Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 31.05.2010

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Landessozialgericht NRW, L 7 B 1/09 BK
Datum:
31.05.2010
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 7 B 1/09 BK
Vorinstanz:
Sozialgericht Münster, S 3 KG 1/08
Sachgebiet:
Sonstige Angelegenheiten
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts
Münster vom 19.12.2008 geändert. Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe
für die Durchführung des Klageverfahrens unter Beiordnung von
Rechtsanwalt N aus N für die Zeit ab Antragstellung gewährt. Kosten
sind nicht zu erstatten.
Gründe:
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Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Denn das Sozialgericht (SG)
Münster hat mit dem angegriffenen Beschluss vom 19.12.2008 seinen Antrag auf
Bewilligung von Prozesskostenhilfe (unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten)
zu Unrecht abgelehnt.
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1. Prozesskostenhilfe wird nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in
Verbindung mit § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) nur gewährt, wenn die
beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf
Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
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Die Rechtsverfolgung des Klägers, der die Kosten seiner Rechtsverfolgung nach seinen
wirtschaftlichen Verhältnissen nicht aufbringen kann, bietet hinreichende Aussicht auf
Erfolg. Denn zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife seines Prozesskostenhilfegesuchs
fehlte seiner Rechtsverfolgung nicht von vornherein jegliche Erfolgsaussicht. Außerdem
war die Rechtslage nicht einfach zu beurteilen.
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a) Der Kläger begehrte die Gewährung eines Kinderzuschlages gemäß § 6a
Bundeskindergeldgesetz (BKGG). Seiner Rechtsverfolgung fehlte nicht von vornherein
jegliche Erfolgsaussicht. Zum einen hielt auch das SG selbst eine weitere
Sachverhaltsaufklärung für erforderlich, weil es von der Beklagten weitere Informationen
zum aufenthaltsrechtlichen Status des Klägers anforderte. Zum anderen ist zu
berücksichtigen, dass sich sowohl der aufenthaltsrechtliche Status des Klägers als auch
dessen monatliches Einkommen veränderte und dies für den erhobenen Anspruch nicht
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von vornherein irrelevant war.
b) Zu klären war ferner die nicht einfache Rechtsfrage, ob der Kläger von dem
Sozialleistungssystem des Grundsicherungsrechts nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II) ausgeschlossen war.
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Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II sind Leistungsberechtigte nach § 1 des
Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) von dem Grundsicherungsrecht des SGB II
ausgeschlossen. Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG sind Ausländer, die sich tatsächlich
im Bundesgebiet aufhalten und die wegen des Krieges in ihrem Heimatland eine
Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG besitzen, leistungsberechtigt nach dem
AsylbLG. Der Kläger war - offenbar ab dem 13.09.2007 - im Besitz einer
Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Dies spricht
dafür, dass er grundsätzlich leistungsberechtigt (nur) nach dem AsylbLG und damit nicht
nach dem SGB II und ebenfalls nicht nach dem § 6a BKGG war, weil diese Norm an das
SGB II anknüpfen dürfte (so Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom
14.12.2007, L 19 B 25/07 AL, Juris).
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Allerdings ist dem Kläger, der sich offenbar seit Jahren in der Bundesrepublik
Deutschland aufhält, mit Ausstellung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 Abs. 1
AufenthG zugleich die Ausübung einer unselbständigen Tätigkeit erlaubt worden,
wovon er auch tatsächlich Gebrauch gemacht hat. Bei jeder Aufenthaltserlaubnis ist im
Einzelnen zu bestimmen, ob sie das Recht zur Aufnahme einer Beschäftigung
begründet oder nicht; denn § 7 AufenthG als Grundnorm für die Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis sieht ein solches Recht nicht allgemein vor (Blüggel in:
Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 8 Rn. 56); nur im Falle einer
Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 Abs. 2 AufenthG berechtigt die Aufenthaltserlaubnis
(bereits) kraft Gesetzes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit (§ 23 Abs. 2 Satz 5
AufenthG). Wegen des Rechts des Klägers zur Aufnahme einer Beschäftigung dürfte
dieser aus rechtlicher Sicht erwerbsfähig im Sinne des § 8 Abs. 2 SGB II geworden sein.
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Seiner Einbeziehung in das SGB II könnte jedoch (gleichwohl) der erwähnte § 7 Abs. 1
Satz 2 Nr. 3 SGB II entgegenstehen, der auf § 1 AsylbLG Bezug nimmt. Fraglich und
jedenfalls höchstrichterlich noch ungeklärt ist jedoch, ob ein Ausländer, der im Besitz
einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG ist und dem das Recht zur
Aufnahme einer Beschäftigung gestattet worden ist, von dem Leistungsausschluss des
§ 7 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG erfasst wird. Diese Norm dürfte nach ihrem Wortlaut zwar
anwendbar sein, weil sie an den Besitz der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 Abs. 1
AufenthG anknüpft. Allerdings könnte dem der Sinn und Zweck des § 1 Abs. 1 Nr. 3
AsylbLG entgegenstehen, so dass aus teleologischen Gründen eine einschränkende
Anwendung des § 1 Abs. 1 AsylbLG geboten sein könnte. Denn das
Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 14.11.2008 (B 14 AS 24/07 R, BSGE 102,
60 = SozR 4-4200 § 7 Nr. 10; vgl. auch BSG, Urteil vom 16.12.2008, B 4 AS 40/07 R,
Juris (Rn. 30)) unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte entschieden:
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"Mit Wirkung zum 18. März 2005 (Art. 6 Nr. 6a des Gesetzes zur Änderung des AufenthG
und weiterer Gesetze vom 14. März 2005 (BGBl. I 721)) hat der Gesetzgeber das
AsylbLG aus integrationspolitischen Gründen geändert (vgl. BT-Drucks. 15/3784 S. 21).
Ersetzt wurde in § 1 Abs. 1 AsylbLG einerseits die Angabe "eine Aufenthaltserlaubnis
nach § 23 Abs. 1, § 24" durch die Angabe "eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1
oder § 24 wegen des Krieges in ihrem Heimatland" und andererseits die Angabe "§ 25
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Abs. 4 oder 5" durch die Angabe "§ 25 Abs. 4 Satz 1 oder Abs. 5 AufenthG". Damit sollte
erreicht werden, dass der im SGB II grundsätzlich geregelte Ausschluss von
Leistungsberechtigten nach § 1 AsylbLG nur auf solche Ausländer Anwendung findet,
über deren Aufenthalt noch nicht abschließend entschieden worden ist und nicht auf
solche Ausländer, die bereits über eine längerfristige Aufenthaltsperspektive verfügen,
denn eine solche ist in den Fällen des § 23 Abs. 1 und § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG
gegeben (vgl. BT-Drucks. 15/3784 S. 21). ( )
Die Klägerinnen gehören aber dennoch weiterhin zu dem Personenkreis der
abgelehnten Asylbewerber, der nach dem Willen des Gesetzgebers nicht auf Dauer in
der Bundesrepublik Deutschland verbleiben und der für einen weiteren Verbleib keine
wirtschaftlichen Anreize erhalten soll."
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Der Kläger hält sich seit Jahren in der Bundesrepublik Deutschland auf. Mit Erteilung
der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG ist ihm das Recht zur Ausnahme
einer Beschäftigung zugesprochen und sein aufenthaltsrechtlicher Status verfestigt
worden. Für seinen Verbleib hat er einen wirtschaftlichen Anreiz erhalten, weil er mit
diesem Recht zur Beschäftigungsaufnahme eine Beschäftigung tatsächlich ausüben
kann und dies auch getan hat. Dies könnte - jedenfalls ab Erteilung der
Aufenthaltserlaubnis, die offenbar am 13.09.2007 erfolgte - aufgrund des Sinns und
Zwecks des § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG gegen eine Einbeziehung des Klägers in diese
Regelung sprechen mit der Folge, dass ab diesem Zeitpunkt eine
Leistungsberechtigung des Klägers nach dem SGB II und damit auch dem BKGG nicht
von vornherein ausschied. Auch die Beklagte selbst hat dem Kläger - allerdings offenbar
erst ab dem Jahr 2009 - Leistungen gemäß § 6a BKGG zugesprochen.
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Die Beurteilung der Rechtslage war damit aufgrund des Zusammenspiels von Normen
des AufenthG, des AsylbLG, des SGB II und des BKGG und der insoweit erforderlichen
Grenzziehung und -bestimmung nicht einfach, so dass dem Kläger auch zur Herstellung
prozessualer "Waffengleichheit" Prozesskostenhilfe zu gewähren war.
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c) Es war auch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die
Mindesteinkommensgrenze des § 6a Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 BKKG (in der
damaligen Fassung) möglicherweise überschritten worden war. Denn bei der dortigen
Berücksichtigung der Wohnkosten der Eltern ist höchstrichterlich noch nicht geklärt, ob
diese Wohnanteile entsprechend des SGB-II-Bedarfs ("Kopfteilprinzip") oder aber
gemäß § 6a Abs. 4 Satz 2 BKKG (und wie von der Beklagten umgesetzt) entsprechend
des Existenzminimumberichts der Bundesregierung zu berechnen sind (hierzu
Spellbrink in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, Anhang § 6a BKKG Rn. 10a
m.w.N.). Im zuerst genannten Fall wäre der Anteil der Eltern am gesamten Wohnbedarf
hier geringer und die Mindesteinkommensgrenze damit möglicherweise überschritten.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 29.04.2008 zudem eine Lohnabrechnung vom
08.10.2007 für September 2007 vorgelegt, die ein Nettogehalt von 1.393,21 Euro
auswies.
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2. Kosten werden im Prozesskostenhilfe-Beschwerdeverfahren nicht erstattet (§ 73a
Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
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3. Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG).
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