Urteil des OLG Brandenburg vom 29.04.2009

OLG Brandenburg: gemeinsame elterliche sorge, familie, spaltung, sorgerecht, eltern, stieftochter, inhaftierung, kontaktverbot, schule, anhörung

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Gericht:
Brandenburgisches
Oberlandesgericht 1.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 WF 166/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1671 Abs 1 BGB, § 1671 Abs 2
Ziff 2 BGB
Elterliche Sorge: Vorläufige Aufhebung des gemeinsamen
Sorgerechts bei einem Ermittlungsverfahren wegen sexuellen
Missbrauchs
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Kindesvaters gegen den Beschluss des Amtsgerichts
Lübben vom 29. April 2009 – Az. 30 F 97/09 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kindesvater.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten zu 1. und 2. sind die – seit dem Jahre 2003 geschiedenen - Eltern (unter
anderem) der am …. Januar 1994 geborenen W… B… und des am …. Dezember 1995
geborenen R… B….
Gegen den Kindesvater wird wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs in einer
Vielzahl von Fällen zum Nachteil seiner Stieftochter S… B…, der – volljährigen -
gemeinsamen Tochter der Kindeseltern M… B… und der noch minderjährigen
gemeinsamen Tochter W… B… im Tatzeitraum von 1991 bis Anfang 2005 strafrechtlich
ermittelt. Ein auf diesen Vorwurf gestützter Haftbefehl des Amtsgerichts Lübben vom 10.
März 2009 wurde auf Haftbeschwerde des Kindesvaters durch Beschluss des
Landgerichts Cottbus vom 9. April 2009 gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt. Seit
diesem Tage ist der Kindesvater wieder auf freiem Fuß.
Die Kindesmutter hat mit Blick auf diese gegen den Kindesvater gerichteten Vorwürfe,
die seinerzeitige Inhaftierung und die zu erwartende Haftstrafe die Aufhebung der
gemeinsamen elterlichen Sorge für W… und R… B… beantragt und im Anhörungstermin
am 29. April 2009 den Erlass einer einstweiligen Anordnung insoweit beantragt.
Der Kindesvater bestreitet die Vorwürfe und möchte an dem gemeinsamen Sorgerecht
für die Kinder festhalten.
Mit Beschluss vom 29. April 2009 hat das Amtsgericht Lübben im Wege der einstweiligen
Anordnung die elterliche Sorge für W… und R… B… auf die Kindesmutter allein
übertragen. Das Wohl beider Kinder sei in der Folge der strafrechtlich relevanten
Vorwürfe gegen den Vater und insbesondere auch der bestehenden tiefgreifenden
Spaltung innerhalb der vielköpfigen Familie im Ergebnis des Ermittlungsverfahrens
derzeit erheblich gefährdet. Die Kindeseltern seien zu gemeinsamen Entscheidungen
zum Wohle der Kinder tatsächlich nicht mehr in der Lage. Wegen der Einzelheiten wird
auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Gegen diese ihm am 14. Mai 2009 zugestellte Entscheidung hat der Kindesvater mit
einem am 28. Mai 2009 eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Er
erstrebt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Er betont seine Unschuld und
hebt hervor, dass “das Umfeld der W… B…” und die Söhne des Kindesvaters sich in
Kenntnis der beteiligten Personen “die Dinge in Anbetracht dessen richtig einzuschätzen
wissen” und sich deshalb mit guten Gründen auf seiner – des Kindesvaters – Seite
positioniert hätten. W… dürfe in ihrer – mutmaßlich auf ein Erziehungsversagen der
Kindesmutter zurückzuführenden - negativen Einstellung gegen den Kindesvater nicht
auch noch bestärkt werden. Im Übrigen habe sich R… eindeutig gegen eine einstweilige
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auch noch bestärkt werden. Im Übrigen habe sich R… eindeutig gegen eine einstweilige
Übertragung der elterlichen Sorge auf die Kindesmutter ausgesprochen. Die nach der
Inhaftierung des Vaters kurzzeitig bestehende Störung seines seelischen Gleichgewichts
sei überwunden, nachdem er – der Kindesvater – im Rahmen der Umgangskontakte
positiv auf den Jungen eingewirkt habe.
Die Kindesmutter verteidigt die angefochtene Entscheidung mit näherer Darlegung.
II.
Die sofortige Beschwerde des Kindesvaters ist gemäß § 621 g ZPO in Verbindung mit §§
620 c Satz 1, 620 d Satz 1 ZPO statthaft und zulässig, insbesondere fristgerecht
innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO eingelegt und begründet
worden. Die Beschwerde bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.
Das Amtsgericht hat mit zutreffenden Erwägungen, auf die zur Vermeidung von
Wiederholungen verwiesen wird, die gemeinsame elterliche Sorge aufgehoben und
vorläufig auf die Kindesmutter allein übertragen. Die dagegen gerichteten Angriffe der
Beschwerde rechtfertigen eine andere Entscheidung, insbesondere die erstrebte
Wiederherstellung der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht.
Gegen den – einschlägig vorbestraften – Kindesvater besteht derzeit der dringende
Tatverdacht des über Jahre anhaltenden sexuellen Missbrauchs seiner zwei Töchter
sowie einer Stieftochter. Nicht nur W… B…, sondern auch ihre volljährigen (Halb-)
Schwestern S… und M… haben den Kindesvater im Rahmen ihrer bisherigen
Vernehmungen insoweit erheblich belastet. Derzeit kann nicht festgestellt werden, dass
diese Vorwürfe insgesamt frei erfunden und die Angaben der Frauen offensichtlich
unglaubhaft sind. Auch der Beschwerdeführer kann keinerlei belastbar nachvollziehbare
Anhaltspunkte dafür aufzeigen, weshalb die – in ihrem Anzeige- und Aussageverhalten
nach Aktenlage jedenfalls nicht von der Kindesmutter angestifteten oder auch nur in
besonderer Weise unterstützten – Frauen den Kindesvater grundlos bezichtigen sollten.
Selbstverständlich besagt dies noch nichts darüber, ob diese Vorwürfe sachlich richtig
sind, den weiteren Ermittlungen standhalten, also eine Anklage und am Ende gar eine
strafrechtliche Verurteilung rechtfertigen. Das Verhalten und auch die inhaltlichen
Angaben in den staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen zeigt aber, dass die Frauen
und in besonderer Weise W… mindestens subjektiv der festen Überzeugung sind, dass
sich der Kindesvater an ihnen vergangen hat. Der Kindesvater selbst führt aus, dass W…
sich in die – nach seiner Darstellung wahrheitswidrige – Behauptung eines sexuellen
Missbrauchs durch ihn geradezu “versteigt”. Das belegt aber die Einschätzung des
Amtsgerichts, dass für W… die Vorstellung, dass der von ihr aus tiefstem Herzen
abgelehnte Vater, weiterhin wichtige Entscheidungen für ihr weiteres Leben trifft und
daran aktiv teilhaben will, unerträglich ist. W… steht nach den von der Beschwerde nicht
in Zweifel gezogenen Ausführungen des Jugendamtes im Anhörungstermin am 29. April
2009 unter so erheblichem psychischen Druck, dass sie sogar mit Selbstverletzung für
den Fall eines fortbestehenden Mitspracherechts des Vaters gedroht hat. Bei dieser
Sachlage ist es aus Gründen des Kindeswohls unumgänglich, den Vater von der weiteren
Ausübung des Sorgerechts vorläufig auszuschließen. Diese Entscheidung kommt
entgegen den Ausführungen der Beschwerde erkennbar weder einer Belohnung der
Tochter noch einer Bestrafung des Kindesvaters gleich, sondern dient ausschließlich der
ersichtlich dringend notwendigen Stabilisierung der völlig aus dem Gleichgewicht
geratenen 15-Jährigen.
Daneben war gerade auch mit Blick auf die unbestritten tiefgreifende Spaltung innerhalb
der Familie, die klar zwischen den Geschlechtern verläuft, die gemeinsame elterliche
Sorge auch für den heute 13 ½-jährigen R… aufzuheben und das Sorgerecht auf die ihn
betreuende Kindesmutter zu übertragen. Auch R… erlebt ganz offenbar die familiäre
Situation seit der Anzeigeerstattung gegen den Kindesvater als außerordentlich
belastend. Seine Angaben in der richterlichen Anhörung am 21. April 2009 sind zwar
eher zurückhaltend und beschwichtigend in Bezug auf die Auswirkungen auf seine
Person. Daraus lässt sich jedoch auch aus Sicht des Senates keineswegs ablesen, dass
er mit der tiefgreifenden Spaltung in der Familie souverän umgehen könnte und völlig
unberührt bliebe. So hat lässt er etwa die Vorstellung, die Vorwürfe gegen seinen Vater
könnten sich bestätigen, schlicht nicht an sich. Seine Eltern hätten keinen Kontakt
zueinander; er selbst stehe “ein wenig zwischen seinen Eltern”. Darin zeigt sich der von
den Mitarbeitern des Jugendamtes im Anhörungstermin ebenso deutlich wie ohne
Weiteres nachvollziehbar beschriebene Loyalitätskonflikt, der sich in einem auffälligen
Verhalten in der Schule, der in einem Polizeieinsatz gipfelte, niederschlägt und von R…
selbst auch gar nicht geleugnet, sondern heruntergespielt wird. Die Äußerung R…s, der
Kindesvater habe Kontaktverbot “nur zu den Weibern”, kann im Übrigen schwerlich als
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Kindesvater habe Kontaktverbot “nur zu den Weibern”, kann im Übrigen schwerlich als
Beleg dafür herhalten, dass der Kindesvater beruhigend auf den ersichtlich
verunsicherten R… eingewirkt habe. Eine solche Diktion wird er auch nicht von der
Kindesmutter oder seinen (Halb-)Schwestern übernommen haben. Auch die aus diesem
äußerst abfälligen Begriff abzuleitende Einstellung gegen seine (Halb-)Schwestern ist
jedenfalls ein weiteres Indiz dafür, dass er mit der Situation nicht adäquat umzugehen
weiß, sondern sich offenbar durch Abfälligkeit gegen die Schwestern versucht, vor der
ihm natürlich unangenehmen Vorstellung eines etwaigen schwerstkriminellen Verhaltens
seines Vaters zu schützen.
Insgesamt benötigen die noch minderjährigen Kinder angesichts der tiefgreifenden
Spannungen, die die im Raum stehenden Vorwürfe gegen den Kindesvater mindestens
in dem weit verzweigten Familienverband, wohl aber auch im näheren sozialen Umfeld
hervorgerufen haben, dringend einer Stabilisierung. Zwischen den Kindeseltern herrscht
unbestritten eine Sprachlosigkeit, die die Einschätzung des Amtsgerichts, es fehle an
der für die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge grundlegenden Basis, nämlich
an dem Willen und der Fähigkeit miteinander zu kommunizieren und zum Wohl der
Kinder zu kooperieren, ohne Weiteres trägt. Angesichts der durch die schwerwiegenden
und nicht offensichtlich haltlosen Vorwürfe, der dadurch begründeten Zerrissenheit
innerhalb der Familie, die ihre Spuren auch bei R… ganz deutlich hinterlassen hat,
bestand dringender Handlungsbedarf in der Form, dass das gemeinsame elterliche
Sorgerecht für beide noch minderjährigen gemeinsamen Kinder aufzuheben und auf die
Kindesmutter allein zu übertragen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG.
Die Festsetzung des Beschwerdewertes entspricht den §§ 131 Abs. 2, 30 KostO unter
analoger Anwendung des § 24 Satz 1 RVG.
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