Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 05.10.2009

LSG Rpf: faires verfahren, auflage, unparteilichkeit, beteiligter, voreingenommenheit, unbefangenheit, form, stimme, behinderung, zivilprozessordnung

Landessozialgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss vom 05.10.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Speyer S 6 AL 327/08
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz L 1 SF 21/09
1. Das Gesuch der Klägerin, den Vorsitzenden der 6. Kammer des Sozialgerichts Speyer, Richter am Sozialgericht
Lichtenthäler, wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Das Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen den Richter am Sozialgericht Lichtenthäler ist unbegründet.
Für die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen gelten nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) u. a. die §§ 41 bis 44 Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend. Nach § 43 ZPO verliert ein Beteiligter das
Recht, einen Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wenn er sich bei ihm, ohne den ihm
bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat (§ 43
ZPO).
Die Klägerin hat ihr Ablehnungsrecht daher nach § 60 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 43 ZPO verloren. Sie
hat sich in die Erörterung der Sach- und Rechtslage in dem Erörterungstermin vor dem Sozialgericht Speyer (SG) am
16.06.2009 unter Beteiligung des später abgelehnten Richters eingelassen, ohne Ablehnungsgründe vorzubringen. Ein
Erörterungstermin nach § 106 Abs. 3 Nr. 7 SGG ist eine Verhandlung im Sinne des § 43 ZPO (vgl. BFH, Beschluss
vom 13.03.1992 - IV B 172/90 -, juris, zu Erörterungsterminen nach § 79 Abs. 2 FGO). Ablehnungsgründe, die
während einer Verhandlung entstehen, müssen bis zu deren Ende geltend gemacht werden (BGH, Beschluss vom
05.02.2008 - VIII ZB 56/07 -, NJW-RR 2008, 800; BFH, a. a. O.; Zöller-Vollkommer, ZPO, 27. Auflage 2009, § 43 Rn.
7). Darüber hinaus muss sich der Beteiligte weigern, den Erörterungstermin weiter wahrzunehmen, wenn er sein
Ablehnungsrecht nicht verlieren will (BFH, a. a. O.). Denn die Prozessbeteiligten - das Gericht ebenso wie die übrigen
Beteiligten - sind nur dann in der Lage, das Geschehen einer mündlichen Verhandlung zuverlässig zu rekonstruieren
und zu dokumentieren, wenn sich eine Notwendigkeit, die Erinnerung daran festzuhalten, in unmittelbarem zeitlichen
Zusammenhang mit diesem Geschehen ergibt; dies setzt einen noch in der Verhandlung gestellten Ablehnungsantrag
voraus (BGH, a. a. O.).
Die Klägerin hat demgegenüber während des Erörterungstermins - ohne die Verhaltensweise des Richters zu
kommentieren - ausweislich der über den Erörterungstermin vom 16.06.2009 gefertigten Niederschrift Erklärungen
abgegeben und sich zur Sache eingelassen. Ein Ablehnungsgesuch habe sie erst mit Telefax vom 01.07.2009 - und
damit über zwei Wochen nach dem Erörterungstermin - eingereicht. Die Klägerin hatte das Ablehnungsrecht damit
verloren.
Unabhängig davon liegen aber auch keine Gründe vor, die die Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden der 6.
Kammer des Sozialgerichts Speyer, Richter am Sozialgericht Lichtenthäler, rechtfertigen würden. Nach § 42 Abs. 2
ZPO kann ein Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet
ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Maßgeblich ist insoweit, ob ein Beteiligter von
seinem Standpunkt aus nach vernünftigen Erwägungen Bedenken gegen die Unparteilichkeit des Richters haben
kann. Hierzu zählen insbesondere Verstöße gegen das prozessuale Gleichbehandlungsgebot, die negative Einstellung
gegenüber einer Partei unter Bevorzugung der anderen Seite oder die willkürliche Benachteiligung oder Behinderung
einer Partei bei der Ausübung ihrer Rechte.
Im vorliegenden Fall sind solche Gründe nicht ersichtlich. Die Klägerin hat u. a. vorgetragen, sie habe dem
Sozialgericht Speyer (SG) mehrfach mitgeteilt, dass die Beklagte dem Beschluss des LSG vom 12.12.2008 nicht
folge und die Leistung nicht zahle, ohne dass das SG eine Antwort gegeben habe. Der Vorsitzende der 6. Kammer
habe lediglich einen Termin vom 16.06.2009 angeordnet, in dem er mit Nachdruck von ihr verlangt habe, ein
Teilanerkenntnis der Beklagten anzunehmen, was sie aber schon zweimal schriftlich abgelehnt habe. Er habe sie
angebrüllt und verlangt, dass sie ihre Klage vom 13.08.2008 für erledigt erkläre und mitgeteilt, dass die Sache dann
nur ab Januar 2009 verhandelt werde. Er sei aggressiv und unbeherrscht gewesen. Er habe gesagt, dass ihm ihre, der
Klägerin, Stellung in der Sache gegen den Strich gehe. Er habe versucht, mit Nachdruck eine Zustimmung für eine
Schweigepflichtentbindung zu erzeugen. Außerdem enthalte die Niederschrift über den Termin vom 16.06.2009
Aussagen, die sie bereits im Termin berichtigt habe und die der Richter während der Aufnahme bereits korrigiert und
gelöscht habe. Der Richter habe weiter Mutmaßungen über die Frage angestellt, ob bei ihrer aktuellen Behandlung ein
Behandlungsfehler vorliege. Außerdem sei die Niederschrift mit "Erörterungstermin der 6. Kammer" überschrieben. Es
stelle sich die Frage, wo die (aus einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richtern bestehende) Kammer
währenddessen gewesen sei. In Anbetracht der Gesamtumstände könne sie nicht auf ein faires Verfahren hoffen.
Diesem Vortrag lassen sich keine Gründe entnehmen, die aus der subjektiven Sicht der Klägerin Zweifel an der
Unbefangenheit des Vorsitzenden der 6. Kammer des Sozialgerichts Speyer rechtfertigen. Druckausübung auf
Beteiligte (etwa zum Abschluss eines Vergleichs oder, wie hier, zur Annahme eines Teil-Anerkenntnisses) durch das
Gericht begründet nur dann die Besorgnis der Befangenheit, wenn sie in völlig unangemessener Form erfolgt (Keller,
in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 60 Rn. 8k, m. w. N.). Hiervon kann im vorliegenden Fall
nicht ausgegangen werden. Die Sitzungsvertreterin der Beklagten, Frau A K, konnte in ihrer vom Senat eingeholten
Stellungnahme vom 14.09.2009 nicht bestätigen, dass der Vorsitzende die Klägerin "angebrüllt" habe. Auch konnte
sie nicht bestätigen, dass er sich gegenüber der Klägerin "aggressiv und unbeherrscht" verhalten habe. Er sei
vielmehr bemüht gewesen, der Klägerin klar zu machen, aus welchen Gründen Schweigepflichtentbindungen während
des Krankengeldbezug angefordert worden seien.
Selbst wenn man den Vortrag der Klägerin als wahr unterstellen würde, ließen sich aus dem eher allgemein
gehaltenen Vortrag der Klägerin ("brüllen", "aggressiv" oder "unbeherrscht") keine stichhaltigen Gründe für Bedenken
gegen die Unparteilichkeit des Vorsitzenden der 6. Kammer ableiten. Unmutsäußerungen eines Richters sind nur dann
als Anlass eines Ablehnungsgesuchs geeignet, wenn sie gänzlich unangemessen sind und den Eindruck der
Voreingenommenheit erwecken (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 60 Rn. 8i). Das
Sprechen mit erhobener Stimme spricht indes für sich genommen noch nicht für eine Voreingenommenheit.
Anhaltspunkte für unsachliche Äußerungen des Vorsitzenden sind dem Vortrag der Klägerin nicht zu entnehmen.
Schließlich sind auch keine Verfahrensfehler ersichtlich. Erörterungstermine werden nach § 106 Abs. 3 Nr. 7 SGG
durch den Vorsitzenden durchgeführt. Den Nachweis einer Protokollfälschung hat die Klägerin nicht geführt;
insbesondere konnten die insoweit erhobenen Vorwürfe durch die Sitzungsvertreterin der Beklagten nicht bestätigt
werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).