rechtsfragen
nicht bereits im Prozesskostenhilfeverfahren zu Lasten des Antragstellers entschieden
werden. Denn auch der Bedürftige muss die Chance haben, die Frage obergerichtlich
klären zu lassen. Das gilt insbesondere dann, wenn es sich um eine Sache von
grundsätzlicher Bedeutung handelt, derentwegen die Revision oder die
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grundsätzlicher Bedeutung handelt, derentwegen die Revision oder die
Rechtsbeschwerde zugelassen werden müsste (vgl. BVerfG, FamRZ 2002, 665; BGH,
FamRZ 2003, 671; Senat, FamRZ 2000, 1033, 1035; Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 114,
Rz. 21; Verfahrenshandbuch Familiensachen - FamVerf -/Gutjahr, § 1, Rz. 257). So liegt
der Fall hier. Die Frage der Darlegungs- und Beweislast in einem Fall der vorliegenden Art
ist - soweit ersichtlich - vom Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden worden. Der für
den Kläger günstige Rechtsstandpunkt, nämlich die Darlegungs- und Beweispflicht auf
Seiten der Beklagten, ist zumindest vertretbar.
Nach alledem ist dem Kläger Prozesskostenhilfe in vollem Umfang deshalb zu bewilligen,
weil zu seinen Gunsten nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Mutter der
Beklagten über ein so hohes Einkommen verfügt, dass eine Barunterhaltspflicht des
Klägers insgesamt entfällt. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger sich durch
Vergleich vom 11.7.2000 auch zur Zahlung von Ehegattenunterhalt gegenüber der
Mutter der Beklagten verpflichtet hat. Denn nur auf Grund einer Unterhaltsbedürftigkeit
der Mutter der Beklagten im Jahr 2000 lassen sich Erkenntnisse über ihr gegenwärtiges
Einkommen nicht gewinnen.
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:
a) Die Frage, ob die volljährige Beklagte, die behindert ist und eine Förderschule
besucht, zum Kreis der so genannten privilegierten Volljährigen gehört, ob sie sich also
noch in der allgemeinen Schulausbildung befindet, ist entgegen der Auffassung des
Amtsgerichts nicht eindeutig zu Gunsten der Beklagten zu beantworten. Vielmehr bedarf
es hierzu weiterer Feststellungen.
Die allgemeine Schulausbildung setzt insbesondere den Erwerb eines allgemeinen
Schulabschlusses als Zugangsvoraussetzung für die Aufnahme einer Berufsausbildung
oder den Besuch einer Hochschule oder Fachhochschule voraus, also jedenfalls den
Hauptschulabschluss, den Realschulabschluss bzw. die fachgebundene oder die
allgemeine Hochschulreife (Wendl/Scholz, a.a.O., § 2, Rz. 457). Ob dies bei der Beklagten
der Fall ist, lässt sich allein anhand der mit der Klageschrift vorgelegten Anlage K 4 nicht
beurteilen. Hierzu ist vielmehr festzustellen, welche Art von Förderschule die Beklagte
besucht und welche Schulabschlüsse für sie dort möglich sind.
Nach § 30 Abs. 1 des Brandenburgischen Schulgesetzes vermitteln Förderschulen eine
allgemeine Bildung und umfassen den Bildungsgang der Grundschule, die
Bildungsgänge der Sekundarstufe I, den Bildungsgang zum Erwerb der allgemeinen
Hochschulreife oder bei Erfüllung fachlicher und organisatorischer Voraussetzungen in
der allgemeinen Förderschule den Bildungsgang zur Erteilung eines der
Berufsbildungsreife gleichgestellten Abschlusses. Die allgemeine Förderschule oder die
Förderschule für geistig Behinderte vermittelt eine allgemeine Bildung und führt jeweils
einen Bildungsgang zum Erwerb eines eigenen Abschlusses. Entsprechend sind in § 17
Nr. 11, 12 des Brandenburgischen Schulgesetzes der Abschluss der allgemeinen
Förderschule und der Abschluss der Förderschule für geistig Behinderte gesondert
aufgeführt. Daher bedarf es näherer Feststellungen des Amtsgerichts, welche Art von
Förderschule die Beklagte besucht und welcher Abschluss für sie dort möglich ist.
b) Selbst wenn sich, wovon das Amtsgericht offenbar ausgegangen ist, herausstellen
sollte, dass der Kläger der Beklagten gegenüber allein barunterhaltspflichtig ist und die
Beklagte zu den privilegierten Volljährigen zählt, würde sich eine Mangelverteilung
anders, als vom Amtsgericht berechnet, darstellen.
Der notwendige Selbstbehalt des in Berlin lebenden Klägers beträgt nicht 820 €, sondern
890 € (Anm. I zur Berliner Tabelle, Stand 1.7.2005). Bei einem bereinigten Einkommen
von rund 1.553 € stehen dem Kläger so 663 € für Unterhaltszwecke zur Verfügung.
In die Mangelverteilung als gleichberechtigt einzubeziehen wären neben der Beklagten
deren Mutter und das Kind M. aus der zweiten Ehe des Klägers. Die zweite Ehefrau des
Klägers hingegen wäre mit Rücksicht auf § 1582 BGB nicht nur gegenüber der ersten
Ehefrau, also der Mutter der Beklagten, sondern auch gegenüber der Beklagten selbst
nachrangig (vgl. BGH, FamRZ 2005, 1154).
Hinsichtlich der drei in die Mangelverteilung einzustellenden Unterhaltsberechtigten ist
grundsätzlich richtig zu rechnen, d. h. so als ob über alle Ansprüche zugleich
entschieden würde (vgl. BGH, FamRZ 1992, 797; Wendl/Scholz, a.a.O., § 2, Rz. 228). Auf
die Höhe eines titulierten Unterhalts, hier für die erste Ehefrau, kommt es zunächst nicht
an.
Als Einsatzbetrag in die Mangelverteilung ist jeweils das Existenzminimum der
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Als Einsatzbetrag in die Mangelverteilung ist jeweils das Existenzminimum der
Unterhaltsberechtigten einzustellen, auf Seiten der ersten Ehefrau ihr notwendiger
Selbstbehalt, auf Seiten des minderjährigen Kindes M. 135 % des Regelbetrages der 1.
Altersstufe (vgl. BGH, FamRZ 2003, 366). Für die volljährige Beklagte wird man in einem
solchen Fall 135 % des Bedarfs, der sich nach der Unterhaltstabelle in Anlage I der
Unterhaltsleitlinien des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, Stand 1.7.2005, auf der
Grundlage der Einkommensgruppe a) für die 4. Altersstufe ergibt, annehmen können.
Die Einsatzbeträge sind um etwaige Eigeneinkünfte, wie sie hier vor allem bei der ersten
Ehefrau in Betracht kommen, zu bereinigen.
Schließlich ist zu beachten, dass der Selbstbehalt gegenüber einem Anspruch auf
Ehegattenunterhalt auch im Falle der Kindesbetreuung durch die Unterhaltsberechtigte
grundsätzlich nicht mit dem Betrag zu bemessen ist, der dem notwendigen Selbstbehalt
entspricht. Vielmehr ist er in der Regel mit einem Betrag zu bemessen, der zwischen
dem angemessenen und dem notwendigen Selbstbehalt liegt (vgl. BGH, FamRZ 2006,
683). Dieser Selbstbehalt kann entsprechend Anm. III zur Berliner Tabelle für den Kläger
gegenüber seiner ersten Ehefrau mit 995 € angenommen werden. Dies führt, da sein
Selbstbehalt gegenüber den beiden Kindern lediglich 890 € beträgt, zu einer zweistufigen
Mangelverteilung. Zunächst wird der Unterhalt für alle Unterhaltsberechtigten unter
Beachtung des höheren Selbstbehalts gekürzt. In einem zweiten Rechenschritt wird dann
der Unterhalt derjenigen, die sich auf den kleinen Selbstbehalt berufen können, aus dem
Unterschiedsbetrag zwischen dem Selbstbehaltsbeträgen aufgefüllt (vgl.
Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, Rz. 106 f.,
mit Rechenbeispiel).
Im vorliegenden Fall ist sodann noch zu beachten, dass zu Gunsten der ersten Ehefrau
lediglich ein Betrag von 310 DM, das sind rund 159 €, tituliert ist. Sollte der Kläger von
seiner ersten Ehefrau nicht auf höheren Unterhalt in Anspruch genommen worden sein,
kommt für den Fall, dass die Mangelverteilung für die Ehefrau einen höheren Betrag als
den titulierten Unterhalt ergibt, in Betracht, die Differenz zwischen tituliertem und sich
nun ergebendem Unterhalt auf die beiden Kinder zu verteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.
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