Urteil des LSG Thüringen vom 19.03.2007

LSG Fst: aussetzung, entlastung, behinderung, ermessen, altersrente, auflage, eng, verfassungsbeschwerde

Thüringer Landessozialgericht
Beschluss vom 19.03.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht Altenburg S 12 R 668/06
Thüringer Landessozialgericht L 6 R 57/07
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Der Beschluss ist unanfechtbar.
Gründe:
Das Verfahren wird von Amts wegen ausgesetzt.
Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines
Rechtsverhältnisses ab, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer
Verwaltungsstelle festzustellen ist, so kann das Gericht nach § 114 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)
anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der
Verwaltungsstelle auszusetzen ist. Zwar kommt im vorliegenden Fall eine unmittelbare Anwendung dieser Vorschrift
nicht in Betracht, weil es kein anderes vorgreifliches Rechtsverhältnis gibt. Die h.M. akzeptiert allerdings für eng
umgrenzte Fälle auch eine analoge Anwendung des § 114 Abs. 2 SGG, z.B. wenn wegen der streiterheblichen Frage
bereits eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängig ist (vgl. BVerfGE 3, 58, 74;
54, 39; Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 1. April 1992 – Az.: 7 RAr 16/91 in Breithaupt 1992, 790; Meyer-
Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 114 Rdnr. 7b). Die Aussetzung soll nämlich u.a.
verhindern, dass die obersten Gerichtshöfe des Bundes und das BVerfG mit einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle
"überschwemmt" werden, ohne dass dies der Klärung eines vorgreiflichen Problems dient (so Bundesfinanzhof (BFH),
Urteil vom 18. Juli 1990 – Az.: I R 12/90, nach juris). Voraussetzung für die entsprechende Anwendung ist, dass alle
Erwägungen ausschließlich oder zumindest ganz überwiegend für die Aussetzung sprechen (vgl. BSG, Beschluss
vom 1. April 1992, a.a.O.; BFH, Urteil vom 18. Juli 1990, a.a.O.).
Bei Anwendung dieser Grundsätze kommt eine Aussetzung auch in den Fällen in Betracht, wenn Verfahren über
dieselbe Rechtsfrage bei einem obersten Gerichtshof des Bundes (hier: BSG) anhängig sind (vgl. BFH, Urteil vom 18.
Juli 1990, a.a.O.; Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 114 Rdnr. 7b), ein Senat dieses
Gerichts durch Beschluss bei einem anderen Senat anfragt, ob er an einer abweichenden Rechtsansicht festhält oder
- erst recht - eine Divergenzvorlage an den Großen Senat des BSG gerichtet wurde (vgl. § 41 Abs. 3 SGG). Es macht
dann keinen Sinn, den obersten Gerichtshof mit zusätzlichen Fällen zu belasten, die zur Klärung der Rechtsfrage
nichts beitragen können.
Diese Voraussetzungen für die analoge Anwendung des § 114 Abs. 2 SGG liegen vor: Nach den Ausführungen der
Beklagten sind beim BSG mehrere Verfahren anhängig, die die hier relevante Rechtsfrage betreffen (Anrechnung der
Unfallrente auf die gesetzliche Altersrente) und der 13. Senat des BSG hat mit Beschluss vom 12. Dezember 2006
(Az.: B 13 RJ 25/05 R) beim 4. Senat angefragt, ob er an seiner - abweichenden - Rechtsprechung festhält.
Die Entscheidung steht im Ermessen des Gerichts. Dabei sind prozessökonomische Gründe mit den Interessen der
Beteiligten abzuwägen (vgl. BFH, Urteil vom 18. Juli 1990, a.a.O.). Hier sprechen sowohl die beabsichtigte Entlastung
des BSG als auch die erhebliche Arbeitsbelastung des Senats eindeutig für eine Aussetzung. Die von dem Kläger
vorgetragenen Gründe gegen die "Ruhendstellung" überzeugen nicht. Das Argument einer "Behinderung bei der
Wahrnehmung und Durchsetzung" des "zustehenden demokratischen und grundgesetzlich verbrieften Rechts" zeigt,
dass der Sinn des Ruhens bzw. der Aussetzung nicht verstanden wird. Die für den Kläger positiven Urteile des 4.
Senats des BSG stehen angesichts der im Anfragebeschluss des 13. Senats geäußerten Bedenken der Aussetzung
gerade nicht entgegen. Die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens (Klageeingang Juni 2004) ist für den Kläger
sicher belastend, angesichts des Ruhens des Verfahrens durch Beschluss des Sozialgerichts vom 27. April 2005
aber verständlich. Im Übrigen wäre das Verfahren auch bei einer Entscheidung des Senats in der Sache nicht
beendet, denn der jeweils unterlegene Beteiligte würde sicher die dann zuzulassende Revision beim BSG einlegen.
Die Unterstellung des Klägers, die Verfahrensweise habe aus seiner Sicht den Sinn einer "taktischen Zielstellung auf
Zeitgewinn und eine biologische Lösung", lässt der Senat unkommentiert; für eine rationale Entscheidung ist sie
offensichtlich halt- und bedeutungslos. Sofern auch verbandspolitische Gründe für die Anlehnung eine Rolle spielen
sollten, sind sie für den Senat ohne Belang.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).