Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 28.12.2010

LSG NRW (aufschiebende wirkung, versorgung, schiedsverfahren, innere medizin, sgg, wirkung, nicht wieder gutzumachender schaden, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, verhältnis zu, antrag)

Landessozialgericht NRW, L 11 KA 58/10 B ER
Datum:
28.12.2010
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 11 KA 58/10 B ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 14 KA 13/10 ER
Sachgebiet:
Vertragsarztangelegenheiten
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Düsseldorf vom 19.04.2010 wird zurückgewiesen. Die
Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der
erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen. Der
Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe:
1
I.
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Die Antragstellerin begehrt einstweiligen Rechtsschutz wegen Bestimmung einer
Schiedsperson.
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Mit § 73b Abs. 4 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der Fassung des
Gesetzes vom 15.12.2008 (BGBI. l, S. 2426) wurde den Krankenkassen allein oder in
Kooperation mit anderen Krankenkassen zur Sicherstellung des Angebots der
hausarztzentrierten Versorgung (HzV) auferlegt, spätestens bis zum 30.06.2009
Verträge mit Gemeinschaften zu schließen, die mindestens die Hälfte der an der
hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte des Bezirks der
Kassenärztlichen Vereinigung vertreten. Sofern sich die Vertragsparteien nicht einigen,
kann die Gemeinschaft die Einleitung eines Schiedsverfahrens beantragen (§ 73 Abs. 4
Satz 2 SGB V).
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Der Deutsche Hausärzteverband, hierzu bevollmächtigt durch den Beigeladenen, in
Koorperation mit der Hausärztlichen Vertragsgemeinschaft eG (HÄVG), und die
Antragstellerin nahmen im ersten Halbjahr 2009 Kontakt auf, um über einen Vertrag zur
hausarztzentrierten Versorgung zu verhandeln. Die Antragstellerin übermittelte dem
Deutschen Hausärzteverband im Juni 2009 ein Vertragsangebot. Demgegenüber
übersandte dieser der Antragstellerin mit Schreiben vom 09.06.2009 ein eigenes
Vertragsangebot (Vollversorgungsvertrag mit der Folge von Bereinigungsverträgen) zur
Vorbereitung eines bundesweiten HzV-Vertrages. Mit weiterem Schreiben des
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Beigeladenen vom 17.06.2009 bat dieser die Antragstellerin, ihre Bereitschaft zum
Abschluss eines HzV-Vertrages auf der Grundlage eines Vollversorgungsvertrages bis
zum 19.06.2009 zu bestätigen sowie einen Vorschlag für Verhandlungstermine zu
unterbreiten. Hierauf erwiderte die Antragstellerin, sie sehe keine Bereitschaft des
Deutschen Hausärzteverbandes bzw. des Beigeladenen zu Vertragsverhandlungen
(Schreiben vom 18.06.2009). In der Folge stellte der Beigeladene gegenüber der
Antragstellerin fest, dass die Verhandlungen über einen Vertrag zur hausarztzentrierten
Versorgung gescheitert seien (Schreiben vom 22.06.2009). Gleichzeitig beantragte er
die Einleitung eines Schiedsverfahrens und schlug Prof. Dr. L als Schiedsperson unter
Fristsetzung zur Stellungnahme bis 29.06.2009 vor. Die Antragstellerin äußerte sich
nicht. Sodann hat sich der Beigeladene an die Antragsgegnerin gewandt, um eine
Schiedsperson bestimmen zu lassen (Schreiben vom 29.06.2009). Die Antragstellerin
teilte hierauf u.a. mit, in den vorgelegten Verträgen sei die HÄVG und nicht der
Beigeladene als Vertragspartner ausgewiesen gewesen (Schreiben vom 17.07.2009).
Der Beigeladene versuche, die HÄVG als Vertragspartnerin durchzusetzen. Er verfolge
mithin keinen keinen eigenen Anspruch, so dass sein Antrag auf Bestimmung einer
Schiedsperson unzulässig sei. Darüber hinaus erfülle der Beigeladene die
Anforderungen an eine Gemeinschaft i.S.d. § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V nicht. Er verfüge
lediglich über eine Verhandlungs- und keine Abschlussvollmacht der von ihm
vertretenen Hausärzte. Für die Beurteilung der Vertretungsquote von 50 % seien alle
zugelassenen Allgemeinmediziner und alle angestellten Ärzte mit dem Fachgebiet
Allgemeinmedizin im Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein zu
ermitteln. Die vorgelegten notariellen Urkunden seien nicht geeignet, die Erfüllung des
Quorums nachzuweisen. Es sei nicht sichergestellt, dass die mandatierenden Ärzte
tatsächlich die gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 73b SGB V erfüllten. Fraglich
sei ferner, zu welchem Zeitpunkt mandatiert worden sei. Infolge unzumutbar kurze
Fristsetzungen und des Versuchs des Beigeladenen, die Verhandlungen insbesondere
hinsichtlich eines Vollversorgungsvertrags zu diktieren, könne nicht von einer
notwendigen Nichteinigung gesprochen werden. Verhandlungen hätten nicht
stattgefunden.
Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) des Landes Nordrhein-
Westfalen hat mit Schreiben vom 01.09.2009 mitgeteilt, dass der Beigeladene eine
ausreichende Zahl von Allgemeinärzten im Sinne des § 73b Abs. 4 S. 1 SGB V vertritt.
Eine durch das Ministerium am 26. und 27.08.2009 durchgeführte Überprüfung habe
ergeben, dass 1577 ordnungsgemäße Erklärungen von Allgemeinärzten vorlägen.
Hierbei seien lediglich Fachärzte für Allgemeinmedizin und Fachärzte für Innere und
Allgemeinmedizin berücksichtigt worden. Diese Überprüfung sei mit einem Abgleich der
einzelnen Mandate mit einer von der KV Nordrhein zur Verfügung gestellten Liste aller
Allgemeinärzte im Bereich Nordrhein verbunden worden. Nach Auskunft der KV
Nordrhein nähmen 3127 Allgemeinärzte, entsprechend einer Quote von 50,431 %, an
der hausärztlichen Versorgung teil.
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Die Antragsgegnerin hat mit Bescheid des Bundesversicherungsamtes vom 15.12.2009
Staatssekretär a.D. X als Schiedsperson für die Vertragsverhandlungen zwischen dem
Beigeladenen und der Antragstellerin im Bereich der KV Nordrhein bestimmt. In dem
Bescheid wird u.a. ausgeführt, bei der Auswahl der Schiedsperson sei berücksichtigt
worden, dass Herr X von 1987 bis 1991 Staatssekretär im Hessischen
Sozialministerium und dort u.a. für inhaltliche und aufsichtsrechtliche Fragen aus dem
GKV-Bereich zuständig gewesen sei. Von 1998 bis 2009 habe er dem Deutschen
Bundestag angehört. In der 15. Wahlperiode sei er Mitglied des für Gesundheitspolitik
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zuständigen Parlamentsausschusses gewesen. Im November 2005 sei er zum
Vorsitzenden des Ausschusses für Arbeit und Soziales gewählt worden. In den
Koalitionsverhandlungen des Jahres 2005 habe er dem Verhandlungsteam der Union
angehört, das mit der SPD das Kapitel zur Gesundheitspolitik des Koalitionsvertrags
verhandelt habe. Er besitze aufgrund dieser Tätigkeiten die notwendigen
Sachkenntnisse sowie umfassende praktische Erfahrungen für die Wahrnehmung der
Aufgaben einer Schiedsperson in den gegenständlichen Verfahren.
Die Antragstellerin hat gegen diesen Beschluss am 08.01.2010 Klage zum Sozialgericht
(SG) Düsseldorf erhoben und gleichzeitig um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.
Sie trägt vor: Dem Grunde nach sei gegen die Benennung von Herrn X nichts
einzuwenden. Insbesondere werde nicht in Zweifel gezogen, dass er geeignet und
qualifiziert sei. Angesichts des Umstandes, dass er als Schiedsperson für sämtliche
Bereiche der KV Nordrhein und KV Westfalen-Lippe tätig werden solle, sei allerdings
ausgeschlossen, dass er sich mit allen Angeboten der Kassen intensiv beschäftigen
könne. Die Hausarztverträge seien als Selektivverträge angelegt. Die Bestimmung einer
einzigen Schiedsperson für sämtliche Schiedsverfahren und mehrere KV-Bezirke führe
faktisch zu kollektivrechtlichen Verträgen. Darüber hinaus dürften Herrn X aufgrund
bereits laufender Schiedsverfahren die Motive und Überlegungen des Beigeladenen
bestens bekannt sein, wohingegen ihr - der Antragstellerin - diese Erfahrungswerte
fehlten. Insofern bestehe die Gefahr, dass Herr X diese Nachteile auch durch eine
neutrale Verfahrensführung nicht werde ausgleichen können. Der
Bestimmungsbescheid sei insbesondere deswegen rechtswidrig, weil eine
Ermessensentscheidung nicht erkennbar sei. Das Bundesversicherungsamt habe sich
mit dem Antrag auf Bestimmung einer bundesweit einheitlichen Schiedsperson für die
Vertragsverhandlungen der Antragstellerin nicht auseinandergesetzt. Zudem habe es
verabsäumt, die Vergabe der Schiedsaufträge nach Vergaberecht auszuschreiben. Die
Anordnung der aufschiebenden Wirkung sei erforderlich, weil bei rechtswidriger
Bestimmung der Schiedsperson der festgesetzte Vertrag vollständig mit der Folge
entfalle, dass er insgesamt rückabzuwickeln wäre. Dies sei nicht zuletzt im Hinblick auf
die nach § 73b Absatz 7 SGB V durchzuführende Bereinigung der Gesamtvergütung für
alle Beteiligten unzumutbar. Sollte die angegriffene Bestimmung der Schiedsperson
rechtmäßig und nicht aufzuheben sein, erscheine der Hilfsantrag sachgerecht, um
weitere Zeitverluste zu vermeiden.
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Die Antragstellerin hat beantragt,
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1.die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom
15.12.2009 über die Bestellung von Herrn H X als Schiedsperson in den
Vertragsverhandlungen zwischen dem Hausärzteverband Nordrhein e.V. und der Bahn-
BKK für die Region der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein anzuordnen,
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2.hilfsweise anzuordnen, dass die durch die Schiedsperson Herrn X festgesetzten
Vertragsinhalte nicht vor rechtskräftiger Entscheidung über die Klage in Kraft treten
können.
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Die Antragsgegnerin hat beantragt,
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die Anträge zurückzuweisen.
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Die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage seien
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nicht gegeben. Die Anfechtungsklage habe keine Aussicht auf Erfolg. Der Bescheid
vom 15.12.2009 sei formell und materiell rechtmäßig, insbesondere sei die Auswahl und
Bestimmung der Schiedsperson nicht ermessensfehlerhaft. Zwar habe sie sich frühzeitig
auf bestimmte Schiedspersonen festgelegt, gleichwohl habe sie bei der Auswahl
Ermessen ausgeübt. Die Schiedsperson müsse mit den Strukturen der gesetzlichen
Krankenversicherung vertraut sowie in der Lage sein, widerstreitende Interessen
auszugleichen. Diese Anforderungen erfülle Herr X. Ein Ermessensfehler sei daher
nicht ersichtlich. Die Gefahr kollektivrechtlicher Verträge bestehe nicht, da die Verträge
Wirkung nur zwischen den Vertragsparteien entfalten und es deren Sache sei, ihre
Vorstellungen vom Vertragsinhalt in das Schiedsverfahren einzubringen. Angesichts der
nur eingeschränkten Anzahl an qualifizierten und verfügbaren Schiedspersonen sei es
nicht in Betracht gekommen, für die Antragstellerin eine einheitliche Schiedsperson zu
bestimmen. Zudem hätte dies anderen Krankenkassen ebenfalls zugestanden werden
müssen, was praktisch nicht umsetzbar sei.
Der Beigeladene hat die Auffassung vertreten, dass die Antragsgegnerin das Ermessen
pflichtgemäß ausgeübt habe. Die Bestimmung regionaler Schiedspersonen sei nicht
ermessensfehlerhaft. Die Bündelung von Schiedsverfahren führe nicht zu faktischen
Kollektivverträgen. Die Antragsstellerin könne in jedem Stadium des Schiedsverfahrens
ihre individuellen Interessen einbringen. Soweit die Antragstellerin es für sachgerecht
halte, für bundeseinheitliche Kassen nur eine Schiedsperson zu bestellen, führe dies
nicht weiter, denn dann würden die wenigen (qualifizierten) Schiedspersonen
bundesweit jeweils für zahlreiche Kassen zuständig sein.
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Das SG Düsseldorf hat die Anträge mit Beschluss vom 19.04.2010 zurückgewiesen. Der
unter 1) gestellte Antrag sei unbegründet, der zu 2) gestellte Antrags sei unzulässig. Zur
Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt: Im Rahmen des Eilverfahrens sei
eine Abwägung zwischen dem Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden
Wirkung der Klage einerseits und der gesetzlichen Regelung in § 73b Abs. 4a Satz 4
SGB V andererseits vorzunehmen, wonach die Klage gegen die Bestimmung einer
Schiedsperson keine aufschiebende Wirkung entfalte. Der Bestimmungsbescheid sei
nach summarischer Prüfung nicht als offensichtlich rechtswidrig zu werten. Ein Vertrag
nach § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V sei bislang nicht zustande gekommen. Der
Beigeladene sei ausreichend legitimiert. Dies folge aus den Feststellungen des MAGS.
Zudem habe der Beigeladene mit Schriftsatz vom 16.03.2010 eine Notarurkunde vom
22.01.2010 vorgelegt, derzufolge zu diesem Zeitpunkt 1.642 Mandatierungen
vorgelegen hätten. Hieraus errechne sich selbst unter Zugrundelegung der von der
Antragstellerin vorgetragenen Anzahl an Allgemeinärzten eine Quote von 50,08 %. Die
Vertragsparteien hätten sich nicht auf eine Schiedsperson einigen können. Die
Bestimmung von Herrn X begegne keinen rechtlichen Bedenken. Die gerichtliche
Überprüfung der Auswahlentscheidung sei darauf beschränkt, ob die Erwägungen der
Antragsgegnerin die von ihr getroffene Entscheidung rechtfertigten. Sachfremde
Erwägungen oder ein Ermessensdefizit seien nicht ersichtlich. Die Bestimmung einer
einheitlichen Schiedsperson für eine bundesweit tätige Kasse sei nicht zwingend. Die
Sorge der Antragstellerin, dass mit der Bestimmung einheitlicher Schiedspersonen für
die jeweiligen KV-Bezirke Kollektivverträge forciert würden, sei unbegründet. Der Antrag
zu 2) sei unzulässig, weil dieser weder gegen den richtigen Antragsgegner gerichtet sei
noch ein Rechtsschutzbedürfnis bestehe.
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Diese Entscheidung greift die Antragstellerin fristgerecht mit der Beschwerde an. Sie
trägt vor: Sie und der Beigeladene hätten sich über Inhalte des Vertrages nach § 73b
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Abs. 2 SGB V nicht verständigen können. Somit sei es erforderlich, dass der
Vertragsinhalt vollständig von der Schiedsperson festgesetzt werde. Die
Antragsgegnerin habe von vornherein entschieden, bundesweit für alle möglichen
Schiedsverfahren lediglich vier Schiedspersonen zu benennen. Herr X sei durchgehend
für die Bereiche der KV Nordrhein und KV Westfalen-Lippe benannt worden. Zwar gehe
auch sie davon aus, dass nur eine begrenzte Anzahl von möglichen Schiedspersonen
zur Verfügung stehe. Sie bezweifle aber, dass auch unter zeitlichen Gesichtspunkten
lediglich vier Schiedspersonen in Betracht zu ziehen seien. Jedenfalls sei die
Entscheidung der Antragsgegnerin mit der vom Gesetzgeber gewollten Vielfalt
möglicher Verträge nicht in Einklang zu bringen. Denn eine Auseinandersetzung mit
sämtlichen Vertragsangeboten, allen Versicherten- und Morbiditätsstrukturen sowie der
jeweiligen finanziellen Leistungsfähigkeit sei einer einzigen Schiedsperson faktisch
unmöglich. Hiermit habe sich die Antragsgegnerin nicht auseinandergesetzt. Auch der
Gesichtspunkt, welche bzw. wie viele Vertragsbestandteile gegebenenfalls die
Schiedsperson festsetze und welcher Aufwand damit zu bewältigen sei, habe bei der
Entscheidung der Antragsgegnerin erkennbar keine Rolle gespielt. Für sie - die
Antragstellerin - liege auf der Hand, dass Herr X durch bereits laufende
Schiedsverfahren bestens mit den Motiven und Überlegungen des Beigeladenen
vertraut sei, wie auch umgekehrt der Beigeladene Herrn X und seine Einstellung zu
einzelnen Fachfragen mittlerweile bestens kennen dürfte. Ihr - der Antragstellerin -
fehlten diese Erfahrungswerte. Sie verkenne nicht, dass der Gesetzgeber den
Abschluss der HzV-Verträge habe forcieren wollen. Allerdings dürften solche Verträge
eher längerfristig angelegt sein und in ein Dauerschuldverhältnis einmünden. Diesem
Ziel sei es kaum förderlich, wenn die Schiedspersonen ohne Berücksichtigung der
Umstände des Einzelfalls ausgewählt werde. Schließlich werde bestritten, dass der
Beigeladene die Voraussetzungen des § 73b Absatz 4 Satz 1 SGB V erfülle. Der
Beigeladene sei berechtigt, ein Schiedsverfahren und die Bestimmung einer
Schiedsperson zu beantragen, wenn er mindestens die Hälfte der an der hausärztlichen
Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte vertrete. Insoweit dürfte ein Abstellen auf
den Fachgruppencode 01 deutlich zu kurz greifen. Ärzte des Fachgruppencodes 02
seien hinzuzurechnen. Demzufolge sei ein Anzahl von 4.530 zu berücksichtigen.
Dieses Quorum werde deutlich verfehlt.
Die Antragstellerin beantragt,
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den Beschluss des SG Düsseldorf vom 19.04.2010 abzuändern und nach dem
erstinstanzlich gestellten Antrag zu entscheiden.
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Der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage habe keine Aussicht auf Erfolg. Der
Bestimmungsbescheid sei formell und materiell rechtmäßig. Der Beigeladene sei eine
Gemeinschaft im Sinn des § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V. Er vertrete 1577 von 3127
Allgemeinärzten im Bezirk der KV Nordrhein. Allgemeinärzte seien nur die für
hausärztliche Versorgung zugelassenen Fachärzte für Allgemeinmedizin und die
Fachärzte für Innere und Allgemeinmedizin, die nach den Weiterbildungsordnungen der
Landesärztekammern den Facharzttitel "für Allgemeinmedizin" tragen dürften. Ein
Vertrag über die hausarztzentrierte Versorgung sei unstreitig nicht zustande gekommen.
Ein Ermessensfehlgebrauch liege nicht vor. Die Qualifikation der Schiedsperson werde
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von der Antragstellerin nicht angezweifelt. Den Vertragsparteien stehe es frei, in der
Schiedsverhandlung ihre jeweiligen Vertragsvorstellungen einzubringen und
kassenindividuelle Gegebenheiten vorzutragen, so dass hinreichend Raum für
Besonderheiten verbleibe. Von faktischen Kollektivverträgen könne keine Rede sein.
Der Beigeladene beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Die Klage sei in der Hauptsache offensichtlich unbegründet. Die Bestimmung der
Schiedsperson sei nicht ermessensfehlerhaft. Die Bündelung der Schiedsverfahren
entspreche dem Zweck der gesetzlichen Regelung und führe nicht zu
Kollektivverträgen. Er - der Beigeladene - sei als qualifizierte Gemeinschaft legitimiert.
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Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen nimmt der Senat Bezug auf die
Streitakte und den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie den Verwaltungsvorgang
der Antragsgegnerin.
26
II.
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1. Antrag zu 1)
28
Die statthafte und im übrigen zulässige Beschwerde ist unbegründet.
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a) Rechtsgrundlage für die begehrte einstweilige Regelung ist § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG). Nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG haben Widerspruch und
Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG entfällt die
aufschiebende Wirkung in anderen durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen.
Hierzu rechnet § 73b Abs. 4a Satz 4 SGB V. Danach haben Klagen gegen die
Bestimmung der Schiedsperson keine aufschiebende Wirkung.
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Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den
Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben,
die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen. Zwar ist in § 86b Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 SGG lediglich die Rede von der Anordnung der aufschiebenden Wirkung, doch
wird wegen der gleichen Zielrichtung auch die Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung von dieser Norm erfasst (Senat, Beschluss vom 20.05.2009 - L 11 B 5/09 KA
ER -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.10.2006 - L 10 B 15/06 KA ER -;
LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 03.08.2006 - L 4 B 269/04 KA ER -). Bei den
Entscheidungen nach § 86b Abs. 1 SGG hat eine Abwägung der öffentlichen und
privaten Interessen stattzufinden. Dabei steht eine Prüfung der Erfolgsaussichten
zunächst im Vordergrund. Auch wenn das Gesetz keine materiellen Kriterien für die
Entscheidung nennt, kann als Richtschnur für die Entscheidung davon ausgegangen
werden, dass das Gericht dann die aufschiebende Wirkung wiederherstellt, wenn der
angefochtene Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist und der Betroffene durch ihn in
subjektiven Rechten verletzt wird. Am Vollzug eines offensichtlich rechtswidrigen
Verwaltungsaktes besteht kein öffentliches Interesse (Düring in Jansen, SGG, 3.
Auflage, 2009, § 86b Rdn. 11). Sind die Erfolgsaussichten nicht offensichtlich, müssen
die für und gegen eine sofortige Vollziehung sprechenden Gesichtspunkte
gegeneinander abgewogen werden. Dabei ist die Regelung des § 86a Abs. 3 Satz 2
SGG zu beachten, dass in den Fällen des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG (Entscheidung über
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Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen,
Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben) die Vollziehung ausgesetzt werden soll,
wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts
bestehen oder die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch
überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Auch über diese
ausdrückliche Regelung hinaus ist das aus den Regelungen des § 86a SGG
hervorgehende gesetzliche Regel-Ausnahmeverhältnis zu beachten: In den Fallgruppen
des § 86a Abs. 2 Nr. 2 bis 4 SGG ist maßgebend, dass der Gesetzgeber einen
grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet hat und es deshalb
besonderer Umstände bedarf, um eine davon abweichende Entscheidung zu
rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 10.10.2003 - 1 BvR 2025/03 - zu § 80 Abs. 2 Nrn.
1 bis 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)). In den Fällen des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG
haben Widerspruch und Klage hingegen grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Es ist
ein öffentliches Vollzugsinteresse oder ein überwiegendes Interesse eines Beteiligten
erforderlich. Nur dann wird (ausnahmsweise) die sofortige Vollziehung angeordnet. Das
Gericht hat insbesondere zu berücksichtigen, wie schwerwiegend die Beeinträchtigung
durch die aufschiebende Wirkung gerade im grundrechtsrelevanten Bereich ist. Bei
Eingriffen in die Berufsfreiheit müssen die Gründe für den Sofortvollzug in einem
angemessenen Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehen und ein Zuwarten bis zum
rechtskräftigen Abschluss des Hauptverfahrens ausschließen (vgl. BVerfG, Beschlüsse
vom 28.08.2007 - 1 BvR 2157/07 -; 11.02.2005 - 1 BvR 276/05 -; BVerfG, NJW 2003 S.
3618, 3619; Senat, Beschlüsse vom 20.05.2009 - L 11 B 5/09 KA ER -, 19.03.2009 - L
11 B 20/08 KA ER -, 17.06.2009 - L 11 B 6/09 KA ER -; vgl. auch Düring a.a.O.).
b) Ausgehend hiervon ergibt sich:
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Die Entscheidung der Antragsgegnerin vom 15.12.2009 erweist sich als rechtmäßig. Die
Voraussetzungen für die Bestimmung einer Schiedsperson durch das
Bundesversicherungsamt sind erfüllt (aa)). Die Auswahlentscheidung ist nicht
ermessensfehlerhaft (bb)). Ein Vergabeverfahren ist entgegen der Auffassung der
Antragstellerin nicht durchzuführen (cc)). Einer Abwägung von Vollziehungs- und
Aussetzungsinteresse bedarf es nicht (dd).
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aa) Nach § 73b Abs. 4a S. 2 SGB V ist das Bundesversicherungsamt für die
Bestimmung der Schiedsperson zuständig. Die Antragstellerin untersteht als
bundesunmittelbare Krankenkasse der Rechtsaufsicht des Bundesversicherungsamtes
(§ 90 SGB Viertes Buch Sozialgesetzbuch).
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(1) Die Antragstellerin und der Beigeladene haben sich weder auf einen Vertrag zur
hausarztzentrierten Versorgung noch auf eine Schiedsperson geeinigt.
35
(2) Der Beigeladene ist eine qualifizierte Gemeinschaft im Sinne des § 73b Abs. 4 S. 1
SGB V, da er über die Hälfte der an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden
Allgemeinärzte im Gebiet der KV Nordrhein vertritt. Das ergibt sich wie folgt:
36
(a) Welche Ärzte dem Begriff "Allgemeinärzte" unterfallen, ist in § 73b SGB V nicht
ausdrücklich geregelt. In der Gesetzesbegründung zu § 73b SGB V wird jedoch
hinsichtlich des Begriffs "Allgemeinarzt" mittels des nachfolgenden Klammerzusatzes
auf § 73 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 SGB V Bezug genommen. Hierdurch wird bestimmt, dass
der Allgemeinarzt neben den in den Nr. 2 bis 5 des § 73 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 SGB V
genannten Leistungserbringern an der hausärztlichen Versorgung teilnimmt (vgl.
37
Begründung zum GKV-OrgWG, BT-Drs. 16/10609, S.53). Bei der Auslegung des
Begriffs "Allgemeinarzt" nach § 73 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 SGB V ist ferner § 95a Abs. 2
SGB V heranzuziehen (vgl. Adolf in juris-PK-SGB V, § 73 Rdn. 76; Hess in Kasseler
Kommentar, SGB V, § 73 Rdn. 5; Hencke in Peters, Handbuch der
Krankenversicherung, SGB V, § 73 Rdn. 6a). Danach ist eine allgemeinmedizinische
Weiterbildung im Sinne des § 95a Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 95a Abs. 2 Satz 1 SGB V
nachgewiesen, wenn der Arzt nach landesrechtlichen Vorschriften zum Führen der
Facharztbezeichnung für Allgemeinmedizin berechtigt ist. Mithin unterfallen dem Begriff
"Allgemeinarzt" i.S.v. § 73b Abs. 4 S. 1 SGB V die für die hausärztliche Versorgung
zugelassenen Fachärzte für Allgemeinmedizin und die Fachärzte für Innere und
Allgemeinmedizin, die nach den Weiterbildungsordnungen der Landesärztekammern
die Bezeichnung Facharzt/Fachärztin für Innere und Allgemeinmedizin oder für
Allgemeinmedizin tragen dürfen (hierzu Abschnitt B Ziffer 12 ff. der
Weiterbildungsordnung (WBO) der Ärztekammer Nordrhein vom 20.03 2004 i.d.F. vom
01.10.2008). Dieser Arztgruppe wird entsprechend Anlage 2 der Richtlinie der
Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zur Vergabe der Arzt- und
Betriebsstättennummern in der Regel der Fachgruppencode 01 zugeordnet. Sowohl der
Wortlaut des § 74 Abs. 4 Satz 1 SGB V als auch der systematische Zusammenhang
zwischen § 73 Abs. 1a SGB V, § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V und § 95a SGB V sprechen
sonach dafür, dass es auf diese Allgemeinärzte (Fachgruppe 01) und nicht auf sämtliche
an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Vertragsärzte ankommt. Der
Gesetzgeber begründet die Vorrangstellung der Allgemeinärzte damit, dass sie der in §
103 Abs. 4 Satz 6 SGB V getroffenen Vorrangstellung der Allgemeinärzte für
ausgeschriebene Hausarztsitze folge und ihre "auf fünf Jahre verlängerte
Weiterbildungszeit Grundlage für die besondere Qualifizierung von Allgemeinärzten für
die spezifischen Anforderungen in der hausärztlichen Versorgung" ist (vgl. Begründung
zum GKV-OrgWG, BT-Drs. 16/10609, S. 53f.; zur Weiterbildungszeit von 60 Monaten
vgl. Abschnitt B Ziff. 12.1 WBO der Ärztekammer Nordrhein). Die von der Antragstellerin
benannten praktischen Ärzte (Fachgruppencode 02) sind in § 73 Abs. 1a Satz 1 Nr. 4
SGB V durch Bezugnahme auf § 95a Abs. 4 SGB V und die dortige Legaldefinition des
"praktischen Arztes" gesondert aufgeführt. Dasselbe gilt für die in § 73 Abs. 1a Satz 1
Nr. 3 SGB V genannten hausärztlich tätigen Internisten (Fachgruppencode 03). Die
Gruppe der "praktischen Ärzte" sowie die Gruppe der Internisten ohne
Schwerpunktbezeichnung sind nicht in das Quorum einzubeziehen. Praktische Ärzte
erfüllen die Voraussetzungen nicht, weil sie keine Facharztausbildung in
Allgemeinmedizin durchlaufen haben (vgl. § 3 WBO). Fachärzte für Innere Medizin
haben wiederum keine allgemeinmedizinische Facharztausbildung, absolvieren
insoweit vielmehr (nur) eine 36-monatige stationäre Basisweiterbildung im Gebiet Innere
Medizin und Allgemeinmedizin (Abschnitt B Ziff. 12.2 WBO). Demzufolge werden von
dem Begriff "Allgemeinarzt" im Sinne des § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V nicht alle an der
hausärztlichen Versorgung teilnahmeberechtigten Ärzte erfasst, sondern nur
"Allgemeinärzte". i.S.d. § 73 Abs.1a Nr. 1 SGB V (so auch LSG Niedersachsen-Bremen,
Beschluss vom 22.09.2010 - L 3 KA 68/10 B ER -). Bei der Prüfung, ob eine
Gemeinschaft das in § 73 Abs. 4 S. 1 SGB V geforderte Quorum von 50 % erreicht, sind
daher die anderen in § 73 Abs. 1a Nr. 2 bis 5 SGB V genannten hausärztlichen
Leistungserbringer nicht zu berücksichtigen.
(b) Soweit die Antragstellerin meint, dass es für das Quorum allein auf hausärztlich
tätige Ärzte mit der Fachgebietsbezeichnung "Facharzt für Innere und
Allgemeinmedizin" mit einer Weiterbildungszeit von fünf Jahren ankommt, folgt der
Senat dem nicht. Zwar weist die Gesetzesbegründung aus, dass die Allgemeinärzte
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deswegen privilegiert werden sollen, weil sie eine auf fünf Jahre verlängerte
Weiterbildungszeit absolvieren. Hieraus kann indessen nicht hergeleitet werden, dass
Fachärzte für Allgemeinmedizin und Innere Medizin nur dann in das Quorum
einbezogen werden, wenn jeweils eine fünfjährige Weiterbildungszeit i.S.v. Abschnitt B
Ziff. 12.1 WBO nachgewiesen ist.
Maßgebend für die Auslegung einer Norm ist zunächst deren Wortlaut (vgl. BSG, Urteil
vom 12.06.2003 - B 9 V 2/02 R -; Senat, Beschluss vom 17.06.2009 - L 11 B 6/09 KA ER
-; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.07.2004 - L 10 V 11/03 - m.w.N.). Erst wenn
dieser auslegungsbedürftig und -fähig ist, kann auf teleologische, historische oder
systematische Auslegungsmethoden zurückgegriffen werden. Im Übrigen gilt, dass die
Motive und Vorstellungen der Mitglieder gesetzgebender Körperschaften bei einer
Gesetzesauslegung nur dann berücksichtigt werden, wenn sie im Gesetz einen
ausreichenden Niederschlag gefunden haben (BFH, Urteil vom 23.09.2003 - IV R 56/98
-).
39
Das bedeutet: Der Gesetzeswortlaut des § 74b Abs. 4 Satz 1 SGB V ist insofern
eindeutig, als hierin einschränkungslos auf "Allgemeinärzte" abgestellt und damit an
den Begriff "Allgemeinärzte" in § 73 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 SGB V angeknüft wird. Der
Wortlaut gibt keinerlei Hinweis darauf, dass der Begriff "Allgemeinarzt" restriktiv dahin
zu interpretieren ist, dass hierzu nur solche Ärzte rechnen, die eine 60-monatige
Weiterbildung i.S.v. Abschnitt B Ziff. 12.1 WBO nachweisen. Auf ggf. abweichende im
Gesetzgebungsverfahren formulierte Vorstellungen kann bei dieser Sachlage nicht
zurückgegriffen werden. Im Übrigen würde eine solche Interpretation dem Normzweck
des § 73b SGB V entgegenstehen. Soll nämlich eine rasche und flächendeckende
hausarztzentrierte Versorgung sichergestellt werden, würde dieses gesetzgeberische
Anliegen geradezu konterkariert, wenn nur Fachärzte für Innere und Allgemeinmedizin
mit einer 60-monatigen Weiterbildungszeit geeignet wären, das für eine qualifizierte
Gemeinschaft in § 73 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 SGB V bestimmte Quorum zu erfüllen.
40
(c) Soweit die Antragstellerin vorträgt, dass unter dem Fachgruppencode 01 auch
sogenannte "EU-Ärzte" geführt werden, trägt dies ihr Begehren nicht. Alle
Mandatierungen zugunsten des Beigeladenen stammen von Fachärzten für
Allgemeinmedizin. Mandatierungen, die ausschließlich von sog. "EU-Ärzten" stammen,
hat das MAGS nicht festgestellt.
41
(d) Das Vorbringen der Antragstellerin, es sei nicht ersichtlich, auf welcher
Rechtsgrundlage das MAGS eine bindende Verwaltungsentscheidung getroffen habe,
geht fehl. Die Entscheidung über die Bestimmung der Schiedsperson hat die
Antragsgegnerin als für die Antragstellerin zuständige Aufsichtsbehörde getroffen (§ 73b
Abs. 4a Satz 2 SGB V). Sie hat sich dabei in zulässiger Weise auf die Feststellungen
des MAGS im Rahmen der von diesem vorgenommenen Mandatierungsprüfung
gestützt. Die Ergebnisse der Prüfung wurden der Antragsgegnerin mit Schreiben vom
01.09.2009 als amtliche Auskunft i.S.d. § 21 Abs. 1 Nr. 1 SGB X mitgeteilt. Die
Antragsgegnerin hat das Ergebnis dieser Überprüfung deshalb zu Recht übernommen,
insbesondere weil dessen Richtigkeit nicht bestritten wurde und seinerzeit auch keine
Umstände vorlagen oder geltend gemacht wurden, denen hätte vertiefend
nachgegangen werden müssen.
42
(e) Die Mandatierungen genügen im Übrigen den gesetzlichen Anforderungen an das
"Vertreten" i.S.v. § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V. Weder aus dem Gesetz noch aus der aus
43
der Gesetzesbegründung kann abgeleitet werden, dass jeweils eine
Abschlussvollmacht vorliegen muss. Ausreichend ist eine Verhandlungsvollmacht.
(f) Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist das Datum des
angefochtenen Bestimmungsbescheids (15.12.2009), d.h. zu diesem Zeitpunkt müssen
die Quorumsvoraussetzungen erfüllt sein. Nachträgliche Änderungen des
Repräsentationsgrades der Gemeinschaft sind rechtlich irrelevant (so auch LSG
Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.09.2010 - L 3 KA 68/01 B ER -). Das ergibt
sich wie folgt: Wird mit der reinen Anfechtungsklage ein belastender Verwaltungsakt
angefochten, so ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt der letzten
Verwaltungsentscheidung, also den Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids abzustellen
(Jung in Jansen, a.a.O,. § 54 Rdn. 36). Ausgehend hiervon wäre maßgebender
Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage die Bestellung der
Schiedsperson durch Bescheid vom 15.12.2009. Von diesem Grundsatz wird allerdings
bei belastenden Verwaltungsakten mit Dauerwirkung bzw. bei noch nicht vollzogenen
Verwaltungsakten (z.B. Entziehung der Zulassung als Vertragsarzt) eine Ausnahme
gemacht. Da deren rechtliche Auswirkungen fortdauern, sind nachträgliche Änderungen
der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu
berücksichtigen (Jung in Jansen, a.a.O,. § 54 Rdn. 36). Verwaltungsakte mit
Dauerwirkung sind solche, die sich nicht in einem einmaligen Ge- oder Verbot
erschöpfen, sondern ein auf Dauer gerichtetes oder in seinem Bestand vom
Verwaltungsakt abhängiges Rechtsverhältnis begründen oder inhaltlich verändern
(Keller, a.a.O., Anhang § 54 Rdn. 5c m.w.N.; Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Auflage,
2010, § 45 Rdn. 63 m.w.N.). Sie können deshalb als eine Summierung einzelner
Verwaltungsakte verstanden werden, die aus verwaltungsökonomischen Gründen in
einem Verwaltungsakt zusammengefasst sind (Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage
2009, § 113 Rdn. 43 m.w.N.).
44
Soweit es die Bestimmung der Schiedsperson anlangt, ist zu unterscheiden. Bezogen
auf die Schiedsperson handelt es sich bei der Bestimmung um einen
Dauerverwaltungsakt, vergleichbar einer Statusbegründung im vertragsärztlichen
Zulassungsrecht. So stellen Beteiligung und Zulassung eines Vertragsarztes an der
vertragsärztlichen Versorgung als statusbegründende Entscheidung einen
Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar (Senat, Urteil vom 04.05.1983 - L 11 Ka 9/82 -; so
auch zum Widerruf einer Beteiligung: BSG, Urteile vom 02.09.1987 - 6 RKa 65 - und
06.06.1984 - 6 RKa 13/83 -; vgl. auch Keller, a.a.O., Anhang § 54 Rdn. 5c). Auch für die
Schiedsperson wird mittels des Bestellungsakts ein von Rechten und Pflichten
getragenes und auf Dauer angelegtes Rechtsverhältnis begründet. Indessen kommt es
im hier interessierenden Zusammenhang nicht darauf, ob der Bestellungsakt für die
Schiedsperson einen Dauerverwaltungsakt darstellt. Maßgebend ist vielmehr, ob der
Bestellungsakt auch im Verhältnis zu den Parteien einen solchen Charakter hat. Das ist
zu verneinen. Die Bestimmung der Schiedsperson durch die Aufsichtsbehörde gem. §
73b Abs. 4a S. 2 SGB V ersetzt die fehlende Einigung der Parteien auf eine
Schiedsperson. In diesem einmaligen Akt erschöpft sich im Verhältnis zu den Parteien
der Regelungsgehalt der Bestimmung, wenngleich die daran anknüpfenden
Rechtsfolgen in Gestalt einer die Parteien treffenden Bindungswirkung fortdauern.
45
bb) Die Antragsgegnerin hat das ihr eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt.
Ausweislich des § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V
46
Einigen sich die Parteien nicht auf eine Schiedsperson, so wird diese von der von der
47
für die Krankenkasse zuständigen Aufsichtsbehörde bestimmt.
ist der Aufsichtsbehörde kein Entschließungsermessen eingeräumt. Sie hat (nur) ein
Auswahlermessen.
48
Ist die Behörde ermächtigt, bei der Entscheidung nach ihrem Ermessen zu handeln, hat
sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die
gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (vgl. § 39 Abs. 1 Erstes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB I) betreffend Sozialleistungen). Das der Behörde eingeräumte
Ermessen ist kein freies Ermessen. Sie hat ihre Entscheidung nach sachlichen
Gesichtspunkten unter gerechter und billiger Abwägung der Belange der betroffenen
Beteiligten und unter Beachtung von Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten, des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowie der gesetzlichen Grenzen des Ermessens zu
treffen (Klose in Jahn, SGB I, § 39 Rdn. 5 ff.).
49
(1) Zu den an die Schiedsperson zu stellenden personalen Anforderungen ergibt sich
aus dem Wortlaut des § 73b Abs. 4a Satz 2 SGB V nichts. Welche
Eignungsvoraussetzungen vorliegen müssen, lässt sich näherungsweise nur
bestimmen, wenn die Aufgaben der Schiedsperson im Schiedsverfahren nach § 73b
Abs. 4a SGB V näher beleuchtet werden. Nach dieser Vorschrift obliegt es der
Schiedsperson, die fehlende Einigung der Vertragsparteien zu ersetzen. In welchem
Umfang die Schiedsperson zu entscheiden hat, hängt davon ab, in wie vielen und
welchen Punkten eine Einigung zwischen den Vertragsparteien nicht herbeigeführt
werden konnte (vgl. Gesetzesbegründung zum GKV-OrgWG, BT.-Drs. 16/10609, S. 68,
Anlage 1). Die Schiedsperson legt ein besonderes Versorgungsangebot fest, das eine
gesetzliche Krankenkasse ihren Versicherten anzubieten hat (vgl. § 73b Abs. 1 SGB V).
Demzufolge muss sie mit Bedeutung, Funktion und Struktur der Gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) vertraut sein (fachliche Qualität). Hinzu tritt die persönliche
Eignung. So ergibt sich aus der Natur der Sache, dass die Schiedsperson in der Lage
sein muss, das Verfahren neutral und ausgewogen zu führen, um divergierende
Interessen auszugleichen.
50
Ausgehend hiervon vermag der Senat einen Fehlgebrauch hinsichtlich des
Auswahlermessens nicht zu erkennen. Die Schiedsperson ist fachlich und persönlich
geeignet. Auf die Ausführungen im Bestimmungsbescheid ist zu verweisen.
51
(2) Über die solchermaßen definierten personalen Anforderungen hinaus ist im Rahmen
der Ermessensbetätigung allerdings auch der mit der Einführung der hausarztzentrierten
Versorgung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Nach der Gesetzesbegründung zum
GKV-OrgWG dient das Schiedsverfahren der "raschen Sicherstellung" eines
flächendeckenden Angebots der hausarztzentrierten Versorgung (vgl. BT-Drs.
16/10609, S. 68, Anlage 1). Um dieses Ziel zu erreichen, wurde die Umsetzungsfrist bis
zum 30.06.2009 festgelegt und qualifizierten Gemeinschaften die Möglichkeit eröffnet,
ein Schiedsverfahren einzuleiten, wenn eine Einigung mit der Krankenkasse entgegen
der Verpflichtung zum Abschluss von Verträgen zur hausarztzentrierten Versorgung
nicht zustande kommt (§ 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V). Dem Ziel der "raschen
Sicherstellung" dient ferner, dass der Gesetzgeber die aufschiebende Wirkung von
Klagen gegen die Bestimmung einer Schiedsperson beseitigt hat (§ 73b Abs. 4a Satz 4
SGB V). Angesichts dieser Zielsetzung ist es nicht zu beanstanden, dass die
Antragsgegnerin für die Bezirke der Kassenärztlichen Vereinigungen jeweils einheitlich
nur wenige Schiedspersonen bestimmt hat. In der Pressemitteilung vom 01.07.2009
52
heißt es hierzu:
Schiedsverfahren bei hausarztzentrierter Versorgung Die den Krankenkassen vom
Gesetzgeber gesetzte Frist zum Abschluss von Verträgen zur hausarztzentrierten
Versorgung nach § 73 b SGB V ist gestern abgelaufen. Von Ausnahmen abgesehen
sind keine entsprechenden Vereinbarungen zustande gekommen. Da auch keine
Einigung über die Schiedspersonen der für diesen Fall vorgesehenen Schiedsverfahren
erzielt werden konnte, liegt es nun bei den Aufsichtsbehörden, diese zu bestimmen.
Dazu erklärte der Präsident des Bundesversicherungsamtes, Josef Hecken: "Um die
hausarztzentrierte Versorgung jetzt möglichst bald auf den Weg zu bringen, halte ich es
für unerlässlich, die Schiedsverfahren zu bündeln, indem nur wenige Schiedspersonen
eingesetzt werden." Für die bundesunmittelbaren Krankenkassen sind vorgesehen in:
Bayern und Baden-Württemberg Herr F L F Nordrhein-Westfalen Herr H X, MdB
Schleswig-Holstein, Berlin, Brandenburg, Sachsen, Herr Dr. B O Sachsen-Anhalt,
Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern Saarland, Rheinland-Pfalz, Hessen,
Niedersachsen, Herr X O Hamburg und Bremen Ein großer Teil der Länder hat bereits
erklärt, sich diesem Verfahren auch für ihre Kassen anzuschließen. Mit den anderen
läuft das Abstimmungsverfahren noch.
53
Das gesetzgeberische Ziel der raschen Sicherstellung eines flächendeckenden
Angebots wäre in Frage gestellt, wenn für jedes einzelne Schiedsverfahren nach § 73b
Abs. 4a SGB V eine jeweils andere Schiedsperson eingesetzt werden müsste.
Angesichts einer hohen Zahl bundesweit anhängiger oder beantragter
Schiedsverfahren dürfte es schon an einer ausreichenden Zahl fachlich qualifizierter
potentieller Schiedspersonen fehlen, um für jedes Schiedsverfahren eine eigene
Schiedsperson zu bestimmen (so das unstreitige Vorbringen der Antragsgegnerin).
Ferner erscheint es aus organisatorischen Gründen zumindest als zweckmäßig, eine
Schiedsperson für das einer KV-Region entsprechende Gebiet zu bestimmen, da
insoweit vielfach vergleichbare Strukturen vorliegen. Zudem gewährleistet dieses
Procedere auch für die Krankenkassen ein gewisses Maß an Rechtssicherheit, da
dieselbe Schiedsperson wegen ihrer Kenntnis der anderen Verträge mehr Kontinuität
bei der Festlegung der Vertragsinhalte sicherstellen kann.
54
(3) Auch dem weitergehenden Vortrag der Antragstellerin, die bereits im Vorfeld erfolgte
Festlegung der Antragsgegnerin auf bestimmte Schiedspersonen zeige, dass eine
Ermessensausübung im Einzelfall nicht stattgefunden habe, vermag der Senat nicht zu
folgen. Zwar hat sich die Antragsgegnerin - wie aufgezeigt - frühzeitig für bestimmte
Schiedspersonen entschieden; das ist indessen unschädlich, da dies geschah, um den
Auftrag des Gesetzgebers zu erfüllen, die hausarztzentrierte Versorgung möglichst
zügig einzuführen.
55
(4) Soweit die Antragsgegnerin darauf verweist, wegen der beschränkten Anzahl an
qualifizierten und verfügbaren Schiedspersonen habe dem Antrag der Antragstellerin,
für sie einheitlich eine Schiedsperson zu bestellen, nicht entsprochen werden könne,
wird dies von sachlichen Gründen getragen. Wäre die Antragsgegnerin dem Antrag
gefolgt, hätte sie aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes auch den anderen
Krankenkassen jeweils eine Schiedsperson zuweisen müssen; dies wäre aufgrund der
Vielzahl von Krankenkassen und der im Verhältnis hierzu geringen Menge an
potentiellen Schiedspersonen schwerlich umsetzbar gewesen. Die Entscheidung, für
den Beigeladenen letztlich einheitlich eine Schiedsperson zu bestimmen, war
gerechtfertigt, um dem Willen des Gesetzgebers, der auf eine rasche flächendeckende
56
Umsetzung der hausarztzentrierten Versorgung gerichtet ist, hinreichend Rechnung zu
tragen. Diese Entscheidung erweist sich auch als zweckmäßig, da innerhalb einer KV-
Region ähnliche Strukturen und Verhältnisse herrschen.
(5) Die Auffassung der Antragstellerin, die Antragsgegnerin hätte sich bei der
Bestimmung der Schiedsperson damit auseinander setzen müssen, dass sie - die
Antragstellerin - eine bundesweit tätige Krankenkasse ist, führt wegen der gesetzlichen
Ausgestaltung der hausarztzentrierten Versorgung in § 73b SGB V nicht weiter. Nach §
73b Abs. 4 Satz 1 SGB V sind die HzV-Verträge jeweils für den Bezirk der
verschiedenen Kassenärztlichen Vereinigungen zu schließen. Schon deswegen
erscheint es als zweckmäßig, die Schiedsverfahren nach den KV-Bezirken bei jeweils
wenigen Schiedspersonen zu bündeln. Die in den Bezirken mehrerer Kassenärztlicher
Vereinigungen oder sogar bundesweit tätigen Krankenkassen sind nach § 73b SGB V
ohnehin verpflichtet, jeweils einzelne Verträge mit qualifizierten Gemeinschaften in den
jeweiligen KV-Bezirken zu schließen. Ein bundesweit einheitlicher Vertragsschluss ist
nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht vorgesehen. Damit soll zum einen regionalen
Unterschieden in der Bevölkerungsstruktur, aber auch in der Struktur der hausärztlichen
Versorgung Rechnung getragen werden. Zugleich können die Besonderheiten der
jeweiligen Kasse berücksichtigt werden. Der gesetzlich vorgesehene regionale
Vertragsschluss setzt sich auch verfahrensmäßig in den Schiedsverfahren fort. Ob sich
die jeweiligen Parteien eines HzV-Vertrages auf einen Vertragsinhalt einigen können,
ist von Region zu Region unterschiedlich. Ob überhaupt Schiedsverfahren eingeleitet
werden müssen und wann dies geschieht, kann sich daher nach den einzelnen KV-
Bezirken unterscheiden. Auch eine Einigung auf eine Schiedsperson kann je nach KV-
Bezirk zwischen den jeweiligen Parteien unterschiedlich erfolgen. Eine bundesweit
einheitliche Bestimmung einer Schiedsperson für einzelne Krankenkassen erscheint
daher insoweit als wenig zweckmäßig. Letztlich fordert die Antragstellerin, die von der
Antragsgegnerin vorgesehene Konzentration anhand des räumlichen Geltungsbereichs
der zu schließenden HzV-Verträge aufzuheben und stattdessen die Schiedsverfahren
bundesweit nach Maßgabe der beteiligten Krankenkassen zu bündeln. Das liefe
letztendlich darauf hinaus, die sachgerechte Entscheidung der Antragsgegnerin
zugunsten einer Bündelung anhand des räumlichen Geltungsbereichs der zu
schließenden HzV-Verträge durch eine diametral gegenläufige und der gesetzlichen
Wertung des § 73b Abs. 4 SGB V widersprechende Entscheidung zu ersetzen. Hierzu
besteht aus den dargelegten Gründen keine Notwendigkeit.
57
(6) Im Übrigen wird nach § 73b Abs. 4a S. 2 SGB V die Schiedsperson von der für die
Krankenkasse zuständigen Aufsichtsbehörde erst dann bestimmt, wenn sich die
Parteien nicht auf eine solche einigen. Die Chance auf diese grundsätzlich mögliche
Einigung auf eine ihr genehme Schiedsperson, möglicherweise auch für mehrere oder
sämtliche KV-Bezirke, hat die Antragstellerin verstreichen lassen. Der Beigeladene hat
ihr mit Schreiben vom 22.06.2009 als unabhängige Schiedsperson Prof. Dr. L
vorgeschlagen. Die Antragstellerin hat weder hierauf reagiert noch hat sie dem
Beigeladenen einen eigenen Vorschlag unterbreitet.
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(7) Soweit die Antragstellerin meint, die Bestimmung einer Schiedsperson für eine
Mehrzahl von Schiedsverfahren führe faktisch dazu, dass kollektivrechtliche Verträge
geschaffen werden, trifft das nicht zu. Das Schiedsverfahren wird ausweislich § 73b
Abs. 4 S. 2 und Abs. 4a SGB V zwischen den Vertragsparteien geführt. Das sind die
jeweilige Krankenkasse und die Gemeinschaft der Allgemeinärzte im Gebiet einer
Kassenärztlichen Vereinigung. Zwischen diesen Parteien wird mittels des
59
Schiedsverfahrens eine vertragliche Regelung hinsichtlich der strittigen Punkte
herbeigeführt. Die Verträge wirken allein inter partes. Infolgedessen wird eine
selektivvertragliche Regelung geschaffen. Überdies bleibt es den Vertragsparteien
unbenommen, ihre jeweiligen Vorstellungen zum Vertragsinhalt in das
Schiedsverfahren einzubringen. Sofern eine Schiedsperson mehrere Verfahren
durchführt, ändert sich hieran nichts. Sollten die verschiedenen Verträge Ähnlichkeiten
aufweisen, ergibt sich dies schlicht daraus, dass Gegenstand des Schiedsverfahrens
ein von sämtlichen Krankenkassen anzubietendes umgrenztes Versorgungsangebot für
Versicherte der GKV ist und die regionalen Strukturen ggf. nicht grundlegend
voneinander abweichen. Zudem sind durch § 73b Abs. 2 SGB V inhaltliche
Anforderungen an die hausarztzentrierte Versorgung vorgegeben, die naturgemäß zu
einer Vertragsähnlichkeit führen, ohne dass deswegen Kollektivverträge vorliegen.
Hieran würde auch die Benennung unterschiedlicher Schiedspersonen im Gebiet einer
Kassenärztlichen Vereinigung nichts ändern. Zudem unterliegt es der
Dispositionsfreiheit der Parteien, welche Punkte sie streitig stellen und inwieweit die
Schiedsperson sodann entscheiden muss.
(8) Das Vergaberecht findet nur auf öffentliche Aufträge Anwendung (§ 97 Gesetz gegen
Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)). Die Voraussetzung liegt nicht vor. Öffentliche
Aufträge sind entgeltliche Verträge von öffentlichen Auftraggebern mit Unternehmen
über die Beschaffung von Leistungen, die Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen zum
Gegenstand haben (§ 99 Abs. 1 GWB). Eine Ausschreibepflicht kommt schon deshalb
nicht in Frage, weil die Bestimmung einer Schiedsperson durch die Antragsgegnerin
keinen öffentlichen Auftrag darstellt. Die Antragsgegnerin hat keine vertraglichen
Beziehungen zu der von ihr bestimmten Schiedsperson. Sie bestimmt nach § 73b Abs.
4a Satz 2 SGB V lediglich dann eine Schiedsperson, wenn die Parteien sich nicht selbst
auf eine Schiedsperson einigen können. Die Antragsgegnerin hat damit nur subsidiäre
und ersetzende Befugnisse. Zudem wird die Schiedsperson nur im Verhältnis der
Parteien des HzV-Vertrages zueinander tätig. Sie legt bei fortdauerndem Dissens fest,
was zwischen diesen Parteien Vertragsinhalt werden soll. Die Antragsgegnerin ist am
Schiedsverfahren nicht beteiligt. Die Bestimmung der Schiedsperson stellt somit für die
Antragsgegnerin keinen Beschaffungsvorgang zur Deckung eines eigenen Bedarfs dar
(§ 99 Abs. 1 GWB), sondern ist lediglich eine "Hilfsmaßnahme" im Rahmen eines für die
Antragsgegnerin fremden Schiedsverfahrens, um die dafür erforderliche aber
fehlgeschlagene Einigung auf eine Schiedsperson zu ersetzen. Hierin erschöpfen sich
Tätigkeit und Interesse der Antragsgegnerin. Diese zahlt der von ihr bestimmten
Schiedsperson auch keinerlei Vergütung. Die Kosten des Schiedsverfahrens werden
gem. § 73b Abs. 4a Satz 3 SGB V allein von den Parteien des Schiedsverfahrens
getragen. Demzufolge fehlt es auch an dem Merkmal der Entgeltlichkeit i.S.v. § 99 Abs.
1 GWB. Im Übrigen stünde § 100 Abs. 2 Ziff. i) GWB der Anwendung des Vergaberechts
entgegen. Das Vergaberecht gilt hiernach nicht für Aufträge über Schiedsgerichts- und
Schlichtungsleistungen. Nach Erwägungsgrund 26 zu Art. 16 Ziff. c) der EG-
Vergabekoordinierungsrichtlinie, die mit § 100 Abs. 2 Ziff. i) GWB in deutsches Recht
transformiert wurde, werden Schiedsgerichts- und Schlichtungsdienste üblicherweise
von Organisationen oder Personen übernommen, deren Bestellung oder Auswahl in
einer Art und Weise erfolgt, die sich nicht nach Vergabevorschriften für öffentliche
Aufträge richten kann. Bei der Auswahl spielen überwiegend vertrauensgeprägte
Aspekte eine Rolle. Solche können mit vergaberechtlichen Wertungskriterien nicht
(vollständig) abgedeckt werden. Dieser Rechtsgedanke ist auch bei der Bestimmung
der Schiedsperson durch die Aufsichtsbehörde nach § 73b Abs. 4a S. 2 SGB V
einschlägig. Losgelöst hiervon sind auch die Schwellenwerte nach § 2 der
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Vergabeverordnung i.V.m. §§ 100 Abs. 1, 127 Nr. 1 GWB unterschritten, so dass auch
aus diesem Grund keine Ausschreibepflicht besteht. Es ist nicht erkennbar, dass die
Kosten der Schiedsperson den Schwellenwert für Dienstleistungsaufträge von obersten
und oberen Bundesbehörden in Höhe von 137.000,00 EUR nach § 2 Nr. 2 der
Vergabeverordnung bzw. in Höhe von 125.000,00 EUR nach der EG-
Vergabekoordinierungsrichtlinie erreichen.
dd) Die Ausführungen zu II. 1. b) belegen, dass die Klage in der Hauptsache keine
Aussicht auf Erfolg hat. Einer Abwägung des Vollziehungs- und Aussetzungsinteresses
bedarf es daher nicht.
61
2. Antrag zu 2)
62
Der hilfsweise gestellte Antrag zu 2) ist unzulässig. Dies folgt aus dem fehlenden
Rechtsschutzinteresse (a)) und daraus, dass die Antragsgegnerin insoweit nicht
richtiger Antragsgegner ist (b)).
63
a) Der Antragstellerin fehlt das Rechtsschutzinteresse für die mit dem Antrag zu 2)
begehrte Sicherungsanordnung (§ § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG). Ihr geht es um
vorbeugenden Rechtsschutz, da die Vertragsinhalte von der Schiedsperson erst in der
Zukunft festgesetzt werden. Sie hat indes kein besonderes Interesse dargetan, das
einen vorbeugenden Rechtsschutz rechtfertigen könnte. Das SGG kennt nur
nachträglichen Rechtsschutz. Geht es - wie hier - um vorbeugenden einstweiligen
Rechtsschutz, müssen besonders strenge Anforderungen beachtet werden, die aus dem
Gebot der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz (GG)) resultieren.
Grundsätzlich muss der Erlass eines belastenden Verwaltungsakts abgewartet werden,
um anschließend den Rechtsschutz in der Hauptsache (Widerspruch, Klage) und ggf.
einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Mehr ist auch aus dem
Verfassungsgebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht herzuleiten.
Nur dann, wenn das Abwarten der Verwaltungsentscheidung und die Inanspruchnahme
des nachgängigen (einstweiligen) Rechtsschutzes mit unzumutbaren Nachteilen
verbunden wäre, gebietet Art. 19 Abs. 4 GG, vorbeugenden einstweiligen Rechtsschutz
zu gewähren (Düring in Jansen, a.a.O.). Dies ist etwa dann denkbar, wenn mit der
Entscheidung der Schiedsperson bereits ein nicht wieder gutzumachender Schaden
entstünde. In allen anderen Fällen muss die Entscheidung der Schiedsperson
abgewartet werden. Hierzu ist nichts ersichtlich und nicht dargetan. Im Übrigen ist das
Verfahren nach § 86b Abs. 2 SGG nachrangig gegenüber jenem nach § 86b Abs. 1
SGG. Maßgeblich ist insoweit, ob in der Hauptsache ein Anfechtungswiderspruch bzw.
eine Anfechtungsklage statthaft ist und diese Rechtsbehelfe gem. § 86 a Abs. 2 SGG
keine aufschiebende Wirkung haben. In allen anderen Fällen ist der Anordnungsantrag
nach § 86b Abs. 2 SGG die statthafte Antragsart. Es kann hier dahinstehen, ob die
Entscheidung der Schiedsperson einen Verwaltungsakt darstellt oder nicht. In keinem
Fall sind die Voraussetzungen für eine Sicherungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1
SGG gegeben. Stellt die Entscheidung der Schiedsperson einen Verwaltungsakt dar,
wäre § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG gegenüber dem Verfahren nach § 86b Abs. 2 SGG
vorrangig und die Antragstellerin auf dieses Verfahren zu verweisen.
64
b) Schließlich ist die Antragsgegnerin für den Antrag zu 2) nicht die richtige
Antragsgegnerin. Sie ist nicht materiell verpflichtet, mithin nicht passiv legitimiert. Die
Schiedsperson legt die Vertragsinhalte fest. Soweit sie durch Verwaltungsakt
entscheidet, müsste eine Klage oder ein entsprechender Antrag auf einstweiligen
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Rechtsschutz in einem neuen Verfahren gegen die Schiedsperson gerichtet werden.
Setzt die Schiedsperson den Vertragsinhalt hingegen entsprechend § 317 Bürgerliches
Gesetzbuch (BGB) fest, müsste eine der Vertragsparteien gegenüber der anderen ein
gerichtliches Verfahren anstrengen. Die Aufsichtsbehörde ist in keinem dieser
potentiellen Rechtsstreitigkeiten passiv legitimiert.
III.
66
Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 4, 52 Abs. 2
Gerichtskostengesetz (GKG). Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des
Streitwerts hingegen keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5.000,00
EUR (Auffangstreitwert) anzunehmen. Hiervon ist auszugehen, da das wirtschaftliche
Interesse der Antragstellerin nicht beziffert werden kann und genügend tatsächliche
Anhaltspunkte für eine Schätzung fehlen. Ein Abschlag unter dem Gesichtspunkt der
Vorläufigkeit des Verfahrens von 50 % ist nicht gerechtfertigt. Ein Streitwert von 2.500,00
EUR würde der Bedeutung der Angelegenheit nicht hinreichend Rechnung tragen.
67
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2
VwGO. Die Kosten des Beigeladenen sind nach § 161 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig,
da er Anträge gestellt und das Verfahren wesentlich gefördert hat.
68
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
69