Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 14.01.2009

LSG NRW: zwangsarbeit, unterhalt, altersrente, aufenthalt, wartezeit, verfügung, familie, freiheitsentziehung, stadt, firma

Landessozialgericht NRW, L 8 R 228/05
Datum:
14.01.2009
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 8 R 228/05
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 54 (11) RJ 120/04
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 09.11.2005 geändert. Die Beklagte wird unter
Aufhebung des Bescheides vom 04.07.2003 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 25.05.2004 verurteilt, dem Kläger
Regelaltersrente ab 01.07.1997 unter Berücksichtigung von
Ghettobeitragszeiten von Februar 1941 bis Juni 1942 zu gewähren. Die
Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer
Altersrente unter Berücksichtigung von sogenannten Ghetto-Beitragszeiten aufgrund
einer Beschäftigung im Ghetto Wlodawa in dem Zeitraum von Februar 1941 bis Juni
1942.
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Der jüdische Kläger ist nach der Bescheinigung des israelischen Einwanderungs- und
Meldeamtes am 00.00.1919 in Wlodawa (Polen) geboren. Er war zunächst polnischer
Staatsangehöriger und besitzt nunmehr die israelische Staatsangehörigkeit. Er
wanderte im Jahre 1957 nach Israel aus. Er erhielt aufgrund des Bescheides des
Regierungspräsidenten Köln vom 05.11.1970 eine Beihilfe wegen Freiheitsentziehung
(§ 43 BEG) für den Zeitraum vom 20.08.1940 bis 25.04.1943.
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Unter dem 14.08.1966 gab der Kläger in seinem Entschädigungsverfahren eine
Freiheitsentziehung von Ende 1940 bis Frühling 1943 im "ZAL Falkenberg" in Wlodawa
an.
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In einer eidesstattlichen Erklärung vom 22.10.1968 gab der Kläger im
Entschädigungsverfahren an, er habe Mitte des Monats Februar 1940 in das Ghetto
Wlodawa zwangsübersiedeln müssen, wo er bis Ende 1940 verblieben sei und schwere
Zwangsarbeit habe leisten müssen, ohne hierfür bezahlt worden zu sein. Ende 1940 sei
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er in das "ZAL Falkenberg/Wlodawa" geschickt worden. Auch dort habe er bis Ende
April 1943 unentgeltlich schwere Zwangsarbeit leisten müssen. Ende April 1943 sei es
ihm schließlich gelungen zu flüchten.
Der 1903 geborene Zeuge N L bestätigte in einer eidesstattlichen Erklärung vom
31.05.1967, mit dem Kläger im Zeitraum von Ende 1940 bis zum Frühling 1943 schwere
Zwangsarbeiten ohne Entlohnung in dem "ZAL Falkenburg" verrichtet zu haben.
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Der 1898 geborene Zeuge W M gab im Entschädigungsverfahren des Klägers unter
dem 25.10.1968 eine im Wesentlichen inhaltsgleiche Erklärung ab.
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Gegenüber der Jewish Claims Conference -JCC- gab der Kläger unter dem 07.03.1993
an, er sei im Februar 1941 mit seiner Familie im Ghetto Wlodawa interniert worden.
Seine ganze Familie sei in diesem Ghetto liquidiert worden. Er habe
Meliorationsarbeiten geleistet - bei einem Teich, aber auch im Wald, wo er Bäume
gefällt und die Stämme auf den Schultern aus dem Wald getragen habe. Für diese
schwere Arbeit sei das Essen völlig unzureichend gewesen. Im Ghetto Wlodawa sei er
an Bauchtyphus erkrankt. Er sei dann (Nov. 1942) in das AL Adampol gekommen. Dort
habe er bei Feldarbeiten gearbeitet, hauptsächlich beim Graben. Im November 1943 sei
er von Adampol entkommen und habe sich in den Wäldern versteckt. Im Januar 1945
sei er befreit worden.
8
Am 04.11.2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer
Altersrente unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus
Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).
9
Im Fragebogen für Ersatzzeiten gab der Kläger zur Verfolgung durch den
Nationalsozialismus Folgendes an:
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"Febr 1941 - Nov 1942 Ghetto Wlodawa Freiheitsentziehung Nov 1942 - Nov 1943
(Arbeitslager) Freiheitsentziehung Nov 1943 - Jan 1945 versteckt -
Freiheitseinschränkung"
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Im Fragebogen für die Anerkennung von Zeiten unter Berücksichtigung der Vorschriften
des ZRBG gab er an, er habe von Februar 1941 bis November 1942 außerhalb des
Ghettos Wlodawa in Wäldern unter Bewachung von Soldaten gearbeitet. Zu den
verrichteten Arbeiten gab er an: "Mileratia (Falkenberg), Bäume gesägt, Boden
austrocknen, (Wasser) Flüsse umgeändert deren Weg, Entwässerung". Die Arbeit sei
ihm vom Judenrat vermittelt worden. Er habe acht Stunden täglich gearbeitet. Hierfür
habe er "Essen - Nahrungsmittel" erhalten. Die Fragen nach dem Erhalt von Barlohn
und Sachbezügen verneinte er.
12
Mit Bescheid vom 04.07.2003 lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers mit der
Begründung ab, die Angaben des Klägers sprächen dafür, dass er Zwangsarbeit
geleistet habe.
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Dagegen legte der Kläger am 10.07.2003 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er
unter dem 29.03.2004 in einer persönlichen Erklärung aus, er habe seine Tätigkeit aus
freiem Willensentschluss ausgeführt. Obwohl dies keine angenehme Beschäftigung
gewesen sei, sei er froh gewesen, sich so mit den zusätzlichen Lebensmitteln seinen
Lebensunterhalt zu erleichtern, zumal er sich im Ghetto ohne Familie befunden habe. Er
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sei lediglich auf dem Weg und nicht während der Arbeit bewacht worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.05.2004 wies die Beklagte den Widerspruch als
unbegründet zurück.
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Am 03.06.2004 hat der Kläger zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage erhoben. Zur
Begründung hat er geltend gemacht, in einer Vergleichssache (Verfahren des F G) habe
die Beklagte eine Tätigkeit im Ghetto Wlodawa nach dem ZRBG anerkannt.
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In einer vom Kläger beigebrachten Erklärung des F G vom 07.04.2003 aus dessen
Streitverfahren L 3 RJ 21/01 beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen führte
dieser aus, er habe von Juli 1940 bis zum 30.11.1942 außerhalb des Ghettos Wlodawa
für die Firma Falkenberg gearbeitet. Auf dem Weg von und zur Arbeit sei er von einem
Gruppenführer bewacht worden, während der Arbeit nicht. Der Arbeitseinsatz sei
freiwillig und dank Vermittlung des Judenrates des Ghettos zustande gekommen. Im
Rahmen der Firma Falkenberg habe er Kanäle gegraben, damit das Wasser von den
Feldern habe abfließen können, und Baumstämme vom Wald gebracht, die für den
Kanalbau nötig gewesen seien. Er habe 8-10 Stunden täglich gearbeitet. Er habe für die
Arbeit Quittungen erhalten, mit welchen er Nahrungsmittel habe einkaufen können. Er
habe wöchentlich von der Firma einen kleinen Barlohn erhalten, an den Betrag erinnere
er sich nicht, ein kleiner Zusatz zu den Coupons.
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Des Weiteren hat sich der Kläger auf eine von ihm vorgelegte Erklärung der Zeugin T
T1 vom 19.12.2004 berufen. Danach kennt sie den Kläger seit ihrer Jugend, in Wlodawa
seien sie Nachbarn gewesen, sie hätten sich gut gekannt. Sie wisse, dass der Kläger
täglich 8 Stunden bei Entwässerungsarbeiten gearbeitet habe. Als Lohn für seine selbst
gesuchte Arbeit habe er Essen und Lebensmittel für zu Hause erhalten.
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Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.07.2003 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 25.05.2004 zu verurteilen, die Tätigkeiten von Februar
1941 bis November 1942 als glaubhaft gemachte Beitragszeiten nach dem ZRBG
anzuerkennen und die Regelaltersrente zu zahlen.
20
Die Beklagte hat beantragt;
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die Klage abzuweisen.
22
Die Kriterien der Freiwilligkeit und der Entgeltlichkeit seien nicht erfüllt.
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Mit Urteil vom 09.11.2005 hat das SG Düsseldorf die Klage abgewiesen. Zur
Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, dem Kläger stehe ein Anspruch
auf Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten nicht
zu. Es sei nicht überwiegend wahrscheinlich, dass er entgeltlich im Sinne von § 1 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 b ZRBG tätig geworden sei. Das Kriterium der Entgeltlichkeit grenze Ghetto-
Arbeiten nach dem Typus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung einerseits
von der nicht versicherten Zwangsarbeit andererseits ab. Ein Entgelt könne nur dann
angenommen werden, wenn es zum Umfang und der Art der geleisteten Arbeit noch in
einem angemessenen Verhältnis stehe. Allzu geringfügige Leistungen außerhalb eines
jeden Verhältnisses zur erbrachten Leistung hätten keinen Versicherungspflicht
24
begründenden Entgeltcharakter. Die Gewährung von Verpflegung am Arbeitsort stelle
kein versicherungspflichtiges Entgelt dar, da sie als freie Unterhaltsgewährung
versicherungsfrei sei. Bei der Gewährung von Lebensmitteln komme es darauf an, ob
sie nach Umfang und Art des Bedarfs unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch oder
nach vorbestimmtem Maße zur beliebigen Verfügung gegeben worden seien
(Bezugnahmen auf Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03
R). Nach diesen Grundsätzen sei nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger
die von ihm behauptete Beschäftigung in den Wäldern nahe des Ghettos Wlodawa
gegen Entgelt verrichtet habe. Auch ein freiwilliges Beschäftigungsverhältnis sei nicht
überwiegend wahrscheinlich. Gegen einen eigenen Willensentschluss des Klägers
sprächen Indizien, die aus seinen eigenen Erklärungen und denen der Zeugen im
Entschädigungsverfahren zu ersehen seien.
Gegen das ihm am 21.11.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22.11.2005 Berufung
eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, in der Region Generalgouvernement
habe es eine Arbeitsverwaltung durch Judenräte gegeben. Dies habe die Aufnahme
einer freiwilligen, selbstgewählten Arbeit ermöglicht. Nach der BSG-Entscheidung vom
07.10.2004 hätten nur allzu geringfügige Leistungen außerhalb eines jeden
Verhältnisses zur erbrachten Leistung keinen Entgeltcharakter mehr. Nach den
Ausführungen des Historikers Golczewski in seinem Gutachten sei die Grenze der
Geringfügigkeit überschritten gewesen. Im Übrigen seien Lebensmittel nach den
heranzuziehenden damaligen Verhältnissen wertvoller als Lohn gewesen. Auch in
Deutschland habe eine Lebensmittelrationierung bestanden. Nach den Ausführungen
des Historikers Golczewski sei der Ertrag der Ghettoproduktion partiell als Lohn
ausgeschüttet worden, für einen anderen Teil des Ertrags habe der Judenrat
Lebensmittel gekauft und so allgemein das Ghetto versorgt. Auch die nicht in der
Produktion tätigen Menschen (etwa die Angestellten der Ghettoverwaltung etc.) und die
städtischen Dienstleistungen (Abfallbeseitigung etc.) seien außer aus den von dem
Judenrat direkt erhobenen Steuern und Gebühren eben aus den so erwirtschafteten
Erträgen bezahlt worden. Nach den historischen Erkenntnissen könne es als gesichert
angesehen werden, dass die erforderlichen versicherungsrechtlichen Grundsätze, wie
die Aufnahme einer Beschäftigung aus eigenem Entschluss und einer dem
Beschäftigten selbst zufließenden Entlohnung erfüllt seien.
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Zur weiteren Stützung seines Begehrens hat der Kläger eine Erklärung von N1 L1
(früher L2), Kläger in dem Verfahren L 8 R 263/05 des Senats, aus dem Jahre 1965
beigebracht, die dieser offensichtlich in einem Entschädigungsverfahren des M1 M2
abgegeben hat. Diese Erklärung hat folgenden Wortlaut: " Anfang 1940 bin ich mit dem
o.g. M1 M2 zusammen in die Zwangsarbeitsgruppe für Ameliortions und
Wasserwirtschaft und Forstwirtschaft der Holzheimer Gesellschaft unter Leitung von C
G1 zugewiesen. Wir pflegten in Gruppen unter Wache zur Arbeit geschelpt zu werden
und Abends wieder ins Ghetto eingeliefert. Später ist für uns ein Sonderlager
(geschlossen und stark bewacht) direkt an der Grenze des Ghettos in Wlodawa errichtet
worden. Diese Lager ist mit fast allen Insassen am 30. April 1943 von besonderen SS,
SA und ukrainischen Einheiten vernichtet worden."
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.11.2005 zu ändern und die Beklagte
unter Aufhebung des Bescheides vom 04.07.2003 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 25.05.2004 zu verurteilen, ihm Regelaltersrente ab
28
01.07.1997 unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten nach dem ZRBG von
Februar 1941 bis Juni 1942 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Sie ist der Auffassung, beim Kläger habe in der
streitgegenständlichen Zeit kein freiwilliges und entgeltliches Beschäftigungsverhältnis
vorgelegen.
31
Der Senat hat eine Auskunft von Yad Vashem (YV) vom 05.03.2007 eingeholt, der
Unterlagen zu Wlodawa beigefügt worden sind. Hierbei handelt es sich um einen
Auszug aus "The Encyclopedia of Jewish Life before und during the Holocaust",
herausgegeben von Shmuel Spector, einen Auszug aus "Leben und Fall von Wlodawa
und Umgebung", herausgegeben von Shimon Kanz, einen Auszug aus Pinkas
Hakehillot sowie Zeitzeugenberichte von F1 U, T3 P und von F G. Auf den Inhalt dieser
Unterlagen wird Bezug genommen.
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Der Kläger hat das von Dr. Zarusky in der Streitsache L 8 R 209/07 des Senats am
02.06.2008 erstellte Gutachten beigebracht, auf dessen Inhalt verwiesen wird.
33
Die Unterlagen der JCC zu dem Antrag des Klägers auf Leistungen aus dem
Zwangsarbeiterfonds hat der Senat beigezogen. Die JCC hat mitgeteilt, dass der Kläger
eine Entschädigung aufgrund seines Verfolgungsschicksals im "Arbeitslager
Flackenberg" im Jahr 1943 erhalten habe und Leistungen vom Härtefonds nicht
beantragt worden seien.
34
Yad Vashem hat auf Anfrage des Senats mitgeteilt, dass dort ein Bericht des Klägers
über sein Verfolgungsschicksal nicht vorliege. Ein Zeitzeugenbericht bei der Shoah
Foundation existiert ebenfalls nicht.
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Nach dem von der Beklagten übersandten israelischen Versicherungsverlauf verfügt der
Kläger über 323 Monate an Versicherungszeiten zur israelischen Nationalversicherung.
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Des Weiteren ist der Verwaltungsvorgang der Beklagten betreffend F G, beigezogen
zum Verfahren L 8 R 263/05 (N1 L1) und die in der Entschädigungsakte des N1 L1
enthaltenen Erklärungen von ihm selbst und von K I jeweils vom 10.10.1955 zum
Gegenstand des Verfahrens gemacht worden. Auf den jeweiligen Inhalt wird Bezug
genommen.
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Darüber hinaus hat der Senat eine Aufstellung mit Auszügen aus Erklärungen des N1
L1 vom 10.10.1955 in dessen Entschädigungsverfahren, der Zeugen K I und T2 L3 vom
selben Tag in dem Entschädigungsverfahren des N1 L1 und des W M in den
Entschädigungsverfahren des F G und des Klägers zum Gegenstand der mündlichen
Verhandlung und des Verfahrens gemacht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten, der Verwaltungsakten der Beklagten und der den Kläger betreffenden
Entschädigungsakte sowie der beigezogenen Streitakte L 13 R 211/06 des LSG NRW
betreffend die Zeugin T T1, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen
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sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung des Klägers ist in dem Umfang, in dem der Kläger sie in der
mündlichen Verhandlung aufrechterhalten hat, begründet. Die Klage, die der Kläger
hinsichtlich der anzuerkennenden Ghettobeitragszeiten in zulässiger Weise (vgl. § 99
Abs. 3 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) auf die Zeit von Februar 1941 bis Juni 1942
beschränkt hat, ist begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig
und beschwert den Kläger (§ 54 Abs. 2 SGG). Der Kläger hat Anspruch auf Gewährung
von Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Ghettobeitragszeiten für den Zeitraum
von Februar 1941 bis Juni 1942.
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Der Anspruch auf Altersrente folgt aus § 35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI)
in der bis zum 31.12.2007 maßgebenden Fassung (a.F.; vgl. § 300 Abs. 1 SGB VI) auch
dann, wenn er auf Ghettobeitragszeiten gestützt wird. Die Bestimmungen des ZRBG
stellen demgegenüber keine eigenständige Anspruchsgrundlage für den Anspruch auf
Altersrente dar (BSG, Urteil vom 26.07.2007, B 13 R 28/06, SozR 4-5075 § 1 Nr. 4). Die
Vorschriften des SGB VI sind trotz des Auslandswohnsitzes der Klägerin (vgl. § 30 Abs.
1 1. Buch Sozialgesetzbuch) anwendbar (vgl. dazu BSG, Urteil v. 14.07.1999, B 13 RJ
75/98 R, Juris; BSG, Urteil v. 13.08.2001, B 13 RJ 59/00 R, SozR 3-2200 § 48 Nr. 17).
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Nach § 35 SGB VI a.F. haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie (wie der
am 10.02.1919 geborene Kläger seit dem 10.02.1984) das 65. Lebensjahr vollendet und
die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren erfüllt haben. Die Wartezeit von 5 Jahren kann
mit Beitrags- und Ersatzzeiten im Sinne der §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und 4 SGB VI
erfüllt werden, wobei Ersatzzeiten nach § 250 Abs. 1 SGB VI allerdings nur dann
Berücksichtigung finden, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam
entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt (BSG, Urteil v. 07.10.2004, B 13 RJ
59/03 R, SozR 4-5050 § 15 Nr. 1, m.w.N.). Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach
Bundesrecht oder den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige
Beiträge gezahlt worden sind (§§ 55 Abs. 1 Satz 1, 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI) oder als
gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Der Kläger hat die Wartezeit von 60
Monaten mit 17 Monaten Ghettobeitragszeiten (dazu unter I.), 43 Monaten
Beitragszeiten, die nach dem deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommen
(DISVA) anrechenbar sind (dazu unter II.), erfüllt.
43
I.
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Auf die Wartezeit sind Ghettobeitragszeiten von Februar 1941 bis Juni 1942 nach § 2
Abs. 1 ZRBG anzurechnen. Nach dieser Vorschrift gelten Beiträge als gezahlt für Zeiten
der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto. Gemäß § 1 ZRBG muss der Kläger
sich als Verfolgter (1.) in einem Ghetto (2.), das in einem vom Deutschen Reich
besetzten oder ihm eingegliederten Gebiet gelegen hat (3.), zwangsweise aufgehalten
(4.) haben. Zudem muss er eine Arbeit (5.) in diesem Ghetto (6.) ausgeübt haben, die
eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss (7.) gegen Entgelt (8.) darstellte und
für die der Kläger nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit
erhält (9.). Ferner darf die Anerkennung des Anspruchs nicht aus anderen Gründen
ausgeschlossen sein (10.). Beweismaßstab ist die Glaubhaftmachung (§ 1 Abs. 2 ZRBG
i. V. m. § 3 Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen
Unrechts in der Sozialversicherung [WGSVG]). Das Vorliegen der
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Tatbestandsmerkmale muss also nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf
sämtliche verfügbare Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich sein,
d. h. es muss mehr für als gegen sie sprechen, wobei gewisse noch verbleibende
Zweifel unschädlich sind (vgl. BSG, Beschluss v. 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-
3900, § 15 Nr. 4). Die genannten Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.
1. Der Kläger ist Verfolgter im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG. Der Begriff des
Verfolgten entspricht demjenigen des § 1 Abs. 1 Bundesentschädigungsgesetz -BEG-
(BSG, Urteil v. 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, SozR 4-5075 § 1 Nr 3). Der Kläger erhielt
wegen Freiheitsentziehung gem. § 43 BEG eine Beihilfe (Bescheid des
Regierungspräsidenten Köln v. 05.11.1970), die die Eigenschaft als Verfolgter gem. § 1
Abs. 1 BEG voraussetzt. Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit dieses
Bescheides, sodass seine Bindungswirkung für die Beklagte dahingestellt bleiben kann.
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2. In Wlodawa hat im nunmehr noch geltend gemachten Zeitraum (Februar 1941 bis
Juni 1942) ein Ghetto bestanden. Als Ghetto im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG ist
eine Stadt, ein Stadtteil oder -viertel anzusehen, wo die jüdische Bevölkerung
untergebracht wurde, und zwar im Wege der Absonderung, Konzentration und
Internierung (vgl. Senat, Urteil v. 28.01.2008, L 8 RJ 139/04 [rkr.],
sozialgerichtsbarkeit.de). Die Existenz eines diesen Erfordernissen entsprechenden
Ghettos im Streitzeitraum ist durch das von Dr. Zarusky im Verfahren L 8 R 209/07
erstattete Gutachten belegt, das der Senat zum Gegenstand des Verfahrens gemacht
hat und im Wege des Urkundsbeweises verwertet (§ SGG Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 415,
416 ZPO; vgl. BSG, Urteil v. 24.06.1980, 1 RJ 84/79, Juris, mwN). Danach ist von einem
"geschlossenen" Ghetto bereits ab dem 17.01.1941 (S. 7 ff des Gutachtens)
auszugehen. Die Auflösung des Ghettos ist im Oktober 1942 in Angriff genommen
worden (S. 14 des Gutachtens). Die Richtigkeit dieser Feststellungen ist im Übrigen von
der Beklagten auch nicht bezweifelt worden.
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3. Wlodawa hat im sog. Generalgouvernement, Distrikt Lublin, und damit in einem vom
Deutschen Reich im Anspruchszeitraum besetzten Gebiet gelegen (vgl. im Einzelnen
BSG, Urteil v. 23.08.2001, B 13 RJ 59/00 R, SozR 3-2200 § 1248 Nr. 17).
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4. Der Kläger hat sich jedenfalls in der Zeit von Februar 1941 bis Juni 1942
zwangsweise im Ghetto Wlodawa aufgehalten. Dieser zwangsweise Aufenthalt im
Ghetto Wlodawa ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der Aussagen des Klägers, der
Zeugenaussagen in seinem Entschädigungsverfahren, der Erklärungen von N1 L1 und
K I im Entschädigungsverfahren des N1 L1 jeweils vom 10.10.1955 sowie der
Zeugenerklärung des W M im Entschädigungsverfahren des F G und dessen eigener
Aussagen sowie unter Berücksichtigung der im Gutachten von Dr. Zarusky dargestellten
historischen Erkenntnisse glaubhaft gemacht.
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Der Kläger selbst hat in seiner Erklärung im Entschädigungsverfahren vom 22.10.1968
angegeben, sich ab Februar 1940 bis Ende 1940 im Ghetto Wlodawa und ab Ende
1940 bis Ende April 1943 im ZAL Falkenberg/Wlodawa aufgehalten zu haben. Diese
Angaben wurden im Entschädigungsverfahren durch die Zeugen N L und W M in ihren
wesentlichen Aussagen bestätigt. Gegenüber der JCC erklärte der Kläger hingegen, er
sei im Februar 1941 mit seiner Familie im Ghetto Wlodawa interniert worden und im
November 1942 in das AL Adampol gekommen. Die in den vorgenannten Erklärungen
genannten Daten sind allerdings teilweise unzutreffend. Dieser Gesichtspunkt allein
spricht nicht gegen einen Aufenthalt des Klägers im Ghetto Wlodawa im Streitzeitraum.
50
Denn die Angabe unzutreffender Daten kann auf den verschiedensten Ursachen
beruhen, die nicht zwingend vom Kläger herrühren müssen. Denkbar ist insoweit
beispielsweise eine geringe Mühewaltung in zeitlicher und sachlicher Hinsicht der die
Erklärungen aufnehmenden Personen oder auch Verständigungsschwierigkeiten
zwischen Erklärenden und die Erklärungen aufnehmender bzw. protokollierender
Person. Es stehen allerdings Erklärungen weiterer Personen aus anderen
Streitverfahren mit Bezug zum Ort und Ghetto Wlodawa sowie historische Erkenntnisse
zur Verfügung, die eine Aufklärung des Sachverhalts auch gerade in Bezug auf den
Kläger ermöglichen, was im Vergleich zu den zahlreichen anderen Streitverfahren nach
dem ZRBG, die der Senat zu bearbeiten hatte bzw. hat, eine bislang einmalige
Sondersituation darstellt.
Danach ergibt sich, dass das Ghetto Wlodawa seit dem 17.01.1941 existierte (s. zu 2.).
Die Einrichtung eines Zwangsarbeitslagers für den arbeitsfähigen Teil der jüdischen
Bevölkerung erfolgte nach den insoweit ausführlichen und detailreichen Erklärungen
des N1 L1 sowie des K I jeweils vom 10.10.1955 in dem Entschädigungsverfahren des
N1 L1 Mitte 1942, also etwa Juni/Juli 1942. Zu diesem Zeitpunkt wurden nicht
arbeitsfähige und arbeitsfähige Bevölkerungsteile getrennt und die arbeitsfähigen
Bewohner in einem Lager für Zwangsarbeiter untergebracht.
51
Dass der Kläger sich in dem Streitzeitraum im Ghetto Wlodawa aufhalten musste, ist im
Übrigen aus den Aussagen des W M in den Entschädigungsverfahren des Klägers und
des F G zu ersehen. Der am 15.05.1898 in Wlodawa geborene W M bestätigte den
Aufenthalt des F G im Ghetto Wlodawa sowie die bei der "Fa. Falkenberg" verrichteten
Arbeiten in einer Erklärung im Entschädigungsverfahren des F G. Zu dessen Gunsten
erkannte die Beklagte später nach ergänzenden Angaben und Beibringung einer
Zeugenaussage der T3 P Ghetto-Beitragszeiten für die Beschäftigung für die
Wasserwirtschaftsfirma unter der Leitung Falkenbergs an und gewährt ihm eine
Regelaltersrente. Wie oben bereits ausgeführt, bestätigte W M im
Entschädigungsverfahren des Klägers ebenfalls dessen Aufenthalt in Wlodawa und die
für Falkenberg ausgeübten Tätigkeiten. Es sprechen keine Gesichtspunkte dafür, dass
die Lebensumstände des Klägers und des F G im Hinblick auf bestehende
Freiheitsbeschränkungen unterschiedlich gestaltet waren. Insbesondere gibt es keine
Erkenntnisse darüber, dass einzelne jüdische Bewohner Wlodawas von der
Ghettoisierung ausgenommen waren. Es ist daher überwiegend wahrscheinlich und
damit glaubhaft gemacht, dass der Kläger ebenso wie F G, N1 L1 und K I sich im Ghetto
Wlodawa aufhalten musste und von dort aus die Entwässerungs- und Waldarbeiten für
die deutsche Wasserwirtschaftsfirma unter der Leitung C G1 ausübte.
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5. Es ist glaubhaft, dass der Kläger während seines Aufenthalts im Ghetto Wlodava in
der Zeit von Februar bis Juni 1942 Entwässerungs- und Waldarbeiten in der Umgebung
von Wlodawa für eine deutsche Wasserwirtschaftsfirma unter dem dortigen Leiter G1
verrichtet hat.
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Diese Tätigkeiten hat der Kläger durchgängig in Entschädigungsverfahren, aber auch
im vorliegenden Rentenverfahren mit unterschiedlichen Formulierungen angegeben
bzw. beschrieben. Diese Angaben sind glaubhaft im Sinne einer guten Möglichkeit. Für
ihre Richtigkeit spricht zunächst, dass der Kläger die wesentlichen Umstände der Arbeit
- d.h. die Beschreibung der Arbeit als Entwässerung zur Bodenaustrocknung und als
Baumfällarbeiten - in mehreren Erklärungen konsistent beschrieben hat.
54
Die Angaben des Klägers wurden zudem im Entschädigungsverfahren durch die
Zeugen N L und W M und im Klageverfahren durch die von ihm beigebrachte Erklärung
der Zeugin T T1 vom 19.12.2004 bestätigt.
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Die Berichte des Klägers und der Zeugen sind auch ohne weiteres mit den historischen
Erkenntnissen zum Ghetto Wlodawa zu vereinbaren. Denn nach den Ausführungen von
Dr. Zarusky in seinem Gutachten vom 02.06.2008, die sich der Senat zu eigen macht,
war die deutsche Firma Rhode, die für das Wasserwirtschaftsamt Chelm
Entwässerungs- und Regulierungsarbeiten unternahm, größter Arbeitgeber Wlodawas.
Verantwortlich vor Ort war der Schachtmeister C G1. Zur Durchführung der
Flussregulierungsarbeiten an der Wlodawka, einem kleinen Fluss, der bei Wlodawa in
den Bug mündet, sowie der Entwässerungsarbeiten hat sich G1 jüdischer Arbeitskräfte
bedient, die ihm vom Arbeitsamt zur Verfügung gestellt wurden. Zunächst waren nur 180
Juden bei ihm beschäftigt; ihm Laufe des Jahres 1942 hat sich diese Zahl dann auf etwa
1500 Juden erhöht (S. 11 des Gutachtens).
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6. Die Arbeit des Klägers hat, wie von § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG gefordert, "in einem
Ghetto" stattgefunden, obwohl sich die Arbeitsstelle außerhalb des Ghettos, einige
Kilometer von diesem entfernt, in der Umgebung von Wlodawa bzw. in den Wäldern
befunden hat.
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Auch Arbeiten, die außerhalb des räumlichen Bereichs eines Ghettos verrichtet wurden,
werden vom ZRBG erfasst, wenn sie Ausfluss der Beschäftigung im Ghetto waren (so
BSG Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, SozR 4 - 5075 § 1 Nr. 3). Die ausgeübte
Arbeit muss dem Verfolgten zwar von einem Unternehmen mit Sitz im Ghetto angeboten
oder von einem solchen Unternehmen bzw. der eingesetzten "Ghetto-Autorität", ggf.
ähnlich einer Arbeitnehmerüberlassung oder einer Arbeitsvermittlung, zugewiesen
worden sein. Davon ist hier auszugehen.
58
So hat der Kläger bereits im Verwaltungsverfahren angegeben, die Tätigkeit in der
Wasserwirtschaft durch Vermittlung des Judenrates erhalten zu haben, was F G in
seiner schriftlichen Erklärung vom 07.04.2003 mit der ergänzenden Erklärung bestätigte,
dass der Arbeitseinsatz freiwillig und dank Vermittlung des Judenrates des Ghettos
zustande gekommen sei. Diese Angaben korrespondieren mit den Schilderungen Dr.
Zaruskys, nach denen Falkenberg die jüdischen Arbeitskräfte vom Arbeitsamt (des
Ghettos) zur Verfügung gestellt wurden (vgl. S. 11 des Gutachtens).
59
Sind die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt, liegt eine Beschäftigung "in einem
Ghetto" bei einer Arbeitsstelle außerhalb des Ghettos jedenfalls dann vor, wenn eine
tägliche Rückkehr der Arbeitskräfte nach der Verrichtung der Arbeit in das Ghetto
erfolgte. Eine solche ist ebenfalls glaubhaft gemacht. So hat Dr. Zarusky (vgl. S. 11 des
Gutachtens) unter Verwertung des Urteils des Landgerichts (LG) Hannover vom
29.10.1964 (2 Ks 4/63) ausgeführt, "dass die Juden zuerst in der Stadt wohnten,
frühmorgens auf den im Südwesten der Stadt gelegenen Hof Fa(lkenbergs) kamen,
einem Areal, das neben dem Wohngebäude des Schachtmeisters Fa(lkenberg) gelegen
war und auf dem sich Geräteschuppen befanden, die Arbeitsgeräte in Empfang nahmen
und sich zu den angewiesenen Arbeitsplätzen begaben. Des Abends kehrten die
Juden, die von Fa(lkenberg) entlohnt und verpflegt wurden, zu ihren Familien zurück."
Diese Darstellung gewinnt dadurch weitere Überzeugungskraft, dass auch N1 L1 und K
I in ihren Erklärungen im Entschädigungsverfahren des N1 L1 jeweils am 10.10.1955
dargelegt haben, dass sie Arbeiten bei der Entwässerung von Sümpfen einschließlich
60
Baumfällarbeiten für eine deutsche Wasserwirtschaftsfirma unter der Leitung
Falkenbergs ausgeübt hätten und jeden Tag morgens zu der Arbeitsstelle, die etwa 8
km von der Stadt entfernt gewesen sei, zurückgeführt worden seien. Schließlich
bestätigte N1 L1 in seiner Erklärung aus 1965 in dem Entschädigungsverfahren des M1
M2, dass abends eine Rückkehr in das Ghetto nach Verrichtung der Entwässerungs-
und Waldarbeiten erfolgte.
7. Bei der von dem Kläger ausgeübten Entwässerungs- und Waldarbeiten unter der
Leitung G1 hat es sich um eine Beschäftigung gehandelt, die aus eigenem
Willensentschluss zustande gekommen ist (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) ZRBG).
61
a) Mit den in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG formulierten Tatbestandsmerkmalen der aus
eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung gegen Entgelt hat
der Gesetzgeber an den Begriff des versicherungspflichtigen entgeltlichen
Beschäftigungsverhältnisses angeknüpft, wie er für Arbeitsverhältnisse unter
Ghettobedingungen in der sog. Ghettorechtsprechung des BSG (vgl. Urteile vom
18.06.1997, 5 RJ 66/95, SozR 3-2200 § 1248 Nr. 15; vom 21.4.1999, B 5 RJ 48/98 R,
SozR 3-2200 § 1248 Nr. 16; v. 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R, Juris; v. 07.10.2004, B 13
RJ 59/03 R, SozR 4-5050 § 15 Nr. 1) konkretisiert worden ist (std. Rechtsprechung des
Senates; vgl. nur Urteil v. 28.01.2008, L 8 RJ 139/04, sozialgerichtsbarkeit.de m.w.N.).
62
Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere (aber nicht
notwendigerweise) in einem Arbeitsverhältnis. Arbeit in diesem Sinne ist die auf ein
wirtschaftliches Ziel gerichtete, planmäßige Arbeit eines Menschen, gleichviel ob
geistige oder körperliche Kräfte eingesetzt werden. Die Arbeit ist nichtselbstständig,
wenn sie fremdbestimmt ist, d.h. der Arbeiter dem Weisungs- bzw. Direktionsrecht des
Arbeitgebers unterliegt und in den organisatorischen Ablauf des Betriebs eingebunden
ist. Maßgeblich ist dabei jeweils das Gesamtbild der ausgeübten Tätigkeit.
63
Das Merkmal der "aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen
Beschäftigung" verdeutlicht dabei, dass der Typus des von § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG
erfassten Beschäftigungsverhältnisses abzugrenzen ist von einer unter Zwang zustande
gekommenen oder verrichteten Arbeit. Diese Abgrenzung kann ebenfalls nur im
Einzelfall erfolgen. Sie orientiert sich allerdings an der grundsätzlichen Überlegung,
dass eine Arbeit sich um so mehr der Zwangsarbeit annähert, als sie von hoheitlichen
Eingriffen überlagert ist, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann. In diesem
Sinne kann für Zwangsarbeit z.B. die obrigkeitliche Zuweisung von Arbeitern an ein
Unternehmen sprechen, auf die der Arbeiter keinen Einfluss hat. Je nach den
Umständen des Einzelfalles gilt dasselbe für die Bewachung während der Arbeit oder
die Züchtigung auf der Arbeitsstelle. Auch die Art der zu verrichtenden Arbeiten kann
einen Hinweis auf Zwangsarbeit liefern, wenn sie von dem konkreten Betroffenen
schlechterdings unter der Annahme eines eigenen Willensentschlusses nicht erwartet
werden konnte (ausführlich Senat, Urteil v. 12.12.2007, L 8 R 187/07,
sozialgerichtsbarkeit.de).
64
Demgegenüber ist es für den eigenen Willensentschluss des Arbeiters unerheblich, aus
welchen weiteren Motiven die Arbeit aufgenommen wurde. Auch existenzielle Not (z.B.
die Angst vor dem Verhungern oder der Deportation in ein Zwangsarbeits- oder
Vernichtungslager) schließt das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses
daher nicht aus. Dass derartige Motive außer Betracht zu bleiben haben, wird zusätzlich
durch § 1 Abs. 1 ZRBG belegt, der den zwangsweisen Aufenthalt in einem Ghetto mit
65
den damit typischerweise verbundenen Konsequenzen des Hungers und der
Bedrohung mit Deportation und Vernichtung sogar als Tatbestandsmerkmal voraussetzt.
b) Vor dem geschilderten historischen Hintergrund ist die Verrichtung der
Entwässerungs- und Waldarbeiten unter der Leitung G1 durch den Kläger aus eigenem
Willensentschluss überwiegend wahrscheinlich und damit glaubhaft gemacht. Denn
nach den Ausführungen von Dr. Zarusky in seinem Gutachten vom 02.06.2008, die für
den Senat gut nachzuvollziehen sind und auch von der Beklagten nicht in Abrede
gestellt wurden, stellte sich der Besitz eines Arbeitsplatzes als notwendige
Voraussetzung für das Überleben der Ghettohaft dar (S. 9 ff des Gutachtens). Der
Judenrat hatte auf Anordnung der deutschen Behörde nach Bedarf
Arbeitskraftkontingente bereit zu stellen, doch ist die Meldung der Ghettoinsassen zur
Arbeit aus eigenen Stücken erfolgt, weil der Erwerb zusätzlicher (Lebens-)Mittel für die
Allermeisten eine Überlebensnotwendigkeit dargestellt hat. Keinesfalls ist es innerhalb
des Ghettos so gewesen, dass der auf den Judenrat ausgeübte Zwang zur
Bereitstellung von Arbeitskräften unmittelbar weiter gegeben worden ist. Im Gegenteil
haben sich meist mehr Menschen beworben als überhaupt Stellen vorhanden waren.
Nur wer Glück hatte, über gute Beziehungen oder spezielle Qualifikationen verfügte,
konnte aus den zahlreichen Interessenten für eine Stelle herausstechen und einen
Arbeitsplatz erhalten.
66
Dr. Zarusky hat in seinem Gutachten weiter nachvollziehbar heraus gearbeitet, der
Grund für die hohe Zahl von Beschäftigten bei Falkenberg habe darin bestanden, dass
dieser alle seine Möglichkeiten ausnutzt, um die Juden vor der Verfolgung zu schützen.
Er nahm wesentlich mehr Arbeitskräfte auf, als ihm zustanden, warnte sie vor den
bevorstehenden "Aktionen" und bot einer größeren Zahl ein Versteck in einer
rundherum durch Strohballen getarnten Scheune. Hiermit korrespondierend schildert
auch die Zeugin T3 P in ihrem bei Yad Vashem abgegebenen Zeitzeugenbericht die
unter Falkenberg arbeitenden Juden als die Elite des Ghettos, die für ihre vermeintliche
Sicherheit von den übrigen Ghettobewohnern beneidet wurden.
67
Vor diesem Hintergrund hat der Senat keine durchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit
der Erklärung des Klägers im Widerspruchsverfahren vom 29.03.2004, dass er die
Entwässerungs- und Waldarbeiten aus freiem Willensentschluss ausgeführt hat. Soweit
der Kläger erläuternd angegeben hat, er sei froh gewesen, sich mit den zusätzlichen
Lebensmitteln seinen Lebensunterhalt zu erleichtern, zumal er sich im Ghetto ohne
Familie befunden habe, spiegelt diese Darstellung genau die von Dr. Zarusky
beschriebene Lebenssituation der Ghettobewohner von Wlodawa wider.
68
Für die Aufnahme der Entwässerungs- und Waldarbeiten aus eigenem
Willensentschluss durch den Kläger spricht, dass auch F G diese Arbeiten verrichtet und
nach seinen, im Tatbestand dargestellten Angaben diese aus eigenem
Willensentschluss aufgenommen hat, was auch die Beklagte als glaubhaft gemacht
angesehen hat und aufgrund von Ghetto-Beitragszeiten eine Regelaltersrente gewährt.
Es liegen wiederum auch insoweit keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der
Arbeitseinsatz des Klägers auf andere Weise zustande gekommen sein könnte als der
des F G.
69
Wenn der Kläger in seiner Erklärung im Entschädigungsverfahren angegeben hat,
während des Aufenthalts im Ghetto Wlodawa und "ZAL Falkenberg/Wlodawa"
Zwangsarbeiten verrichtet zu haben, ist in der Wortwahl nicht ein Indiz für
70
"Zwangsarbeit" zu erkennen. Dasselbe gilt für die Verwendung des Begriffs
"Zwangsarbeit" im Zusammenhang mit den ausgeübten Tätigkeiten im "ZAL
Falkenberg" im Entschädigungsverfahren des Klägers durch die Zeugen N L und W M.
Denn wie das BSG bereits ausdrücklich entschieden hat (BSG, Urteil vom 23.08.2001,
B 13 RJ 59/00 R) gibt die Verwendung des Begriffs "Zwangsarbeit" wegen seiner
subjektiven Prägung keinen Aufschluss über die konkreten Arbeitsbedingungen. Im
Gegenteil ist es ohne weiteres nachvollziehbar, dass Verfolgte alle während ihres
zwangsweisen Aufenthaltes in einem Ghetto ausgeübten Beschäftigungen auch im
Nachhinein als Zwangsarbeit empfunden haben. Es kommt hinzu, dass die hier
maßgebliche Differenzierung "freier" und "unfreier" Zwangsarbeit auf den
Besonderheiten der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung beruht und weder im
allgemeinen Sprachgebrauch noch im historischen Verständnis zwingend in gleicher
Weise nachvollzogen werden muss. Dementsprechend ist in der Literatur noch im Jahr
2001 mit Blick auf das Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung
und Zukunft" (EVZStiftG) die - im Nachhinein bestätigte - Annahme geäußert worden,
die Partnerorganisationen der Stiftung würden im Rahmen der von ihnen
festzustellenden Leistungsberechtigung den Begriff der Zwangsarbeit nicht in gleicher
Weise abgrenzen wie die deutsche Rentenversicherung (vgl. Gerhard, Amtliche
Mitteilungen LVA Rheinprovinz 2001, 36, 38).
Vorstehende Ausführungen beanspruchen in vorliegendem Verfahren umso mehr
Geltung, als der Kläger in seiner Erklärung gegenüber der JCC im Zusammenhang mit
der Schilderung der während seines Aufenthalts im Ghetto Wlodawa verrichteten
Entwässerungs- und Waldarbeiten auf die Verwendung des Begriffs "Zwangsarbeit" und
auch sonst auf eine einen Zwang beschreibende Schilderung verzichtet hat.
71
Schließlich geht der Senat davon aus, dass auch die von dem Kläger und F G
beschriebene Bewachung auf den Wegen von und zur Arbeit im vorliegenden Fall kein
Indiz für Zwangsarbeit ist. Diese Bewachung war lediglich Ausfluss der allgemeinen
Lebensbedingungen im Ghetto Wlodawa und stellte sich gleichsam als Fortsetzung und
Sicherstellung des zwangsweisen Aufenthaltes in einem solchen Ghetto als
"verlängerter Ghettozaun" dar. Der Senat geht davon aus, dass die Bewachung
vorliegend eben zur Sicherstellung der Ghettoinhaftierung, das heißt, der Verhinderung
einer Flucht aus dem Ghetto aber nicht der Erzwingung der Arbeitsleistung diente. So
wird auch gerade im Entschädigungsverfahren weder vom Kläger noch von den übrigen
bei den Entwässerungs- und Waldarbeiten eingesetzten F G, N1 L1 und K I von
körperlichen Übergriffen der Wachmannschaften (insbesondere zur Erzwingung der
Tätigkeiten) berichtet.
72
8. Schließlich ist glaubhaft, dass der Kläger seine Beschäftigung unter Falkenberg
gegen Entgelt (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) ZRBG) ausgeübt hat.
73
a) Entgelt in diesem Sinne ist als ein die Versicherungspflicht in der deutschen
Rentenversicherung begründendes Entgelt anzusehen (BSG, Urteil vom 07.10.2004, B
13 RJ 59/03 R, SozR 4-5050 § 15 Nr. 1). Maßgebend sind dabei die Vorschriften der
Reichsversicherungsordnung (RVO) in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (a.F.).
Zum Entgelt gehörten dabei nach § 160 a.F. neben Gehalt oder Lohn auch
Gewinnanteile, Sach- und andere Bezüge, die der Versicherte, wenn auch nur
gewohnheitsmäßig, statt des Gehalts oder Lohnes oder neben ihm von dem Arbeitgeber
oder einem Dritten erhielt. Jedoch war eine Beschäftigung, für die als Entgelt nur freier
Unterhalt gewährt wurde, versicherungsfrei (§ 1227 RVO a.F.; vgl. zum Folgenden
74
außerdem BSG, Urteil vom 30.11.1983, 4 RJ 87/92; Mentzel/Schulz/Sitzler, Kommentar
zum Versicherungsgesetz für Angestellte, 1913, § 7 Anm. 3; RVO mit Anmerkungen,
herausgegeben von Mitgliedern des Reichsversicherungsamtes, 1930, § 1227 RVO
Anm. 1 ff.). Als freier Unterhalt i.S.v. § 1227 RVO a.F. ist dabei dasjenige Maß von
wirtschaftlichen Gütern anzusehen, das zur unmittelbaren Befriedigung der notwendigen
Lebensbedürfnisse des Arbeitnehmers erforderlich ist, nicht aber das, was darüber
hinausgeht. Zum freien Unterhalt gehören insbesondere Unterkunft, Beköstigung und
Kleidung. Die betreffenden Sachbezüge müssen nach Art und Maß zur Bestreitung des
freien Unterhalts geeignet und bestimmt sein. Das ist der Fall, wenn sie in geringem
Umfang zur Befriedigung kleinerer Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten gewährt
werden. Bei Gewährung von Lebensmitteln ist daher zu prüfen, ob sie nach Umfang und
Art des Bedarfs unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch gegeben werden (dann freier
Unterhalt) oder aber zur beliebigen Verfügung, wie es z.B. bei Deputaten der Fall ist.
Die Grenze des freien Unterhalts ist insbesondere dann überschritten, wenn die
gewährte Menge erheblich das Maß des persönlichen Bedarfs übersteigt. Das ist unter
anderem dann anzunehmen, wenn die gewährten Sachbezüge ausreichen, nicht nur
den freien Unterhalt des Beschäftigten selbst, sondern auch eines nicht bei demselben
Arbeitgeber beschäftigten Familienangehörigen sicherzustellen (vgl. VDR, Kommentar
zur RVO, 5. Aufl., 1954, § 1228 Rdnr. 5). Werden demgegenüber anstelle des freien
Unterhalts auch nur auch geringe Geldbeträge zur Bestreitung des notwendigen
Unterhalts gegeben, so ist dies keine freie Unterhaltsgewährung mehr. Geldleistungen
stehen demnach der Gewährung des freien Unterhalts nicht gleich, auch wenn sie den
unbedingt zum Lebensunterhalt erforderlichen Betrag nicht übersteigen und nicht einmal
erreichen. Allerdings geht die bisherige Rechtsprechung davon aus, dass das Entgelt
eine Mindesthöhe erreichen muss, damit man von einer entgeltlichen
versicherungspflichtigen Beschäftigung ausgehen kann. Bei Barzahlung neben freiem
Unterhalt reicht es aus, wenn das Entgelt die Grenze von einem Sechstel bis einem
Drittel Ortslohn überschritt.
b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze reichen die dem Kläger als Gegenleistung für
seine Arbeit gewährten Bezüge aus, um Versicherungspflicht in der gesetzlichen
Rentenversicherung zu begründen.
75
Der Senat geht vorliegend davon aus, dass der Kläger für seine Tätigkeiten unter der
Leitung G1 im noch streitigen Zeitraum zumindest auch eine Barentlohnung in
polnischen Zloty erhalten hat. Entscheidende Bedeutung hat hierbei für den Senat, dass
eine solche geringe Barentlohnung bereits in den zeitlich weit zurückliegenden
schriftlichen Erklärungen von N1 L1 und des Zeugen L3 im Entschädigungsverfahren
betreffend N1 L1 jeweils im Oktober 1955 und damit relativ zeitnah zu den relevanten
historischen Ereignissen Erwähnung gefunden hat. So führte der Zeuge L3 aus: "Die
Arbeit wurde nur ganz geringfügig bezahlt, die Bezahlung reichte kaum zum Kauf von
Zigaretten aus." N1 L1 selbst gab an: " ... ferner hörte von diesem Zeitpunkt ab
(Anmerkung des Senats: gemeint ist der Zeitpunkt des Umzugs in das ZAL Mitte 1942),
die bis dahin bezahlte geringe Vergütung für die Arbeit auf." Der Erwähnung einer
Barentlohnung für die geleisteten Tätigkeiten bereits im Entschädigungsverfahren
kommt besonders hoher Beweiswert zu. Denn schließlich handelt es sich um relativ
zeitnahe Erklärungen, die für das Entschädigungsverfahren nicht nur unerheblich,
sondern vom Sinn und Zweck des Verfahrens - zumindest aus Laiensicht - für die
Anspruchsbegründung nicht förderlich waren. Schließlich ging es im
Entschädigungsverfahren darum, gerade die Schwere des individuell erlittenen
Verfolgungsschicksals darzustellen. Jedenfalls gab es keinerlei Anlass, die Entlohnung
76
einer unter den Zwangsbedingungen der Ghettohaft ausgeübten Tätigkeit darzustellen.
Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen sieht der Senat die eigenen
Angaben des Klägers zu der ihm für die Entwässerungs- und Waldarbeiten gewährten
Gegenleistung als widerlegt an. Seine Angaben sowohl im Entschädigungsverfahren
als auch im Verwaltungsverfahren sind unzutreffend und letztlich damit zu erklären, dass
der Kläger sich an die betragsmäßig geringe Barentlohnung neben der Gewährung von
Essen bzw. Nahrungsmitteln, der unter den spezifischen Lebensumständen in einem
Ghetto die weitaus größere Bedeutung zukam, nicht mehr erinnern konnte bzw. kann.
77
Schließlich erachtet der Senat den Erhalt von Barlohn auch vor dem historischen
Hintergrund als wahrscheinlich im Sinne einer guten Möglichkeit. Dr. Zarusky zitiert
ohne Abschwächung aus dem Urteil des LG Hannover, wonach bei den
Entwässerungsarbeiten beschäftigten Juden von Falkenberg entlohnt und verpflegt
worden seien. Hieraus und aus den Angaben des F G ergibt sich iSe überwiegenden
Wahrscheinlichkeit ebenfalls, dass die Barentlohnung neben einer Verpflegung bzw.
Lebensmittelzuteilung gewährt wurde. Dies entspricht den historischen Erkenntnissen
zum Ghetto Wlodawa, die Dr. Zarusky eingehend dargestellt hat (vgl. S. 9 ff des
Gutachtens).
78
Darüber hinaus ist überwiegend wahrscheinlich, dass das dem Kläger am Arbeitsplatz
gezahlte Entgelt der Höhe nach neben dem Bezug von Lebensmittelcoupons zumindest
1/6 des üblichen Ortslohns überschritten hat.
79
Insofern kann mangels einer konkreten Erinnerung nicht auf die Angaben des F G und
N1 L1 zurückgegriffen werden, was nach einem Zeitablauf von mehr als 60 Jahren ohne
weiteres verständlich ist und im Übrigen im Umkehrschluss wiederum für die
Erlebnisfundiertheit der übrigen Angaben der Genannten spricht. Ausgehend von den
historischen Erkenntnissen zur Entlohnung von nichtjüdischen und jüdischen Arbeitern
und Arbeiterinnen im Generalgouvernement (S. 9 des Gutachtens von Dr. Zarusky)
betrug der Monatslohn für einen ungelernten jüdischen Arbeiter 130 Zloty, was einem
Wochenlohn von etwa 30 Zloty entspricht, so dass 1/6 des Ortslohns wöchentlich 5 Zloty
ausmacht. Vor diesem Hintergrund erweisen sich die Angaben des F G und des N1 L1
als zutreffend, wenn sie von einem geringen Lohn bzw. einer geringen Vergütung
gesprochen haben. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der dem Kläger
gezahlte Barlohn den geringen Betrag von 5 Zloty wöchentlich nicht überschritt. Es ist
im Gegenteil davon auszugehen, dass gerade der Leiter der Wasserwirtschaftsfirma, C
G1, sich der Verordnungslage entsprechend verhalten und die danach für jüdische
Arbeitskräfte bestimmten Löhne gezahlt hat. Es ist bereits dargestellt worden, dass G1
große und vielfältige Anstrengungen unternahm, um das Leben vieler Juden zu
schützen. Es liegt also nahe, dass er bei der Entlohnung nicht anders handelte, sondern
vielmehr dafür Sorge trug, dass die Entlohnung der jüdischen Arbeitskräfte der
Verordnungslage entsprach, um diese soweit wie unter den gegebenen Bedingungen
möglich ökonomisch in die Lage zu versetzen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
80
9. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger für seine Arbeit im Ghetto Wlodawa
anderweitige Leistungen aus einem System sozialer Sicherheit erhält. Hinsichtlich der
Leistungen aus einem Sicherungssystem des Staates Israel ist für den Senat aus einer
Vielzahl von Streitverfahren nach dem ZRBG offenkundig (§ 202 SGG i.V.m. § 291 ZPO)
und im Übrigen zwischen den Beteiligten auch unstreitig, dass in den Leistungen der
israelischen Nationalversicherung ausschließlich Zeiten ab deren Einrichtung im Jahr
81
1954 Berücksichtigung finden, nicht jedoch Zeiten nationalsozialistischer Verfolgung.
10. Die Anerkennung von Beitragszeiten scheitert schließlich nicht daran, dass der
Kläger eine Entschädigung nach dem EVZStiftG erhalten hat. Wie der Senat bereits
entschieden hat, erstrecken sich die in § 16 Abs. 1 S. 2 EVZStiftG geregelte
Ausschlusswirkung und die Verzichtswirkung des § 16 Abs. 2 S. 2 EVZStiftG nicht auf
den Anspruch auf Zahlung einer Rente aufgrund von Beitragszeiten nach § 2 Abs. 1
ZRBG (Senat, Urteil vom 18.06.2008, L 8 R 298/07, sozialgerichtsbarkeit.de, mit
eingehender Begründung).
82
II.
83
Auf die Wartezeit von 60 Monaten sind neben den 17 Monaten Ghetto-Beitragszeiten 43
anrechenbar, die der Kläger in Israel zurückgelegt hat (Art. 20 Abs. 1 DISVA). Welche
Ersatzzeiten zu berücksichtigen sind, kann daher vorliegend dahinstehen und ist von
der Beklagten noch im Einzelnen zu prüfen.
84
III.
85
Da der Kläger den Rentenantrag am 04.11.2002 gestellt hat, beginnt die Rente am
01.07.1997 (§ 3 Abs. 1 Satz 1 ZRBG i.V.m. § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI).
86
IV.
87
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat hat keinen Anlass gehabt,
die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG). Sämtliche angesprochenen Rechtsfragen
sind in der Rechtsprechung des BSG bereits hinreichend geklärt. Der vorliegende
Rechtsstreit wirft ausschließlich Fragen der einzelfallbezogenen Beweiswürdigung auf.
88