Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 28.01.2011

LSG San: sanktion, existenzminimum, hauptsache, rechtsmittelbelehrung, beschränkung, rechtsverletzung, entlastung, gerichtsakte, verwaltungsakt, rechtsschutz

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss vom 28.01.2011 (rechtskräftig)
Sozialgericht Magdeburg S 12 AS 3217/10 ER
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 5 AS 490/10 B ER
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 16. November 2010 wird als unzulässig
verworfen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung
seines Widerspruchs gegen einen Sanktionsbescheid des Antragsgegners, mit dem im Zeitraum vom 1. November
2010 bis zum 31. Januar 2011 die ihm gewährten Leistungen um 30 % angesenkt worden sind.
Der Antragsteller bezieht von dem Antragsgegner Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Zuletzt wurden ihm mit Bescheid vom 8. Juni 2010 u.a. für die Monate
September bis Dezember 2010 Leistungen iHv 627,73 EUR bewilligt. Aufgrund einer Sanktion wurden bereits in den
Monaten Juli und August 2010 um 71,80 EUR/Mt. geminderte Leistungen ausgezahlt.
Nachdem der Antragsteller der ihm in einer Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt vom 8. September 2010
auferlegten Verpflichtung zur Teilnahme an einer Arbeitsgelegenheit gegen Mehraufwandsentschädigung nicht
nachgekommen war, senkte der Antragsgegner mit Bescheid vom 28. September 2010 das Arbeitslosengeld II um 30
% der maßgeblichen Regelleistung (107,70 EUR) für drei Monate ab. Mit Schreiben vom 13. September 2010 legte der
Antragsteller Widerspruch gegen die Eingliederungsvereinbarung ein, den der Antragsgegner mit
Widerspruchsbescheid vom 23. September 2010 zurückwies. Die daraufhin erhobene Klage ist bei dem Sozialgericht
Magdeburg (SG) unter dem Aktenzeichen S 12 AS 3158/10 anhängig.
Am 1. Oktober 2010 hat der Antragsteller beim SG um einstweiligen Rechtsschutz mit dem Ziel der Aufhebung der
Sanktion nachgesucht hat. Ob er auch Widerspruch gegen den Sanktionsbescheid vom 28. September 2010 eingelegt
hat, ist nicht bekannt. Die Eingliederungsvereinbarung sei rechtswidrig, weil sie ihn zur Arbeit in einem sog. Ein-Euro-
Job zwinge. Die Sanktion stelle einen unzulässigen Eingriff in sein grundgesetzlich gewährtes Existenzminimum dar.
Mit Beschluss vom 16. November 2010 hat das SG den Antrag abgelehnt. Der Sanktionsbescheid sei voraussichtlich
rechtmäßig. Die Eingliederungsvereinbarung sei rechtlich nicht zu beanstanden. Der Antragsteller sei ordnungsgemäß
über die Rechtsfolgen bei Nichteinhaltung der Pflichten belehrt worden. Einen wichtigen Grund für sein Verhalten habe
er nicht vorgetragen. Das SG hat im Beschluss auf dessen Unanfechtbarkeit wegen Nichterreichens des
Beschwerdewerts hingewiesen.
Gegen den ihm am 24. November 2010 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 20. Dezember 2010
Beschwerde eingelegt. Unter Wiederholung seiner erstinstanzlichen Ausführungen hat er ergänzt, die Entscheidung
greife in sein soziokulturelles Existenzminimum ein, welches nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts unverfügbar sei. Daher müsse auch die Beschwerde zulässig sein. Es gehe um seine
Grundrechte.
Mit Schreiben vom 7. Januar 2010 hat auch die Berichterstatterin auf die Unzulässigkeit der Beschwerde wegen des
Nichterreichens des Beschwerdewerts hingewiesen. Der Antragsgegner hat sich zu dem Beschwerdeverfahren nicht
geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen.
Sie war Gegenstand der Beratung des Senats.
II.
Die Beschwerde ist unzulässig und daher zu verwerfen.
Nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der hier maßgeblichen, seit dem 1. April 2008 gültigen
Fassung ist die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache
die Berufung nicht zulässig wäre. Die nach ihrem Wortlaut nicht völlig eindeutige Regelung des § 172 Abs. 3 Nr. 1
SGG ist nach ihrer Systematik dahingehend zu verstehen, dass die Beschwerde dann ausgeschlossen ist, wenn die
Berufung in der Hauptsache nicht Kraft Gesetzes ohne Weiteres zulässig wäre, sondern erst noch der Zulassung
bedürfte (ständige Rechtsprechung des Senats: Beschluss vom 7. Oktober 2009, Az.: L 5 AS 293/09 B ER, juris).
Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ist die Berufung zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00
EUR übersteigt. Dies ist hier nicht der Fall. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren geht es um die
Außervollzugsetzung der verhängten 30 % Sanktion für die Monate November 2010 bis Januar 2011 (30 % der
monatlichen Regelleistung iHv 359,00 = 107,70 EUR). Es geht um insgesamt 323,10 EUR. Damit ist der
Beschwerdewert von 750 EUR nicht erreicht. Die Rechtsmittelbelehrung im angegriffenen Beschluss ist zutreffend.
Auch der Umstand, dass sich der Antragsteller auf eine Grundrechtsverletzung beruft, führt nicht zur
(ausnahmsweisen) Zulässigkeit der Beschwerde. Die zum 1. April 2008 in Kraft getretene Beschränkung der
Beschwerdemöglichkeit im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erfolgte nach dem ausdrücklichen Willen des
Gesetzgebers zur Entlastung der Landessozialgerichte. Dieser Zweck sollte durch die Anhebung des Schwellenwertes
auf 750,00 EUR und durch die Einschränkung der Beschwerde in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erreicht
werden. Es entspräche daher dem Entlastungswillen des Gesetzgebers nicht, wenn zunächst eine fiktive Prüfung
möglicher Zulassungsgründe oder nach Art und Maß der behaupteten Rechtsverletzung erfolgen müsste. Der
erstrebte Entlastungseffekt wird nur dann erreicht, wenn sich die Zulässigkeit der Beschwerde im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren ohne weiteres aus dem Beschwerdewert oder der Art und Dauer der im Streit stehenden
Leistungen ergibt (§ 144 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).