Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 23.08.2006

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Landessozialgericht NRW, L 20 B 26/06 SO
Datum:
23.08.2006
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 20 B 26/06 SO
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 27 SO 172/05
Sachgebiet:
Sozialhilfe
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Prozesskostenhilfe
versagenden Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 18.01.2006
wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
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Die zulässige Beschwerde der Klägerin vom 16.02.2006, der das Sozialgericht nicht
abgeholfen hat (Nichtabhilfebeschluss vom 09.02.2006), ist unbegründet.
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Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 18.01.2006 die beantragte Prozesskostenhilfe
zu Recht versagt. Die Voraussetzungen der §§ 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG), § 114
ff. Zivilprozessordnung (ZPO) sind nicht gegeben. Der auf Gewährung einer
Renovierungsbeihilfe gerichteten Klage fehlt die hinreichende Erfolgsaussicht.
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Hinreichende Erfolgsaussicht ist grundsätzlich dann gegeben, wenn das Gericht den
Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der
vorliegenden Unterlagen zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in
tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Hält das
Gericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens oder eine andere
Beweiserhebung von Amts wegen für notwendig, so kann in der Regel eine
hinreichende Erfolgsaussicht nicht verneint werden. Auch wenn eine Rechtsfrage
aufgeworfen wird, die in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, aber klärungsbedürftig
ist, muss Prozesskostenhilfe bewilligt werden (vgl. Keller/Leitherer in Meyer-Ladewig
u.a., SGG, 8. Auflage § 73 a RdNr. 7 ff.).
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Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nach der gebotenen summarischen Prüfung
zur Überzeugung des Senats nicht schon wegen der aufgeworfenen Rechtsfragen
geboten. Der Senat teilt die vom Sozialgericht vertretene Auffassung, die Verpflichtung
der hier Beklagten komme schon deshalb nicht in Betracht, weil diese nicht mehr für die
Leistungsgewährung zuständig sei, nicht.
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Die Klägerin bezieht seit dem 01.01.2005 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch
Zweites Buch (SGG II). Der Antrag auf Gewährung einer Renovierungsbeihilfe für die
am 16.05.2003 bezogene Wohnung Junkernufer 3, Iserlohn datiert vom 25.11.2004,
mithin zu einem Zeitpunkt, zu dem das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) noch
anzuwenden war.
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Als Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin kommen die §§ 11, 12 Abs. 1,
21 Abs. 1 und Abs. 1a Nr. 5 BSHG in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung in
Betracht, auch wenn das BSHG gemäß Art. 68 des Gesetzes zur Einordnung des
Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 gemäß Art. 70 dieses
Gesetzes mit dem 01.01.2005 aufgehoben worden ist. Eine Übergangsregelung für
Fälle, in denen zur Bedarfsdeckung noch im Jahre 2004 einmalige Leistungen beantragt
wurden, über die der Sozialhilfeträger noch nicht abschließend entschieden hat, fehlt.
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Es bedarf deshalb der Klärung, ob zumindest für einmalige Leistungen nach dem BSHG
nach den Vorschriften dieses Gesetzes zu entscheiden ist, auch wenn der
Widerspruchsbescheid erst nach dem 31.12.2004 erlassen wurde. Dies wird in der
hierzu bereits vorliegenden Rechtsprechung mit beachtlicher Begründung zum Teil
bejaht (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.04.2006, L 8 SO
80/05; VG Berlin, Beschluss vom 24.05.2005, 18 A 6.05). Insoweit erscheint eine
Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
erforderlich, nach der bei einmaligen sozialhilferechtlichen Leistungen für die
Beurteilung der Sach- und Rechtslage nicht die Zeit ab Antragstellung, sondern der
Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides maßgeblich sein soll (vgl.
BVerwG Urteil vom 03.12.1992, 5 C 15/90 = NVwZ 1993, 777), und der weitergehenden
Frage, ob diese Rechtsprechung nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts
(vgl. hierzu Landessozialgericht Niedersachsen- Bremen a.a.O.; Kopp, Grundsätze des
intertemporalen Verwaltungsrechts, Sozialgerichtsbarkeit 1993, Seite 593 ff.) in
Konstellationen, wie der vorliegenden, die Beurteilung auf der Grundlage des bis zum
31.12.2004 geltenden Rechts ausschließt.
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Die Anwendung des BSHG entspricht nach Auffassung des Senats insoweit den
Grundsätzen des intertemporalen Rechts, die besagen, dass zu prüfen ist, ob das neue
Recht den Anspruch erhebt, den durch das alte Recht etwa begründeten Anspruchs zu
verändern oder unberührt zu lassen. Da sich Deratiges aus den Vorschriften des SGB II
bzw. SGB XII nicht ablesen lässt, verbleibt es dabei, dass sich die Beurteilung eines
Sachverhalts grundsätzlich nach dem materiellen Recht richtet, das im Zeitpunkt seiner
Entstehung galt. Es tritt nur ein scheinbarer Widerspruch zu Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) auf. Damit ist keineswegs gesagt, dass die
Grundsätze des intertemporalen Rechts verdrängt werden.
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Dass ein Anspruch auf Gewährung einer einmaligen Leistung nach §§ 11 Abs. 1 Satz 1,
12 Abs. 1 Satz 1, 21 Abs. 1a Nr. 5 BSHG ggf. auch nach dem außer Kraft tretendes
BSHG noch gerichtlich geltend gemacht werden kann, wird von der Beklagten jedenfalls
eingeräumt. Ob der Beklagten allerdings insoweit zu folgen ist, als mangels Bestehens
einer existenziellen einmaligen Bedarfslage maßgeblich die Sach- und Rechtslage im
Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides sei, mit der Folge, dass die
Änderungen im materiellen Recht und der Fortfall des BSHG zu beachten wären, bedarf
hier nicht der Klärung.
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Denn auch bei Anwendung des bei Antragstellung maßgeblichen Rechts des BSHG
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erscheint ein Obsiegen der Klägerin in der Hauptsache unwahrscheinlich.
Zwar waren auf der Grundlage des § 21 Abs. 1a Nr. 5 BSHG einmalige Leistungen der
Hilfe zum Lebensunterhalt insbesondere zur Instandhaltung der Wohnung zu leisten.
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Hilfe zum Lebensunterhalt war dabei nach § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG dem zu gewähren,
der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen
Kräften und Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen und Vermögen, beschaffen kann.
Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 BSHG umfasste der notwendige Lebensunterhalt u.a. die
Unterkunft. Neben den laufenden Unterkunftskosten konnten hierzu auch
Aufwendungen für angemessene und notwendige "Schönheitsreparaturen" zählen (vgl.
BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1979 - V C 39.76 -, FEVS 28, 353 ; OVG NRW,
Beschluss vom 23. Juli 1992 - 8 E 718/92 -, FEVS 44, 55). Um Schönheitsreparaturen
im eigentlichen Sinne dürfte es sich bei den durch Lichtbilder dokumentierten Mängeln
aber gerade nicht handeln. Diese Mängel existierten nach dem bisherigen Vortrag der
Klägerin bereits bei ihrem Einzug am 16.05.2003. Letztlich begehrt die Klägerin somit
die Erstattung von Kosten einer Einzugs- oder Anfangsrenovierung. Im
Übergabeprotokoll vom 07.05.2003 sind die im Klageverfahren geltend gemachten
Mängel nicht oder nicht detailliert aufgeführt. Hinsichtlich der Bemerkungen zum
Zustand der Mietsache findet sich zwar eine Mängelaufstellung (etwa " 5) Fußböden
farbverdreckt und 6) Tapeten an den Wänden"). Sodann findet sich allerdings der
Zusatz: "Die Mängel zu den Punkten 5, 6 sind dem Mieter bekannt. Der Mieter
übernimmt die Wohnungseinheit im derzeitigen Zustand. Ihm ist bewusst, das er
hierdurch nicht von seiner Pflicht zur Endrenovierung bei späterer Wohnungskündigung
befreit ist".
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Hat die Klägerin sich insoweit ihres Anspruchs auf Durchführung einer
Anfangsrenovierung durch den Vermieter ggf. begeben, so wird sie diesen zu Lasten
der Allgemeinheit nicht ohne Weiteres durchsetzen können. Zu Recht verweist die
Beklagte darauf, dass vorrangig Ansprüche gegen den Vermieter aufgrund der
maßgeblichen Bestimmungen des Mietrechts durchzusetzen gewesen wären
(Nachrangsgrundsatz des § 2 Abs. 1 BSHG; vgl. auch zur mietrechtlichen Problematik
LG Berlin, Urteil vom 19.06.1990, 64 S 35/90). Der bisherige Vortrag der Klägerin, sie
habe wegen der Verpflichtung im gerichtlichen Vergleich in der Familiensache gegen
ihren geschiedenen Ehemann (Amtsgericht Iserlohn) vom 13.03.2003 dringend - bis
zum 15.05.2003 - eine eigene (neue) Wohnung beziehen müssen, rechtfertigt
(nachträglich) die Gewährung einer Renovierungsbeihilfe nicht. Die Beklagte hat zu
Recht darauf hingewiesen, dass der Klägerin zur Wohnungssuche ein Zeitraum von
über zwei Monaten zur Verfügung stand. Anhaltspunkte für eine besondere
Wohnungsknappheit im maßgeblichen Zeitraum liegen nicht vor. Insbesondere
entspricht die hier zu entscheidende Konstellation nach dem gegebenen Sachstand
nicht der vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 21.09.1990
entschiedenen (24 A 1075/87), in dem sich der Hilfesuchende bei langherrschender
Wohnungsnot bereit erklärt hatte, eine nicht bewohnbare Wohnung selbst herzurichten.
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Auch der Mietvertrag vom 29.04.2003 begründet keine Verpflichtung der Klägerin zur
Renovierung beim Einzug. Ob die Überwälzung der Schönheitsreperaturen auf die
Klägerin nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einer
zivilgerichtlichen Prüfung standhält, erscheint zudem, sofern man davon ausgehen
würde, dass die Klägerin lediglich Schönheitsreparaturen durchzuführen beabsichtigte,
zweifelhaft (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 05.04.2006, VIII ZR 106/05).
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Für die Beklagte war ein Renovierungsbedarf bereits bei Einzug aus dem vorgelegten
Mietvertrag nicht erkennbar. Sie hat hiervon erst aufgrund Antragstellung im November
2004 Kenntnis erlangt. Die Klägerin kann sich daher nicht darauf berufen, die Beklagte
habe einen etwaigen Bedarf gekannt und (konkludent) anerkannt, etwa durch
Zustimmung zum Umzug in die neue Wohnung (vgl. hierzu VG Münster, Urteil vom
21.02.2006, 5 K 4368/03).
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Nach alledem erweist sich der Beschluss des Sozialgerichts unter insbesondere des
bisherigen Sachvortrages der Beteiligten im Ergebnis als zutreffend.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
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