Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 07.05.2007

LSG NRW: zwangsarbeit, anerkennung, form, freiwilligkeit, entgeltlichkeit, bfa, arbeiter, lebensmittel, verpflegung, wartezeit

Landessozialgericht NRW, L 3 R 165/06
Datum:
07.05.2007
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 3 R 165/06
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 53 (15) RJ 138/04
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 13 R 56/09 R
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 28.04.2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche
Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht
zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Der Kläger begehrt von der Beklagten Regelaltersrente. Streitig ist dabei insbesondere,
ob Arbeitszeiten im Ghetto Krakau (im damaligen Generalgouvernement, Distrikt
Krakau) von März 1941 bis Oktober 1942 als glaubhaft gemachte Beitragszeit auf die
allgemeine Wartezeit anzurechnen sind.
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Der am 00.00.1931 in L (Polen) geborene Kläger ist jüdischer Abstammung und
anerkannter Verfolgter im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes - BEG -. Im Jahre
1951 wanderte er nach Israel aus und erwarb die israelische Staatsangehörigkeit.
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Anlässlich eines von ihm im November 1956 eingeleiteten Entschädigungsverfahrens
wurde dem Kläger für die Zeit vom 01.02.1941 bis 15.01.1945 eine Entschädigung für
Schaden an Freiheit gewährt (Bescheid des Bezirksamtes für Wiedergutmachung in
Koblenz vom 15.12.1960). In einer eidlichen Erklärung vom 12.07.1956 führte der
Kläger damals gemeinsam mit seinem Vater und seiner Mutter u.a. aus, sie seien kurz
nach der Besetzung Krakaus durch die Deutschen am 05.09.1939 nach Krakau-
Podgorze umgesiedelt worden, wo sich das Judenviertel befunden habe. Nach der
Absperrung des Ghettos im März 1941 sei der Vater des Klägers zur Zwangsarbeit im
Außenkommando der deutschen Baufirma I in Bronowice, seine Mutter zur
Zwangsarbeit in der SS-Küche in Krakau "zwangseingesetzt" worden. Der Kläger selbst
sei in der Jugendgruppe in der Ghetto-Bürstenbinderei "zwangsbeschäftigt" gewesen.
Nachdem sie erfahren hätten, dass in den nächsten Tagen eine große
Judenaussiedlung zu erwarten sei, seien sie ungefähr Mitte Oktober 1942 von ihren
Arbeitsstellen geflohen. In einem im Verlauf des Entschädigungsverfahrens vorgelegten
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Vordruck gab der Kläger unter dem 07.04.1958 an, er habe nach der im März 1941
erfolgten Absperrung des Ghettos Krakau Zwangsarbeit in der Bürstenbinderei
verrichten müssen und sei ungefähr Mitte Oktober 1942 aus dem Ghetto geflohen. T und
N H bestätigten in eidlichen Erklärungen vom 12.07.1956 den Aufenthalt des Klägers
und seiner Eltern im geschlossenen Ghetto Krakau von März 1941 bis Oktober 1942
und führten ferner u.a. aus, dass der Kläger in der Ghetto-Bürstenbinderei
"zwangsgearbeitet" habe.
Aufgrund eines im Juni 1998 bei der Claims Conference eingeleiteten
Entschädigungsverfahrens erhielt der Kläger aus dem dortigen so genannten "Article 2
Fund" ebenfalls Entschädigungsleistungen wegen seines Verfolgungsschicksals. Auch
in dem dortigen Verfahren machte er einen Aufenthalt im Ghetto Krakau von März 1941
bis Oktober 1942 geltend. Ferner führte der Kläger aus, nach der im März 1941 erfolgten
Absperrung des Krakauer Judenghettos seien seine Eltern zu Zwangsarbeiten
eingesetzt worden, während er selbst in der Jugendgruppe in der Ghetto-
Bürstenbinderei "zwangsbeschäftigt" gewesen sei. Ungefähr Mitte Oktober 1942 seien
sie von ihren Arbeitsstellen geflohen.
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Im Dezember 1990 beantragte der Kläger bei der ehemaligen
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte - BfA - (heute Deutsche
Rentenversicherung Bund) Altersruhegeld unter Anerkennung von Arbeitszeiten bzw.
eines Schulbesuchs seit dem Jahre 1946 sowie die Zulassung zur Nachentrichtung
freiwilliger Beiträge. In dem Fragebogen für Ersatzzeiten gab er damals an, sich von
Mitte Oktober 1939 bis Oktober 1942 im Ghetto Krakau befunden zu haben. Im Rahmen
einer auf Veranlassung der BfA bei dem Israelischen Finanzministerium in Tel Aviv im
August 1992 durchgeführten Sprachprüfung kam der Sprachprüfer zu dem Ergebnis,
dass der Kläger zur Zeit seiner Auswanderung aus Polen dem deutschen Sprach- und
Kulturkreis (dSK) zugehörig gewesen sei. Die BfA erklärte sich daraufhin bereit, die Zeit
von August 1948 bis November 1949 als glaubhaft gemachte Versicherungszeit
anzuerkennen, lehnte den Antrag des Klägers auf Nachentrichtung freiwilliger Beiträge
sowie die Gewährung einer Rente (wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit) jedoch ab
(Bescheide vom 26.05.1993 und 04.10.1994), nachdem der Kläger trotz erfolgter
Erinnerungen die für die Bearbeitung seines Antrags erforderlichen Unterlagen nicht
vorgelegt hatte.
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Am 13.11.2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten Regelaltersrente unter
Anerkennung einer Ghettobeitragszeit nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von
Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto - ZRBG -. In dem daraufhin von der
Beklagten übersandten Fragebogen zur Anerkennung von Zeiten unter
Berücksichtigung der Vorschriften des ZRBG gab der Kläger unter dem 23.02.2003 an,
er habe innerhalb des Ghettos Krakau täglich zehn Stunden in der Ghetto-
Bürstenbinderei gearbeitet. Der Arbeitseinsatz sei durch Vermittlung des Arbeitsamtes
zustandegekommen. Auf dem Weg von und zur Arbeit sei er durch Polizisten bewacht
worden. Für seine Arbeit sei er mit vergrößerten Lebensmittelrationen und Essen am
Arbeitsplatz entlohnt worden. Er habe auch Sachbezüge erhalten. Ob er auch Barlohn
bekommen habe, sei ihm nicht erinnerlich.
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Nach Beiziehung der über den Kläger bei dem Amt für Wiedergutmachung und der
Claims Conference geführten Entschädigungsakten lehnte die Beklagte den
Rentenantrag durch den angefochtenen Bescheid vom 23.12.2003 mit der Begründung
ab, dass ein im Ghetto Krakau aus eigenem Willensentschluss aufgenommenes und
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entgeltliches Beschäftigungsverhältnis im Sinne des ZRBG im Hinblick auf das
damalige Lebensalter des Klägers von zehn Jahren nicht glaubhaft gemacht sei. Im
Übrigen habe der Kläger im Rahmen seines Entschädigungsverfahrens nach dem BEG
selbst erklärt, im Ghetto Krakau in der Ghetto-Bürstenbinderei "zwangsbeschäftigt"
gewesen zu sein.
Zur Begründung seines gegen diesen Bescheid am 12.01.2004 eingelegten
Widerspruchs führte der Kläger aus, während seines Aufenthalts im Ghetto Krakau
schon aufgrund seines Alters nicht zur Arbeit verpflichtet gewesen zu sein, sondern die
behauptete Tätigkeit in der Ghetto-Bürstenbinderei aus freiem Willen aufgenommen zu
haben. Die Notwendigkeit der Aufnahme einer Beschäftigung habe sich zum einen aus
der Verbringung seines Vaters und Ernährers der Familie im März 1941 zur
Zwangsarbeit in das Außenkommando Bronowice, zum anderen aus dem enormen
Preisanstieg für Grundnahrungsmittel, insbesondere in den Städten, ergeben. Zwar
habe in der ersten Zeit der deutschen Besetzung Chaos bei der Beschaffung von
jüdischen Arbeitskräften geherrscht, die willkürlich aufgegriffen worden seien und
unentgeltlich Zwangsarbeiten hätten verrichten müssen. Die schlechte Erfahrung mit
dieser Praxis und die Erkenntnis, dass ohne eine systematische Regelung keine
größeren Arbeitsvorhaben hätten verwirklicht werden können, habe den damaligen SS-
und Polizeiführer in der Folge veranlasst, in seinem Stab ein Judenreferat zur zentralen
Steuerung des Arbeitseinsatzes einzurichten. Dort sei laut Protokoll über die
Besprechung des Einsatzes jüdischer Zwangsarbeiter beim SS-Polizeiführer M vom
22.04.1940 u.a. geregelt worden, dass die Verpflegung und Unterbringung der
jüdischen Arbeitskräfte von den jüdischen Gemeinden (Judenräten) hätten übernommen
werden müssen. Darüber hinaus habe Einigkeit bestanden, dass jüdische Zwangsarbeit
kostenlos habe sein müssen. Die daraufhin eintretenden Zustände hätten die
Verwaltungszentrale in Krakau jedoch alarmiert, weil diese Praxis alsbald verheerende
Auswirkungen auf den wirtschaftlichen Zustand der jüdischen Gemeinden gehabt habe,
die nunmehr finanziell doppelt belastet gewesen seien. Sie hätten die Kosten des
Arbeitseinsatzes zahlen müssen und gleichzeitig einen eigenen Steuerzahler verloren,
weil die Gemeinden ihre Haushaltsmittel im Wege der Selbstbesteuerung aufgebracht
hätten. Dieser Umstand sowie der Arbeitskräftemangel habe die Nutzbarmachung der
jüdischen Arbeitskräfte im Generalgouvernement dringend erforderlich gemacht, zumal
sich unter den zwangsarbeitspflichtigen Juden im Gegensatz zu den Juden im Reich
gute Facharbeiter und Handwerker befunden hätten. In der Folge sei die Zuständigkeit
für den jüdischen Arbeitseinsatz auf die Zivilverwaltung, Abteilung Arbeit,
übergegangen, die sodann neue Richtlinien erarbeitet habe. Der Bedarf an jüdischen
Arbeitskräften sei nunmehr bei den Arbeitsämtern zu beantragen gewesen. Ferner habe
- so die Forderung von Frauendorfer an die Abteilung Arbeit in den Distrikten vom
05.07.1940 - eine ordnungsgemäße Entlohnung erfolgen sollen. Die jüdischen Arbeiter
hätten 80 % des Verdienstes erhalten sollen, der einem polnischen Arbeiter für die
gleiche Arbeit zugestanden habe.
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Durch Widerspruchsbescheid vom 06.04.2004 wurde der Widerspruch im wesentlichen
unter Bezugnahme auf die in dem angefochtenen Bescheid genannten Gründe
zurückgewiesen.
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Mit seiner am 14.04.2004 bei dem Sozialgericht Düsseldorf erhobenen Klage hat der
Kläger sein Begehren weiterverfolgt und ergänzend vorgetragen, unauflösbare
Widersprüche zwischen seinen Erklärungen im Renten- und Entschädigungsverfahren
bestünden entgegen der Auffassung der Beklagten nicht. Auch sei durch nichts belegt,
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dass das Ghetto Krakau - wie von der Beklagten im Klageverfahren erstmals
vorgetragen - ab dem 01.07.1942 ein Zwangsarbeitslager gewesen sei. Die Deportation
von nicht Arbeitsfähigen bzw. nicht Arbeitenden habe im nationalsozialistischen
Sektionsdenken Prinzip gehabt und sei entsprechend auch in anderen Ghettos, z.B. im
Ghetto Lodz, vom 05. bis 12.09.1942 erfolgt. Insbesondere ergebe sich die von der
Beklagten zu dem genannten Zeitpunkt angenommene Auflösung der Arbeitsämter im
Generalgouvernement nicht aus dem von ihr im Streitverfahren angeführten Runderlass
des Leiters der "HA" Frauendorfer. Vielmehr sei dem Runderlass zu entnehmen, dass
der vom Arbeitsamt verfügte Arbeitseinsatz lediglich einer Genehmigung bzw.
Abzeichnung des Polizeiführers bedurft habe - und dies auch nur in gewissem Umfang,
insbesondere für Vermittlungen in die Rüstungsindustrie. Unter Berücksichtigung des
Berichts über die Entwicklung des Arbeitseinsatzes im Monat März 1942 im
Arbeitsamtsbezirk M vom 07.04.1942 (vgl. Musial, S. 278) sei vielmehr anzunehmen,
dass der Judenrat und das Arbeitsamt weiterhin für die ghettointerne Arbeitsvermittlung
zuständig geblieben seien. Die Zuständigkeit des Polizeiführers habe sich hingegen auf
die Zwangsarbeitslager der SS erstrecken sollen. Im Übrigen habe dem Polizeiführer
die Zuständigkeit für Zwangsarbeitseinsätze bereits zu einem früheren Zeitpunkt bis
zum Sommer 1940 oblegen. Nachdem Polizei und SS jedoch in keiner Weise in der
Lage gewesen seien, die Einsätze systematisch zu regeln, sei die Zuständigkeit, die sie
nach der Verordnung vom 26.10.1939 erlangt hätten, auf die Abteilung Arbeit der
Zivilverwaltung übergegangen, die sodann den Arbeitseinsatz - wie bereits ausgeführt -
unter Gewährung eines tariflichen Lohnes für Juden in Höhe von 80 % des
Durchschnittsverdienstes der polnischen Arbeiterin in geordnete Bahnen gelenkt habe.
Unerheblich sei insoweit, ob der Lohn lediglich in Form von Sachbezügen gewährt
worden sei; denn dies reiche entgegen den Ausführungen des Bundessozialgerichts
vom 07.10.2004 (B 13 RJ 59/03 R) aus, um ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis
im Sinne des ZRBG zu begründen. Das Bundessozialgericht habe sich in der
genannten Entscheidung nur am Rande mit der Vorschrift des ZRBG und nicht mit den
zugehörigen Gesetzgebungsmaterialien auseinander gesetzt, weil in dem dortigen
Verfahren Beschäftigungszeiten in einem Ghetto tatsächlich nicht zurückgelegt worden
seien. Die Beklagte bzw. der VDR der Bundesregierung habe im Laufe des
Gesetzgebungsverfahrens bzw. in der Gemeinsamen Arbeitsrichtlinie zum ZRBG im
Übrigen selbst festgestellt, dass die Gewährung von Sachbezügen im Rahmen des § 1
Abs.1 ZRBG genüge. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass Sachbezüge damals
einen wesentlich höheren Wert als reine Geldleistungen gehabt hätten. Unabhängig
davon werde vorliegend bestritten, dass dem Kläger als Entgelt lediglich Sachbezüge
gewährt worden seien. Vielmehr sei auch Bargeld gezahlt worden, denn es werde
unterstellt, dass der Barlohn in Höhe von 80 % des durchschnittlichen Entgelts eines
polnischen Arbeiters an die Ghettoverwaltung abgeführt worden sei, wenn der Judenrat
dieses Entgelt auch lediglich in Form von Sachbezügen an den Kläger weitergegeben
habe. In einer eidesstattlichen Erklärung vom 13.01.2005 hat der Kläger persönlich u.a.
ausgeführt, im März 1941 sei das Ghetto abgesperrt worden. Die dortigen
Wohnverhältnisse seien unbeschreiblich schlecht und Lebensmittel unerschwinglich
teuer gewesen. Binnen kürzester Zeit seien er und seine Eltern völlig mittellos gewesen.
Diese hätten Zwangsarbeit verrichten müssen. Um ihn nicht der Gefahr der
Verschickung auszusetzen, seien sie zum Judenrat gegangen und er habe sich bei der
Abteilung Arbeit registrieren lassen. Er habe sich trotz seines jungen Alters völlig
freiwillig zur Arbeit gemeldet, weil dies die einzige Möglichkeit für ihn gewesen sei,
Lebensmittel zu erhalten und zu essen. Er habe dann eine Arbeit in der Jugendgruppe
der Ghetto-Bürstenbinderei erhalten und unter "schlimmen" Bedingungen, zehn
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Stunden am Tag, gearbeitet. Oft sei er beschimpft oder misshandelt worden. Für seine
Tätigkeit sei er durch vergrößerte Lebensmittelrationen und Essen am Arbeitsplatz
entlohnt worden. Außerdem habe er einen wöchentlich ausgezahlten Betrag von
einigen Zloty erhalten, an dessen Höhe er sich heute leider nicht mehr erinnern könne.
Im Oktober 1942 sei es ihnen gelungen, aus dem Ghetto zu flüchten. Zur Stützung
seines Begehrens hat der Kläger schriftliche Erklärungen von G X und B T1 vom 19.08.
bzw. 30.08.2004 vorgelegt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.
Die Beklagte hat die angefochtenen Bescheide für zutreffend erachtet und ergänzend
ausgeführt, dass das Ghetto Krakau nach dortigen Erkenntnissen nach seiner im Juni
1942 erfolgten Verkleinerung den Charakter eines Zwangsarbeitslagers besessen habe
und daher seit diesem Zeitpunkt auch aus diesem Grunde ein freiwilliges
Beschäftigungsverhältnis nicht überwiegend wahrscheinlich sei. Unter Hinweis darauf,
dass der Kläger zuletzt Beiträge zur ehemaligen Bundesversicherungsanstalt für
Angestellte (BfA) Berlin entrichtet habe, hat die Beklagte deren Beiladung für notwendig
gehalten.
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Durch Urteil vom 28.04.2006 hat das Sozialgericht die Klage mit der Begründung
abgewiesen, dass ein im Rahmen des ZRBG erforderliches freiwilliges und
entgeltliches Beschäftigungsverhältnis des Klägers im Ghetto Krakau unter
Berücksichtigung seiner eigenen Angaben nicht glaubhaft gemacht sei. Es lägen keine
Anhaltspunkte dafür vor, dass dem Kläger für seine Tätigkeit in der Bürstenbinderei
Lebensmittel in einem Umfang und einer Regelmäßigkeit gewährt worden seien, dass
diese noch in einem angemessenen Verhältnis zu der erbrachten Gegenleistung
gestanden hätten. Der aktuelle Vortrag des Klägers, über die Gewährung von
Lebensmitteln hinaus einige Zloty erhalten zu haben, stehe seinen früheren Angaben im
Entschädigungsverfahren und den im Klageverfahren vorgelegten schriftlichen
Zeugenerklärungen entgegen. Im Übrigen sprächen die von dem Kläger selbst
angegebene Bewachung auf den Arbeitswegen durch Polizisten sowie der Umstand,
dass er laut seiner eidesstattlichen Erklärung vom 13.01.2005 bei der Arbeit beschimpft
und misshandelt worden sei, gegen die Freiwilligkeit seiner Tätigkeit in der
Bürstenbinderei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe Bezug
genommen.
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Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 11.05.2006 zugestellte Urteil hat der
Kläger am Montag, dem 12.06.2006, Berufung eingelegt und weiterhin geltend gemacht,
in der Bürstenbinderei des Ghettos Krakaus einer Beschäftigung im Sinne des ZRBG
nachgegangen zu sein. Insoweit hat er ergänzend ausgeführt, dass es nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 14.07.1999 - B 13 RJ 71/98 -),
dem historischen Gutachten des Prof. Dr. Golczewski vom 09.09.2005 über die
damaligen Verhältnisse im Generalgouvernement und anderen historischen Quellen
überwiegend wahrscheinlich sei, dass im Generalgouvernement trotz des dortigen
Arbeitszwangs aus eigenem Willensentschluss aufgenommene und gegen Entgelt
ausgeübte Beschäftigungsverhältnisse im Sinne des ZRBG existiert hätten. Nach einer
Anordnung des Amtes des Generalgouverneurs für die besetzten polnischen Gebiete
vom 05.07.1940 habe in allen geeigneten Fällen zunächst der Versuch der
Beschäftigung der Juden in freien Arbeitsverhältnissen unternommen werden sollen.
Den Ausführungen des Prof. Golczewski folgend habe man dem Arbeitszwang sogar
noch neben einem freien Beschäftigungsverhältnis nachkommen können. Die
Entscheidung, eine Tätigkeit anzunehmen, sei nicht nur freiwillig gewesen, sondern
habe - materiell und geistig - auch als Chance gegolten. Wer keine Arbeit gefunden
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habe, habe nicht nur materiell schlechter "da" gestanden, er habe sich auch in einer
neuen Ordnung als unmittelbar gefährdet gesehen. Bei der Beurteilung, ob
Zwangsarbeit oder ein freiwilliges Beschäftigungsverhältnis vorgelegen habe, sei im
Übrigen zu berücksichtigen, dass die Beweggründe, die jemanden zur Aufnahme einer
Beschäftigung veranlasst hätten, und die allgemeinen Lebensumstände, die nicht die
Arbeit oder das Arbeitsentgelt betroffen hätten, nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (Urteil vom 21.04.1999 - B 5 RJ 48/98 R -) außer Betracht bleiben
müssten. Der Kläger sei zwar zur Kontrolle vom NS-Regime in festgelegten
Wohnbezirken zusammengepfercht worden. Dennoch habe eine unter
Ghettobedingungen verrichtete Arbeitsleistung keine Zwangsarbeit dargestellt, wenn ein
eigener Willensentschluss zur Arbeitsaufnahme vorhanden gewesen sei und der
Betroffene nicht durch staatliche Zwangsmaßnahmen zur Arbeit von der Straße durch
polizeiliche bzw. obrigkeitliche Aktionen abgefangen worden sei. Der Kläger sei
während seiner 20-monatigen Beschäftigung aber nicht täglich aufs Neue zur
Zwangsarbeit eingefangen worden. Eine etwaige Bewachung auf den Arbeitswegen
oder sogar während der Arbeit sei im Übrigen kein Merkmal für Zwangsarbeit, sondern
Folge der Ghettoisierung der jüdischen Bevölkerung. Ebenso wenig könne aus der Art
der Tätigkeit des Klägers auf unentgeltliche Zwangsarbeit geschlossen werden. Bei der
Bürstenfabrik habe es sich um einen gewissermaßen normalen Arbeitgeber gehandelt,
bei dem insbesondere Kinder und Jugendliche beschäftigt gewesen seien. Dass der
Kläger dort auch entgeltlich tätig gewesen sei, ergebe sich - abgesehen von der
tatsächlich erhaltenen Gegenleistung - allein aus dem ihm nach der damaligen
Verordnungslage zustehenden Entgeltanspruch. Abgesehen davon habe der
Sachverständige Prof. Golczewski in seinem historischen Gutachten vom 09.09.2005
ausgeführt, dass aus den ihm bekannten Unterlagen nicht erkennbar sei, dass
Entlohnungen nur in der Form von Lebensmitteln erfolgt seien.
Auf Anfrage des Senats, welche Verpflegung und Lebensmittel der Kläger für seine
Tätigkeit in der Bürstenbinderei in welchem Umfang wie häufig und von wem erhalten
hat, hat der Kläger erklärt, in der Bürstenbinderei ein Frühstück in Form eines Brotes,
zumeist mit einer Art Marmelade, sowie zur Mittagszeit eine Suppe, zumeist eine
Kohlsuppe, erhalten zu haben. Er habe nicht direkt Lebensmittel, sondern die hierfür
notwendigen Bezugsscheine des Judenrates erhalten. Diese hätten zur
Entgegennahme von ganz unterschiedlichen Lebensmitteln bzw. Waren, je nach
Verfügbarkeit im Ghetto und den saisonalen Erträgen der Landwirtschaft, berechtigt. Die
Bezugsscheine hätten eingelöst, aber auch getauscht bzw. gehandelt werden können,
da sie nicht namentlich ausgestellt gewesen seien. An eine regelmäßige Ausgabe
dieser Bezugsscheine könne er sich nicht entsinnen. In Abhängigkeit von der
Versorgungslage im Ghetto habe es Monate gegeben, in denen fast wöchentlich
Bezugsscheine an die Arbeiter ausgegeben worden seien. Es habe jedoch auch
Wintermonate gegeben, in denen dies nur ein- oder zweimal im Monat der Fall gewesen
sei. Die Bezugsscheine seien von einem Mitarbeiter der Ghettoverwaltung direkt im
Arbeitsressort ausgegeben worden. Wer an diesem Glückstag bei der Arbeit gefehlt
habe, sei leer ausgegangen.
16
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
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das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28.04.2006 aufzuheben und die Beklagte
unter Aufhebung ihres Bescheides vom 23.12.2003 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 06.04.2004 zu verurteilen, ihm unter Anerkennung einer
Ghettobeitragszeit von März 1941 bis Oktober 1942 sowie der Verfolgungszeit als
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Ersatzzeit ab dem 01.07.1997 Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen
Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
20
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
21
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Streitakten, der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und der bei dem Amt für
Wiedergutmachung in Saarburg über den Kläger geführten Entschädigungsakten Bezug
genommen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
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Entscheidungsgründe:
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Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs.1, 110 Abs.1, 126 Sozialgerichtsgesetz - SGG - in
Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden, weil sein
Prozessbevollmächtiger in der Terminsmitteilung, die ihm am 13. April 2007 zugestellt
worden ist, auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war.
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Einer Beiladung der (ehemaligen) BfA Berlin gemäß § 75 Abs.2 SGG bedurfte es
entgegen der Auffassung der Beklagten nicht. In diesem Zusammenhang kann offen
bleiben, ob die BfA Berlin ursprünglich für die begehrte Rentenzahlung zuständig
gewesen wäre und daher als Dritte derartig an dem streitigen Rechtsverhältnis beteiligt
war, dass die Entscheidung auch ihr gegenüber nur einheitlich hätte ergehen können.
Jedenfalls ist sie seit dem 01.01.2005 nicht mehr als "Dritte" im Sinne des § 75 Abs.2
SGG anzusehen; denn aufgrund der zum 01.01.2005 durch das Gesetz zur
Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung - RVOrgG - vom
09.12.2004 (BGBl I, 3242) in Kraft getretenen Strukturreform treten sämtliche Träger der
gesetzlichen Rentenversicherung seither als einheitliche Rentenversicherung auf (vgl. §
125 Abs.1 SGB VI).
25
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht
abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 23.12.2003 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 06.04.2004 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger
nicht gemäß § 54 Abs.2 SGG in seinen Rechten. Die Beklagte hat zutreffend
entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Regelaltersrente hat.
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Nach § 35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) hat ein Versicherter Anspruch auf
Altersrente, wenn er das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von fünf
Jahren erfüllt hat. Zwar hat der Kläger das 65. Lebensjahr bereits im Februar 1996
vollendet. Es fehlt jedoch an den sonstigen Voraussetzungen des § 35 SGB VI. Insoweit
kann vorliegend offen bleiben, ob es der Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von fünf -
mit rentenrechtlichen Zeiten belegten - Jahren ausnahmsweise dann nicht bedarf, wenn
- wie hier - die Gewährung einer Rente unter Anerkennung von Ghettobeitragszeiten
nach dem ZRBG im Streit steht (so wohl BSG, Urteil vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06 R -
unter Berufung auf § 1 Abs.3 ZRBG); denn der Kläger hat vorliegend keinen Monat
zurückgelegt, der mit rentenrechtlichen Zeiten belegt ist.
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Als auf die allgemeine Wartezeit anrechnungsfähige Zeiten kommen insoweit Beitrags-
28
und Ersatzzeiten im Sinne der §§ 50 Abs.1 Nr.1, 51 Abs.1 und Abs.4 SGB VI in Betracht.
Dabei finden nach § 250 Abs.1 SGB VI Ersatzzeiten als rentenrechtliche Zeiten
allerdings nur dann Berücksichtigung, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag
wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt; denn Ersatzzeiten sollen
nach dem Gesetz nur Versicherten, d.h. Personen zugute kommen, die bereits
Beitragsleistungen erbracht haben (vgl. Niesel in Kasseler Kommentar, § 250 SGB VI
RdNr. 10; Schmidt in Kreikebohm, SGB VI, 2. Aufl., § 250 RdNr. 6; BSG, Urteil vom
07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R).
Der Kläger hat jedoch keine anrechenbaren Beitragszeiten zurückgelegt. Gemäß §§ 55
Abs.1, 247 Abs.3 S.1 SGB VI sind Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht oder
Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden
sind.
29
Eine Anerkennung der von dem Kläger im Ghetto Krakau behaupteten Arbeitszeiten von
März 1941 bis Oktober 1942 nach den vorgenannten Bestimmungen kommt nicht in
Betracht, weil die geltend gemachte Tätigkeit in dem streitgegenständlichen Zeitraum
nicht von den Reichsversicherungsgesetzen erfasst war. Als damaliger polnischer
Staatsangehöriger jüdischer Abstammung gehörte der Kläger nicht zu dem von den
Reichsversicherungsgesetzen erfassten Personenkreis. Zuständig war nach dem in
dem streitigen Zeitraum geltenden Rechtszustand allein der polnische
Sozialversicherungsträger. Nach der damaligen Rechtslage war eine Beitragszahlung
für in Krakau verrichtete Arbeiten zu einem deutschen Rentenversicherungsträger nicht
möglich. Die Stadt Krakau lag im so genannten Generalgouvernement für die besetzten
polnischen Gebiete (vgl. Koch/Hartmann, die Rentenversicherung im SGB,
Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Polen, Teil C, Anhang 1, S C 3;
Mischkowsky, Die eingeliederten Ostgebiete und das Generalgouvernement, 1951, S.
91 f). Das Generalgouvernement wurde durch den Erlass des "Führers und
Reichskanzlers" über die Verwaltung der besetzten polnischen Gebiete vom 12.10.1939
(RGBl. I 2077) errichtet. Im Gegensatz zu anderen Gebieten Polens (vgl. den Erlass
über die Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete vom 08.10.1939, RGBl I 2042,
geändert 2057) wurde es dem Deutschen Reich zwar an-, aber nicht eingegliedert (vgl.
z.B: Klein, AöR 32 - 1941 -, 227 ff, 258 ff; Majer, Verw Arch 1999, 163, 168 f; Rebentisch,
Führerstaat und Verwaltung im 2. Weltkrieg 1989, S. 173; Viehweg,
Reichsverwaltungsblatt 1940, 581 ff; Weh, Deutsches Recht 1940, 1393 ff). Trotz
vielfältiger Abhängigkeiten war das Generalgouvernement mithin dem Deutschen Reich
gegenüber Ausland. Das bisher geltende Recht blieb grundsätzlich in Kraft, wurde
allerdings in der Folgezeit verschiedentlich durch Verordnungen des Ministerrates für
die Reichsverteidigung des Beauftragten für den Vier-Jahres-Plan sowie des
Generalgouvernements geändert und ergänzt (vgl. §§ 4, 5 des Erlasses vom
12.10.1939; allgemein dazu Adami, Deutsches Recht 1940, 604 ff; vgl. auch §§ 1 f der
Verordnung über die Sozialversicherung in den besetzten polnischen Gebieten vom 17.
Oktober 1939, Verordnungsblatt für die besetzten Gebiete in Polen, S. 58; dazu
Frauendorfer, Soziales Deutschland 1941, V 93 ff; Koch/Hartmann, a.a.O., Polen,
Einführung 2.3.4. S. B 12; Mischkowsky, a.a.O., S. 95 ff; Stamm, Zeitschrift der
Akademie für deutsches Recht 1942, 37).
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Ebenso scheidet die Anerkennung der begehrten Arbeitszeiten von März 1941 bis
Oktober 1942 als fiktive Bundesgebietsbeitragszeiten nach den Bestimmungen des
ZRBG aus. Gemäß § 2 Abs.1 iVm § 1 Abs.1 S.1 ZRBG gelten für Zeiten der
Beschäftigung von Verfolgten, die (1.) sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten
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haben, welches sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder
diesem eingegliedert war, und (2.) dort eine aus eigenem Willensentschluss zustande
gekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt haben, Beiträge als gezahlt, sofern
für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit
erbracht wird. Diese Voraussetzungen sind vorliegend jedoch nicht erfüllt.
In diesem Zusammenhang mag offen bleiben, ob die Anwendung des ZRBG - wie vom
Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 14.12.2006 (B 4 R 29/06 R)
angenommen - über den Wortlaut des § 1 Abs.1 S.2 ZRBG in persönlicher Hinsicht
voraussetzt, dass dem Betroffenen für die geltend gemachte Beschäftigung in einem
Ghetto keine Ansprüche nach dem Fremdrentengesetz - FRG - bzw. dem Gesetz zur
Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der
Sozialversicherung - WGSVG - zustehen (ohne dass eine solche Leistung tatsächlich
erbracht wird). Ebenso kann vorliegend dahin stehen, ob (1.) schon der Umstand, dass
der Kläger von der Claims Conference aufgrund seines im Ghetto Krakau erlittenen
Verfolgungsschicksals eine Entschädigung erhalten hat, die Anwendung des ZRBG
vorliegend ausschließt, (2.) - falls nicht - die Anerkennung einer Ghetto-Beitragszeit
nach dem ZRBG - ebenfalls über den Wortlaut des § 1 Abs.1 S.1 ZRBG hinaus - ferner
erfordert, dass der Betroffene gemäß § 17 a FRG bzw. § 20 WGSVG in den dort
genannten Zeitpunkten dem dSK angehörte und (3.) der Kläger diese Voraussetzung
unter Berücksichtigung des Ergebnisses seiner bei dem Israelischen Finanzministerium
in Tel Aviv auf Veranlassung der BfA im August 1992 durchgeführten Sprachprüfung
erfüllt; denn es fehlt jedenfalls an den - in § 1 Abs.1 ZRBG ausdrücklich genannten -
sachlichen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Ghettobeitragszeit nach dem
ZRBG, namentlich dem Erfordernis der Ausübung einer aus eigenem Willensentschluss
zustande gekommenen Beschäftigung gegen Entgelt. Dabei mag offen bleiben, ob
diese Beschäftigung nachgewiesen oder - in entsprechender Anwendung des § 4 FRG
bzw. § 3 WGSVG - lediglich glaubhaft gemacht sein muss; denn der Kläger hat schon
nicht glaubhaft gemacht, in der streitgegenständlichen Zeit eine von § 1 Abs.1 ZRBG
erfasste Beschäftigung ausgeübt zu haben.
32
Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der
Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen,
überwiegend wahrscheinlich ist (vgl. § 4 Abs.1 FRG, § 3 Abs.1 WGSVG).
Glaubhaftmachung bedeutet danach mehr als das Vorhandensein einer bloßen
Möglichkeit, aber auch weniger als die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Es
genügt die "gute Möglichkeit", dass der entscheidungserhebliche Vorgang sich so
zugetragen hat, wie behauptet wird. Es muss also mehr für als gegen den behaupteten
Sachverhalt sprechen. Dabei sind gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich (vgl.
BSG SozR 3-3900 § 15 Nr.4).
33
Nach der dabei erforderlichen Gesamtwürdigung aller Umstände hält der Senat es unter
Berücksichtigung der insoweit im wesentlichen einheitlichen Angaben des Klägers in
seinen Entschädigungsverfahren und in dem aktuellen Rentenverfahren für
überwiegend wahrscheinlich, dass er sich in dem streitgegenständlichen Zeitraum von
März 1941 bis Oktober 1942 im Ghetto Krakau aufhielt. Das gilt umso mehr, als die im
Entschädigungsverfahren nach dem BEG schriftlich gehörten Zeugen N und T H die
diesbezüglichen Angaben des Klägers in ihren eidlichen Erklärungen vom 12.07.1956
bestätigt haben und sich diese auch mit den dem Senat vorliegenden historischen
Erkenntnissen über die Existenz des Ghettos in Einklang bringen lassen. Danach wurde
das Ghetto im März 1941 eingerichtet und im März 1943 liquidiert (vgl. die Datenbank
34
"Deutschland. Ein Denkmal." unter , Stichwort "Ghetto Krakow", Nr. 1420, und die ARC
Ghetto List unter www.deathcamps.org./occupation/ghettolist.htm, Stichwort "Krakow").
Auch lag das Ghetto Krakau in einem Gebiet, das damals vom Deutschen Reich besetzt
war (s.o.). Zweifelhaft könnte allerdings sein, dass der Kläger sich dort im Sinne des § 1
Abs.1 S.1 ZRBG "zwangsweise" aufhielt. Das gilt jedenfalls dann, wenn ein solcher
zwangsweiser Aufenthalt voraussetzt, dass der NS-Verfolgte durch eine
Aufenthaltsbeschränkung auf einen zugewiesenen - in der Regel von Juden bewohnten
- Wohnbezirk ("Ghetto") vollständig und nachhaltig von der Umwelt abgesondert ist und
diese Aufenthaltsbeschränkung durch die Androhung schwerster Strafen bis hin zur
Todesstrafe erzwungen wurde (so BSG, Urteil vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06 R -).
Letztlich kann dies jedoch ebenso offen bleiben wie die Frage, ob das Ghetto Krakau
bereits ab März 1941 in diesem Sinne von der Außenwelt abgeschlossen war; denn es
ist jedenfalls nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger dort einer
Beschäftigung im Sinne des § 1 Abs.1 ZRBG nachgegangen ist.
Der Senat hält es zwar für glaubhaft gemacht, dass der Kläger während seines
Aufenthalts im Ghetto Krakau entsprechend seinem Vorbringen im Rentenverfahren in
einer Bürstenbinderei gearbeitet hat; dies insbesondere deshalb, weil er eine solche
Tätigkeit - bestätigt durch die bereits genannten eidlichen Erklärungen der Zeugen T
und N H - bereits in seinem im November 1956 und damit am zeitnächsten zu dem
Verfolgungsgeschehen eingeleiteten Verfahren auf Entschädigung eines
Freiheitsschadens erwähnt hat (vgl. seine eidliche Erklärung vom 12.07.1956 und seine
Angaben in dem Vordruck vom 07.04.1958). Es ist jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass
es sich bei der von dem Kläger im Ghetto Krakau verrichteten Tätigkeit in der
Bürstenbinderei um eine aus eigenem Willen zustande gekommene und gegen Entgelt
ausgeübte Beschäftigung im Sinne des § 1 Abs.1 S.1 ZRBG handelte.
35
Auch bei Arbeiten, die unter den allgemeinen Bedingungen der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft verrichtet wurden, ist nach der Rechtsprechung des BSG eine von den
Merkmalen der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit bestimmte Beschäftigung, die
grundsätzlich der Versicherungspflicht unterliegt, von nichtversicherungspflichtiger
Zwangsarbeit abzugrenzen (BSG SozR 3-5070 § 14 Nr. 2,3; BSG SozR 3-2200 § 1248
Nr.15, 16, 17). Dabei ist das Vorliegen eines - freien - Beschäftigungsverhältnisses
danach zu beurteilen, ob die Beschäftigung im Sinne des Arbeitsrechts aufgrund einer
zweiseitigen Vereinbarung aufgenommen wurde und den Austausch wirtschaftlicher
Werte (Arbeit gegen Lohn) zum Inhalt hatte. Die Ausübung einer Beschäftigung im
Sinne von "Zwangsarbeit” genügt dazu nicht (BSG SozR 3-5070 § 14 Nr.2 S.6 ff und
Nr.3 S.18 ff). Zwangsarbeit ist in Abgrenzung zur versicherungspflichtigen
Beschäftigung die Verrichtung von Arbeit unter obrigkeitlichem (hoheitlichem) bzw.
gesetzlichem Zwang, wie z.B. bei Strafgefangenen und Kriegsgefangenen oder in
Zwangsarbeitslagern (vgl. z.B. BSGE 80, 250, 253 = SozR 3-2200 § 1248 Nr.15).
Typisch ist dabei insbesondere die obrigkeitliche Zuweisung von Arbeiten, ohne dass
die Arbeiter selbst hierauf Einfluss haben. Weiter ist charakteristisch für Zwangsarbeit,
dass ein Entgelt für die individuell geleistete Arbeit nicht oder nur in geringem Maße an
die Arbeiter ausgezahlt wird (vgl. hierzu BSGE 38, 245 = SozR 5070 § 14 Nr.12; BSG,
Urteil vom 20.02.1975 - 4 RJ 15/74 -; BSG SozR 5070 § 14 Nr.9). Entsprechendes gilt
für die Bewachung der Arbeiter während der Arbeit, um zu verhindern, dass diese sich
aus dem obrigkeitlichen Gewahrsam entfernen können (zur Abgrenzung vgl. BSGE 12,
71 = SozR Nr. 18 zu § 537 RVO). Diese Kriterien zeigen, dass eine verrichtete Arbeit
sich um so mehr von dem Typus des Arbeits- bzw. Beschäftigungsverhältnisses entfernt
und dem Typus der Zwangsarbeit annähert, als sie durch hoheitliche Eingriffe überlagert
36
wird, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann (vgl. BSG, Urteil vom 14.07.1999,
B 13 RJ 71/99 R).
Diese Grundsätze gelten auch für Rentenansprüche, die - wie hier - auf das ZRBG
gestützt werden. Insbesondere knüpft § 1 Abs.1 S.1 ZRBG, der - wie bereits ausgeführt -
die Ausübung einer aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen
Beschäftigung gegen Entgelt verlangt, entgegen der Auffassung des 4. Senats des BSG
in seiner Entscheidung vom 14.12.2006 (B 4 R 29/06 R) an die von der Rechtsprechung
des BSG aufgestellten Kriterien der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit für eine
versicherungspflichtige Beschäftigung in einem Ghetto an und setzt ein
rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis voraus. Der Senat folgt
insoweit im Ergebnis der Rechtsprechung des 13. und 5. Senats des BSG (Urteile vom
07.10.2004 - B 13 RJ 59/03 R -, vom 03.05.2005 - B 13 RJ 34/04 R - und vom
20.07.2005 - B 13 RJ 37/04 R -; vgl. fener Beschlüsse vom 05.09.2006 - B 5 R 16/07 R -,
vom 08.02.2007 - B 5 R 182/06 B - und vom 14.08.2006 - B 5 RJ 246/05 B -) und
schließt sich ihr nach eigener Überprüfung an. Zwar mag der Wortlaut des § 1 Abs.1 S.1
ZRBG insoweit nicht eindeutig sein (anders wohl BSG, Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ
59/03), weil das Bestehen eines rentenversicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnisses in der Vorschrift nicht ausdrücklich genannt wird und die
vom BSG zur Abrenzung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses zu Zwangsarbeit
verwendeten Begriffe der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit in der Vorschrift nicht wörtlich
aufgegriffen werden. Auch lässt sich insbesondere dem in § 1 Abs.1 S.1 ZRBG
genannten Erfordernis "gegen Entgelt" nicht entnehmen, ob der Erhalt eines irgendwie
gearteten, auch noch so geringen Entgelts insoweit ausreicht oder dieses vom Umfang
her Rentenversicherungspflicht auslösen muss. Aus der Entstehungsgeschichte des
ZRBG bzw. seinem Zweck, der Gesetzesbegründung und dem systematischen
Zusammenhang ergibt sich jedoch, dass der Gesetzgeber mit den in der Vorschrift
genannten Voraussetzungen "aus eigenem Willensentschluss" und "gegen Entgelt"
lediglich versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse im Sinne der früheren so
genannten Ghettorechtsprechung des BSG, nicht hingegen Zwangsarbeiten erfassen
wollte.
37
Nach der Gesetzesbegründung ist das ZRBG ausdrücklich in Reaktion (und Akzeptanz)
auf die im Jahre 1997 ergangene Rechtsprechung des BSG zu in einem Ghetto
zurückgelegten Arbeitszeiten, u.a. das Urteil des BSG vom 18.06.1997 - 5 RJ 66/95 -,
BSGE 80, 250 ff) ergangen, in dem dieses erstmals entschieden hat, dass eine in einem
Betrieb innerhalb eines Ghettos (dort des Ghettos Lodz) aus freiem Willen
aufgenommene Tätigkeit die Voraussetzungen einer freien Beschäftigung erfüllen kann
und als Beitragszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung anzuerkennen ist (vgl. BT-
Drucksache 14/8583, S.5; BT-Drucks. 14/8602, S. 5). Da die von dieser Rechtsprechung
begünstigten ehemaligen Ghettobewohner sich aber gewöhnlich im Ausland aufhalten,
so dass eine auf einer Beschäftigung im Ghetto beruhende Rente vielfach aus
auslandsrentenrechtlichen Gründen nicht gezahlt werden kann, insbesondere weil
Bundesgebiets-Beitragszeiten nicht in dem erforderlichen Umfang vorliegen und für sie
Beschäftigungszeiten nach § 16 FRG per se ausgeschlossen sind (vgl. BT-Drucksache,
a.a.O., S. 1, 5), wurde das ZRBG verabschiedet, um - entgegen § 272 SGB VI - in vielen
Fällen die daraus resultierenden Rentenansprüche in das Ausland erst zahlbar zu
machen (BSG, Urteil vom 07.10.2004 - B 13 RJ 59/03 R -; vgl. ferner Urteil vom
03.05.2005 - B 13 RJ 34/04 R -). Diese Intention des Gesetzgebers hat im Übrigen auch
in der Bezeichnung des Gesetzes als Gesetz zur "Zahlbarmachung" von Renten aus
Beschäftigungen in einem Ghetto ausdrücklich Niederschlag gefunden.
38
Abgesehen von der Gesetzesbegründung, der Entstehungsgeschichte und dem Zweck
des ZRBG lässt sich ferner § 1 Abs.3 ZRBG entnehmen, dass eine Erweiterung des
nach dem ZRBG anspruchsberechtigten Personenkreises über den von der "Ghetto-
Rechtsprechung" begünstigten hinaus vom Gesetzgeber ersichtlich nicht beabsichtigt
war. Nach dieser Vorschrift besteht ein Anspruch auf eine Rente auch, wenn die zur
Leistungspflicht nach zwischen- oder überstaatlichem Recht erforderliche Mindestzahl
an "rentenrechtlichen" Zeiten für die Berechnung der Rente nicht vorliegt. Die aus
eigenem Willensentschluss aufgenommenen und gegen Entgelt ausgeübten
Beschäftigungen in einem Ghetto im Sinne des § 1 Abs.1 ZRBG müssen also zu
rentenrechtlichen Zeiten im Sinne des § 54 SGB VI führen, was wiederum nur möglich
ist, wenn es sich um eine rentenversicherungspflichtige Tätigkeit handelte (vgl. BSG,
Urteil vom 07.10.2004, a.a.O., zu dem Erfordernis der Entgeltlichkeit).
39
Dem so gewonnenen Auslegungsergebnis steht entgegen der Auffassung des 4. Senats
in seinem Urteil vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06 R - insbesondere nicht entgegen, dass
der Gesetzgeber mit der Verabschiedung des ZRBG im Bereich der gesetzlichen
Rentenversicherung ausdrücklich "Neuland" betreten wollte (vgl. BT-Drucksache
14/8583, S. 5; BT-Drucksache 14, 8602, S. 5); denn bereits mit der Möglichkeit, die in §
113 Abs.1 Nr.1 SGB VI vorgesehene Zahlungssperre für die Gewährung einer auf
Ghettobeitragszeiten beruhenden Rente für bestimmte Personen in das Ausland
aufzuheben (vgl. BSG, Urteil vom 03.05.2005 - B 13 RJ 34/04 R -), hat der Gesetzgeber
rentenrechtlich Neuland betreten. Im Übrigen überzeugt es nicht, dass der 4. Senat in
der genannten Entscheidung bei der Herleitung der aus dem ZRBG erwachsenen
Ansprüche und der insoweit notwendigen Voraussetzungen, insbesondere der
Entgeltlichkeit des Beschäftigungsverhältnisses, zwar an rentenrechtliche Vorschriften
(§ 35 SGB VI, § 14 SGB IV) anknüpft, im Rahmen der Auslegung des ZRBG jedoch auf
elementare, die gesetztliche Rentenversicherung prägende Grundsätze, wie die
Notwendigkeit eines versicherungspflichtigen, die Gewährung versicherungsfreien
Unterhalts übersteigenden Entgelts und die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit als
Voraussetzung für die Gewährung einer Rentenleistung, verzichtet und das ZRBG damit
- wie der 4. Senat des BSG selbst einräumt - tatsächlich zu einer reinen
Entschädigungsregelung für Zwangsarbeit macht, die keinerlei Bezug mehr zur
Sozialversicherung und zur Versichertengemeinschaft hat.
40
Knüpft der Gesetzgeber aber mit den in § 1 Abs.1 ZRBG genannten Erfordernissen
einer aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen und gegen Entgelt
ausgeübten Beschäftigung an die bereits dargestellten Kriterien zur Abgrenzung einer
versicherungspflichtigen Beschäftigung zu nichtversicherter Zwangsarbeit an, so ist es
vorliegend nicht glaubhaft gemacht, dass der Versicherte im Ghetto Krakau einer im
Sinne des § 1 Abs.1 S.1 ZRBG aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen
Beschäftigung gegen Entgelt nachgegangen ist.
41
Der Senat hat bereits erhebliche - einer Glaubhaftmachung entgegenstehende - Zweifel
daran, dass der Kläger die Arbeit in der Bürstenfabrik aufgrund eines freien,
selbstbestimmten Willensentschlusses aufgenommen hat. Zwar ist insoweit -
entsprechend seinem Sachvortrag im Renten- und Streitverfahren - nicht
auszuschließen, dass er diese freiwillig aufgenommen hat. Überwiegend
wahrscheinlich ist dies vor dem Hintergrund der eigenen Angaben des Klägers in
seinen zeitnäheren Entschädigungsverfahren und in seinem Rentenverfahren sowie der
vorliegenden schriftlichen Zeugenerklärungen jedoch nicht. So gab der Kläger in
42
seinem im November 1956 und damit am zeitnächsten zu dem Verfolgungsgeschehen
eingeleiteten Entschädigungsverfahren nach dem BEG (vgl. seine eidliche Erklärung
vom 12.07.1956), aber auch gegenüber der Claims Conference im Jahre 1998 selbst an,
in der Ghettobürstenbinderei "zwangsbeschäftigt" gewesen zu sein bzw. dort
"Zwangsarbeit" verrichtet zu haben (vgl. seine Angaben in dem Antragsformular vom
07.10.1958). Ebenso berichteten die im Entschädigungsverfahren schriftlich gehörten
Zeugen T und N H in ihrer eidlichen Erklärung vom 12.07.1956 davon, dass der Kläger
in der Ghettobürstenbinderei "zwangsgearbeitet" habe. Es mag zwar sein, dass dem
Kläger und den Zeugen anlässlich ihrer damaligen Erklärungen nicht die rechtliche
Ausprägung des Begriffs der Zwangsarbeit bekannt und bewusst war. Das Wort Zwang
hat jedoch - neben seiner inhaltlichen Bedeutung in dem Rechtsbegriff der
"Zwangsarbeit" - auch und insbesondere einen allgemein gültigen Sinngehalt
dahingehend, dass er das Merkmal der Freiwilligkeit ausschließt. Gerade weil dem
Kläger und den Zeugen der (genaue) rechtliche Gehalt des Begriffs der Zwangsarbeit
nicht bekannt war, spricht vieles dafür, dass durch die Verwendung dieses Begriffs -
entsprechend seinem üblichen Verständnis - zum Ausdruck gebracht werden sollte,
dass der Kläger sich dem Arbeitseinsatz gerade nicht entziehen konnte und gegen
seinen Willen zur Arbeit gezwungen wurde. Der Senat verkennt im Übrigen auch nicht,
dass es nicht auszuschließen ist, dass die insgesamt durch Zwang und Verfolgung
geprägten Lebensumstände in einem Ghetto dazu führen können, dass Betroffene
Arbeiten in einem Ghetto als Zwangsarbeit empfunden und entsprechend bezeichnet
haben, auch wenn ihre Tätigkeit tatsächlich durch wesentliche Elemente der
Freiwilligkeit geprägt gewesen sein mag. Im Falle des Klägers sprechen jedoch
insbesondere seine eigenen Beschreibungen der Arbeitsumstände in der Ghetto-
Bürstenbinderei entscheidend gegen eine freiwillige Beschäftigung und für die
Ausübung von Zwangsarbeiten; denn der Kläger hat den von ihm im
Entschädigungsverfahren verwendeten Begriff der Zwangsarbeit durch die Schilderung
der damaligen Arbeitsbedingungen im Renten- bzw. Streitverfahren, nämlich den dort
beschriebenen täglichen Arbeitsumfang von zehn Stunden, insbesondere aber die
Bewachung auf den Arbeitswegen im Inneren des Ghettos durch Polizisten (vgl. seine
Angaben in dem Fragebogen zur Anerkennung von Zeiten nach dem ZRBG vom
23.02.2003) sowie die Misshandlungen während der Arbeit (vgl. seine Ausführungen in
der im Klageverfahren vorgelegten eidlichen Erklärung vom 13.01.2005), auch inhaltlich
ausgefüllt.
Abgesehen von Misshandlungen, denen der Kläger nach seinen eigenen Angaben
während der Ausführung der Arbeiten ausgesetzt war, stellt aber insbesondere auch
eine etwaige Bewachung auf den Arbeitswegen jedenfalls bei einem - wie hier -
innerhalb des Ghettos gelegenen Arbeitsplatz ein charakteristisches Merkmal für
Zwangsarbeit dar. Dies gilt im Übrigen auch unter Berücksichtigung der vom 4. Senat
des BSG in seiner bereits mehrfach erwähnten Entscheidung vom 14.12.2006 (B 4 R
29/=6 R) entwickelten Grundsätze zur Abgrenzung einer aus eigenem
Willensentschluss aufgenommenen Beschäftigung im Sinne des § 1 Abs.1 ZRBG zu
Zwangsarbeit, so dass hier offen bleiben kann, ob letztere - der Rechtsprechung des 4.
Senats folgend - lediglich dann vorliegt, wenn das Zustandekommen und/oder die
Ausführung der Tätigkeit mit absoluter Gewalt (vis absoluta) oder Drohung mit ihr, also
unmittelbarer Gefahr für Leib oder Leben oder für die "Restfreiheit" des Ghetto-
Inhaftierten, durchgesetzt wurde (so BSG, Urteil vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06 R); denn
die Bewachung eines Ghetto-Insassen auf den Arbeitswegen zu einem innerhalb des
Ghettos befindlichen Arbeitsplatz kann lediglich den Zweck haben, das Erreichen des
Arbeitsplatzes und die Ausführung der Arbeiten gewaltsam bzw. mittels Drohung mit
43
derartiger Gewalt durchzusetzen. Anders mag es sich dann verhalten, wenn sich der
Arbeitsplatz außerhalb des räumlichen Ghettobereichs befindet und die Bewachung in
erster Linie oder sogar ausschließlich der Aufrechterhaltung des Zwangsaufenthalts im
Ghetto, also der Verhinderung der Flucht des Beschäftigten aus dem Ghetto, dienen
mag. Der Verhinderung einer solchen Flucht bedarf es jedoch nicht, wenn der Bewachte
- wie hier - auf dem Territorium eines - nach den Angaben des Klägers in seiner
eidlichen Erklärung vom 12.07.1956 und der Zeugen T und N H in ihren eidlichen
Erklärungen vom gleichen Tag - abgesperrten bzw. geschlossenen Ghettos zur Arbeit
eingesetzt wird.
Die im Streitverfahren vorgelegten schriftlichen Erklärungen der Zeugen G X und B T1
sind ebenfalls nicht geeignet, die Freiwilligkeit der geltend gemachten Arbeiten des
Klägers in der Bürstenfabrik glaubhaft zu machen. Zwar bestätigen diese in ihren
eidlichen Erklärungen vom 19. bzw. 30.08.2004, dass der Kläger sich im Ghetto Krakau
freiwillig zur Arbeit gemeldet hat. Überwiegend wahrscheinlich ist dies unter
Berücksichtigung des von den Zeugen beschriebenen, zumindest im Sinne einer
Indizwirkung für Zwangsarbeit sprechenden Arbeitseinsatzes von täglich zehn Stunden,
insbesondere aber der von dem Kläger selbst beschriebenen Arbeitsumstände in der
Bürstenbinderei jedoch nicht (s.o.).
44
Über die - einer Glaubhaftmachung entgegenstehenden - Zweifel des Senats an der
Freiwilligkeit der geltend gemachten Arbeiten im Ghetto Krakau hinaus ist es auch nicht
überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger diese gegen Entgelt ausgeübt hat. Wie
bereits erwähnt, erfordert das Vorliegen eines versicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnisses auch im Rahmen des § 1 Abs.1 ZRBG ein
Austauschverhältnis zwischen geleisteter Arbeit und gezahltem Entgelt. Zwar ist die
Höhe des Entgelts grundsätzlich kein wesentliches Merkmal für das Vorliegen oder
Nichtvorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses und kann
auch in Form von Sachbezügen gewährt werden. Art und Umfang der gewährten
Leistungen können aber Anhaltspunkte dafür geben, ob das Entgelt als Bezahlung im
Sinne einer Entlohnung der geleisteten Arbeit oder zu anderen Zwecken, wie z.B. nur
als "Mittel zur Erhaltung der Arbeitskraft” des zur Arbeit gezwungenen Beschäftigten,
gedacht ist. Allzu geringfügige Leistungen außerhalb eines jeden Verhältnisses zur
erbrachten Leistung haben keine Entgeltcharakter mehr (BSG; Urteil vom 07.10.2004 - B
13 RJ 59/03 R -). Die bloße Gewährung freien Unterhalts genügt insoweit ebenfalls
nicht, als solche Versicherungspflicht begründen zu können, weil sie zur
Versicherungsfreiheit kraft Gesetzes führt(e) (BSG, Urteil vom 07.10.2004, a.a.O.).
45
Es ist jedoch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger für die von ihm
behaupteten Arbeiten im Ghetto Krakau ein Entgelt erhielt, das über die Gewährung
freien Unterhalts bzw. allzu geringfügige Leistungen hinausging.
46
Der Bezug eines Entgelts in Form von Barlohn ist schon nach dem eigenen Vorbringen
des Klägers nicht glaubhaft gemacht; denn seine diesbezüglichen Angaben sind
uneinheitlich. Zwar hat der Kläger in seiner im Klageverfahren vorgelegten persönlichen
Erklärung vom 13.01.2005 behauptet, neben Verpflegung am Arbeitsplatz und
Lebensmittelrationen wöchentlich einige Zloty erhalten zu haben. In dem Fragebogen
zur Anerkennung von Zeiten nach dem ZRBG vom 23.02.2003 hatte er jedoch noch
erklärt, sich nicht erinnern zu können, ob er für seine Tätigkeit in der Bürstenfabrik durch
Bargeld entlohnt worden ist. Vor diesem Hintergrund ist es nach der allgemeinen
Lebenserfahrung aber eher unwahrscheinlich, dass er sich annähernd zwei Jahre
47
später (in der persönlichen Erklärung vom 13.01.2005) nunmehr nicht nur daran
erinnern können will, einen Arbeitslohn in Form von Bargeld erhalten zu haben, sondern
ihm darüber hinaus auch die Währung und der Auszahlungsrhythmus im Gedächtnis
geblieben ist. Unabhängig davon lässt der Sachvortrag des Klägers, "wöchentlich
einige Zloty" erhalten zu haben, jedenfalls keine hinreichend sicheren Rückschlüsse auf
die Höhe des behaupteten Bargeldes und damit insbesondere darauf zu, ob dieses die
Gewährung versicherungsfreien Unterhalts überstieg. Zur Gewährung freien Unterhalts
gehörten nach der damaligen Rechtslage nicht nur Sachleistungen wie Unterkunft,
Verköstigung, Kleidung sowie sonstige kleinere Leistungen je nach Alter in geringerem
Umfang zur Befriedigung kleinerer Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten; auch
Geldbeträge in geringerem Umfang zur Befriedigung kleinerer Lebensbedürfnisse
(Taschengeld) waren als unselbständige Ergänzung zum Unterhalt zu betrachten und
damit gleichermaßen versicherungsfrei (vgl. hierzu Anleitung des
Reichsversicherungsamtes über den Kreis der nach der Reichsversicherungsordnung
gegen Invalidität und Krankheit versicherten Personen vom 26.12.1912, die auch
während der streitbefangenen Zeit galten, vgl. Allendorf/Haueisen,
Angestelltenversicherungsgesetz 1938, Kommentierung zu § 9 AVG). Dem oben
dargestellten Sachvortrag lässt sich jedoch mangels konkreter Angaben zum Umfang,
Wert und der Regelmäßigkeit des behaupteten Barlohns nicht mit der gebotenen
Wahrscheinlichkeit entnehmen, dass dieser über ein bloßes (versicherungsfreies)
Taschengeld hinausging.
Die gute Möglichkeit einer Entlohung in Form von Barlohn lässt sich auch nicht auf den
Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers stützen, letzterem habe nach der
damals im Ghetto Krakau geltenden Verordnungslage ein Entgelt für die behaupteten
Arbeiten in der Bürstenfabrik zugestanden. Weder ist glaubhaft gemacht, dass der
Kläger einen solchen Lohn erhalten hat (s.o.), noch reicht das Bestehen eines etwaigen
Entgeltanspruchs aus, um die Entgeltlichkeit der streitgegenständlichen Tätigkeit
glaubhaft zu machen. Nichts anderes lässt sich der Entscheidung des
Reichsversicherungsamtes vom 29.10.1930 (Az: III AV 44/30 B, in: Amtliche
Nachrichten für Reichsversicherung, 1931 IV 34) entnehmen. Zwar hat das
Reichsversicherungsamt der Beitragsbemessung eines versicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnisses in der genannten Entscheidung das tarifvertraglich
geschuldete, nicht hingegen das tatsächlich gezahlte Entgelt zu Grunde gelegt. In dem
dort entschiedenen Fall lag jedoch ein freiwillig zustande gekommenes, der
Versicherungspflicht unterliegendes Arbeitsverhältnis vor. Vorliegend fehlt es aber
schon an dem für die Annahme eines solchen Beschäftigungsverhältnisses
wesentlichen Element der Freiwilligkeit (s.o.).
48
Der von dem Kläger darüber hinaus als Entlohnung behauptete Erhalt von Verpflegung
am Arbeitsplatz und vergrößerten Lebensmittelrationen vermag ein Entgelt im Sinne des
§ 1 Abs.1 S.1 ZRBG ebenfalls nicht überwiegend wahrscheinlich zu machen. Zwar ist
im Hinblick auf die Erkenntnisse des Senats in vergleichbaren Verfahren davon
auszugehen, dass die Ghettoinsassen im Zusammenhang mit der erbrachten
Arbeitsleistung verpflegt wurden. Aus dem auf Nachfrage des Senats konkretisierten
Sachvortrag des Klägers, neben täglicher Verpflegung am Arbeitsplatz in Form eines
Brotes, zumeist mit einer Art Marmelade, und einer Suppe (zumeist einer Kohlsuppe) in
unregelmäßigen Abständen Lebensmittelbezugsscheine erhalten zu haben, lassen sich
jedoch weder konkrete Angaben zum Umfang, Wert und der Menge der gewährten
Lebensmittel(coupons) ziehen, noch lässt sich diesem mit der gebotenen
Wahrscheinlichkeit entnehmen, dass die - ggf. über die Gewährung versicherungsfreien
49
Unterhalts hinaus gehenden - Lebensmittelbezugsscheine noch in einem
angemessenen Verhältnis zu der täglichen Arbeitsleistung des Klägers in der
Bürstenfabrik von nach eigenen Angaben zehn Stunden standen.
Die im Streitverfahren vorgelegten schriftlichen Zeugenerklärungen sind ebenfalls nicht
geeignet, ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis des Klägers in der Bürstenfabrik
glaubhaft zu machen. Weder G X noch B T1 bestätigen in ihren eidlichen Erklärungen
vom 19. bzw. 30.08.2004 die von dem Kläger behauptete Entlohnung in Form von
Bargeld. Beide führen lediglich aus, dass der Kläger für seine Arbeit in der Bürstenfabrik
Essen am Arbeitsplatz sowie vergrößerte Lebensmittelrationen erhalten habe. Auch ihre
Erklärungen lassen aber keine hinreichend sicheren Schlussfolgerungen auf den
Umfang, Wert und die konkrete Menge der gewährten Lebensmittel und insbesondere
darauf zu, dass diese eine bloße Verpflegung am Arbeitsplatz und damit die Gewährung
versicherungsfreien Unterhalts überstiegen. Im Hinblick auf die weitergehenden
Schilderungen der Zeugen im Zusammenhang mit dem Aufenthalt des Klägers im
Ghetto Krakau, der Kläger sei abgemagert und geschwächt gewesen, ist dies im
Übrigen auch unwahrscheinlich.
50
Schließlich vermag auch das von dem Kläger im Streitverfahren erwähnte Gutachten
des Prof. Golczewski die Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit der behaupteten Arbeiten in
der Bürstenfabrik im Ghetto Krakau nicht glaubhaft zu machen; denn das konkrete
Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses beurteilt sich
stets nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles. Diese stehen der
Glaubhaftmachung eines solchen - wie bereits ausgeführt - vorliegend jedoch entgegen.
51
Weitere Mittel zur Glaubhaftmachung einer aus eigenem Willensentschluss zustande
gekommenen und gegen Entgelt ausgeübten Beschäftigung im Ghetto Krakau sind nicht
ersichtlich und wurden von dem Kläger auch nicht benannt. Insbesondere bestand keine
Veranlassung, den Kläger und die Zeugen G X und B T1 insoweit - etwa im Rahmen
einer persönlichen Anhörung bzw. Zeugenvernehmung - zu dem konkreten Umfang der
behaupteten Gegenleistung des Klägers ergänzend zu befragen; denn es ist schon
unter Zugrundelegung des schriftlichen, auf Anfrage des Senats konkretisierten
Vorbringens des Klägers nicht glaubhaft gemacht, dass er in der Bürstenbinderei aus
eigenem Willensentschluss und gegen Entgelt tätig war.
52
Sind aber schon die Voraussetzungen des § 1 Abs.1 ZRBG nicht erfüllt, so sah sich der
Senat bereits aus diesem Grunde nicht veranlasst, das Verfahren im Hinblick auf die
vom 4. Senat des BSG in der mehrfach genannten Entscheidung vom 14.12.2006 (B 4 R
29/06 R) geäußerten Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des ZRBG auszusetzen
und die Frage nach Art. 100 Abs.1 Grundgesetz (GG) dem Bundesverfassungsgericht
zur Entscheidung vorzulegen.
53
Der Kläger kann die Anerkennung der begehrten Arbeitszeit im Ghetto Krakau von März
1941 bis Oktober 1942 schließlich auch nicht auf §§ 15, 16 FRG stützen. § 15 Abs.1 S.1
FRG sieht vor, dass Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der
gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt sind, den nach Bundesrecht
zurückgelegten Beitragszeiten gleichstehen. Nach Maßgabe des § 16 FRG gilt
Entsprechendes für Beschäftigungszeiten im Vertreibungsgebiet. Diese
Voraussetzungen sind vorliegend jedoch nicht erfüllt.
54
Es mag zwar sein, dass der Kläger zu dem von §§ 15, 16 FRG erfassten Personenkreis
55
gehört, weil er zwar nicht unter die in § 1 FRG genannten Begünstigen fällt,
insbesondere kein anerkannter Vertriebener im Sinne des § 1 des Gesetzes über die
Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz - BVFG
-) ist, unter Berücksichtigung des Ergebnisses der bei dem Israelischen
Finanzministerium in Tel Aviv im August 1992 durchgeführten Sprachprüfung jedoch zur
Zeit des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem dSK angehörte und damit gemäß §
20 Abs.1 S.2, 19 Abs.2 Buchstabe a, 2. Halbsatz, § 3 Abs.1 WGSVG dem in § 1 FRG
aufgeführten Personenkreis gleichzustellen ist. Eine Anerkennung der geltend
gemachten Arbeitszeiten nach §§ 15, 16 FRG kommt aber jedenfalls deshalb nicht in
Betracht, weil nicht glaubhaft gemacht werden konnte, dass der Kläger in der
streitbefangenen Zeit im Ghetto Krakau Arbeitszeiten zurückgelegt hat, die als
Beitragszeiten zu berücksichtigen sind.
Eine Gleichstellung polnischer Beitragszeiten gemäß § 15 Abs.1 S.1 FRG scheitert
daran, dass die Entrichtung von Beiträgen zum polnischen Rentenversicherungsträger
weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht ist (vgl. § 4 Abs.1, 2 FRG). Für die
Entrichtung derartiger Beiträge ergeben sich keine Anhaltspunkte. Die Zahlung von
Rentenversicherungsbeiträgen zur polnischen Sozialversicherung hat der Kläger weder
behauptet noch findet sie in einer der beigebrachten Zeugenerklärungen Erwähnung.
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Auch eine Gleichstellung der im Ghetto Krakau von dem Kläger geltend gemachten
Arbeitszeiten mit in Deutschland zurückgelegten Beitragszeiten nach § 15 Abs. 3 S. 1
FRG kommt nicht in Betracht. Nach dieser gesetzlichen Bestimmung sind Zeiten einer
Beschäftigung, die bei ihrer Zurücklegung nach dem zu dieser Zeit geltenden Recht als
Beitragszeit im Sinne des Abs. 1 anrechnungsfähig waren und für die an einen Träger
eines Systems der sozialen Sicherheit Beiträge nicht entrichtet worden sind, den nach
Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichzustellen, soweit für sie nach
Bundesrecht Beiträge zu zahlen gewesen wären. In diesem Zusammenhang mag
letztlich offen bleiben, ob für den Kläger in dem streitgegenständlichen Zeitraum
Versicherungspflicht nach damaligem polnischen Rentenrecht bestand. Selbst wenn
man dies zu seinen Gunsten unterstellt, scheidet eine Gleichstellung mit deutschen
Beitragszeiten jedenfalls deshalb aus, weil die weitere Voraussetzung des § 15 Abs. 3
S. 1 FRG (" ... soweit für sie Beiträge nach Bundesrecht zu zahlen gewesen wären.")
nicht gegeben ist. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob im Rahmen der Gleichstellung
nach § 15 Abs. 3 S. 1 FRG auf die im Zeitpunkt der streitbefangenen Arbeitszeit
geltende Rechtslage oder - im Hinblick auf § 16 Abs. 1 S. 2 FRG - auf das am
01.03.1957 geltende Recht abzustellen ist; denn in dem einen wie in dem anderen Fall
war das Vorliegen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung für das Entstehen von
Versicherungs- und Beitragspflicht kraft Gesetzes Voraussetzung. Sowohl nach § 1226
Abs. 1 Nr. 1 RVO in seiner während der streitbefangenen Zeit geltenden Fassung als
auch nach § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RVO in seiner am 01.03.1957 geltenden Fassung
wurden in der Rentenversicherung der Arbeiter alle Personen, die als Arbeitnehmer
gegen Entgelt beschäftigt waren, für den Fall der Invalidität und des Alters versichert.
Eine Beschäftigung, für die als Entgelt nur freier Unterhalt gewährt wurde, war
versicherungsfrei (§§ 1227, 1228 Abs. 1 Nr. 2 RVO). Die Ausübung einer
versicherungspflichtigen Beschäftigung des Klägers in Krakau von März 1941 bis
Oktober 1942 konnte aber - wie bereits ausgeführt - nicht glaubhaft gemacht werden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der
Sache.
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Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs.2 Nr.2 SGG zugelassen, weil das Urteil im
Hinblick auf die Auslegung der in § 1 Abs.1 ZRBG genannten Erfordernisse einer "aus
eigenem Willensentschluss zustande gekommenen" und "gegen Entgelt" ausgeübten
Beschäftigung von der Entscheidung des 4. Senats des BSG (Urteil vom 14.12.2006 - B
4 R 29/06 R -) abweicht. Darüber hinaus misst der Senat der Rechtssache im Sinne des
§ 160 Abs.2 Nr.1 SGG grundsätzliche Bedeutung bei, weil in der Sozialgerichtsbarkeit
Nordrhein-Westfalen eine Vielzahl ähnlicher gelagerter Verfahren anhängig ist und das
hohe Lebensalter der Betroffenen eine möglichst zügig herzustellende einheitliche
Rechtsprechung erfordert.
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