Urteil des OLG Brandenburg vom 09.07.2009

OLG Brandenburg: unterhalt, verkäuferin, erwerbstätigkeit, bad, beschwerdeschrift, arbeitsmarkt, beweislast, nebentätigkeit, tarif, sammlung

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 WF 242/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1573 BGB, § 1578 Abs 1 S 1
BGB, § 114 ZPO
Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Nachehelichenunterhalt:
Anforderungen an die Begründung einer
Nichtabhilfeentscheidung; Zurechnung eines fiktiven
Einkommens; erhebliches Einkommensgefälle zwischen den
Parteien
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Bad
Liebenwerda vom 9. Juli 2009 – Az. 22 F 124/09 – abgeändert und der Klägerin ratenfreie
Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt … auch bewilligt, soweit sie für
die Zeit von der Rechtskraft der Scheidung am 22. Oktober 2008 bis zum 30. November
2010 nachehelichen Unterhalt begehrt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht
erstattet.
Gründe
Die am 27. Juli 2009 eingegangene sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den ihr am
13. Juli 2009 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 9. Juli 2009,
mit dem der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen
worden ist, soweit sie neben Trennungsunterhalt auch Geschiedenenunterhalt für die
Zeit bis einschließlich November 2010 beansprucht, ist nach § 127 Abs. 2 ZPO in
Verbindung mit §§ 567 ff. ZPO zulässig. Das Rechtsmittel ist auch begründet.
a) Die in der angefochtenen Entscheidung angeführte Begründung, die bisher
vorgelegten Arbeitsbemühungen genügten den strengen Voraussetzungen für den
nachehelichen Unterhalt nicht, ist zum einen hinsichtlich der geforderten Bemühungen
viel zu unkonkret und im Übrigen – wie nachstehend noch auszuführen sein wird - für
sich betrachtet schon grundsätzlich nicht geeignet, die Versagung der
Prozesskostenhilfe zu rechtfertigen.
Der Beschluss vom 31. Juli 2009 kann den Anforderungen an eine begründete
Nichtabhilfeentscheidung nicht ansatzweise genügen. Allein die durch in rechtlicher
und/oder tatsächlicher Hinsicht durch keinen konkreten Anknüpfungspunkt
untermauerte Feststellung, die Klägerin habe die Anspruchsvoraussetzungen für den
nachehelichen Unterhalt nicht ausreichend dargetan, genügt den Anforderungen an eine
echte Überprüfung des Beschwerdevorbringens offensichtlich nicht. Grobe Verstöße
gegen die Überprüfungspflicht können als wesentlicher Verfahrensmangel anzusehen
sein, der zur Aufhebung des Vorlagebeschlusses und zur Zurückverweisung führen kann
(vgl. Zöller-Gummer, ZPO, 26. Aufl., § 572 Rdnr. 7). Von der im Streitfall danach
eigentlich gebotenen Aufhebung des Beschlusses vom 31. Juli 2009 und
Zurückverweisung an das Amtsgericht zur erneuten Entscheidung im Abhilfeverfahren
hat der Senat allerdings abgesehen, weil den Parteien in Ansehung der einzig vom Senat
verursachten Dauer des Beschwerdeverfahrens weitere Verfahrensverzögerungen nicht
zuzumuten sind.
b) Dem hier in der Form von Aufstockungsunterhalt nach § 1573 BGB geltend
gemachten Anspruch der Klägerin auf nachehelichen Unterhalt können nach Auffassung
des Senates hinreichende Erfolgsaussichten im Sinne von § 114 ZPO nicht
abgesprochen werden.
(1) Nach Aktenlage bestehen keine nachhaltigen Zweifel daran, dass die Klägerin aus
ihrem tatsächlich erzielten Erwerbseinkommen ihren – an den ehelichen
Lebensverhältnissen zu messenden (§ 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB) – Unterhaltsbedarf zu
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Lebensverhältnissen zu messenden (§ 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB) – Unterhaltsbedarf zu
decken nicht in der Lage ist. In tatsächlicher Hinsicht besteht ein deutliches
Einkommensgefälle, ohne dass an dieser Stelle die teilweise umstrittenen
Einzelpositionen einer näheren Untersuchung unterzogen werden müssten.
Der Beklagte und auch das Amtsgericht stellen deshalb für die Ablehnung des
Anspruchs auf Aufstockungsunterhalt ganz maßgeblich darauf ab, dass die Klägerin
keine ausreichenden Erwerbsbemühungen um die Erlangung einer Vollzeitstelle
unternommen habe.
Insoweit ist allerdings anzumerken, dass die Klägerin eine Vielzahl erfolglos gebliebener
Bewerbungen in ihrem erlernten und seit Jahrzehnten, zuletzt allerdings in Teilzeit mit
104 Stunden monatlich ausgeübten Beruf als Verkäuferin vorgelegt hat. Die Klägerin ist
unstreitig mangels Fahrerlaubnis auch nur eingeschränkt mobil und flexibel, ohne dass
es insoweit darauf ankäme, ob dies ein ehebedingter Nachteil ist. Wenn das Amtsgericht
hier ein Mehr an Aktivitäten verlangt, wäre es gehalten gewesen, im Einzelnen diejenigen
Anforderungen zu beschreiben, die die Klägerin nach dortiger Ansicht erfüllen müsste.
Daran fehlt es hier.
(2) Entgegen der offenbar vom Amtsgericht vertretenen Auffassung führen selbst
unzureichende Erwerbsbemühungen auch nicht zur Versagung des Anspruchs aus §
1573 Abs. (1 und) 2 BGB, wenn sie nicht dafür ursächlich sind, dass der geschiedene
Ehegatte seinen – nochmals: an den ehelichen Verhältnissen zu messenden (§ 1578
Abs. 1 Satz 1 BGB) – Unterhaltsbedarf nicht selbst aus Erwerbstätigkeit in vollem
Umfang decken kann. Wenn also die Klägerin auch bei ausreichenden
Erwerbsbemühungen keine reale Beschäftigungschance auf eine vollschichtige
Erwerbstätigkeit in ihrem erlernten oder einem ähnlichen Beruf hätte, fehlte es an einer
solchen Ursächlichkeit (vgl. BGH FamRZ 2008, 2104).
Wegen unzureichender Erwerbsbemühungen der Klägerin könnte dieser also nur ein
fiktives Einkommen aus einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit zugerechnet werden, wenn
neben den fehlenden subjektiven Erwerbsbemühungen auch objektiv die
Voraussetzungen vorliegen, dass die Klägerin bei ausreichender Arbeitsplatzsuche eine
entsprechende Arbeitsstelle gefunden hätte, was von den persönlichen
Voraussetzungen der Klägerin wie Alter, Ausbildung, Berufserfahrung und
Gesundheitszustand sowie ganz maßgeblich natürlich auch von den Verhältnissen des
Arbeitsmarktes abhängig ist (BVerfG FamRZ 2010, 183; 2008, 1145; OLG Hamm, Urteil
vom 3. März 2010, Az. 5 UF 145/09 – zitiert nach juris). Hier ist zu beachten, dass die zu
Beginn des streitbefangenen Zeitraumes knapp 54-jährige Klägerin von kurzen
Unterbrechungen anlässlich der Geburt der Kinder der Parteien abgesehen seit
Jahrzehnten in ihrem erlernten Beruf tätig ist und keine gesundheitlichen
Einschränkungen geltend macht, von den persönlichen Eckdaten her also zunächst
nichts gegen die Aufnahme einer Vollzeittätigkeit spricht. Beachtlich bei der
Arbeitsplatzsuche ist aber die eingeschränkte Mobilität, da die Klägerin tatsächlich auf
die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen ist. Zu beachten ist aber vor allen
Dingen auch der Arbeitsmarkt am Wohnort und in näherer Umgebung. Nicht nur durch
Veröffentlichungen in allgemein zugänglichen Quellen, sondern auch aus einer Vielzahl
von Verfahren ist dem Senat bekannt, dass gerade im Verkaufsbereich vielfach mit
Teilzeitkräften (und zudem nicht selten in geteilten und vor allem unregelmäßigen
Schichten, was die Aufnahme einer Nebentätigkeit erschwert) gearbeitet wird, die
darüber hinaus jedenfalls nicht regelmäßig nach Tarif bezahlt werden (vgl. zu den realen
Erwerbschancen von Verkäuferinnen „im Westen“, allerdings im Textil- und
Bekleidungsbereich, OLG Hamm, a.a.O. – Rdnr. 40 ff. bei juris).
Danach drängt sich jedenfalls nicht auf, dass die Klägerin ohne Weiteres einen
Arbeitsplatz als Verkäuferin mit einer 40-Stunden-Woche hätte finden können, wenn sie
sich nur genügend bemüht hätte. Auch die vom Beklagten mit Schriftsatz vom 26.
Januar 2009 hergereichte Übersicht über offene Stellen im Verkaufsbereich indiziert
keine besseren Chancen. Zum einen fällt auf, dass „keine passenden, sondern nur
ähnliche Angebote zu Ihrer Suchanfrage gefunden“ werden konnten, die dann
unterbreiteten Angebote zur Frage Teil- oder Vollzeit nicht aussagekräftig sind, eine
Vielzahl der Angebote mit dem Zusatz „Diverse Ausübungsorte“ versehen sind, was die
Vermutung nahe legt, dass offenbar an wechselnde Einsatzorte gedacht ist. Dafür bringt
die kein Kraftfahrzeug führen könnende Klägerin allerdings keine guten Voraussetzungen
mit.
Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Klägerin die Darlegungs- und
Beweislast dafür obliegt, dass auch bei hinreichenden Bemühungen eine adäquate
Vollzeitstelle auf dem ihr zugänglichen Arbeitsmarkt nicht zu erlangen ist/gewesen wäre,
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Vollzeitstelle auf dem ihr zugänglichen Arbeitsmarkt nicht zu erlangen ist/gewesen wäre,
so können nach Aktenlage im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung im
Prozesskostenhilfeverfahren hinreichende Erfolgsaussichten dafür nicht abgesprochen
werden.
(3) Es kommt entscheidend hinzu – und darauf hat die Klägerin neuerlich in der
Beschwerdeschrift ausdrücklich hingewiesen -, dass ihr jedenfalls nur ein fiktives
Einkommen in der Höhe zugerechnet werden kann, die sie aus einer Vollzeittätigkeit als
Verkäuferin erzielen könnte. Bei dem selbst dann zu konstatierenden
Einkommensgefälle zwischen der Klägerin und dem Beklagten, verbliebe allerdings
immer noch ein ganz erheblicher ungedeckter Unterhaltsbedarf. Nach Auffassung des
Senates ist das von der Klägerin – aus der Hochrechnung des tatsächlich bezogenen
Tarifentgelts ermittelte - in den Raum gestellte Nettoeinkommen von rund 1.040 EUR für
eine Vollzeittätigkeit nicht von der Hand zu weisen. Selbst wenn man also die Klägerin
teilweise fingieren würde, bliebe jedenfalls ein ganz erheblicher Anspruch auf
nachehelichen Unterhalt. Auf die Berechnung der Klägerin in der Beschwerdeschrift wird
zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Hinreichende Erfolgsaussichten
insoweit hätte das Amtsgericht folglich selbst unter Zugrundelegung seiner Auffassung
zu unzureichenden Erwerbsbemühungen nicht verneinen dürfen.
(4) Soweit der Beklagte das Fehlen ehebedingter Nachteile geltend macht, weist der
Senat vorsorglich darauf hin, dass dies allein noch nicht dazu führt, dass kein
nachehelicher Unterhalt geschuldet wird. Auch nach der gesetzlichen Neuregelung ist
die Begrenzung und Befristung eines rechnerisch noch fortdauernden
Unterhaltsanspruchs in § 1578b BGB als Ausnahmetatbestand konzipiert. Richtig ist nur,
dass in den Fällen, in denen keine ehebedingten Nachteile (mehr) vorliegen, der
nacheheliche Unterhalt in aller Regel zu befristen ist (vgl. BGH FamRZ 2006, 1006).
Selbst bei dem hier allerdings umstrittenen Nichtvorliegen ehebedingter Nachteile (zur
Darlegungs- und Beweislast insoweit BGH FamRZ 2010, 875 unter ausdrücklicher
Klarstellung zu früheren Entscheidungen) erscheint angesichts der über drei Jahrzehnte
währenden Ehedauer und unter Berücksichtigung der gemeinsamen Kinder, die
jedenfalls im ersten Lebensjahr ganz überwiegend von der Klägerin betreut und versorgt
worden sind, der kürzest möglichen Trennungszeit und des nach Aktenlage maximal
zwischen dem 1. Februar und dem 21. Oktober 2008 gezahlten Trennungsunterhalts der
mit der hier in Rede stehenden Teilklage nur geltend gemachte Zeitraum von zwei
Jahren jedenfalls nicht übersetzt (vgl. auch OLG Saarbrücken FamRZ 2010, 652).
Insgesamt ist danach festzustellen, dass der Klage auf nachehelichen Unterhalt – auch
in der Höhe des ursprünglichen Klageantrages – hinreichende Erfolgsaussichten nicht
abgesprochen werden können. Die angefochtene Entscheidung war daher
antragsgemäß abzuändern.
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