Urteil des OLG Brandenburg vom 26.01.2007

OLG Brandenburg: fahrzeug, stationäre behandlung, warnblinklicht, geschwindigkeit, unfall, fahrspur, polizei, kurve, kollision, motorradfahrer

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht
12. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 70/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 7 Abs 1 StVG, § 11 StVG, § 17
Abs 1 StVG, § 18 Abs 1 StVG, §
3 Nr 1 PflVG
Haftung bei Blockieren der Überholspur der Autobahn durch
liegengebliebenes Fahrzeug
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 26. Januar 2007 verkündete Urteil der 4.
Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Potsdam, Az.: 4 O 170/04, teilweise
abgeändert.
Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger 4.802,15 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.08.2004 als Gesamtschuldner zu
zahlen sowie - die Beklagte zu 2. - nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz in der Zeit vom 10.08.2004 bis zum 26.08.2004. Im Übrigen wird die
Klage - hinsichtlich des Feststellungsantrages als unzulässig - abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 60 % und die Beklagten 40 % zu
tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und
begründet worden, §§ 511, 513, 517, 519, 520 ZPO. Die Berufungsbegründung genügt
den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO. Der Kläger stützt sein Rechtsmittel unter
anderem darauf, das Landgericht habe bei der Abwägung der gegenseitigen
Verursachungsbeiträge nicht berücksichtigt, dass es dem Beklagten zu 1. möglich
gewesen wäre, auf den Grünstreifen an der Mittelleitplanke auszuweichen und er zu
einem solchen Verhalten auch verpflichtet gewesen sei; schon von daher sei die
Annahme einer Alleinhaftung des Klägers unzutreffend, vielmehr rechtfertige dies die
100 %ige Haftung der Beklagten. Der Kläger macht damit einen Rechtsfehler geltend,
auf dem das Urteil auch beruhen kann, §§ 513, 546 ZPO. Entgegen der Auffassung der
Beklagten ist dabei auch nach der Neufassung des Berufungsrechtes durch das Gesetz
zur Reform des Zivilprozesses vom 27.07.2001 eine Beweiswürdigung vom
Rechtsmittelgericht darauf zu überprüfen, ob das zutreffende Ergebnis gefunden worden
ist (vgl. BGH NJW 2005, S. 1583).
2. In der Sache hat das Rechtsmittel nur teilweise Erfolg.
a) Der vom Kläger gestellte Feststellungsantrag betreffend die Verpflichtung der
Beklagten, ihm den Verlust des Schadensfreiheitsrabattes aufgrund des Verkehrsunfalls
vom 30.05.2002 zu erstatten, ist bereits unzulässig. Dem Antrag fehlt das
Feststellungsinteresse, da die Erhebung einer Leistungsklage möglich und zumutbar ist
(vgl. hierzu Zöller-Greger, ZPO, Kommentar, 26. Aufl., § 256, Rn. 7a). Aus dem vom
Kläger vorgelegten Schreiben seiner Versicherung vom 05.07.2002 ergibt sich, dass sich
die unfallbedingte Inanspruchnahme seiner Kaskoversicherung durch den Kläger und die
hieraus resultierende Höherstufung des Klägers sich lediglich im Jahre 2003 ausgewirkt
hat. Die entsprechende Schadensentwicklung war mithin bei Klageerhebung bereits
vollständig abgeschlossen; für die Erhebung einer Feststellungsklage bestand kein
Bedürfnis.
b) Der Kläger hat gegen die Beklagten, die als Gesamtschuldner haften, aufgrund des
Unfalles vom 30.05.2002 einen Schadensersatzanspruch betreffend die ihm
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Unfalles vom 30.05.2002 einen Schadensersatzanspruch betreffend die ihm
entstandenen materiellen Schäden aus §§ 7 Abs. 1, 11, 17 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 3 Nr.
1 PflVG unter Berücksichtigung einer ihn treffenden Mitverursachungsquote von 40 %,
wobei für das Unfallgeschehen auf die Rechtslage vor Inkrafttreten des 2. Gesetzes zur
Änderung schadensrechtlicher Vorschriften vom 19.07.2002 mit Wirkung zum
01.08.2002 abzustellen ist, da sich der Unfall vor dem 01.08.2002 ereignet hat.
Der Schadensersatzanspruch des Klägers ist nicht nach § 7 Abs. 2 StVG a. F. wegen des
Vorliegens eines unabwendbaren Ereignisses ausgeschlossen. Unabwendbar ist ein
Ereignis, das durch die äußerste mögliche Sorgfalt eines Idealfahrers nicht abgewendet
werden kann, der alle möglichen Gefahrenmomente bei seinem Verhalten berücksichtigt
hat, wobei derjenige, der sich nach § 7 Abs. 2 StVG a. F. entlasten will, die
Unabwendbarkeit des Unfalls darlegen und beweisen muss (Hentschel,
Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 39. Aufl., § 17 StVG, Rn. 22 f m. w. N.). Vorliegend
scheidet die Annahme eines unabwendbaren Ereignisses schon mangels Nachweises
seitens der Beklagten aus, dass auch ein Idealfahrer sein Fahrzeug nicht auf den
Grünstreifen hin zur Mittelleitplanke hätte zum Stehen bringen können, vielmehr ist
insoweit von einem Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1. auszugehen (hierzu sogleich).
Im Ergebnis der somit nach § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmende Abwägung der
Verursachungsbeiträge erscheint eine Haftung der Beklagten für 60 % der dem Kläger
entstandenen Schäden geboten. Bei der Abwägung der Verursachungs- und
Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge sind unter Berücksichtigung
der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahren jeweils nur unstreitige bzw.
zugestandene und bewiesene Umstände zu berücksichtigen (vgl. KG NZV 1999, S. 512
m. w. N.; NZV 2003, S. 291). Jede Seite hat dabei die Umstände nachzuweisen, die dem
anderen zum Verschulden gereichen und aus denen sie für die nach § 17 Abs. 1 StVG
vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will (BGH NZV 1996,
S. 231).
Zulasten der Beklagten ist dabei zum einen ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO zu
berücksichtigen, weil er sein Fahrzeug auf dem linken der drei Fahrstreifen zum Stehen
gebracht hat und es nicht auf den Grünstreifen zur Leitplanke hin hat ausrollen lassen.
Ein Fahrer, dessen Fahrzeug auf der Überholspur fahrunfähig wird, muss wegen der
großen Gefahr, die gerade bei Blockieren der Überholspur der Autobahn besteht,
möglichst auf den Grünstreifen ausweichen (BGH VersR 1967, S. 456; VersR 1977, S. 37;
OLG München NZV 1997, S. 231; OLG Zweibrücken NZV 2001, S. 387). Ein solches
Verhalten wäre dem Beklagten zu 1. zur Überzeugung des Senats auch möglich
gewesen. Der gerichtlich bestellte Sachverständige Dr. Sp. hat in seinem Gutachten
ausdrücklich festgehalten, dass es dem Beklagten zu 1. möglich gewesen wäre, sein
Fahrzeug in vollem Umfang auf den Mittelstreifen zu fahren. Er hat festgestellt, dass der
Grünstreifen im Bereich der Unfallstelle eine Breite von 1,6-1,9 m gehabt habe und
insgesamt der linke Fahrstreifen erst in einem Abstand von 2,1-2,4 m Abstand zur
Mittelschutzplanke begonnen hat, während das Fahrzeug des Beklagten zu 1. lediglich
1,86 m breit gewesen ist. Der Beklagte zu 1. kann sich auch nicht mit Erfolg darauf
berufen, bei einem vollständigen Auffahren auf den Mittelstreifen wäre ihm ein
Aussteigen und Absichern der Unfallstelle nicht mehr möglich gewesen. Wegen der
hohen Gefährdung des übrigen Verkehrs bei einer Blockierung der Überholspur ist es
dem Fahrer des defekten Fahrzeuges zuzumuten, soweit wie möglich auf den
Grünstreifen auszuweichen und gegebenenfalls auf der Beifahrerseite das Fahrzeug zu
verlassen. Im Übrigen wäre die Überholspur auch dann noch nahezu vollständig geräumt
und so dem nachfolgenden Verkehr ein weitgehend gefahrloses Passieren ermöglicht
worden, wenn der Beklagte zu 1. lediglich bis auf 50 cm an die Mittelleitplanke
herangefahren wäre und so ausreichend Platz zum Aussteigen auf der Fahrerseite
gelassen hätte (vgl. hierzu auch BGH VersR 1979, S. 323). Nicht nachvollziehbar ist das
Vorbringen des Beklagten zu 1., ein Ausweichen auf den Grünstreifen habe er für zu
gefährlich gehalten. Das Fahrzeug des Beklagten zu 1. befand sich im Ausrollen, fuhr
also nur noch mit geringer Geschwindigkeit. Auch ist ausweislich der vom
Sachverständigen Dr. Sp. und den unfallaufnehmenden Polizeibeamten gefertigten
Lichtbilder ein deutlicher Höhenunterschied zwischen der asphaltierten Fahrbahn und
dem Randstreifen, der einem Ausweichen bei niedriger Geschwindigkeit
entgegengestanden hätte, nicht vorhanden.
Im Ergebnis der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme steht ferner ein
Verstoß der Beklagten zu 1. gegen § 15 StVO zur Überzeugung des Senates fest. Zwar
ist dem Beklagten zu 1. nicht vorzuwerfen, dass er die Unfallstelle im Zeitpunkt der
Kollision noch nicht mittels Warndreieck abgesichert hatte. Auch wenn ein Warndreieck
so untergebracht werden muss, dass es bei Bedarf sofort gefunden und benutzt werden
kann (Hentschel, a.a.O., § 53 a StVZO, Rn. 3), ist zu berücksichtigen, dass der Fahrer
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kann (Hentschel, a.a.O., § 53 a StVZO, Rn. 3), ist zu berücksichtigen, dass der Fahrer
seinen Gurt lösen und das Fahrzeug verlassen muss, ferner muss er das Warndreieck
hervorholen, der Verpackung entnehmen, aufklappen und in einer Entfernung von 100
Metern vor der Unfallstelle aufstellen. Es lässt sich nicht feststellen, dass dies vom
Kläger in der von ihm eingeräumten Zeit von ein bis zwei Minuten zwischen dem
Liegenbleiben des Fahrzeuges und dem Unfall zu bewältigen war. Aus dem gleichen
Grunde ist es dem Beklagten zu 1. nicht vorzuwerfen, dass er nicht bereits neben
seinem Fahrzeug gestanden hat und den nachfolgenden Verkehr durch Handzeichen
oder ähnliches gewarnt hat (vgl. hierzu auch BGH VersR 1971, S. 318). Ein Verstoß
gegen § 15 StVO besteht jedoch darin, dass der Beklagten zu 1. das Warnblinklicht an
seinem Fahrzeug nicht eingeschaltet hat. Entgegen den Ausführungen des Landgerichts
hat der Kläger den Nachweis erbracht, dass das Warnblinklicht nicht geleuchtet hat,
wobei sich der Senat an einer Verwertung der Aussagen der vom Landgericht gehörten
Zeugen nicht gehindert sieht. Die abweichende Beurteilung der Glaubhaftigkeit der
Angaben kann ohne erneute Vernehmung der Zeugen auf der Grundlage ihrer vom
Landgericht protokollierten Äußerungen erfolgen. Zweifel an der Glaubwürdigkeit
einzelner Zeugen hat das Landgericht nicht gehabt und bestehen auch aus Sicht des
Senats nicht. Dass das Warnblinklicht am Fahrzeug des Beklagten zu 1. geleuchtet hat,
hat keiner der vernommenen Zeugen bestätigt. Die Zeugin E. P., die in ihrer Darstellung
gegenüber der Polizei noch angegeben hat, ein leuchtendes Warnblinklicht gesehen zu
haben, hat sowohl im vorliegenden Rechtsstreit als auch im Verfahren 4 O 306/04 vor
dem Landgericht Potsdam nicht bekundet, das Warnblinklicht wahrgenommen zu haben.
Auch nach jeweiligem Vorhalt ihrer schriftlichen Aussage gegenüber der Polizei hat sie
erklärt, sich nicht entsprechend erinnern zu können. Der Zeuge W., der einen
Sattelschlepper auf der rechten Spur gefahren hat, war sich hingegen sicher, dass das
Warnblinklicht nicht geleuchtet hat, was er damit begründet hat, dass ihm dieses sonst
aufgefallen wäre. Auch der Zeuge E., ein weiterer Motorradfahrer aus der Gruppe des
Klägers, war sich sicher, dass das Warnblinklicht nicht geleuchtet hat. Weiterhin hat auch
der Zeuge H. bestätigt, ein Warnblinklicht nicht gesehen zu haben. Allerdings bezieht
sich diese Aussage lediglich auf die Zeit nach der Kollision, nach der nach den Angaben
des Sachverständigen Wa. im Strafverfahren jedenfalls von einem unfallbedingten
Defekt des Warnblinklichts auszugehen war. Kein Warnblinklicht wahrgenommen hat
weiter der Zeuge Sch., der Beifahrer des Zeugen H. Dieser konnte allerdings auch das
Leuchten eines Warnblinklichts nicht sicher ausschließen. Schließlich hat auch der Kläger
sowohl im Rahmen seiner Anhörung wie auch im Rahmen seine Vernehmung als Zeuge
im Parallelverfahren ausgeführt, dass ein Warnblinklicht nicht geleuchtet habe. Entgegen
den Ausführungen des Landgerichts - im Parallelverfahren - lassen sich die Angaben des
Klägers wie auch die Bekundungen der Zeugen E. und W. nicht darauf reduzieren, es
handele sich um Rückschlüsse aus dem Umstand, dass es zu einer Kollision gekommen
sei. Der Kläger und die Zeugen haben konkrete Erinnerungen geschildert und dies -
selbst auf entsprechende Vorhalte - auch klargestellt. Zudem spricht auch die späte
Reaktion der drei Motorradfahrer und des Zeugen H. dafür, dass das Fahrzeug des
Beklagten zu 1. als Hindernis erst sehr spät wahrgenommen wurde, woraus sich
ebenfalls schließen lässt, das eine Absicherung durch ein Warnblinklicht nicht vorhanden
gewesen ist. Nicht für zutreffend hält der Senat die Angaben der Zeugin P. gegenüber
der Polizei. Diese hat im Schreiben vom 21.06.2002 angegeben, der Transporter des
Beklagten zu 1. sei mit Warnblinkanlage gesichert gewesen, der Fahrer habe vorne am
Fahrzeug gestanden, ein Warnkreuz habe sie ganz links gesehen, könne dies aber nicht
beschwören. Unstreitig war jedoch die Unfallstelle nicht durch ein Warnkreuz gesichert,
auch hatte der Beklagte zu 1. sein Fahrzeug nicht verlassen. Es ist schon von daher
nicht davon auszugehen, dass die Angaben der Zeugin ausgerechnet in dem
verbleibenden Punkt zutreffend gewesen sind, zumal die Zeugin augenscheinlich ihre
Angaben in der Annahme gemacht hat, sie selbst sei der fahrlässigen Tötung des an der
Unfallstelle verstorbenen Herrn Ru. beschuldigt. Die danach allein verbleibenden
gegenteiligen Angaben des Beklagten zu 1. sind nicht geeignet, die Bekundungen der
Zeugen - insbesondere auch des neutralen Zeugen W. - und die sonstigen Indizien zu
entkräften und ein anderes Ergebnis zu begründen. Schließlich spricht der Beweis des
ersten Anscheins dafür, dass die unzureichende Absicherung des Fahrzeugs des
Beklagten zu 1. für den Unfall kausal geworden ist (BGH VersR 1971, a. a. O.; OLG
Düsseldorf DAR 1977, S. 186).
Ferner war zu berücksichtigen, dass die den Beklagten anzulastende Betriebsgefahr des
Fahrzeuges des Beklagten zu 1. auch deshalb erhöht gewesen ist, weil das Fahrzeug
defektbedingt an einer extrem unfallträchtigen Stelle stand.
Kein Vorwurf ist dem Beklagten zu 1. hingegen zu machen, weil sein Fahrzeug wegen
eines Defektes liegen geblieben ist. Der Kläger hat nicht nachgewiesen, dass es infolge
eines dem Beklagten zu 1. vorzuwerfenden Sorgfaltspflichtverstoßes zu einem
Liegenbleiben des Fahrzeuges gekommen ist. Aus dem im staatsanwaltschaftlichen
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Liegenbleiben des Fahrzeuges gekommen ist. Aus dem im staatsanwaltschaftlichen
Ermittlungsverfahren eingeholten Gutachten des Dipl.-Ing. Wa. vom 14.01.2003 ergibt
sich vielmehr, dass der Motor des vom Beklagten zu 1. gefahrenen Transporters sich bei
der Begutachtung starten ließ. Der Sachverständige hat auch sonst einen Mangel an
dem Fahrzeug nicht festgestellt. Er hat ausgeführt, es sei nicht auszuschließen, dass es
zum Stehenbleiben des Fahrzeuges infolge einer Überhitzung des Motors, einer
zeitweisen Kraftstoffunterbrechung oder eines zeitweiligen Ausfalls der Zündungselektrik
gekommen ist. Auch bestehen keine Anhaltspunkte für eine vorherige Erkennbarkeit
eines drohenden Schadens. Ebenfalls nicht vorzuwerfen ist dem Beklagten zu 1. das
Befahren des linken Fahrstreifens mit seinem relativ schwach motorisierten Fahrzeug,
insbesondere ist der Vortrag der Beklagten nicht widerlegt, der Beklagte habe während
des zuvor an der Unfallstelle herrschenden Stop-and-go-Verkehrs auf die linke Fahrspur
gewechselt. Die insoweit vom Kläger benannten Zeugen konnten Angaben zu der
vorausgegangenen Verkehrssituation schon deshalb nicht machen, weil sie erst in etwa
zeitgleich mit dem Kläger das Fahrzeug des Beklagten zu 1. erreicht haben, das nach
Behauptung der Beklagten in diesem Zeitpunkt bereits wenigstens eine Minute auf der
linken Fahrspur stand. Schließlich konnte der Kläger auch den Vortrag der Beklagten, der
Beklagte zu 1. habe wegen des dichten Verkehrs nicht auf die rechts liegende Standspur
wechseln können, nicht widerlegen.
Auf Seiten des Klägers ist demgegenüber ein Verstoß gegen das Sichtfahrgebot des § 3
Abs. 1 S. 4 StVO zu berücksichtigen. Auch auf Autobahnen muss mit plötzlichen
Hindernissen gerechnet werden, sodass mit entsprechend angepasster Geschwindigkeit
zu fahren ist (OLG Braunschweig, NZV 2002, S. 176; Hentschel, a. a. O., § 3 StVO, Rn.
27). Hiergegen hat der Kläger verstoßen. Unstreitig war der Transporter des Beklagten
zu 1. aus einer Entfernung von wenigstens 800 Metern - vom Ausgang der letzten Kurve
- zu sehen. Es herrschten Tageslicht und gute Witterungsverhältnisse. Auch war weiterer
Verkehr auf der linken Fahrspur, der die Sicht auf das Fahrzeug des Beklagten zu 1.
hätte verdecken können, nicht vorhanden. Der Kläger hätte den Transporter daher
bereits nach Passieren der Kurve wahrnehmen können und müssen, dies gilt selbst
dann, wenn sich der Kläger zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf der linken Spur befunden
haben sollte, da auch in diesem Fall die Sicht auf den Transporter nicht verdeckt
gewesen wäre. Da der Kläger die Fahrgeschwindigkeit des Transporters nicht kannte,
musste er auch davon ausgehen, dass dieser mit einer geringeren Geschwindigkeit als
er selbst unterwegs war, also jedenfalls ein potentielles Hindernis darstellte.
Dementsprechend musste er sich so annähern, dass ihm ein Anhalten bzw. ein
Abbremsen möglich gewesen wäre. Auch wenn der Kläger nicht mit einem Stehen des
Transporters rechnen musste, so musste er doch bemerken, dass sich der Abstand zu
dem Fahrzeug rasch verringerte und hierauf reagieren. Dies gilt auch dann, wenn der
Kläger erst nach dem Durchfahren der Kurve auf die linke Fahrspur gewechselt ist, da er
auch dann auf die Geschwindigkeit des vor ihm befindlichen und bereits seit der Kurve
sichtbaren Fahrzeug des Beklagten zu 1. hätte achten müssen und einen
Fahrstreifenwechsel nur hätte vornehmen dürfen, wenn eine Gefährdung anderer
Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war, § 7 Abs. 5 StVO. Dies gilt umso mehr, als
bereits von dem optischen Erscheinungsbild des vom Beklagten zu 1. gefahrenen
Barkas 1000 zweifelhaft war, dass er eine der Geschwindigkeit des Klägers von ca. 130
km/h entsprechende Geschwindigkeit fuhr. Zudem muss der Transporter wegen des
unstreitig herrschenden dichten Verkehrs auf der mittleren und rechten Fahrspur schon
zuvor rechts von anderen Verkehrsteilnehmern überholt worden sein, was vom Kläger
ebenfalls hätte bemerkt werden müssen. Schließlich geht auch der Sachverständigen
Dr. Sp. in seiner Anhörung im Parallelverfahren davon aus, dass die Situation
hinreichend früh von den Motorradfahrern hätte erkannt und entsprechend reagiert
werden können.
Schließlich ist die Betriebsgefahr des Motorrades wegen seiner besonderen
Gefährlichkeit im Zusammenhang mit Kollisionen höher als die eines Pkws anzusetzen.
Keine weitere Erhöhung der Betriebsgefahr ist mit dem Umstand verbunden, dass
mehrere Motorradfahrer in einer Gruppe zusammen fuhren.
Nicht nachgewiesen ist eine Überschreitung der an der Unfallstelle geltenden
Richtgeschwindigkeit von 130 km/h. Weder der Sachverständige Wa. im Strafverfahren
noch der im Zivilverfahren bestellte Sachverständige Dr. Sp. haben hinreichende
Anhaltspunkte für eine Überschreitung dieser Geschwindigkeit durch den Kläger
feststellen können.
Im Ergebnis der Abwägung der Verursachungsbeiträge sieht der Senat ein Überwiegen
auf der Seite der Beklagten, wobei insbesondere zu berücksichtigen ist, dass selbst im
Falle einer ordnungsgemäßer Absicherung eines nur teilweise in die Fahrbahn
hineinragenden Fahrzeugs eine Mithaftung des Fahrers des liegengebliebenen
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hineinragenden Fahrzeugs eine Mithaftung des Fahrers des liegengebliebenen
Fahrzeuges in Höhe von 1/4 - 1/3 angenommen wird (vgl. BGH VersR 1979, a. a. O.; OLG
Bamberg VersR 1978, S. 256; Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 10.
Aufl., Rn. 94), die hier wegen des Fehlens jeglichen Hinweises auf ein stehendes
Hindernis erheblich zu erhöhen war.
Ein weitergehender Schadensersatzanspruch besteht aus den vorgenannten Gründen
auch nicht aus §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB, 1 Abs. 2, 15 StVO, 3 Nr. PflVG.
c) In Bezug auf die geltend gemachten materiellen Schadenspositionen besteht ein
Anspruch des Klägers in Höhe von 1.302,15 €.
Zu berücksichtigen war zum einen der Eigenanteil für die stationäre Behandlung des
Klägers im ...-Krankenhaus in P. in Höhe von 117,00 €, der durch Vorlage des
Überweisungsbeleges hinreichend nachgewiesen ist, § 287 ZPO.
Hinsichtlich der geltend gemachten Telefonkosten schätzt der Senat den dem Kläger
entstandenen Schaden auf 20,00 €. Der Kläger hat nachvollziehbar ausgeführt, er habe
sich nach dem Unfall aus dem Krankenhaus in P. mit dem ADAC in Verbindung setzen
und dafür Sorge tragen müssen, dass das verunfallte Motorrad zurücktransportiert wird.
Auch habe er sich mit der Kaskoversicherung in Verbindung setzen müssen und mit
seiner Familie, seiner Lebensgefährtin und Verwandten telefoniert. Belege, die einen
über 20,00 € hinausgehenden Betrag rechtfertigen würden, legt der Kläger jedoch nicht
vor. Die von ihm eingereichte Quittung über 50,00 € betrifft lediglich sein im
Krankenhaus eingezahltes Telefonguthaben.
Weiterhin waren die Kosten für die Anschaffung von Ersatzbekleidung und Hygieneartikel
in Höhe von insgesamt 65,45 € zu berücksichtigen, hinsichtlich derer der Kläger
Kaufbelege eingereicht hat. Infolge der auch insoweit überzeugenden Angaben des
Zeugen E. steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Gepäckstücke, die der
Kläger mit sich geführt hat, nach dem Unfall zunächst von der Polizei sichergestellt
worden sind und auch beschädigt waren, sodass eine Neubeschaffung anstand, die noch
am Unfalltage erfolgte. Dem Kläger war auch nicht zuzumuten, bis zum Eintreffen seiner
Lebensgefährtin am Tag nach dem Unfall auf eigene Kleidung und eine Zahnbürste zu
verzichten.
Schließlich steht aufgrund der Aussage des Zeuge E. zur Überzeugung des Senats die
unfallbedingte Beschädigung von Motorradtankrucksack, Lederkombi und Motorradhelm
des Klägers fest. Auch eine Beschädigung der Handschuhe ergibt sich aus den
erheblichen Verletzungen des Klägers an der Hand, die infolge des Aufpralls ins Innere
des Lieferwagens des Beklagten zu 1. geraten ist. Angesichts der belegten Neukosten
für den Tankrucksack von 129,95 € und für die Motorradlederkombi von 769,64 € und der
in nachvollziehbarer Höhe angegebenen Neukosten eines Motorradhelms in Höhe von
331,83 € sowie von Motorradhandschuhen in Höhe von 127,82 € ist unter
Berücksichtigung eines Abzuges neu für alt von 25 %, der dem Senat angesichts der
Langlebigkeit der Gegenstände angemessen erscheint, ein Betrag von 1.134,47 € zu
berücksichtigen. Nicht zu berücksichtigen waren allein die Kosten für die behauptete
Airbrush-Lackierung des Motorradhelmes, hinsichtlich der der Kläger bereits einen
Beweis nicht angetreten hatte.
Als materielle Schadensposition sind damit zunächst zu berücksichtigen:
Unter Berücksichtigung der Haftung der Beklagten zu 60 % ergibt sich daraus eine
Ersatzforderung in Höhe von 802,15 €.
Weiterhin zu berücksichtigen ist die Selbstbeteiligung des Klägers in seiner
Vollkaskoversicherung von 500,00 €, die durch das Abrechnungsschreiben seiner
Versicherung vom 05.07.2002 hinreichend belegt ist, § 287 ZPO. Hinsichtlich dieses
Betrages war eine anteilige Kürzung um den Mitverursachungsbeitrag des Klägers nicht
veranlasst, da insoweit das Quotenvorrecht des Klägers im Verhältnis zu seiner
Kaskoversicherung dazu führt, dass er seine Selbstbeteiligung unquotiert gegenüber
dem Schädiger geltend machen kann (vgl. auch Palandt-Heinrichs, BGB, Kommentar,
66. Aufl., Vorb. vor § 249, Rn. 132).
Der Zinsanspruch hinsichtlich dieser Forderung beruht auf §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2
BGB.
d) Ein Schmerzensgeld für die von ihm erlittenen Verletzungen und Beeinträchtigungen
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d) Ein Schmerzensgeld für die von ihm erlittenen Verletzungen und Beeinträchtigungen
kann der Kläger in Höhe von 3.500,00 € aus §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, 847 BGB, 1 Abs. 2, 15
StVO, 3 Nr. 1 PflVG verlangen. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist in erster
Linie dessen Ausgleichsfunktion zu beachten. Insoweit kommt es auf die Höhe und das
Maß der Lebensbeeinträchtigung an. Maßgeblich sind Größe, Heftigkeit und Dauer der
Schmerzen, Leiden, Entstellungen und psychischen Beeinträchtigungen, wobei Leiden
und Schmerzen wiederum durch die Art der Primärverletzung, die Zahl und Schwere der
Operationen, die Dauer der stationären und der ambulanten Heilbehandlungen, den
Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit und die Höhe des Dauerschadens bestimmt werden.
Dabei ist auch das Verhalten des Schädigers bei der Schadensregulierung zu
berücksichtigen, insbesondere eine zögerliche Bearbeitung. Im Rahmen der bei
normalen Straßenverkehrsunfällen nur eingeschränkt zu berücksichtigenden
Genugtuungsfunktion ist insbesondere die Schwere des Verschuldens des Schädigers in
Ansatz zu bringen (BGH NJW 1955, S. 1675; NJW 1982, S. 985; VersR 1992, S. 1410;
Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 9. Aufl., Rn. 274 ff). Vorliegend
hat der Kläger eine erstgradige offene Unterarmfraktur links distal, Basisfrakturen OS
metacarpalia IV und V - Fraktur der Mittelhand -, eine radio-ulnare Luxation links und
einen Morbus Scheuermann erlitten. Der Kläger befand sich 10 Tage in stationärer
ärztlicher Behandlung und wurde dann noch knapp vier weitere Monate ambulant
behandelt. Dauerschäden sind beim Kläger nicht verblieben. Aufgrund der vorgenannten
Umstände sowie unter Berücksichtigung einer Mithaftung des Klägers in Höhe von 40 %
und unter Einbeziehung der veröffentlichten Vergleichsfälle (vgl. Slizyk, Beck’sche
Schmerzensgeldtabelle, 5. Aufl., S. 296 und 306 f) erscheint dem Senat ein
Schmerzensgeld von 3.500,00 € angemessen aber auch ausreichend.
Der Zinsanspruch beruht wiederum auf §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
e) Ein weitergehender Schadensersatzanspruch des Klägers besteht nicht. Der Kläger
kann eine Erstattung der Kosten, die anlässlich des Besuchs seiner Lebensgefährtin im
Krankenhaus in P. angefallen sind nicht verlangen. Kosten der Besuche nächster
Angehöriger sind nur dann zu erstatten, wenn sie medizinisch notwendig sind (OLG
Hamm RuS 1993, S. 20; Küppersbusch, a. a. O., 237). Dies ist seitens des Klägers nicht
dargetan worden.
3. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr.
10, 711 Satz 1, 713 ZPO.
Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO rechtfertigen würden,
sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft,
ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der
Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des
Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Revisionsgerichts.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 12.170,84 € festgesetzt, §§ 47 Abs. 1
GKG (materieller Schadensersatz: 2.000,44 €, Feststellungsantrag: 170,40 €,
Schmerzensgeld: 10.000,00 €).
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