Urteil des OLG Brandenburg vom 05.09.2008

OLG Brandenburg: versicherungsnehmer, sperrfläche, könig, motorradfahrer, schmerzensgeld, anwaltskosten, quote, arbeitsunfähigkeit, sattelschlepper, fahrbahn

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht
12. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 214/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 249 BGB, § 253 Abs 2 BGB, §
823 Abs 1 BGB, § 823 Abs 2
BGB, § 7 Abs 1 StVG
Haftung bei Verkehrsunfall: Haftungsverteilung bei
Vorfahrtsrechtverletzung durch den Wartepflichtigen im Bereich
einer Kreuzung mit Vorfahrtsregelung; Anscheinsbeweis;
Schmerzensgeld bei HWS-Distorsion
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Kläger wird das am 5.
September 2008 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts
Neuruppin, Az.: 2 O 478/07, teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1. 4.451,13 €, an die Klägerin zu 2.
2.506,48 € und an die Kläger als Mitgläubiger 486,87 € jeweils nebst Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.10.2006 zu zahlen. Im Übrigen
wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Anschlussberufung wird hinsichtlich eines Betrages von 5.120,38 €
nebst anteiliger Zinsen verworfen; im Übrigen werden Berufung und Anschlussberufung
zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten in beiden Instanzen
haben der Kläger zu 1. zu 12 %, die Klägerin zu 2. zu 37 % und die Beklagte zu 51 % zu
tragen. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1. in beiden Instanzen haben
dieser zu 26 % und die Beklagte zu 74 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der
Klägerin zu 2. haben diese zu 67 % und die Beklagte zu 33 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
1.
Die Anschlussberufung ist hinsichtlich eines Betrages von 5.120,38 € unzulässig. Für die
Zulässigkeit der Anschlussberufung ist es gem. §§ 524 Abs. 3 Satz 2, 520 Abs. 3 Nr. 2
ZPO erforderlich, dass die Berufungsbegründung erkennen lässt, aus welchen
Umständen sich eine Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene
Entscheidung ergeben soll. Der Anschlussberufungskläger muss sich mithin mit dem
angefochtenen Urteil inhaltlich auseinandersetzen. Bei einem teilbaren Streitgegenstand
muss sich die Berufungsbegründung in hinreichend bestimmter Weise auf alle Teile des
Urteils erstrecken, hinsichtlich derer eine Abänderung beantragt wird. Soweit eine solche
Begründung fehlt, ist die Berufung unzulässig (BGH NJW-RR 2000, S. 1015). Teilbar ist ein
Streitgegenstand auch bei Schadensersatzpositionen, die Einheitlichkeit des Anspruchs
steht nicht entgegen (vgl. BGH MDR 2004, S. 701). Da die Kläger die erstinstanzlich nicht
zugesprochenen Schadenspositionen in vollem Umfang weiterhin verlangen, wären sie
gehalten gewesen, sich bezüglich aller dieser Positionen mit den vom Landgericht zu
einer Kürzung gegebenen Begründungen auseinanderzusetzen. Dies ist jedoch nicht
erfolgt. Die Ausführungen der Kläger beziehen sich allein auf die vom Landgericht
ausgesprochene Haftungsquote. Daneben hat das Landgericht aber ausgeführt, dass
anstelle des von der Klägerin zu 2. geforderten Schmerzensgeldes in Höhe von 7.500,00
€ selbst bei einer alleinigen Haftung der Beklagten lediglich ein Schmerzensgeld von
3.000,00 € gerechtfertigt sei und dass im Hinblick auf die vorgerichtlichen
Rechtsanwaltskosten mangels einer besonderen Schwierigkeit oder eines besonderen
Umfanges statt des in Ansatz gebrachten Faktors von 1,8 lediglich ein solcher von 1,3
gerechtfertigt sei. Wegen der weitergehenden Schmerzensgeldforderung von 4.500,00 €
ist ebenso wie wegen der Rechtsanwaltskosten, die auf dem Ansatz eines Faktors von
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ist ebenso wie wegen der Rechtsanwaltskosten, die auf dem Ansatz eines Faktors von
mehr als 1,3 und einem Gegen-standswert von mehr als 11.072,94 € beruhen
(eingeklagter materieller Schadensersatz des Kläger zu 1. von 6.039,10 € zuzüglich
eingeklagter materieller Schadensersatz der Klägerin zu 2. von 133,10 € zuzüglich
zulässige Schmerzensgeldforderung der Klägerin zu 2. von 3.000,00 € zuzüglich
vorgerichtliche Zahlung der Beklagten von 1.900,74 €) die Anschlussberufung bereits
unzulässig. Hinsichtlich der vorgerichtlichen Anwaltskosten erfasst dies einen Betrag von
620,38 € der mit der Anschlussberufung geltend gemachten Gebühren von 715,66 €. Bei
einem Gegenstandswert von 11.072,94 € und einem Gebührensatz von 1,3 fallen
Rechtsanwaltskosten in Höhe von 837,52 € an, auf die die Beklagte vorgerichtlich 231,53
€ gezahlt hat. Angesichts des vom Landgericht zugesprochenen weiteren Betrages von
510,71 € verbleibt lediglich ein Restbetrag von 95,28 €, hinsichtlich dessen die Kläger
eine Verbesserung erzielen können.
Im Übrigen sind Berufung und Anschlussberufung zulässig, insbesondere form- und
fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 511, 513, 517, 519, 520, 524 ZPO. Die
Beklagte stützt ihr Rechtsmittel darauf, das Landgericht habe zu Unrecht einen Verstoß
ihres Versicherungsnehmers gegen ein Überholverbot angenommen, obwohl dieser
lediglich im Rahmen eines Ausweichmanövers die Sperrfläche überfahren habe. Die
Kläger stützen die Anschlussberufung darauf, das Landgericht habe nicht hinreichend
berücksichtigt, dass dem Versicherungsnehmer der Beklagten ein
Geschwindigkeitsverstoß sowie das Überholen an einer unübersichtlichen Stelle
anzulasten sei. Beide Seiten sind der Ansicht, aus den jeweils genannten Gründen sei
eine alleinige Haftung der Gegenseite gerechtfertigt. Sie zeigen damit Rechtsfehler auf,
auf denen das Urteil beruhen kann, §§ 513, 546 ZPO.
2.
In der Sache hat die Anschlussberufung teilweise Erfolg; die Berufung greift lediglich in
geringer Höhe hinsichtlich der vom Landgericht zugesprochenen Rechtsanwaltskosten.
Die Kläger haben gegen die Beklagte aufgrund des Unfalles vom 07.09.2006 jeweils
einen Schadensersatzanspruch betreffend die ihnen entstandenen Schäden aus §§ 7
Abs. 1, 17 Abs. 1, 18 Abs. 1, 11 StVG, 3 PflVG unter Berücksichtigung einer
Mitverursachungsquote von 20 %. Der Kläger zu 1. kann die Zahlung eines Betrages von
4.451,13 € und die Klägerin zu 2. kann eine Leistung von 2.506,48 € beanspruchen.
a) Zutreffend hat das Landgericht eine Abwägung der beiderseitigen
Verursachungsbeiträge nach § 17 Abs. 1 StVG vorgenommen. Ein unabwendbares
Ereignis gem. § 17 Abs. 3 StVG liegt für keine Seite vor. Unabwendbar in diesem Sinne
ist ein Ereignis, das durch die äußerste mögliche Sorgfalt eines Idealfahrers nicht
abgewendet werden kann, wobei ein schuldhaftes Fehlverhalten ein unabwendbares
Ereignis ausschließt und darlegungs- und beweisbelastet für die Unabwendbarkeit des
Unfalles derjenige ist, der sich entlasten will (Hentschel/König/Dauer,
Straßenverkehrrecht, Kommentar, 40. Aufl., § 17 StVG, Rn. 22 f, m. w. N.). Hinreichende
Tatsachen für die Annahme eines unabwendbaren Ereignisses sind von keiner Seite
vorgetragen und nachgewiesen worden. So haben die Kläger nicht nachgewiesen, dass
ein idealer Fahrer anstelle der Klägerin zu 2. bei einem vorsichtigen Hineintasten in den
Kreuzungsbereich die Kollision nicht hätte vermeiden können. Auch konnte die Beklagte
nicht belegen, dass es einem idealen Fahrer nicht möglich gewesen wäre, das Befahren
der Sperrfläche zu vermeiden.
Im Rahmen der Abwägung der Verursachungsbeiträge nach § 17 Abs. 1 StVG ist auf die
Umstände des Einzelfalles abzustellen, insbesondere darauf inwieweit der Schaden
vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Bei der Abwägung
der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge sind
unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr nur
unstreitige bzw. zugestandene und bewiesene Umstände einzustellen (vgl. BGH NJW
2007, S. 506; KG NZV 1999, S. 512; NZV 2003, S. 291; Hentschel/König/Dauer, a. a. O.,
§ 17 StVG, Rn. 5 m. w. N.). Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem
anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für die nach § 17 Abs. 1 StVG
vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will (BGH NZV 1996,
S. 231).
Zu Lasten der Kläger ist ein Verstoß der Beklagten zu 1. gegen § 8 Abs. 2 StVO zu
berücksichtigen. Grundsätzlich spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine
schuldhafte Vorfahrtsverletzung des Wartepflichtigen (BGH NJW 1976, S. 1317; KG NZV
2002, S. 79; Hentschel/König/Dauer, a .a .O., § 8 StVO, Rn. 68 m. w. N.). Dieser Anschein
kann nur durch bewiesene Tatsachen entkräftet werden, z. B. durch den Nachweis, dass
der Berechtigte auch bei größter Sorgfalt vom Wartepflichtigen nicht hätte gesehen
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der Berechtigte auch bei größter Sorgfalt vom Wartepflichtigen nicht hätte gesehen
werden können (OLG München ZfS 1997, S. 245; Hentschel/König/Dauer, a. a. O., m. w.
N.). Das Vorfahrtsrecht des Berechtigten bezieht sich dabei auf die gesamte
Fahrbahnbreite (vgl. Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 8 StVO, Rn. 28). Auch besteht
grundsätzlich die Berechtigung des nachfolgenden Verkehrs auf der Vorfahrtsstraße, an
einem vorausfahrenden Rechtsabbieger im Kreuzungsbereich vorbeizufahren, worauf
sich der Wartepflichtige einstellen und auch insoweit eine Gefährdung des
Vorfahrtberechtigten ausschließen muss. Zudem ist auch dieser Fall von dem
Erfahrungssatz umfasst, wonach regelmäßig eine Vorfahrtsverletzung vorliegt, wenn ein
Wartepflichtiger beim Überqueren einer Vorfahrtsstraße oder beim Einbiegen nach links
mit einem Vorfahrtberechtigten zusammenstößt bzw. wenn es beim Einbiegen nach
rechts zu einer Kollision mit einem sich von links nähernden Vorfahrtberechtigten kommt
(BGH NJW 1982, S. 2668). Dahinstehen kann für den vorliegenden Fall eines
Linksabbiegens durch die Klägerin zu 2., ob ein Anscheinsbeweis nicht besteht, wenn der
Wartepflichtige nach rechts in eine Vorfahrtsstraße einbiegt und dabei auf der rechten
Fahrbahnseite gegen einen von rechts kommenden und im Überholen begriffenen
Verkehrsteilnehmer stößt (so BGH NJW 1982, a. a. O.; anderer Ansicht: OLG Oldenburg
VRS 78, S. 25). Vorliegend ist nach dem Beweis des ersten Anscheins von einem
Vorfahrtsverstoß der Klägerin zu 2. auszugehen. Dem Versicherungsnehmer der
Beklagten war es grundsätzlich nicht untersagt, an einem vor ihm fahrenden
Rechtsabbieger vorbeizufahren, sodass dieser Gesichtspunkt nicht zur Unanwendbarkeit
des gegen die Klägerin zu 2. sprechenden Anscheinsbeweises führt. Insbesondere
bestand ein ausdrückliches Überholverbot an der Unfallstelle nicht. Lediglich das
Befahren der Sperrfläche war nicht gestattet. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass
im Bereich der rechten Fahrspur bei Einhaltung eines entsprechenden Seitenabstandes
gerade ein Motorradfahrer einen vor ihm fahrenden Rechtsabbieger in zulässiger Weise
passieren kann. Darauf muss sich der wartepflichtige Verkehr einstellen und die Vorfahrt
eines an einem Rechtsabbieger vorbeifahrenden Fahrzeuges gewährleisten.
Der gegen die Kläger sprechende Anscheinsbeweis ist nicht erschüttert. Die Kläger
haben nicht den Nachweis führen können, dass die Klägerin zu 2. den
Versicherungsnehmer der Beklagten nicht rechtzeitig hat wahrnehmen können. Dabei
führt eine Sichtverdeckung durch die nach dem ausdrücklichen Vortrag der Kläger in der
Klageschrift zwischen der Klägerin zu 2. und dem Versicherungsnehmer der Beklagten
befindlichen drei Rechtsabbieger nicht zu einer Entlastung der Klägerin zu 2., da diese
erst dann in die Vorfahrtstraße hätte einfahren dürfen als feststand, dass sie nicht
einem Kraftfahrzeug, das an den Rechtsabbiegern vorbeifuhr, die Vorfahrt nahm.
Auch dem Versicherungsnehmer der Beklagten ist ein verkehrswidriges Verhalten
vorzuwerfen. Allerdings haben die Kläger einen Verstoß des Versicherungsnehmers der
Beklagten gegen § 3 Abs. 3 StVO wegen Überschreitung der an der Unfallstelle
grundsätzlich zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h nicht nachgewiesen. Das
im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin zu 2. eingeholte
Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. K., das im vorliegenden Rechtsstreit gem. §
411 a ZPO zu verwerten ist, errechnet nachvollziehbar und überzeugend eine
Kollisionsgeschwindigkeit des Motorrades von 55 - 75 km/h sowie - unter
Berücksichtigung der Bremsspuren und der Rutschstrecke des Motorrades - eine
Bremsausgangsgeschwindigkeit von 70 - 90 km/h. Gegen diese Feststellungen wenden
sich beide Seiten auch nicht. Zugleich ist damit jedoch eine Geschwindigkeit oberhalb 70
km/h nicht nachgewiesen.
Der Beklagten ist jedoch ein erheblicher Verstoß ihres Versicherungsnehmers gegen § 3
Abs. 1 StVO vorzuwerfen. Entgegen den Ausführungen der Beklagten in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat und im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 16.03.2009
geht der Senat weiterhin davon aus, dass sich die Kolonne von drei Rechtsabbiegern
noch auf der Vorfahrtsstraße befand, der Versicherungsnehmer der Beklagten mithin an
diesen Fahrzeugen vorbeigefahren ist. Entsprechendes ist von den Klägern in der
Klageschrift vorgebracht worden, indem sie ausführen, die Klägerin zu 2. sei davon
ausgegangen, dass diese Fahrzeuge nach rechts abbiegen würden und sei dann in den
Kreuzungsbereich eingefahren. Daraus ergibt sich zugleich, dass sich die drei
Rechtsabbieger noch auf der Vorfahrtsstraße befunden haben. Gleiches ergibt sich auch
aus der Klageerwiderung. Die Beklagte hat vorgetragen, der Motorradfahrer sei nach
links herübergezogen, um sodann an den rechtsabbiegenden Fahrzeugen links
vorbeizufahren. Damit ist der Vortrag der Kläger bestätigt worden. Soweit die Beklagte in
der Berufungsinstanz in Abrede stellt, dass sich die Rechtsabbieger noch auf der
Vorfahrtsstraße befunden haben, bevor ihr Versicherungsnehmer sein Überhol- bzw.
Ausweichmanöver eingeleitet hat, handelt es sich um neuen Vortrag, der mangels
Vorliegens der Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen ist. In der
geschilderten Verkehrssituation durfte der Versicherungsnehmer jedoch keinesfalls mit
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geschilderten Verkehrssituation durfte der Versicherungsnehmer jedoch keinesfalls mit
70 km/h an den vor ihm befindlichen Fahrzeugen vorbei und in den Einmündungsbereich
hineinfahren.
Unstreitig befanden sich vor dem Motorrad 3 Fahrzeuge, die allesamt nach rechts in die
Auffahrt zur Bundesstraße einbiegen wollten. Dabei handelte es sich bei dem ersten
Fahrzeug um einen Sattelschlepper. Dieser hatte sich nach Angaben des Zeugen Kr.,
der sich hinter dem Sattelzug befand (in der Berufungsinstanz geht die Beklagte
anscheinend davon aus, dass der Zeuge der Fahrer des Sattelzuges gewesen ist) zwar
schon im Abbiegevorgang befunden, jedoch befand sich der Auflieger noch auf der
Hauptstraße.
Die vom Versicherungsnehmer der Beklagten genutzte Fahrbahn war durch die vor der
Einmündung befindliche Sperrfläche auf 3,70 m verengt, wie sich aus der polizeilich
gefertigten Skizze der Unfallstelle ergibt. Zwar wird hierdurch das Passieren der
vorausfahrenden Rechtsabbieger noch nicht unzulässig, vielmehr durfte der
Versicherungsnehmer der Beklagten bei Einhaltung eines ausreichenden
Seitenabstandes an den Rechtsabbiegern links vorbeifahren – solange er hierzu seine
Spur nicht verlassen musste. Die Fahrbahnverengung und der damit dem
Motorradfahrer verbleibende Raum zum Passieren der vorausfahrenden Kraftfahrzeuge
verlangten hingegen eine Reduzierung der Geschwindigkeit auf ein deutlich unterhalb der
grundsätzlich zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Keinesfalls war es dem
Versicherungsnehmer der Beklagten gestattet auf einer 3,70 m breiten Fahrbahn mit
einer Geschwindigkeit von 70 km/h zwei Pkw und einen Sattelschlepper zu überholen. In
der konkreten Situation stellt zur Überzeugung des Senats eine Geschwindigkeit des
Motorrades von 35 km/h eine Fahrt mit unangepasster Geschwindigkeit dar. Dem
Versicherungsnehmer der Beklagten ist daher eine Geschwindigkeitsüberschreitung von
jedenfalls 100 % vorzuwerfen.
Weiterhin liegt ein Verstoß des Versicherungsnehmers der Beklagten gegen § 41 Abs. 3
Nr. 6 Zeichen 298 StVO vor, denn der Motorradfahrer durfte die an der Unfallstelle
befindliche Sperrfläche nicht überfahren. Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf
berufen, der Motorradfahrer habe insoweit ein Ausweichmanöver durchführen müssen.
Ein berechtigtes Ausweichen über die Sperrfläche und mithin ein schuldloser Verstoß
gegen § 41 Abs. 3 Nr. 6 StVO kam vorliegend schon deshalb nicht in Betracht, weil der
Motorradfahrer den zuvor begonnenen Überholvorgang in der beabsichtigten Weise nicht
hätte durchführen dürfen. Neben der bereits festgestellten erheblichen
Geschwindigkeitsüberschreitung hat der Versicherungsnehmer auch gegen § 5 Abs. 4
StVO verstoßen. Denn wie ausgeführt ist es als unstreitig anzusehen, dass der sich an
der Spitze der Rechtsabbieger befindende Sattelzug seinen Abbiegevorgang noch nicht
beendet hatte. Ein Überholen war in dieser Lage angesichts der Fahrbahnbreite von nur
3,70 m unmittelbar vor dem Einmündungsbereich und dem in Rechnung zu stellenden
Ausschwenken des Aufliegers des Sattelzuges, das den im Regelfall einzuhaltenden
Seitenabstand von einem Meter (vgl. hierzu KG NZV 2007, S. 626;
Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 5 StVO, Rn. 54) nicht mehr als hinreichend erscheinen
lässt, nicht zulässig. Der Versicherungsnehmer der Beklagten hätte mithin den
Überholvorgang der vor ihm fahrenden Kolonne jedenfalls vor dem Passieren des
Sattelschleppers abbrechen müssen. Die Beklagte kann sich somit auch nicht auf ein
Notmanöver berufen, das ihren Versicherungsnehmer zum Überfahren der Sperrfläche
genötigt habe.
Ein weitergehender Verstoß gegen § 5 Abs. 2 StVO ist hingegen nicht nachgewiesen.
Zwar hat der Versicherungsnehmer der Beklagten keine hinreichenden Einblicke in die
wartepflichtige Straße gehabt, jedoch durfte er grundsätzlich auf eine Beachtung seines
Vorfahrtsrechts durch den Querverkehr vertrauen.
Im Ergebnis der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge sieht der
Senat eine überwiegende Haftung auf der Seite der Beklagten und hält eine
Haftungsquote von 80 % zu 20 % zu Gunsten der Kläger für angemessen. Zwar ist den
Klägern der nicht unerhebliche Vorfahrtsverstoß der Klägerin zu 2. anzulasten, jedoch
überwiegen die gravierenden Verkehrsverstöße des Versicherungsnehmers der
Beklagten, der ein in der konkreten Verkehrssituation völlig unverständliches Verhalten
gezeigt hat, das wiederum in dieser Art und Weise auch von der grundsätzlich
wartepflichtigen Klägerin zu 2. nicht in Rechnung gestellt werden musste.
Ein weitergehender Schadensersatzanspruch besteht aus den vorgenannten Gründen
auch nicht aus §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, 253 BGB, 3 Abs. 3 StVO, 3 PflVG.
b) Aufgrund der vorgenannten Quote ergibt sich für den Kläger zu 1. ausgehend von
dessen in der Berufungsinstanz nicht mehr streitigem Schaden von 7.939,84 € eine
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dessen in der Berufungsinstanz nicht mehr streitigem Schaden von 7.939,84 € eine
Forderung von 6.351,87 €. Unter Anrechnung der vorgerichtlich von der Beklagten
gezahlten 1.900,74 € verbleibt ein Restbetrag von 4.451,13 €.
Die materiellen Schadensersatzforderungen der Klägerin zu 2. belaufen sich auf 133,10
€. Unter Zugrundelegung der Quote von 80 % ergibt sich ein Betrag von 106,48 €.
Weiterhin kann die Klägerin zu 2. ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.400,00 € verlangen.
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist in erster Linie dessen Ausgleichsfunktion
zu beachten. Insoweit kommt es auf die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung
an. Maßgeblich sind Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden, Entstellungen
und psychischen Beeinträchtigungen, wobei Leiden und Schmerzen wiederum durch die
Art der Primärverletzung, die Zahl und Schwere der Operationen, die Dauer der
stationären und der ambulanten Heilbehandlungen, den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit
und die Höhe des Dauerschadens bestimmt werden. Im Rahmen der bei normalen
Straßenverkehrsunfällen nur eingeschränkt zu berücksichtigenden Genugtuungsfunktion
ist insbesondere die Schwere des Verschuldens des Schädigers in Ansatz zu bringen
(BGH NJW 1955, S. 1675; NJW 1982, S. 985; VersR 1992, S. 1410; Küppersbusch,
Ersatzansprüche bei Personenschaden, 9. Aufl., Rn. 274 ff). Vorliegend hat die Klägerin
zu 2. nach ihrem in der Berufungsinstanz von der Beklagten nicht mehr bestrittenen
Vortrag eine Distorsion der Halswirbelsäule erlitten. Hierdurch traten akute Schmerzen
im Nackenbereich links und im Bereich der Lendenwirbelsäule sowie erhebliche
Schmerzen in der Lendenwirbelsäule nach längeren Belastungen und eine
eingeschränkte Beweglichkeit auf. Dies hatte eine Arbeitsunfähigkeit im Zeitraum vom
07. bis 29.09.2006 zur Folge. Weiterhin ist infolge des Unfalls eine posttraumatische
Belastungsstörung bei der Klägerin aufgetreten, die sich in innerer Unruhe, nächtlichen
Schweißausbrüchen, Albträumen, Angstattacken und Schlafstörungen manifestiert und
wegen derer sich die Klägerin zu 2. mittlerweile in psychologischer Behandlung befindet.
Aufgrund der vorgenannten Umstände sowie unter Berücksichtigung einer Mithaftung
der Klägerin zu 2. in Höhe von 20 % erscheint dem Senat ein Schmerzensgeld von
2.400,00 € angemessen aber auch ausreichend.
c) Weiterhin besteht ein Anspruch der Kläger auf Erstattung der ihnen vorgerichtlich
entstandenen Anwaltskosten. Vorgerichtliche Anwaltskosten sind zu erstatten, soweit die
Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts im konkreten Fall zur Durchsetzung der Rechte
erforderlich und zweckmäßig war (vgl. BGH NJW 2004, S. 444; Heinrichs in Palandt, BGB,
Kommentar, 67. Aufl., § 249, Rn. 39). Dies ist vorliegend der Fall, wie das vorgerichtliche
Verhalten der Beklagten, die lediglich einen geringen Teil der begründeten Ansprüche
ausgeglichen hat, belegt. Da Zahlungsansprüche des Klägers zu 1. in Höhe von
insgesamt 6.351,87 € sowie Forderungen der Klägerin zu 2. von zusammen 2.506,48 €
begründet sind, insgesamt also eine Forderung von 8.858,35 €, sind den Klägern die für
die außergerichtliche Tätigkeit ihres Anwaltes entstandenen Kosten ausgehend von
diesem Betrag als Gegenstandswert zu erstatten (vgl. hierzu auch BGH NJW 2008, S.
1888). Unter Berücksichtigung einer Geschäftsgebühr in Höhe von 583,70 € (1,3 x
449,00 €) sowie einer Auslagenpauschale von 20,00 € ergibt sich unter Einbeziehung der
Mehrwertsteuer ein Betrag von 718,40 €. Anzurechnen ist die vorgerichtliche Zahlung
der Beklagten von 231,53 €. Es verbleibt damit eine Forderung von 486,87 €. Dieser
Betrag liegt unterhalb des vom Landgericht zugesprochenen Betrages von 510,71 €,
sodass die Berufung in Höhe von 23,84 € Erfolg hat.
d) Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagte befand sich
aufgrund der Zahlungsaufforderung der Kläger vom 29.09.2006 mit Fristsetzung zum
13.10.2006 ab dem 14.10.2006 in Verzug.
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Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Parteien vom 16., 20.03. und 01.04.2009
geben keinen Anlass die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen, § 156 ZPO.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 100, 708
Nr. 10, 711 Satz 1, 713 ZPO.
Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO rechtfertigen würden,
sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft,
ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der
Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu, noch erfordern die Fortbildung des
Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Revisionsgerichts.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 13.672,20 € festgesetzt, § 47 Abs. 1
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Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 13.672,20 € festgesetzt, § 47 Abs. 1
GKG (Berufung: 5.483,22 €; Anschlussberufung: 8.188,98 €).
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