Urteil des OLG Brandenburg vom 17.01.2007

OLG Brandenburg: verwertungsverbot, geschwindigkeitsüberschreitung, fahrverbot, führer, auflage, höchstgeschwindigkeit, link, quelle, rechtskraft, sammlung

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 2.
Senat für
Bußgeldsachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Ss (OWi) 90B/07, 2
Ss (OWi) 90 B/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 29 Abs 6 StVG
Verkehrsordnungswidrigkeit: Vorliegen des Verwertungsverbots
wegen Tilgungsreife
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Bad
Liebenwerda vom 17. Januar 2007 wird mit der Maßgabe verworfen, dass die Höhe der
gegen den Betroffenen verhängten Geldbuße auf 50,00 Euro festgesetzt wird und das
gegen ihn angeordnete Fahrverbot entfällt.
Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Betroffene.
Jedoch wird die Gebühr um die Hälfte ermäßigt; in diesem Umfang hat auch die
Staatskasse die dem Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren entstanden
notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit gem. §§ 3 Abs. 3, 49 Abs. 1 Nr. 2 StVO, 24, 25 Abs. 2 a S. 1 StVG
zu einer Geldbuße von 100,00 Euro verurteilt und ihm für die Dauer eines Monats
verboten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen.
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er Verfahrensbeanstandungen und die
allgemeine Sachrüge erhebt, ist nach § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 OWiG zulässig, hat aber
lediglich in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang zum
Rechtsfolgenausspruch Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet i.S.d. §§ 349
Abs. 2 StPO, 79 Abs. 3 OWiG.
Das Urteil kann keinen Bestand haben, soweit eine Geldbuße von 100,00 Euro und ein
Fahrverbot von einem Monat verhängt worden ist.
Der Tatrichter hat die Erhöhung der Regelgeldbuße von 50,00 Euro nach Nr. 11.3.4
Bußgeldkatalog (Anlage zu § 1 Abs. 1 BußgeldkatalogVO) "angesichts der vielen
Voreintragungen des Betroffenen" begründet. Auch die Verhängung des Fahrverbots hat
der Tatrichter unter Berufung auf § 25 Abs. 1 S. 1 StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 S. 1
BußgeldkatalogVO begründet.
Das ist rechtsfehlerhaft.
a) Neben drei Voreintragungen aus den Jahren 2002 und 2004, jeweils wegen
Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, ist nach den Feststellungen des
angefochtenen Urteils als letzte Eintragung im Verkehrszentralregister ein seit 29.
November 2004 rechtskräftiger Bußgeldbescheid aufgeführt, durch den der Betroffene
wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts um 28 km/h mit einer Geldbuße
von 50,00 Euro belegt worden ist.
Damit war bezüglich der Voreintragungen am 29. November 2006 gem. § 29 Abs. 1 Nr.
1 StVG Tilgungsreife eingetreten mit der Folge, dass diese damit einem gesetzlichen
Verwertungsverbot unterlagen.
Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen des Verwertungsverbots wegen Tilgungsreife
bei der Aburteilung einer neuen Tat ist der Tag des Erlasses des letzten tatrichterlichen
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bei der Aburteilung einer neuen Tat ist der Tag des Erlasses des letzten tatrichterlichen
Urteils (OLG Köln NZV 2000, 430; BayObLG DAR 2001, 354; OLG Naumburg VRS 100,
201). Vorahndungen, die zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung nach Maßgabe der
Regelung des § 29 Abs. 6 StVG tilgungsreif sind, dürfen daher nicht mehr zu Ungunsten
des Betroffenen verwertet werden (vgl. Göhler OWiG, 14. Auflage, § 17 Rn 20a m. w. N).
Dass die neu abzuurteilende Tat während der noch laufenden Tilgungsfrist begangen
wurde, ist ohne Belang.
Die Regelung des § 29 Abs. 6 S. 2 StVG, die Anwendung findet, wenn die
Voreintragungen des Betroffenen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung am
01.12.2005 noch nicht tilgungsreif waren, lässt die Tilgungsreife von Voreintragungen
nach § 29 Abs. 6 S. 1 StVG und damit ein Verwertungsverbot nur entfallen, wenn eine
neue vor Ablauf der Tilgungsfrist begangene Tat zu dem für das Bestehen eines
Verwertungsverbots maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des tatrichterlichen Urteils
bereits zu einer in der Überliegefrist des § 29 Abs. 7 StVG erfolgten Eintragung geführt
hat . Der Wortlaut des Gesetzes als Grenze jeder Auslegung ist eindeutig. Vor
rechtskräftiger Ahndung einer während der noch laufenden Tilgungsfrist begangenen Tat
ist diese Voraussetzung zwangsläufig nicht gegeben, so dass sich die Tilgungsreife von
Voreintragungen allein nach § 29 Abs. 6 S. 1 StVG beurteilt. Nach Auffassung des
Amtsgerichts müsste der Tatrichter anderenfalls antizipieren, ob die abgeurteilte Tat
rechtskräftig wird und zu einer Eintragung führt. Das widerspräche dem
Gesetzeswortlaut.
Die Überliegefrist des § 29 Abs. 7 StVG steht dem - entgegen der Auffassung des
Amtsgerichts - nicht entgegen, da durch sie nur die Löschung der Voreintragungen
verhindert wird, das Verwertungsverbot in diesem Zeitraum aber bestehen bleibt. In der
Überliegefrist von einem Jahr kommt es zwar zu einer Hemmung der Tilgung von
verkehrsrechtlichen Vorbelastungen. Dies hat aber lediglich zur Folge, dass in dieser Zeit
nachträglich bekannt gewordene neue Ordnungswidrigkeiten der Tilgung alter
Voreintragungen entgegenstehen können, es jedoch andererseits während der
Überliegefrist bei einem Verwertungsverbot tilgungsreifer Voreintragungen verbleibt (vgl.
OLG Hamm NZV 2007, 156, 157).
Die Vorschrift des § 29 Abs. 8 StVG, worauf sich das Amtsgericht bezieht, enthält eine
Regelung über das Verwertungsverbot von im Verkehrszentralregister eingetragenen
gerichtlichen Entscheidungen, da diese ebenfalls in das Bundeszentralregister
eingetragen werden. Derartige Entscheidungen könnten u. U. im Verkehrszentralregister
getilgt bzw. gelöscht sein, jedoch weiterhin im Bundeszentralregister enthalten sein. Eine
entsprechende Regelung im Hinblick auf Bußgeldentscheidungen oder sonstige
Verwaltungsentscheidungen existiert nicht, da diese ausschließlich in das
Verkehrszentralregister eingetragen werden (vgl. Lüttkes/Werner/Kramer,
Straßenverkehrsgesetz, Kommentar, lose Blattsammlung, 172. Ergänzungslieferung,
Stand Mai 2007, § 29 Rz. 15) und sie nach allgemeinen Grundsätzen nicht mehr
verwertet werden dürfen (vgl. Göhler OWiG, 14. Auflage, § 17 Rn 20a m. w. N).
b) Das Amtsgericht hat sich – unabhängig von der Frage der Verwertbarkeit der
Voreintragungen – bei der Verhängung des Fahrverbots auf die Vorschrift in § 4 Abs. 2
S.2 BKatV berufen. Ein Fahrverbot kommt danach in der Regel in Betracht, wenn gegen
den Führer eines Kraftfahrzeugs wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von
mindestens 26 km/h bereits eine Geldbuße rechtskräftig festgesetzt worden ist und er
innerhalb eines Jahres seit Rechtskraft der Entscheidung eine weitere
Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h begeht.
Nach den Feststellungen des Urteils hat der Betroffene allerdings eine
Geschwindigkeitsüberschreitung von nur 23 km/h begangen. Das Amtsgericht hat daher
rechtsfehlerhaft einen nach der Bußgeldkatalogverordnung die Verhängung eines
Fahrverbots indizierten Fall angenommen. Zwar ist damit die Verhängung eines
Fahrverbots gemäß § 25 Abs. 1 S. 1 StVG nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Allerdings
hätte das Amtsgericht zusätzliche Tatsachen feststellen müssen, die eine grobe oder
beharrliche Pflichtverletzung des Betroffenen als Führer eines Kraftfahrzeuges
rechtfertigen.
Da insoweit keine weiteren Feststellungen durch den Tatrichter, die zu einer anderen
Entscheidung Anlass geben könnten, ersichtlich oder zu erwarten sind, konnte gem. § 79
Abs. 6 OWiG in der Sache selbst entschieden und die zu verhängende Geldbuße unter
Berücksichtigung der gesamten Umstände in angemessener Weise auf 50,00 Euro
festgesetzt werden. Mit dieser Maßgabe war die im Übrigen unbegründete
Rechtsbeschwerde zu verwerfen.
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II.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 473 Abs. 1 und 4 StPO, 46 Abs. 1 OWiG.
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