Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 31.08.2005

LSG Shs: selbständige erwerbstätigkeit, mitgliedschaft, ausbildung, heimarbeit, verwaltungsakt, krankenversicherung, jugendamt, krankenkasse, dienstleistungsvertrag, versicherungspflicht

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Urteil vom 31.08.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Itzehoe S 1 KR 128/01
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht L 5 KR 40/04
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 16. Januar 2004 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für die Berufungsinstanz nicht zu erstatten. Die
Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung wegen einer
hauptberuflich selbständigen Erwerbstätigkeit der Klägerin für die Zeit vom 1. Dezember 1995 bis 30. April 2000
nachfordern darf.
Die 1940 geborene Klägerin war seit dem 19. Juni 1968 bei der Beklagten als Bezieherin einer Hinterbliebenenrente in
der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) gesetzlich krankenversichert. Anlässlich einer Förderung durch das
Arbeitsamt überprüfte die Beklagte, ob die Klägerin als Arbeitnehmerin beschäftigt war. Nach zunächst ergebnislosen
Anfragen der Beklagten teilte die Klägerin am 27. August 1999 mit, sie habe niemals eine selbständige Tätigkeit
ausgeübt. Im April 2000 erhielt die Beklagte von der Beigeladenen die Auskunft, mit der Klägerin bestehe seit 17.
August 1993 ein Honorarvertrag mit einem monatlichen Honorar von durchschnittlich 2.440,00 DM. Die Klägerin
betreibe im eigenen Haus in L zwei zugelassene Betreuungsplätze für Jugendliche, die dort gemäß § 32 KJHG
untergebracht seien. Zurzeit seien beide Plätze von Betreuten der Diakonischen Jugendhilfe W in H , einer Einrichtung
der Beigeladenen, besetzt. Die Klägerin arbeite in ihrer Einrichtung in keiner Weise weisungsgebunden. Die
Gestaltung des Tagesablaufs, des Dienstplanes, des Urlaubs sowie sämtlicher technischer Details lägen in ihrer
Hand. Nachdem die Klägerin weiterhin keine Angaben gegenüber der Beklagten gemacht hatte, teilte die Beklagte ihr
im Mai 2000 mit, bei weiterhin fehlender Meldung werde sie die Klägerin in die höchste Beitragsklasse mit einem
monatlichen Beitrag in Höhe von 896,56 DM einstufen. Da auch weiterhin keine Reaktion erfolgte, forderte die
Beklagte mit Bescheid vom 6. Juni 2000 für die Monate August 1993 bis Mai 2000 Kranken- und
Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 64.322,30 DM ein. Mit Schreiben vom 31. Mai 2000 wandte sich
die Klägerin mit der Begründung gegen einen Beitragseinzug, sie sei nicht selbständig tätig gewesen. Die
Bundesanstalt für Arbeit habe festgestellt, dass sie keine Arbeitnehmerin im Sinne des SGB III sei. Ihr sei lediglich
anzulasten, dass sie die enthaltenen Entschädigungen nicht als Einkünfte angegeben habe. Anschließend übersandte
die Klägerin den ausgefüllten Fragebogen der Beklagten, den Honorarvertrag mit dem Ev. Jugendgemeinschaftswerk
B vom 17. August 1993, den Dienstvertrag mit der Beigeladenen vom 9. Mai 2000 und Einkommensteuerbescheide
von 1993 bis 1996. In dem Fragebogen gab sie u. a. an, seit 17. August 1993 als Erzieherin tätig und an Weisungen
ihres Auftraggebers gebunden zu sein. Sie werde nicht als Selbstständige zur Einkommenssteuer veranlagt und habe
sich verpflichtet, nur für einen Arbeitgeber tätig zu sein. Ihre Arbeitsweise könne sie nicht frei bestimmen, die
Arbeitszeit nicht frei einteilen und einzelne Aufträge könne sie nicht ablehnen. Sie sei persönlich zur Arbeitsleistung
verpflichtet. Der Auftraggeber lege die Art und den Ort der Tätigkeit fest und kontrolliere sie mindestens vierteljährlich.
Sie habe eine feste Arbeitszeit von 6.00 Uhr bis 24.00 Uhr. Der vorgelegte Honorarvertrag enthielt den Vermerk, dass
die Klägerin selbständig tätig sei und ein Arbeits- oder Dienstverhältnis weder im arbeitsrechtlichen noch im
sozialversicherungsrechtlichen Sinne begründet werde. Regelungen über Arbeitszeit, Arbeitsort, Urlaub und
Weisungsbefugnis enthielt der Honorarvertrag nicht. Ergänzend machte die Klägerin geltend, sie verfüge als Rentnerin
über ein monatliches Einkommen von ca. 2.400,00 DM netto und sei damit auf die Mittel der Diakonie nicht
angewiesen. Bei der ausgeübten Beschäftigung gegen Entgelt handele es sich um eine pädagogische Maßnahme. Sie
habe mindestens vierteljährlich einen Überprüfungsbericht an die Beigeladene abgeben und mindestens vierzehntägig
an Dienstbesprechungen teilnehmen müssen. Es handele sich um keine Haupterwerbstätigkeit, sondern vielmehr um
eine Tätigkeit, die mit einer Aufwandsentschädigung entlohnt werde.
Mit Bescheid vom 8. November 2000 forderte die Beklagte 88.855,74 DM Beiträge einschließlich Säumniszuschläge
und Mahnkosten für die Zeit vom 17. März 1993 bis 30. April 2000 ein. Eine Rechtsmittelbelehrung enthielt dieser
Bescheid nicht. Im März 2001 legte die Klägerin ihre Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1997 und 1998 vor.
Daraufhin erfolgte eine Neuberechnung der Beiträge durch die Beklagte auf zunächst 47.135,18 DM und anschließend
47.497,18 DM. Mit Bescheid vom 12. Februar 2002 reduzierte die Beklagte die Beitragsforderung weiterhin auf
nunmehr 12.715,16 EUR. Zur Begründung gab sie an, wegen teilweiser Verjährung Beiträge nur ab Dezember 1995 zu
fordern. Unter Anrechnung der bereits vollstreckten Zahlungen ergebe sich der genannte Betrag. Die
Beitragseinstufung in die Beitragsklasse 655, 656 sei keine Höchsteinstufung, sondern einnahmeorientierte
Beitragsberechnung. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. März 2002 half die Beklagte dem Widerspruch für die Zeit
vom 17. August 1993 bis 30. November 1995 ab und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Zur Begründung führte
sie aus, nach dem vorliegenden Honorarvertrag sei die Klägerin selbständig tätig gewesen. Das folge aus dem Inhalt
des Vertrages, aber auch aus der ausdrücklichen steuerrechtlichen Veranlagung als Selbstständige. Auf Grund von §
48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) müsse die getroffene Feststellung der
Versicherungspflicht als Rentnerin für die Vergangenheit teilweise aufgehoben werden.
Bereits am 18. Oktober 2001 hatte die Klägerin beim Sozialgericht Itzehoe Untätigkeitsklage erhoben und sie nach
Vorlage des Widerspruchsbescheides wie folgt begründet: Die ihr von der Beigeladenen übertragenen Aufgaben hätten
überwiegend in der Betreuung von Kindern bestanden und seien von ihr nach Weisung des zuständigen Pädagogen
erfüllt worden. Eigene Mitarbeiter habe sie nicht beschäftigt. Soweit im Honorarvertrag von Selbständigkeit
gesprochen werde, sei ggf. von einer Scheinselbständigkeit auszugehen. Ab Mai 2000 sei sie als
sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerin der Beigeladenen zur Sozialversicherung angemeldet. Ihre
Aufgabenstellung habe sich jedoch nicht geändert. Zu Beginn ihrer Tätigkeit als Betreuerin von Jugendlichen habe sie
über ein abgebrochenes Pharmaziestudium, Erfahrungen als Mutter und Hausfrau und eine bürgerliche Erziehung
verfügt. Eine pädagogische Ausbildung habe sie nicht absolviert. Hinzu sei noch eine Ausbildung zur Wirtschafterin
der Landwirtschaftsschule (ein halbes Jahr) gekommen. Am 30. April 2000 habe sie ihre staatliche Anerkennung nach
der Ausbildung zur Erzieherin erhalten.
Die Beklagte hat sich zur Begründung auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides bezogen.
Das Sozialgericht hat die Zeugen J R , Ha Ra und Wa Ba sowie die Zeugin E Ea vernommen. Die Geschäftsführerin
der Beigeladenen, A Bb , hat das Sozialgericht schriftlich befragt.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 16. Januar 2004 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Ab 17.
August 1993 sei zunächst nur ein Jugendlicher gegen ein monatliches Honorar von 1.159,40 DM betreut worden,
später auf Grund des gleichlautenden Honorarvertrages vom 3. August 1994 ein zweiter, ebenfalls gegen ein
monatliches Honorar von 1.159,40 DM. Bei dieser Betreuung habe es sich um eine selbständige Tätigkeit gehandelt.
Die aus dieser Tätigkeit erzielten Einnahmen habe die Klägerin auch nach den vorgelegten
Einkommensteuerbescheiden als Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit versteuert. Die Vernehmung des Zeugen R
habe ergeben, dass weder Dienstpläne noch konkrete Weisungen erteilt worden seien. Hinsichtlich des täglichen
Ablaufs der Betreuung im Haus habe es keine Vorgaben der Beigeladenen gegeben. Teilweise seien allerdings
Berichte geschrieben worden. So sei im Fall des C Bc eine psychologische Betreuung empfohlen worden. Der Zeuge
Ra habe bestätigt, dass im August 1992 die Möglichkeit der Festanstellung der Klägerin erörtert worden sei. Zum
Einen sei jedoch keine Stelle frei gewesen, zum Anderen sei die Festanstellung auch von der pädagogischen Eignung
abhängig gewesen. Die Zeugin Ea habe bestätigt, dass zunächst regelmäßige wöchentliche Besuche stattgefunden
hätten. Es sei auch eine gemeinsame Arbeit mit den Eltern der untergebrachten Jugendlichen geführt worden. Diese
Gespräche habe die Zeugin als pädagogische Beratung bezeichnet und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass im
Gegensatz zu den festangestellten Kräften keine Weisungen erteilt worden seien. Es seien lediglich die
Erziehungsplanung und die Erziehungsberichte gemeinsam besprochen worden. Die Zeugin Bb habe sich schriftlich
dahingehend eingelassen, die Festanstellung sei erfolgt, nachdem die Klägerin zwischenzeitlich eine Ausbildung zur
anerkannten Erzieherin absolviert habe und man mit der bisherigen Zusammenarbeit zufrieden gewesen sei. Nach
dem Gesamtergebnis des Verfahrens und in Übereinstimmung mit den Aussagen der Zeugen sei das Sozialgericht
der Auffassung, dass die Klägerin den bzw. die Jugendlichen in ihrem Haus, und zwar in den an die Diakonie
vermieteten Räumen, selbständig betreut habe. Hinsichtlich der Gestaltung des Tagesablaufs, der Strukturierung der
täglichen Aktivitäten sowie des Urlaubs sei sie keinen Weisungen unterlegen gewesen. Bezüglich des Urlaubs habe
sie lediglich für eine Vertretung zu sorgen gehabt. Zwar habe es auch Kontrollen und Beratungen seitens des
Auftraggebers gegeben, die Intensität dieser Maßnahmen seien jedoch nicht geeignet gewesen, die Tätigkeit als
abhängige Beschäftigung zu qualifizieren. Entscheidendes Merkmal der Betreuung sei der Alltag in der
Erziehungsfamilie gewesen, der autonom und eigenverantwortlich von der Klägerin gestaltet worden sei. Bei der
pädagogischen Betreuung habe es sich um Empfehlungen, nicht um Dienstanweisungen im Sinne des
Weisungsrechts gehandelt. So wie das Jugendamt gegenüber der Pflegefamilie, sei auch die Beigeladene verpflichtet,
die Betreuungsstellen zu überwachen und dafür zu sorgen, dass es zu keinen Fehlentwicklungen komme. Das
Jugendamt allerdings dürfte gegenüber einer Pflegefamilie nicht als Arbeitgeber zu verstehen sein. Ebenso könne
auch die Beigeladene nur als Auftraggeber für die Betreuung der Jugendlichen durch die Klägerin und nicht als
Arbeitgeber angesehen werden. Dabei habe die Kammer keine Veranlassung gesehen, die Höhe der Rückforderung
näher zu prüfen, da Einwände insoweit nicht vorgebracht worden und auch nicht ersichtlich seien.
Gegen das ihr am 4. März 2004 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, eingegangen beim Schleswig-
Holsteinischen Landessozialgericht am 31. März 2004. Zur Begründung trägt sie vor: Das Sozialgericht habe nicht
berücksichtigt, dass die Beigeladene die Tätigkeit der Klägerin auch in abhängiger Beschäftigung ausführen lasse.
Sie, die Klägerin selbst, übe die Tätigkeit ab 1. Mai 2000 in abhängiger Beschäftigung aus. Bei Lehrtätigkeiten habe
das Bundessozialgericht (BSG) ausgeführt, dass aus einer gewissen Autonomie nicht auf Weisungsfreiheit
geschlossen werden könne. Auch Selbständige könnten in ihrer Handlungsmöglichkeit begrenzt sein.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil das Sozialgerichts Itzehoe vom 16. Januar 2004 und die Bescheide der Beklagtem vom 6. Juni, 8.
November 2000, 5. April, 9. Mai 2001 und vom 12. Februar 2002 in der Fassung des Widerspruchbescheides vom 28.
März 2002 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat in der mündlichen Verhandlung auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 25. Mai 2005
hingewiesen.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakten verwiesen, die dem Senat in der
mündlichen Verhandlung, in der er die Klägerin angehört hat, vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Zutreffend hat das Sozialgericht die
Klage abgewiesen, da die Beitragsnachberechnung der Beklagten nicht zu beanstanden ist.
Rechtsgrundlage für die Neuberechnung und Nachforderung der Beiträge ist von der Beklagten zutreffend festgestellt
(§ 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit
Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass
vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Nach Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 soll der Verwaltungsakt mit Wirkung
vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift
vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder
grob fahrlässig nicht nachgekommen ist.
Aufzuheben war, worauf die Beklagte zutreffend hinweist, ihre Feststellung der Mitgliedschaft der Klägerin in der
KVdR und damit die Grundlage, auf der sie anschließend die ermäßigten Beiträge zur Kranken- und
Pflegeversicherung eingefordert hatte. Dabei handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, der zum
damaligen Zeitpunkt (1968) auch (noch) rechtmäßig war.
Die weitere Voraussetzung der Aufhebung, die wesentliche Änderung, liegt in dem Abschluss des Honorarvertrages
zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen und der Übernahme der Betreuung von Jugendlichen im eigenen Haus.
Damit war die Klägerin von diesem Zeitpunkt an selbständig tätig und infolgedessen gemäß § 5 Abs. 5
Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) nicht mehr versicherungspflichtig in der KVdR nach Abs. 1 Nr. 11 der Vorschrift.
Voraussetzung der Beendigung der Versicherungspflicht u.a. nach Abs. 1 Nr. 11 ist die hauptberuflich selbständige
Erwerbstätigkeit. Sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung hat das Sozialgericht unter Einbeziehung der
durchgeführten Beweisaufnahme und unter Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens (§ 128
Sozialgerichtsgesetz - SGG -) zutreffend die Betreuungstätigkeit der Klägerin als selbständige Tätigkeit gewertet. Zur
Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat insoweit auf die Gründe der angefochtenen Entscheidungen (§
153 Abs. 2 SGG). Soweit die Klägerin in der Berufungsbegründung darauf hinweist, dass ab Mai 2000 mit der
Beigeladenen ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vereinbart worden sei, führt dies nicht zu
einem anderen Ergebnis. Zum Einen war dieser Umstand auch dem Sozialgericht bekannt. Zum Anderen kommt es
nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. etwa SozR 3-2400 § 7 Nr. 4) und des erkennenden Senats (vgl.
Urteil vom 10. Februar 2004 - L 1 KR 15/03 -) für die Frage, ob eine abhängige Beschäftigung oder eine selbständige
Tätigkeit vorliegt, vorrangig auf die tatsächliche Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses an, die vertraglich vereinbarte
Rechtslage ist demgegenüber nachrangig. Und die tatsächliche Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses in der hier
streitigen Zeit hat das Sozialgericht zutreffend als selbständige Tätigkeit gewürdigt.
Diese Einschätzung findet Bestätigung in der bisher erst als Pressemitteilung vorliegenden Entscheidung des BAG
vom 25. Mai 2005 (5 AZR 347/04). In dem vergleichbaren Fall betreute die Klägerin in einer Außenwohngruppe
Minderjährige, die nicht mehr bei ihren Eltern wohnten und in denen im Rahmen der Betreuung den Kindern ein
normaler Alltag jenseits des traditionellen Heimlebens ermöglicht werden sollte. Das BAG verneinte das Vorliegen
eines Arbeitsverhältnisses zwischen der Klägerin und der Freien und Hansestadt Hamburg, mit der diese einen
Dienstleistungsvertrag als Leiterin einer solchen Außenwohngruppe geschlossen hatte mit der Begründung, dass die
von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit im Wesentlichen frei von Weisungen der Beklagten war. Ebenso wie die Klägerin
in dem vorliegenden Fall war die dortige Klägerin an kein von der Beklagten vorgegebenes Betreuungskonzept
gebunden, allerdings war dort die Klägerin nach dem Dienstleistungsvertrag verpflichtet, Weisungen der
Aufsichtsbehörde zu erfüllen. Gleichwohl sah darin das BAG keine ein Arbeitsverhältnis begründende
Weisungsabhängigkeit, da, wie auch die Klägerin im vorliegenden Fall, diese ihre Arbeitszeit sowie die
Betreuungsarbeit inhaltlich frei gestalten konnte.
Die Klägerin war nach Auffassung des Senats auch hauptberuflich selbständig tätig. Von einer hauptberuflichen
selbständigen Erwerbstätigkeit ist dann zu sprechen, wenn die selbständige Tätigkeit hinsichtlich der Lebensführung
des Betroffenen von einer wirtschaftlichen und zeitlichen Bedeutung ist. Diese Voraussetzungen lagen bei der
Klägerin vor. Hinsichtlich des zeitlichen Aufwandes weist die Klägerin selbst auf den hohen Umfang hin mit einer
"festen Arbeitszeit" von 6.00 Uhr bis 24.00 Uhr. Und die Honorierung von knapp 1.200,00 DM zunächst für eine
Betreuung und die Verdoppelung des Betrages für zwei Betreuungen geht über eine reine Aufwandsentschädigung
hinaus (vgl. hierzu Gerlach, in Hauck/Noftz, K§ 5 Rz. 491f, der eine selbständige Tätigkeit im Grundsatz dann als
hauptberuflich bewertet, wenn sie an mindestens 18 Stunden in der Woche ausgeübt wird).
Die Klägerin galt in der streitigen Zeit auch nicht als Beschäftigte gemäß § 12 Abs. 2 SGB IV, da sie nicht als
Heimarbeiterin für die Beigeladene tätig war. Heimarbeiter sind nach dieser Vorschrift und dem im Wesentlichen
gleichlautenden § 2 Abs. 1 Heimarbeitsgesetz (HAG) sonstige Personen, die in eigener Arbeitsstätte im Auftrag und
für Rechnung von Gewerbetreibenden, gemeinnützigen Unternehmen oder öffentlich-rechtlichen Körperschaften
erwerbsmäßig arbeiten, auch wenn sie Roh- oder Hilfsstoffe selbst beschaffen. Maßgebend für die Definition des
Heimarbeiters ist dabei, ob es sich um eine auf gewisse Dauer angelegte und auf die Sicherstellung des
Lebensunterhalts gerichtete Tätigkeit handelt, die nach der im Laufe der Jahre möglicherweise wechselnden
Verkehrsanschauung als typische Heimarbeit anzusehen ist (BSG SozR 2200 § 162 RVO Nr. 2 S. 9). Um eine solche
"typische Heimarbeit" handelte es sich bei der Betreuungstätigkeit der Klägerin hingegen nicht. Zwar fand die
Betreuung im Wesentlichen in dem Haus (Heim) der Klägerin statt. Typische Heimarbeit ist jedoch nach der
Verkehrsanschauung die Herstellung von Waren von Hand oder unter Mitwirkung von Maschinen sowie manuelle bzw.
mechanische Tätigkeit für einen Gewerbebetrieb (vgl. Schaub, Arbeitsrechthandbuch, 11. Aufl. 2005 § 10 Rz. 1 zum
im Wesentlichen identischen Begriff des Heimarbeiters im Arbeitsrecht, § 2 Abs. 1 Satz 1 HAG). Daraus folgt, dass
der typische Heimarbeiter im Wesentlichen Waren in eigener Wohnung herstellt, bearbeitet oder verpackt, was
insbesondere auch an § 12 Abs. 2 SGB IV deutlich wird, der von eigener "Arbeitsstätte" spricht und die
Selbstbeschaffung von Roh- oder Hilfsstoffen als unschädlich für den Begriff des Heimarbeiters bestimmt. Daneben
fallen auch die so genannten Büroheimarbeiterinnen wie Stenotypistinnen, Phonotypistinnen, Buchhalterinnen u. ä.
unter diesen Personenkreis des Heimarbeiters (BSG a. a. O.). Eine solche Tätigkeit verrichtete die Klägerin hingegen
nicht. Sie war vielmehr als berufsmäßige Betreuerin in keinster Weise in produzierender Tätigkeit der beschriebenen
Art oder als Büroheimarbeiterin und damit auch nicht als Heimarbeiterin im Sinne des § 12 Abs. 2 SGB IV tätig.
Rechtsfolge der damit ab August 1993 vorliegenden hauptberuflichen Selbstständigkeit war die Fortsetzung der
Mitgliedschaft als freiwilliges Mitglied. Dies folgt aus § 190 SGB V in der bis 1995 geltenden Fassung. Nach Abs. 12
i. V. m. Abs. 3 der Vorschrift in der damals geltenden Fassung endete die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger nur
dann, wenn das Mitglied innerhalb von zwei Wochen nach Hinweis der Krankenkasse über die Austrittsmöglichkeit
seinen Austritt erklärte. Tat er dies nicht, setzte sich die Mitgliedschaft als freiwillige Mitgliedschaft fort. Das war bei
der Klägerin der Fall. Dabei ist nach Auffassung des Senats unerheblich, dass ein Hinweis der Krankenkasse, wie in §
190 Abs. 12 Satz 1 SGB V a. F. vorgesehen, nicht erfolgte. Dies konnte schon deswegen nicht geschehen, weil die
Beklagte zum damaligen Zeitpunkt keine Kenntnis von dem Beendigungstatbestand der KVdR hatte. Darüber hinaus
galt die Fortsetzung der freiwilligen Mitgliedschaft nach der damaligen Gesetzesfassung unabhängig davon, ob ein
solcher Hinweis erfolgte. Insbesondere enthielt Abs. 12 keine Regelung, dass die Mitgliedschaft gleichwohl endete,
wenn die Ersatzkasse innerhalb der 14 Tage ihrer Hinweispflicht nicht nachkam (so im Ergebnis auch Köster, in GK-
SGB V, § 190 Rz. 44).
Auch die weiteren Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X liegen vor, so dass die Beklagte berechtigt war,
die Beiträge der Klägerin für die Vergangenheit neu festzusetzen. Zu Recht sieht die Beklagte in ihrem
Widerspruchsbescheid die Voraussetzungen der Nr. 2 der Vorschrift als gegeben an, da es die Klägerin zumindest
grob fahrlässig unterlassen hat, auf ihre Tätigkeit als Betreuerin hinzuweisen. Zutreffend weist die Beklagte in diesem
Zusammenhang darauf hin, dass es der Klägerin bewusst sein musste, dass die Aufnahme einer entgeltlichen
Tätigkeit Einfluss auf ihre sozialversicherungsrechtliche Situation, insbesondere auf die beitragsgünstige KVdR, hatte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Im Hinblick darauf, dass die Definition des Heimarbeiters höchstrichterlich kaum abgeklärt, auf der anderen Seite
seine Bedeutung im Hinblick auf die Gleichstellung mit abhängiger Beschäftigung groß ist, hat der Senat die Revision
wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen.