Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 11.02.2004

LSG NRW: psychische störung, reaktive depression, arbeitsunfall, schüler, icd, euv, meinung, kausalität, schwerhörigkeit, psychotherapie

Landessozialgericht NRW, L 17 U 248/02
Datum:
11.02.2004
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
17. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 17 U 248/02
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 18 U 165/00
Sachgebiet:
Unfallversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 10. September 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind
auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte dem Kläger eine Verletztenrente
gewähren muss.
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Der 1952 geborene Kläger, ein ehemaliger Hobby-Ringkämpfer, beobachtete am 27.
Juni 1991 wie der damals 17jährige Schüler K T öffentlich Haschisch konsumierte. Als
er den Schüler festhielt, um ihn zu einer nahe gelegenen Polizeiwache zu führen, kam
es zu einer Rangelei: Der Schüler zog einen Gasrevolver und feuerte 6 Schüsse ab.
Dabei erlitt der Kläger einen Trommelfellriss rechts mit entsprechender Hörminderung,
eine Platzwunde über dem rechten Auge und zahlreiche Pulvereinsprengungen in der
Haut der rechten Gesichtshälfte. Dieses Geschehen erkannte die
Eigenunfallversicherung der Landeshauptstadt Düsseldorf (EUV) in dem
Berufungsverfahren L 17 U 202/94 vor dem Senat als Arbeitsunfall an.
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Anschließend holte die EUV ein Gutachten von Prof. Dr. L, Chefarzt der Abteilung für
Hals-Nasen-Ohrenheilkunde (HNO) und Plastische Kopf- und Halschirurgie am
Evangelischen Krankenhaus E ein, der den Kläger nach dem Unfall stationär behandelt
hatte. In seinem Gutachten vom 28. Januar 1997 führte Prof. Dr. L aus, dass die
Erwerbsfähigkeit des Klägers aufgrund der Ohrgeräusche um 5 v.H. reduziert sei. Das
Hörvermögen sei insgesamt nur minimal gemindert und bewege sich im Normalbereich.
Mit Bescheid vom 27. Mai 1997 lehnte die EUV deshalb eine Rentenzahlung ab.
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Dagegen erhob der Kläger, der als Fahrer bei einem Bestattungsunternehmen
beschäftigt ist, am 23. Juni 1997 Widerspruch und gab an, er höre rechts "so gut wie
nichts". Deshalb könne er Kraftfahrzeuge nur noch kurzfristig steuern. Die Ohrgeräusche
führten zu Schlafstörungen, die seine Arbeitsleistung erheblich beeinträchtigten. Der
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Beklagte, der das Widerspruchsverfahren als Rechtsnachfolger des EUV übernommen
hatte, zog zunächst Stellungnahmen des Gutachters Prof. Dr. L vom 22. Mai, 29. Juli und
12. August 1998 bei. Anschließend teilte er dem Kläger mit, dass ein weiteres
Gutachten auf HNO-ärztlichem und psychologischem Fachgebiet einzuholen sei. Hierzu
benannte er ihm zwei Gutachter zur Auswahl. Der Kläger entschied sich für den
Psychiater und Psychotherapeuten Prof. Dr. Dr. U, Direktor der Klinik für
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der I-Universität E. Das Gutachten
erstattete der Leitende Oberarzt und Facharzt für Psychotherapeutische Medizin und
Psychoanalyse Dr. L1 am 30. November 1999: Der Kläger leide an einer
posttraumatischen Belastungsstörung mit schweren psychischen Störungen im Sinne
einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung mit sozialen
Anpassungsschwierigkeiten. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage seit
dem Unfall 50 v.H. der Vollrente. Der Beklagte forderte daraufhin eine
beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Arbeitsmedizin, Öffentliches
Gesundheitswesen, Sozial- und Umweltmedizin Dr. X aus I vom 31. Januar 2000 an.
Dieser veranschlagte die MdE aufgrund der Ohrgeräusche und einer knapp
geringgradigen Schwerhörigkeit auf 10 v.H ... Dagegen seien die psychischen
Erkrankungen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis
zurückzuführen. Die Angaben des Klägers zum Ausmaß des Hörverlustes seien mit den
objektiven Befunden unvereinbar; ein erheblicher Leidensdruck sei nicht erkennbar.
Gegen eine posttraumatische Belastungsstörung spreche zudem, dass das
psychosomatische Beschwerdebild frühestens 2 Jahre nach dem Unfall behandelt
worden sei. Hierauf gestützt wies der Beklagte den Widerspruch mit
Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 2000 zurück.
Dagegen hat der Kläger am 27. November 2000 Klage vor dem Sozialgericht (SG)
Düsseldorf erhoben und zur Begründung auf das Gutachten von Dr. L1 verwiesen.
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Zur Sachaufklärung hat das SG zunächst einen Befundbericht des niedergelassenen
Allgemeinmediziners Dr. T aus E vom 05. Oktober 2001 beigezogen. Anschließend hat
es von Amts wegen weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen
Sachverständigengutachtens des niedergelassenen Neurologen und Psychiaters Dr. C
aus E. Dieser diagnostizierte in seinem Gutachten vom 26. März 2002 eine neurotisch-
depressive Persönlichkeitsentwicklung, die nicht auf das Unfallgeschehen
zurückgeführt werden könne. Wegen der weiteren Einzelheiten des Gutachtens wird auf
Bl. 65 bis 86 der Gerichtsakte (GA) verwiesen.
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Durch Urteil vom 10. September 2002 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die
Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
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Nach Zustellung am 30. September 2002 hat der Kläger gegen dieses Urteil am 23.
Oktober 2002 Berufung eingelegt und vorgetragen, seine psychischen Beschwerden
seien erst aufgetreten, nachdem er erkannt habe, dass seine Schwerhörigkeit und die
Ohrgeräusche unheilbar seien und ihn lebenslang belasten würden. Diese Erkenntnis
habe ihm jegliche Lebensfreude genommen.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10. September 2002 zu ändern und die
Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 27. Mai 1997 in der Fassung des
Widerspruchbescheides vom 27. Oktober 2000 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen
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des Arbeitsunfalls vom 27. Juni 1991 Verletztenrente nach einer MdE um 50 v.H. zu
gewähren, hilfsweise Prof. Dr. Dr. T1 ergänzend zu hören, warum hier der ursächliche
Zusammenhang zwischen den psychischen Störungen und dem Arbeitsunfall
anzunehmen ist.
Der Beklagte, der dem Urteil beipflichtet, beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Senat hat nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ein Gutachten des
Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Prof. Dr. Dr. T1, Direktor der Klinik und
Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der I-Universität E, eingeholt. Dieser
schätzt die unfallbedingte MdE im Gutachten vom 25. Oktober 2003 aufgrund einer
posttraumatischen Belastungsstörung auf 50 v.H. ein. Wegen der übrigen Details wird
auf Bl. 149 bis 174 der GA verwiesen.
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Dagegen hat der Beklagte eingewandt, der Zeitraum zwischen dem Unfall und dem
Beginn der psychischen Störungen sei bei fehlenden Brückensymptomen zu groß, um
eine posttraumatische Belastungsstörung zu diagnostizieren. Außerdem hätten die
Beschwerden nach dem Unfall nicht ab-, sondern zugenommen. Betrachte man
überdies den Unfallverlauf, so habe sich der Kläger nicht hilflos-passiv verhalten,
sondern den körperlich schwächeren Schüler festgenommen, die Waffe entwendet und
der Polizei übergeben. Der Sachverständige (SV) verkenne, dass der Kläger keiner
hilflosen Situation ohne eigenen Handlungsspielraum im Sinne von Flucht- und
Schutzreaktionen ausgesetzt gewesen sei. Dies sei aber Grundvoraussetzung für die
Annnahme einer posttraumatischen Belastungsstörung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der Verwaltungsakte Bezug genommen. Beide Akten sowie die
Streitakte aus dem Verfahren L 17 U 202/94 waren Gegenstand der mündlichen
Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung ist unbegründet.
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Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger ist durch die angefochtenen
Bescheide nicht beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG), weil sie rechtmäßig sind. Denn er
hat aufgrund des Unfalls vom 27. Juni 1991 keinen Anspruch auf Gewährung einer
Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H., wie dies hier wegen Fehlens
eines Stütztatbestandes nach § 581 Abs. 3 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung
(RVO) erforderlich ist.
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Der Anspruch richtet sich noch nach den Vorschriften der RVO, weil der
Versicherungsfall bereits eingetreten war, bevor das Siebte Buch des
Sozialgesetzbuches (SGB VII) am 01. Januar 1997 in Kraft trat, und die Leistung nach
diesem Zeitpunkt nicht erstmals festzusetzen war (Art. 36 Unfallversicherungs-
Einordnungsgesetz (UEVG), §§ 212, 214 Abs. 3 Satz 1 SGB VII). Rechtsgrundlage für
den Anspruch ist § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO. Danach wird als Verletztenrente der Teil der
Vollrente (§ 581 Abs. 1 Nr. 1 RVO) gewährt, der dem Grade der MdE entspricht, solange
die Erwerbsfähigkeit des Verletzten infolge des Arbeitsunfalls um wenigstens ein Fünftel
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(20 v.H.) gemindert ist.
Wegen eines Arbeitsunfalls besteht Anspruch auf Entschädigungsleistungen, wenn die
versicherte Tätigkeit, das Unfallereignis und der geltend gemachte Gesundheitsschaden
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sind (BSG, Urteile vom 20.
Januar 1987, Az.: 2 RU 27/86, BSGE 61, 127, 130 und vom 22. Juni 1988, Az.: 9/9a
RVg 3/87, BSGE 63, 270, 271, Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung,
Handkommentar, Stand: November 2003, § 8 SGB VII Rn. 10). Der ursächliche
Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Arbeitsunfall
(haftungsbegründende Kausalität) sowie zwischen Arbeitsunfall und
Gesundheitsschaden (haftungsausfüllende Kausalität) beurteilt sich nach der
unfallrechtlichen Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung. Danach sind nur die
Bedingungen (mit-)ursächlich, die wegen ihrer besonderen Bedeutung für den Erfolg an
dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (BSG, a.a.O.; Mehrtens, a.a.O.). Der
Ursachenzusammenhang muss hinreichend wahrscheinlich sein; die bloße Möglichkeit
genügt nicht (BSG, Urteile vom 02. Februar 1978, Az.: 8 U 66/77, SozR 2200 § 548 Nr.
38 und vom 22. August 2000, Az.: B 2 U 34/99 R, SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2;
Mehrtens, a.a.O., Rn. 10.1). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn
mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache
ausscheiden (BSG SozR § 548 Nr. 38 und Urteil vom 18. Dezember 1997, Az.: 2 RU
48/96, SGb 1999, 39, 40). Die Faktoren, die für den Ursachenzusammenhang sprechen,
müssen die Umstände, die gegen die Kausalität sprechen, deutlich überwiegen (vgl.
Schulze-Weidner, SGb 1992, 59, 64f.).
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Legt man diese Kriterien zugrunde, so lassen sich die psychischen Störungen des
Klägers nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 27. Juni 1991
zurückführen. Entgegen den Ausführungen von Dr. L1 und Prof. Dr. Dr. T1 liegt keine
posttraumatische Belastungsstörung vor. Der Senat stützt sich dabei auf das
überzeugende Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. C vom 26. März 2002
und auf die herrschende Meinung im versicherungsmedizinischen Schrifttum, die bei der
Zusammenhangsbeurteilung maßgebend ist (BSG, Urteil vom 12. November 1986, Az.:
9b RU 76/86; Plagemann/Hontschick, Medizinische Begutachtung im Sozialrecht, 3.
Aufl. 1996, S. 27). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert die
posttraumatische Belastungsstörung als "Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder
eine Situation mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß,
die bei fast jedem tiefe Verzweiflung hervorrufen würde" (so die Beschreibung in ICD-
10: F 43.1). Nach der herrschenden Meinung im versicherungsmedizinischen Schrifttum
setzt die posttraumatische Belastungsstörung u.a. eine außergewöhnliche Bedrohung
des Lebens oder der körperlichen Integrität voraus, beginnt spätestens 6 Monate nach
dem Unfall und kann - bei abnehmender Krankheitsentwicklung - bis zu 2 Jahre
andauern (vgl. hierzu Schnyder, Entstehung und Verlauf der posttraumatischen
Belastungsstörung, Med Sach 99 (2003), S. 142, 143; Schönberger/Mehrtens/Valentin,
Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, S. 229; deren Ausführungen zum
Gegenstand des Berufungsverfahrens gemacht worden sind).
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Problematisch ist bereits, dass die Schüsse aus dem Gasrevolver objektiv nicht
existenzbedrohend waren, vom Kläger subjektiv aber als lebensgefährlich
wahrgenommen wurden. Nach den strengen Kriterien des DSM-IV (Diagnostic and
Statistical Manual of Mental Disorders), einem eigenständigen Klassifizierungssystem
neben dem ICD-10, läge schon deshalb keine posttraumatische Belastungsstörung vor
(so die den Prozeßbeteiligten übersandten Aufsätze von Leonhardt/Foerster, Probleme
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bei der Begutachtung der posttraumatischen Belastungsstörung, Med Sach 99 (2003),
150, 151 Anlage 1 und Foerster/Leonhardt, Diagnose und Differenzialdiagnose der
posttraumatischen Belastungsstörung, Med Sach 99 (2003), 146, 147). Der ICD-10
trennt dagegen nicht so deutlich zwischen dem subjektiven und objektiven Aspekt der
Bedrohungssituation, was zu Vagheiten und Interpretationsspielräumen führt
(Leonhardt/Foerster, a.a.O.). Bei weiter Auslegung der ICD-10-Kriterien ließe sich daher
eine Traumatisierung "möglicherweise" auch allein aus dem subjektiven Erleben
begründen (Leonhardt/Foerster, a.a.O.). Stellt man ausschließlich darauf ab, wie der
Kläger den Tathergang subjektiv wahrgenommen hat, ist eine außergewöhnliche
Bedrohung anzunehmen (so auch der SV Dr. C). Denn der Kläger ist glaubhaft davon
ausgegangen, dass ihn der Schüler mit einem "echten" Revolver erschießt. Die
Bedrohungssituation lässt sich auch nicht mit dem Hinweis relativieren, dass der Kläger
dem Schüler körperlich überlegen war. Denn gegen eine geladene Schusswaffe ist
auch ein Kampfsportler und Ringkämpfer machtlos. Einen "Handlungsspielraum im
Sinne von Flucht- oder Schutzreaktionen" kann der Senat nicht erkennen. Obwohl der
Kläger "primär aktiver Teilnehmer bzw. auch Initiator des Geschehens" war, kann auch
nicht in Abrede gestellt werden, dass er bei den Revolverschüssen intensive (Todes-)
Angst und ein Gefühl der Hilflosigkeit verspürte. Dagegen spricht auch nicht, dass er
den Tathergang 11 Jahre später "distanziert" schildert (so Dr. C) und Katastrophenhelfer
i.d.R. keine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln. Legt man die Kriterien des
ICD-10 zugunsten des Klägers weit aus, so war der Unfall generell geeignet, eine
posttraumatische Belastungsstörung hervorzurufen.
Allerdings spricht der Krankheitsverlauf eindeutig gegen eine posttraumatische
Belastungsstörung: Sie folgt dem Trauma in aller Regel unmittelbar, selten mit einer
Latenz von bis zu 6 Monaten, wie die SVen Dr. C und Prof. T1 übereinstimmend
ausführen. Dies stimmt mit der herrschenden Meinung im versicherungsmedizinischen
Schrifttum überein (Foerster/Leonhardt, Med Sach 99 (2003), 146, 149; Schnyder,
a.a.O., S. 143, 144, wonach die Latenz unter bestimmten Umständen" auch viele Jahre
betragen könne; Schönberger u.a., S. 229). Der Kläger ist - nach eigenen Angaben -
zwei Jahre nach dem Unfall (1993/94) erstmals nervenärztlich behandelt worden, wobei
offenbar keine intensiven Therapiemaßnahmen eingeleitet wurden. Dies spricht gegen
das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung, wobei zu bedenken ist, dass
diese Erkrankung erst 1999, d.h. 8 Jahre nach dem Unfall, diagnostiziert wurde. Alle
Arztbriefe und ärztlichen Berichte, die unfallnah erstellt wurden, erwähnen keine
psychische Störung. Selbst in dem Bericht der Rheinischen Landes- und
Hochschulklinik Düsseldorf, Abteilung für Neurologie, über einen stationären Aufenthalt
des Klägers vom 08 bis zum 13. Februar 1996 finden sich keine Angaben zu
psychischen Auffälligkeiten. Insgesamt sprechen der Zeitablauf und die geringe
Behandlungsanamnese dagegen, dass der Unfall eine psychoreaktive Störung
ausgelöst hat. Der SV Prof. Dr. Dr. T1 widerspricht sich in seinem Gutachten vom 25.
Oktober 2003 selbst, wenn er einerseits eine posttraumatische Belastungsstörung
diagnostiziert und andererseits eine Latenzzeit von Wochen bis zu sechs Monaten
zugrundelegt, die beim Kläger deutlich überschritten war. Sollte er der Meinung sein,
dass die Latenzzeit im konkreten Einzelfall aufgrund besonderer Umstände (Schnyder,
a.a.O., S. 144) deutlich länger zu bemessen ist, so hätte er dies in seinem Gutachten
eingehend begründen müssen.
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Nach den überzeugenden Angaben des SV Dr. C sind unfallbedingte psychische
Störungen direkt nach einem Unfall am stärksten ausgeprägt und bilden sich
anschließend (innerhalb von 2 Jahren) langsam zurück. Dies ist im
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versicherungsmedizinischen Schrifttum anerkannt (Schönberger u.a., a.a.O.). Beim
Kläger ist es allerdings zum entgegengesetzten Verlauf mit Verschlimmerungstendenz
gekommen. Die Beschwerden haben nicht ab-, sondern zugenommen, was eine
traumatische Ursache ebenfalls ausschließt.
Schließlich führt auch die Berufungsbegründung zu keinem anderen Ergebnis. Dort legt
der Kläger dar, seine psychischen Beschwerden seien erst aufgetreten, nachdem er
erkannt habe, dass seine Schwerhörigkeit und die Ohrgeräusche unheilbar seien und
ihn lebenslang belasten würden. Dies lässt an eine Anpassungsstörung (früher
psychogene Reaktion bzw. reaktive Depression) denken, die jedoch kein Gutachter
diagnostiziert hat. Dr. L1 spricht lediglich von "sozialen Anpassungsschwierigkeiten".
Da die Symptome einer Anpassungsstörung innerhalb eines Monats nach dem
belastenden Ereignis beginnen und i.d.R. nicht länger als 6, bei der reaktiven
Depression nicht länger als 24 Monate andauern (Schönberger u.a., S. 228), scheidet
auch eine Anpassungsstörung aus. Bleiben depressive Reaktionen bestehen,
verstärken sie sich sogar oder treten sie bei geringfügigen Traumen auf, so deutet dies
auf eine besondere Disposition des Verletzten zu neurotischen Störungen hin, so dass
die Krankheitsanlage im Vergleich zum Unfallereignis wesentlich in den Vordergrund
tritt (Senatsurteil vom 25. Februar 1998, Az.: L 17 U 233/95, HVBG-INFO 1999, 1961 ff.).
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Auf HNO-ärztlichem Fachgebiet liegt nach der beratungsärztlichen Stellungnahme des
Sozialmediziners Dr. X vom 31. Januar 2001 zwar eine MdE von 10 v.H. vor. Sie ist
jedoch - bei Fehlen eines Stütztatbestandes - nicht rentenrelevant.
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Zu weiteren Ermittlungen im Sinne des Hilfsantrags besteht kein Anlass. Der Senat
sieht sich nicht gedrängt, den SV Prof. Dr. Dr. T1 von Amts wegen (§ 103 Satz 1 SGG)
zu befragen, warum der ursächliche Zusammenhang zwischen den psychischen
Störungen und dem Arbeitsunfall bestehen soll. Denn diese Frage hat ihm der Senat
schon in der Beweisanordnung vom 21. März 2003 gestellt, und der SV hat sie in
seinem Gutachten vom 25. Oktober 2003 bereits beantwortet. Es ist deshalb nicht
erkennbar, inwiefern eine erneute Nachfrage zu einem Erkenntnisgewinn führen soll. Im
Übrigen hat der Kläger sein Recht, Prof. Dr. Dr. T1 als Arzt seines Vertrauens gem. §
109 Abs. 1 Satz 1 SGG zu hören, bereits ausgeschöpft (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7.
Aufl. 2002, § 109 Rn. 10 a).
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG und trägt der Erfolglosigkeit der
Berufung Rechnung.
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Zur Revisionszulassung bestand kein Anlass, weil die gesetzlichen Voraussetzungen
hierfür nicht gegeben sind (§ 160 Abs. 2 SGG).
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