Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 06.05.2010

LSG Mainz: hauptsache, entlastung, anwendungsbereich, erlass, zivilprozessrecht, quelle, berufungssumme, niedersachsen, bestätigung, zivilprozessordnung

Sozialrecht
LSG
Mainz
06.05.2010
L 1 SO 53/10 B
L 1 SO 52/10 B ER
Beschwerde im PKH-Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
1. Die Beschwerde gegen einen die Gewährung von Prozesskostenhilfe in einem Klageverfahren
ablehnenden Beschluss eines Sozialgerichts ist auch dann zulässig, wenn in dem Klageverfahren der
Berufungsstreitwert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG nicht erreicht wird (Bestätigung der bisherigen
Rechtsprechung des Senats, Beschluss vom 09.07.2009 - L 1 AY 6/09 B -).
2. Hingegen ist die Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe in einem Verfahren zur
Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b SGG unzulässig, wenn die Beschwerdesumme
nicht erreicht wird und keine wiederkehrende oder laufende Leistung für mehr als ein Jahr begehrt wird. In
diesem Fall stehen der entsprechenden Geltung des § 127 Abs. 2 ZPO keine wesentlichen
Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens entgegen. Eine planwidrige Regelungslücke ist nicht
erforderlich.
1. Die Beschwerden des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Koblenz vom 29.03.2010
- S 12 SO 45/10 ER - werden als unzulässig verworfen.
2. Außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.
3. Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Beschwerdeverfahren wird
abgelehnt.
Gründe:
Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren des Antragstellers auf Gewährung von vorläufigen
Leistungen zur Grundsicherung in Höhe von 111,- € für März 2010. Außerdem wendet sich der
Antragsteller gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe im Verfahren des ersten Rechtszuges.
Die Beschwerde gegen die Ablehnung einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig. Nach § 172 Abs. 2
Nr. 1 SGG ist die Beschwerde in Sachen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht statthaft, wenn in der
Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre. Dies ist vorliegend der Fall, weil der anwaltlich vertretene
Antragsteller nach seinem Beschwerdevorbringen die einstweilige Gewährung von
Grundsicherungsleistungen nur für den Monat März 2010 und nur in Höhe von insgesamt 111,- € begehrt.
In der Hauptsache wäre deshalb die Berufung gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG nicht zulässig; der Wert des
Beschwerdegegenstandes übersteigt 750,- € nicht.
Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe ist nach
§§ 172 Abs. 1, 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches (SGG) in entsprechender Anwendung des
§ 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. der gesetzlichen Wertung des § 172
Abs. 2 Nr. 1 SGG ebenfalls unstatthaft.
Der Ausschluss der Beschwerde folgt nicht bereits aus § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG weil das Sozialgericht (SG)
den Antrag des Antragstellers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) nicht wegen des Fehlens der
persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen verneint hat, sondern wegen der fehlenden
hinreichenden Erfolgsaussicht des Begehrens.
Nach § 172 Abs. 1 SGG findet gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile
und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte die Beschwerde an das
Landessozialgericht (LSG) statt, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Eine "andere
Bestimmung" in diesem Sinne enthält § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO.
Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG gelten die Vorschriften der ZPO für die PKH entsprechend. Nach § 127
Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 ZPO findet gegen die Ablehnung von PKH die sofortige Beschwerde statt. Dies
gilt nach dem zweiten Halbsatz der Vorschrift nicht, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 ZPO
genannten Betrag nicht übersteigt, es sei denn, das Gericht hat ausschließlich die persönlichen oder
wirtschaftlichen Voraussetzungen für die PKH verneint. In § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist geregelt, dass die
Berufung nur zulässig ist, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,- € übersteigt. Alternativ ist
Berufung nur zulässig ist, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,- € übersteigt. Alternativ ist
die Berufung auch zulässig, wenn das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil ausdrücklich
zugelassen hat (§ 511 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 ZPO). Eine Nichtzulassungsbeschwerde zum Berufungsgericht
sieht die ZPO hingegen nicht vor.
In der Rechtsprechung umstritten ist bislang, inwieweit § 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO auch im
sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar ist (vgl. zum aktuellen Meinungsstand: LSG Niedersachsen-
Bremen, Beschluss vom 06.01.2010 - L 2 R 527/09 B -, Juris). Jedenfalls spricht das Gesetz nur von einer
"entsprechenden Geltung". Dies bedeutet, dass gegen die Versagung der PKH nicht die in der ZPO
vorgesehene sofortige Beschwerde, sondern allenfalls die Beschwerde nach § 172 Abs. 1 SGG statthaft
ist, und dass nicht der Wert des Beschwerdegegenstandes des § 511 ZPO (600,- €), sondern allenfalls der
des § 144 SGG bzw. für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes § 172 Abs. 3 Nr.1 SGG i.V.m. §
144 SGG maßgeblich sein kann. Die zivilprozessualen PKH-Vorschriften sind unstreitig lediglich insoweit
heranzuziehen, wie nicht gesetzlich normierte Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens
Abweichungen sachlich gebieten (LSG Niedersachen-Bremen, a.a.O.).
Für die PKH-Beschwerde als Nebenverfahren zu einem Klageverfahren hält der Senat uneingeschränkt
daran fest, dass die Regelungen der §§ 127 Abs. 2 Satz 2, 511 ZPO nicht über § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG
entsprechend angewendet werden können (vgl. Beschluss vom 09.07.2009 - L 1 AY 6/09 B -, Juris;
ebenso: LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 16.06.2008 - L 5 B 163/08 AS -). Wie zuletzt der 6. Senat
des LSG Rheinland-Pfalz ausführlich und überzeugend dargelegt hat (Beschluss vom 29.03.2010 - L 6 AS
122/10 B -, Juris), gebieten die gesetzlich normierten Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens
insoweit eine Abweichung von den zivilprozessualen PKH-Vorschriften: Das SGG kennt keine dem § 511
ZPO sachlich vergleichbare Einschränkung der Rechtsbehelfsmöglichkeiten, sondern eröffnet den
Instanzenzug auch im Wege der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 145 SGG). Überdies kann sich die
Zulassungsfähigkeit einer Berufung abweichend von § 511 Abs. 4 ZPO auch aus einem erstinstanzlichen
Verfahrensfehler ergeben (vgl. § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG). Es sind mithin bei Nichterreichnung der
Berufungssumme des § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG in erheblich weiterem Umfang
Rechtsbehelfsmöglichkeiten als im Anwendungsbereich des § 511 Abs. 4 ZPO gegeben. Angesichts der
unterschiedlich ausgestalteten Rechtsbehelfsmöglichkeiten im Hauptsacheverfahren ist bislang keine
Wertung des Gesetzgebers in dem Sinne erkennbar, dass auch im sozialgerichtlichen Verfahren eine
Beschwerde gegen die Versagung von PKH in jedem Falle ausgeschlossen sein soll, wenn die Berufung
im Hauptsacheverfahren zulassungsbedürftig ist. Stattdessen hat der Gesetzgeber durch die Einführung
weitergehender Rechtsschutzmöglichkeiten in §§ 144, 145 SGG zum Ausdruck gebracht, dass er bei
sozialgerichtlichen Verfahren mit geringen Streitwerten den Rechtsschutzinteressen des Bürgers größeres
Gewicht als im zivilgerichtlichen Verfahren beimisst (LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 29.03.2010,
a.a.O.). Der erkennende Senat teilt diese Auffassung.
Anders stellt sich die Sach- und Rechtslage allerdings im PKH-Verfahren als Nebenverfahren zu einem
Verfahren zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b SGG dar, wenn die
Beschwerdesumme nicht erreicht wird und keine wiederkehrende oder laufende Leistung für mehr als ein
Jahr begehrt wird. In diesem Fall ist die Beschwerde gegen die Hauptsacheentscheidung des SG gemäß
§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen, ohne dass das SG oder das LSG sie zulassen können (vgl.
Bayerisches LSG, Beschluss vom 16.11.2009 - L 8 AS 715/09 B ER -, Juris). D.h. in diesem Fall sind die
Rechtsschutzmöglichkeiten des Betroffenen stärker eingeschränkt, als dies nach § 511 Abs. 4 ZPO der
Fall wäre, so dass der entsprechenden Anwendung § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO keine wesentlichen
Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens entgegenstehen. Vielmehr spricht die gesetzliche
Wertung des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG für eine entsprechende Geltung des § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO, um so
eine Privilegierung von Nebenverfahren gegenüber dem Verfahren zur Gewährung einstweiligen
Rechtsschutzes zu vermeiden. Es würde dem Willen des Gesetzgebers, Beschwerden bei wirtschaftlich
nicht relevanten Kostengrundentscheidungen und sonstigen Nebenentscheidungen sowie in Verfahren
des einstweiligen Rechtsschutzes und der PKH zur Entlastung der Landessozialgerichte auszuschließen
(vgl. BTDrs. 16/7716 S. 22), zuwiderlaufen, wenn eine Beschwerde gegen die Entscheidung über PKH
statthaft wäre, obwohl in der dazu gehörigen Hauptsache, dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung, wegen Nichterreichens des Beschwerdewertes, eine Entscheidung durch das LSG
ausgeschlossen wäre (LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 29.10.2008 - L 3 B 312/08 AS - Juris; a.A.
LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 10.06.2008 - L 5 ER 91/08 AS, L 5 B 107/08 AS -, Juris). So kann
auch verhindert werden, dass Instanz- und Rechtsmittelgericht im abgeschlossenen Hauptsacheverfahren
und mehrstufigen Nebenverfahren zu einander sich widersprechenden Entscheidungen gelangen
können.
Auch § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG steht der entsprechenden Geltung von § 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO
in den Fällen des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG nicht entgegen. Soweit der Gesetzgeber in § 172 Abs. 3 Nr. 2
SGG einen Beschwerdeausschluss gegen die Ablehnung von PKH normiert hat, wenn das Gericht
ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse für die PKH verneint, handelt es sich
um einen zusätzlichen Ausschlussfall, der als sozialgesetzliche Spezialregelung die §§ 73a SGG, 127
Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO ergänzt, da das Zivilprozessrecht auch bei Unterschreitung des
Beschwerdewertes die PKH-Beschwerde eröffnet, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder
wirtschaftlichen Voraussetzungen für die PKH verneint (vgl. Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss
vom 04.11.2009 - L 9 B 50/09 AS PKH -, Juris). Eine planwidrige Regelungslücke muss im Übrigen nicht
gegeben sein, da § 127 Abs. 2 Satz 2 (Halbsatz 1) ZPO bereits dann entsprechend gilt, wenn nicht
gesetzlich normierte Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens Abweichungen sachlich
gebieten.
Auch für die Beschwerdeverfahren war der Antrag auf Gewährung von PKH abzulehnen. Die auf eine
Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gerichtete Beschwerde bot keine hinreichende Aussicht auf
Erfolg (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO). Für das PKH-Verfahren selbst kann PKH nicht gewährt
werden (BGH, Beschluss vom 30.05.1984 - VIII ZR 298/83 -, Juris; Leitherer, in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9. Aufl. 2008, § 73a Rn. 2b); dies hat auch für das Beschwerdeverfahren
gegen die Versagung von PKH zu gelten (Musielak, ZPO, 7. Aufl. 2009, § 118 Rn. 7).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Für die PKH-
Beschwerde gilt § 127 Abs. 4 ZPO entsprechend.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177
SGG).