Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 03.05.2010

LSG NRW (gegenstand des verfahrens, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, aufschiebende wirkung, anspruch auf rechtliches gehör, kläger, sgg, unter ärztlicher kontrolle, vergabe, rechtliches gehör, formelle rechtskraft)

Landessozialgericht NRW, L 11 B 23/09 KA ER
Datum:
03.05.2010
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 11 B 23/09 KA ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 33 KA 47/09 ER
Sachgebiet:
Vertragsarztangelegenheiten
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 12.03.2009 abgeändert. Die aufschiebende Wirkung der
Klage (S 33 KA 49/09 SG Düsseldorf) gegen den Bescheid der
Beklagten vom 17.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchbescheides
vom 27.01.2009 wird angeordnet. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten
des Verfahrens.
Gründe:
1
I.
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Der Kläger ist als praktischer Arzt in C niedergelassen und zur vertragsärztlichen
Versorgung zugelassen. Zum 01.07.2003 wurde ihm die unbefristete Genehmigung zur
Substitution von bis zu 100 Patienten erteilt. Mit Bescheid vom 23.06.2005 widerrief die
Beklagte die Substitutionsgenehmigung im Umfang von 20 Opiatabhängigen. Das
Widerspruchsverfahren blieb erfolglos. Die anhängig gemachte Klage (S 33 KA 61/06
Sozialgericht (SG) Düsseldorf) ruht. Am 12.03.2008 fand eine Überprüfung der
Dokumentation von Zugängen, Abgängen und Beständen der Betäubungsmittel durch
das Gesundheitsamt der Stadt C statt. In der Niederschrift wurde u.a. festgehalten, dass
keine Vernichtungsprotokolle mit der Unterschrift des Antragstellers und von zwei
Zeugen vorhanden seien. Weiterhin sei die monatliche Überprüfung der Eintragungen
über Zu- und Abgänge und Bestände der Betäubungsmittel sowie die Übereinstimmung
der Bestände mit den geführten Nachweisen nicht mit Namenszeichen und Prüfdatum
des Verantwortlichen dokumentiert. Dem Kläger wurde aufgeben, diese und weitere im
Einzelnen benannten Mängel abzustellen bzw. entsprechende Unterlagen dem
Gesundheitsamt der Stadt C vorzulegen. Nachdem der Kläger dem Gesundheitsamt die
geforderten Unterlagen zur Verfügung stellte, verfasste das Gesundheitsamt der Stadt C
mit Datum vom 06.10.2008 einen Inspektionsbericht nach § 19 Betäubungsmittelgesetz
(BtMG). Dieser kommt zu dem Ergebnis, dass beim weiteren Betrieb der Praxis
verschiedene, im einzelnen benannte Maßnahmen zu ergreifen und zusätzliche
Unterlagen vorzulegen sind.
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Mit Bescheid vom 17.12.2008 widerrief die Beklagte die Genehmigung zur
Durchführung von Substitutionsbehandlungen bei von bis zu 100 Opiatabhängigen
unter Anordnung der sofortigen Vollziehung. In der Begründung heißt es u.a., im
Inspektionsbericht vom 06.10.2008 seien Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz
und gegen die Betäubungsmittelverschreibungsverordnung festgestellt worden. Hieraus
folge, dass eine den rechtlichen Vorgaben entsprechende Substitutionsbehandlung
nicht stattfinde. Die fachliche Qualifikation sei nicht gegeben. Es sei nicht gewährleistet,
dass eine ordnungsgemäße tägliche Dosierung der Patienten stattfinde, wenn die
Lagerbestände der Substitutionsmittel nicht korrekt seien bzw. nicht überprüft werden
könnten. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass mit Restbeständen Handel
getrieben werde und dadurch Substitutionspatienten gefährdet würden, da nicht alle
Vernichtungserklärungen vorgelegt worden seien.
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Mit Schreiben vom 23.12.2008 legte der Kläger Widerspruch ein und beantragte
gleichzeitig, die Aussetzung der sofortigen Vollziehung bei der Beklagten. Hierzu
verwies er im Wesentlichen darauf, dass die Beklagte den Inspektionsbericht des
Gesundheitsamtes der Stadt C fehlerhaft und unvollständig gewürdigt habe. Die
Schlussfolgerung, die Bestände könnten nicht geprüft werden, sei falsch. Anhand der
Dosierlisten sowie der übrigen medizinischen Dokumentation sei nachweisbar, dass
keine Patientengefährdung vorliege, er im Gegenteil lege artis behandele. Die
Anordnung der sofortigen Vollziehung sei unverhältnismäßig, da die Beklagte die
Genehmigung erst zehn Wochen nach Kenntnis des Inspektionsprotokolls widerrufen
habe.
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Die Beklagte wies den Widerspruch und den Antrag auf Aufhebung des Sofortvollzugs
mit Bescheid vom 27.01.2009 zurück.
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Diese Entscheidung hat der Kläger mit der Klage beim SG (S 33 KA 49/09) angegriffen
und Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gestellt. Er hat die
Feststellungen des Inspektionsberichts unter Beweisantritt in wesentlichen Teilen
bestritten und im Einzelnen behauptet, die fraglichen Probleme durch Einleitung von
Gegenmaßnamen deutlich verbessert zu haben.
7
Der Kläger hat beantragt,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 23.12.2008 und der nachfolgenden
Klage gegen den Widerrufsbescheid der Beklagten vom 17.12.2008 betreffend die
Genehmigung zur Substitution wiederherzustellen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung vom 07.02.2009
zurückzuweisen.
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Sie hat vorgetragen: Das öffentliche Interesse an der Vollziehung der getroffenen
Regelung überwiege. Das Interesse des Klägers an der Beteiligung des spezialisierten
Versorgungsauftrags trete gegenüber dem Schutz der Patientengesundheit als
überragend wichtiges Gemeinschaftsgut zurück. Der Kläger erfülle die
Qualitätsanforderungen der Substitutionsrichtlinie nicht. Die Staatsanwaltschaft C habe
seine Praxisräume durchsucht. Dabei habe sich herausgestellt, dass er mehr als 400
12
Patienten (davon ca. 300 Selbstzahler) substituiert habe. Ausweislich der Richtlinie
solle ein Arzt in der Regel nicht mehr als 50 Opiatabhängige gleichzeitig substituieren.
Mit Beschluss vom 12.03.2009 hat das SG den Antrag des Klägers abgelehnt. Eine
Existenzgefährdung sei nicht zu besorgen. Der angefochtene Widerruf der
Genehmigung zur Substitutionsbehandlung betreffe lediglich ein Viertel der vom Kläger
versorgten Patienten. Die aufschiebende Wirkung sei auch nicht deshalb anzuordnen,
weil die Versorgung der Patienten gefährdet sei. Ausweislich der Auskunft der Stadt C
sei es gelungen, für die vom Kläger betreuten Patienten neue Versorgungsstrukturen zu
schaffen. Im Übrigen sei im Rahmen der summarischen Prüfung davon auszugehen,
dass der angefochtene Bescheid rechtmäßig sei.
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Diese Entscheidung greift der Kläger fristgerecht mit der Beschwerde an. Er macht
geltend: Das SG haben seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Ihm sei keine
Gelegenheit gegeben worden, auf den unzutreffenden Vortrag der Beklagten im
Schriftsatz vom 03.03.2009 zu erwidern. Gerade diesem unzutreffenden Vorbringen
habe sich das SG angeschlossen. Die angefochtenen Bescheide seien offenkundig
rechtswidrig. Die Beklagte habe es versäumt, ihn - den Kläger - vor Erlass des
Widerrufsbescheid anzuhören. Schon deswegen sei die Anordnung des Sofortvollzugs
rechtswidrig. Im Übrigen sei der Widerrufsbescheid auch materiell rechtswidrig. Die
Beklagte habe den für die Ermessensbetätigung wesentlichen Sachverhalt nicht
ermittelt. Zudem habe sie nicht erkannt, dass Ermessen ausgeübt werden müsse. Der
Sofortvollzug habe existenzvernichtende Folgen.
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Der Kläger beantragt,
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den Beschluss des SG Düsseldorf vom 12.03.2009 abzuändern und die
aufschiebenden Wirkung der beim SG Düsseldorf unter dem Aktenzeichen S 33 KA
49/09 anhängigen Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 17.12.2008 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.01.2009 anzuordnen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Sie tritt dem tatsächlichen und rechtlichen Vorbringen des Klägers entgegen. Das SG
habe den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt. Es sei bei seiner Entscheidung
vom Tatsachenvortrag des Klägers ausgegangen. Ein Anhörungsmangel liege nicht vor.
Der Kläger habe seine Auffassung noch im Widerspruchsverfahren vorbringen können.
Das Ermessen sei zutreffend ausgeübt worden. Sie - die Beklagte - sei bei der
Ermessensausübung nicht allein von den nach ihrer Auffassung vorliegenden
Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz sondern auch von der nicht
richtlinienkonformen Erbringung der Leistungen zur Substitution ausgegangen. Im
Verfahren auf Zulassungsentziehung sei dokumentiert worden, dass der Kläger von
Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Vergütungen gefordert und
zusätzlich diese Leistungen bei ihr - der Beklagten - abgerechnet habe. Aus einem
Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren ergebe sich, dass der Kläger im Quartal III/2007
allein zu Lasten einer Krankenkasse für 160 Patienten Methadon verordnet habe, bei
denen eine Substitutionsbehandlung zu Lasten der GKV nicht angezeigt worden sei.
Teilweise habe er gleichzeitig Benzodiazepinen verordnet. Allein dies belege, dass der
Widerruf der Genehmigung mit sofortiger Wirkung zwingend geboten sei.
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Mit Beschluss vom 01.07.2009 - L 11 B 8/09 KA ER - (juris) hat der Senat den
angefochtenen Beschluss des SG abgeändert und die aufschiebende Wirkung der
Klage (S 33 KA 49/09) gegen den Bescheid der Beklagten vom 17.12.2008 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.01.2009 mit der Maßgabe angeordnet,
dass die vom Kläger vertragsärztlich durchzuführenden Substitutionsbehandlungen auf
50 Fälle begrenzt werden. Auf die Gründe des Beschlusses wird Bezug genommen. Die
Verfassungsbeschwerde des Klägers hatte insofern Erfolg, als das
Bundesverfassungsgericht entschieden hat (Beschluss vom 27.10.2009 - 1 BvR
1876/09 - (juris)):
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1.Die im Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. Juli 2009 - L
11 B 8/09 KA ER - enthaltene Maßgabe, dass die vom Beschwerdeführer
vertragsärztlich durchzuführenden Substitutionsbehandlungen auf 50 Fälle begrenzt
werden, verletzt den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Artikel 19 Absatz 4
und Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Landessozialgerichts
Nordrhein-Westfalen wird insoweit und hinsichtlich der Kostenentscheidung
aufgehoben. Die Sache wird an das Landes-sozialgericht Nordrhein-Westfalen
zurückverwiesen.
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2.Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen
Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
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Das Verfahren wird vor dem Senat nunmehr unter dem Az. L 11 B 23/09 KA ER geführt.
23
Mit Bescheid vom 14.12.2009 hat die Beklagte neuerlich die sofortige Vollziehung des
Widerrufs der Genehmigung zur Substitution von bis zu 100 Opiatabhängigen
angeordnet. Hierin heißt es:
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"Die Anordnung ist hier für die betroffene Patientengruppe im öffentlichen Interesse
dringend geboten. Sie bringen Substitutionspatienten in Lebensgefahr, indem Sie
Benzodiazepine verabreichen und die Voraussetzungen für die take-home-Vergabe
nicht einhalten. Zudem liegen Indizien für einen Schwarzmarkthandel mit Opiaten und
die Förderung eines sog. "Substitutionstourismus" vor. Es besteht eine konkrete
Gefährdung der Gesundheit der Patienten durch die unrechtmäßige Vergabe von
Benzodiazepinen bei gleichzeitiger Nichtbeachtung der Vorgaben für eine take-home-
Vergabe des Substitutionsmittels. Die take-home-Vergabe unterliegt sehr engen
Voraussetzungen (§ 5 Abs. 8 BtMVV). So darf eine take-home-Vergabe des
Substitutionsmittels nicht erfolgen, wenn der Patient Stoffe konsumiert, die ihn
zusammen mit der Einnahme des Substitutionsmittels gefährden (§ 5 Abs. 8 Nr. 1.
BtMVV). Wie sich aber bereits im Jahre 2005 herausgestellt hatte, war der Großteil der
Substitutionspatienten in Ihrer Praxis nicht beigebrauchsfrei. Die Kassenärztliche
Vereinigung Nordhrein hatte Ihnen schon mit Bescheid vom 23.06.2005 die
Genehmigung zur Substitution von bis zu 20 Patienten widerrufen, da der
Qualitätssicherungskommission in dem mit Ihnen am 24.05.2005 geführten
Beratungsgespräch bekannt geworden war, dass Sie in mindestens 6 Fällen
Substitutionsbehandlungen durchführen, die nicht mit den Bestimmungen der
Substitutionsrichtlinien übereinstimmten. Im Rahmen eines aktuell durchgeführten
Wirtschaftlichkeitsprüfverfahrens hat sich dieser Vorwurf nun erneut bestätigt. So haben
Sie beispielsweise im Quartal 03/2007 Methadon für ca. 160 Patienten vergeben, ohne
dass eine Substitutionsbehandlung zu Lasten der GKV angezeigt worden war.
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Gleichzeitig wurden einem Großteil der Substitutionspatienten Benzodiazepine
verordnet. Ein Beigebrauch von Benzodiazepinen ist für dieses spezielle
Patientenklientel als lebensgefährlich einzustufen. Sog. Drogencocktails bewirken eine
Lähmung des Atemzentrums im Gehirn. Eine solche Atemdepression kann zum
sofortigen Herzstillstand führen. Nach den aktuell geltenden Behandlungsstandards gibt
es keine Rechtfertigung für die dauerhafte Verordnung von Benzodiazepinen im
Rahmen einer Substitutionsbehandlung. Im Gegenteil, es wird eine weitere Form der
Abhängigkeit neu geschaffen bzw. eine Mehrfachabhängigkeit unterstützt. Gemäß den
Handlungsempfehlungen der Ärztekammer Nordrhein und Westfalen-Lippe in
Abstimmung mit den Apothekenkammern Nordhrein und Westfalen-Lippe zur
Verordnung und Abgabe von Benzodiazepinen an betäubungsmittelabhängige
Patienten (Amtl. Bekanntmachung im Rheinischen Ärzteblatt 4/06 Seite 80 ff) ist die
Vergabe von Benzodiazepinen an Substitutionspatienten grundsätzlich kontraindiziert
und nur ausnahmsweise bei entsprechender Indikation auf Grund definierter
psychiatrischer und neurologischer Krankheitsbilder (z. B. Schizophrenie) überhaupt
möglich. Dass ein Großteil der Substitutionspatienten in Ihrer Praxis eine derart
schwerwiegende Erkrankung aufweist, ist jedoch absolut unwahrscheinlich. Die
dauerhafte Vergabe von Benzodiazepinen ist demnach unverantwortlich und
lebensgefährlich für die Patienten. Aufgrund des hohen Prozentsatzes an take-home-
Patienten von 80% ergibt sich zwangsläufig der Rückschluss, dass Benzodiazepine
auch an take-home-Patienten verschrieben wurden. Eine take-home-Vergabe des
Substitutionsmittels ist jedoch unter diesen Umständen unzulässig (siehe § 5 Abs. 8 Nr.
1. BtMVV). Für die nicht indizierte Verschreibung von Benzodiazepinen spricht auch die
Tatsache, dass ein Teil der Patienten aus dem Bonner Umkreis Ihre Praxis aufsuchen.
Bereits 2005 hatte die Qualitätssicherungskommission festgestellt, dass Sie Patienten
aus Rheinland-Pfalz behandeln und Sie aufgefordert, diese umgehend abzumelden.
Die Tatsache, dass Sie 400 Patienten substituieren, belegt, dass Sie auch dieses
Verhalten nicht eingestellt, sondern im Gegenteil Ihren Wirkungskreis ausgedehnt
haben. Dieser regelrechte "Substitutionstourismus" von bis zu 400 Patienten ist nur mit
Ihrer Behandlungsmethodik (unrechtmäßige Vergabe von Benzodiazepinen und
Unterlaufen von take-home-Regelungen) zu erklären. Die Tatsache, dass nicht alle
Vernichtungserklärungen vorgelegt werden konnten und 80% Ihrer Patienten eine take-
home-Dosis entgegen den gesetzlichen Bestimmungen erhalten, spricht für einen
Schwarzmarkthandel mit Opiaten. Substitutionspatienten werden in Lebensgefahr
gebracht durch Falschdosierung, unzulässiger Vergabe von Benzodiazepinen und
gesetzeswidrige take-home-Verordnungen sowie nicht vollzogener
Kontrollmechanismen. Vor dem Hintergrund, dass Sie bis zu 400 Patienten entgegen
dem geltenden Betäubungsmittelrecht substituieren und in Lebensgefahr bringen, ist Ihr
ärztliches Handeln in jeder Hinsicht untragbar. Ihr verantwortloses Verhalten gegenüber
Ihren Patienten offenbarte sich auch am Samstag, den 07.02.2009. Mit der Absicht, der
Stadt C und den dort niedergelassenen Ärzten Schwierigkeiten zu unterbreiten,
verweigerten Sie ohne jegliche Vorankündigung Ihrem gesamten Patientenklientel von
ca. 400 Substituierten die Vergabe des Substitutionsmittels. Viele Suchtkranke hatten
Schwierigkeiten, am Wochenende einen anderen Arzt zu finden, wurden rückfällig oder
litten unter schweren Entzugserscheinungen. Als Inhaber einer Schwerpunktpraxis
Substitution ist Ihnen klar, dass es sich bei Substituierten um chronisch kranke und
psychisch labile Menschen handelt, die einen solchen Vertrauensbruch schnell als
Schock wahrnehmen und nicht so einfach verkraften. Ein solches rücksichtsloses
Verhalten Ihrerseits widerspricht dem eines am Wohl der Patienten interessierten Arztes
und zeigt eine gewisse Unberechenbarkeit in Ihrem Charakter. Um Ihre persönlichen
Interessen durchzusetzen, haben Sie Leben und die Gesundheit Ihrer 400 Patienten
aufs Spiel gesetzt. Dies obwohl Ihnen ausweislich des Bescheides vom 17.12.2008
Unterstützung bei der Vermittlung der Patienten zugesagt wurde und bereits eine Liste
mit substituierenden Ärzten in der Region zur Verfügung gestellt wurde. Die sofortige
Vollziehung des Widerrufs Ihrer Substitutionsgenehmigung ist damit das einzige Mittel,
um Ihr Patientenklientel vor Ihnen zu schützen. Ein weiteres Abwarten, das womöglich
einen Todesfall nach sich zieht, ist nicht mehr zumutbar. Da sich gezeigt hat, dass Sie
das bereits in 2005 von der Qualitätssicherungskommission beanstandete Verhalten
über Jahre hinweg fortsetzen, ist es zwingend geboten, dieses Verhalten zu
unterbinden. Durch die akute Patientengefährdung wegen Missachtung des
Betäubungsmittelsrechts, den Schwarzmarkthandel mit Restbeständen von
Betäubungsmitteln und Ihre Rücksichts- und Verantwortungslosigkeit bedarf es einer
sofortigen und wirkungsvollen Handlungsweise unsererseits. Hinter dem bestehenden
öffentlichen Interesse an der Anordnung des Sofortvollzugs ist nachrangig zu
betrachten, dass Sie geltend machen, dass hierdurch Ihre wirtschaftliche Existenz
gefährdet sei. Der sofortige Entzug der Genehmigung zur Behandlung von 100
Substituierten bedroht gerade nicht Ihre berufliche Existenz, denn ca. 300 Patienten
behandeln Sie als sog. Selbstzahler. Auch umfasst die Teilnahme an der
vertragsärztlichen Versorgung eine Vielzahl von Behandlungen. Wenn Sie sich nur der
Substitutionsbehandlung widmen und keine weitere nennenswerten Einnahmen von
Seiten der GKV vorweisen können, so ist dies Ihre freie Entscheidung und kann hier
keine Berücksichtigung finden. Von einer "Spezialisierung im eigentlichen Sinne" kann
hier keine Rede sein. Die von Ihnen vorgebrachte "Spezialisierung" zeigt sich vielmehr
in der För eines Substitutionstourismus aufgrund unzulässiger Vergabe von
Betäubungsmitteln. Damit liegt die Anordnung der sofortigen Vollziehung im öffentlichen
Interesse und ist daher geboten.
Die Beklagte trägt unter Bezugnahme auf von ihr vorgelegte Unterlagen aus dem gegen
den Kläger geführten Verfahren der Staatsanwaltschaft C (000) nunmehr vor:
Ausweislich dieser Unterlagen und des Ergebnisses der staatsanwaltlichen
Ermittlungen stehe fest, dass der Antragsgegner massiv gegen so gut wie jede
einschlägige Bestimmung bezüglich der Substitutionsbehandlung verstoßen habe. Er
sei "schlichtweg" nicht in der Lage, eine richtlinienkonforme Substitutionsbehandlung zu
erbringen. Die Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung seien nicht erfüllt.
26
Demzufolge sei sie - die Beklagte - berechtigt, die Genehmigung mit sofortiger Wirkung
zu widerrufen. Das sofortige Vollzugsinteresse ergebe sich aus dem Bescheid.
27
Der Kläger macht geltend: Der Bescheid vom 14.12.2009 stelle einen neuen,
unabhängigen Bescheid dar, der nicht Verfahrensgegenstand sei. Der angegriffene
Bescheid vom 17.12.2008 sei hierdurch nicht ersetzt worden. Gegen den Bescheid vom
14.12.2009 sei ein selbständiges Verfahren auf Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung vor dem SG Düsseldorf eingeleitet worden. Der Beschluss des Senats vom
01.07.2009 sei insoweit rechtskräftig geworden, als die aufschiebende Wirkung der
Klage (S 33 KA 49/09) gegen den Bescheid der Beklagten vom 17.12.2008 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 27.01.2009 betreffend 50 Fälle angeordnet worden
sei. Die Beklagte sei damit an den Beschluss vom 01.07.2009 gebunden. Sie könne die
sofortige Vollziehung nicht nochmals anordnen. Die im Bescheid vom 14.12.2009
formulierten Unterstellungen seien bereits Gegenstand des Verfahrens gewesen, das zu
dem Beschluss vom 01.07.2009 geführt habe. Auch in der Sache gehe die Beklagte zu
seinen - des Klägers - Lasten von einem unzutreffenden Sacherhalt aus (wird
ausgeführt).
28
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen nimmt der Senat Bezug auf den
Inhalt der Streitakte.
29
II.
30
Die statthafte und im Übrigen zulässige Beschwerde ist vor dem Hintergrund der
Entscheidung des BVerfG vom 27.10.2009 - 1 BvR 1876/09 - auch insoweit begründet,
als es die Befugnis des Klägers anlangt, in weiteren 50 Fällen
Substitutionsbehandlungen durchführen zu dürfen.
31
1. Mit Beschluss vom 01.07.2009 hat der Senat den von der Beklagten angeordneten
Sofortvollzug dahin bestätigt, dass der Kläger statt bislang 100 "vorerst" nur 50
Substitutionsbehandlungen durchführen darf. Hinsichtlich der weiteren 50
Substitutionsbehandlungen hat der Senat hingegen der Beschwerde des Klägers
stattgegeben. Das BVerfG a.a.O. hat den Beschluss des Senats insoweit aufgehoben,
als die vom Kläger durchzuführenden Substitutionsbehandlungen auf 50 Fälle begrenzt
worden sind. Hieraus folgt, dass der Beschluss des Senats vom 01.07.2009 in dem
Umfang rechtskräftig geworden ist, als ihn das BVerfG nicht aufgehoben hat. Bezogen
hierauf gilt ein Wiederholungsverbot. Demzufolge darf der Kläger derzeit 50
Substitutionsbehandlungen durchführen. Ob aus dem Bescheid vom 14.12.2009 etwas
anderes folgt, unterliegt der Entscheidung des SG und wird u.a. davon abhängen,
inwieweit diesem Bescheid und dem darin wiederum angeordneten Sofortvollzug neue
Tatsachen zugrunde liegen. Soweit es weitere 50 Fälle anlangt, greift der mit Bescheid
der Beklagten vom 17.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
17.01.2009 angeordnete Sofortvollzug, denn hierüber ist infolge der teilweisen
Kassation durch das BVerfG im Beschwerdeverfahren bislang nicht rechtskräftig
entschieden.
32
a) Die Anordnung des Sofortvollzugs ist kein Verwaltungsakt, sondern ein
unselbständiger Annex (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30.09.2002 -
L 4 KR 122/02 ER -). Die Behörde kann erforderlichenfalls den Sofortvollzug wieder
aufheben oder ändern (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 86a
Rdn. 17). Soweit es den Bescheid vom 17.12.2008 anlangt, gilt indessen: Der
Beschluss des Senats vom 01.07.2009 ist der (teilweisen) Rechtskraft fähig. Nach § 141
Abs. 1 Nr. 1 SGG binden rechtskräftige Urteile, soweit über den Streitgegenstand
entschieden worden ist, die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger. Der Begriff
Rechtskraft bezeichnet in den Verfahrensordnungen sowohl die Unanfechtbarkeit
(formelle Rechtskraft) als auch inhaltliche Maßgeblichkeit (materielle oder innere
Rechtskraft) einer Entscheidung.
33
Die von § 141 SGG vorausgesetzte formelle (äußere) Rechtskraft der Entscheidung, ihre
verfahrensrechtliche Unangreifbarkeit, bestimmt sich nach § 202 SGG i.V.m. § 705
Zivilprozessordnung (ZPO) (Humpert in Jansen, SGG, 3. Auflage, 2009, § 141 Rdn 1).
Die formelle Rechtskraft bedeutet, dass das Urteil für dasselbe Verfahren unabänderlich
ist (vgl. Humpert, a.a.O., § 141 Rdn. 3). Der formellen Rechtskraft fähig sind alle
Entscheidungen, die selbständig anfechtbar sind oder deren an sich gegebene
Anfechtung durch Gesetz ausgeschlossen ist. Formell rechtskräftig werden können
daher alle Endurteile, Teilurteile, Gerichtsbescheide sowie unter den gleichen o.g.
Voraussetzungen auch Beschlüsse (Humpert, a.a.O., § 141 Rdn. 9; Keller in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, § 141 Rdn. 2; vgl. auch LSG Bayern, Beschluss vom
34
18.06.2009 - L 8 SO 68/09 B ER -).
Die Vorschrift des § 141 SGG betrifft hingegen die materielle (innere) Rechtskraft, also
die Frage der Bindung an das Urteil. Sie dient dem Rechtsfrieden und der
Rechtssicherheit und soll den Streit zwischen den Beteiligten endgültig beilegen; der
Streit über denselben Streitgegenstand soll nicht wiederholt werden (LSG Bayern,
Beschluss vom 26.03.2009 - L 9 AL 122/05 -).
35
Ausweislich des Wortlauts bezieht sich § 141 SGG allerdings nur auf Urteile (§ 136
SGG). In Rechtsprechung und Schrifttum ist jedoch anerkannt, dass auch Beschlüsse
der materiellen Rechtskraft fähig sind, sofern sie eine Entscheidung treffen, die nach
Sinn und Zweck des in § 141 SGG zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedankens
Gegenstand der inneren Rechtskraft sein kann (vgl. Peters/Sautter/Wolf, SGG, 4.
Auflage, Stand Mai 2009, § 142 Rdn. 48; BGH, Beschluss vom 03.03.2004 - IV ZB 43/03
- zu §§ 322, 325 ZPO; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.12.2009 - L 3 B
10/09 R -), namentlich selbstständig, vorbehaltlos und endgültig über eine von einem
Beteiligten beanspruchte Rechtsfolge befinden (vgl. z.B. Keller,a.a.O., § 141 Rdn. 5;
Zeihe, SGG, Stand 01.07.2009, § 142 Rdn. 11d). Dazu gehören beispielsweise
Kosten(festsetzungs)beschlüsse nach §§ 197, 193 Abs.1 S. 3 SGG
(Peters/Sautter/Wolff, a.a.O., § 142 Rdn. 48) sowie Entscheidungen im vorläufigen
Rechtsschutz (vgl. BFH, Beschluss vom 18.12.1991 - II B 112/91 - für Beschlüsse nach
§ 114 Finanzgerichtsordnung (FGO) m.w.N.), nicht hingegen Beschlüsse mit nur
deklaratorischem Inhalt (Peters/Sautter/Wolff, a.a.O., § 142 Rdn. 49) und
Prozesskostenhilfe versagende Beschlüsse (BGH, Beschluss vom 03.03.2004 - IV ZB
43/03 -).
36
Ist der Antrag eines Beteiligten durch einen solchen, der materiellen Rechtskraft fähigen
Beschluss rechtskräftig als unbegründet abgelehnt worden, so sind die Beteiligten und
das Gericht an diese Entscheidung gebunden, ohne dass es darauf ankommt, ob sie
inhaltlich zu Recht ergangen ist (vgl. LSG Bayern, Beschluss vom 26.03.2009 - L 9 AL
122/05 -). Die Rechtskraftwirkung erfasst auch nachfolgende Verwaltungsakte. Sie soll
verhindern, dass die aus einem festgestellten Tatbestand hergeleitete Rechtsfolge, über
die durch ein Urteil rechtskräftig entschieden worden ist, erneut zum Gegenstand eines
Verfahrens zwischen denselben Parteien gemacht wird. So darf im Falle einer
erfolgreichen Anfechtungsklage die im Vorprozess unterlegene Behörde bei
unveränderter Sach- und Rechtslage gegen denselben Betroffenen nicht einen neuen
Verwaltungsakt aus den vom Gericht missbilligten Gründen erlassen. Die im
Erstprozess unterlegene Behörde darf den obsiegenden Kläger nicht erneut in eine
Prozesssituation bringen, in der dieselben Sach- und Rechtsfragen zu beantworten
sind. Die unterlegene Behörde hat zur Bewahrung des Rechtsfriedens die gegen sie
ergangene gerichtliche Entscheidung loyal zu beachten (BVerwG, Beschluss vom
09.02.2000 - 4 B 11/00 -; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 12.02.2003 - L 3 KA
312/02 -; Humpert, a.a.O., § 141 Rdn. 24 "Wiederholungsverbot").
37
Zwischen den Beteiligten des Verfahrens steht demzufolge auf der Grundlage des
Senatsbeschlusses vom 01.07.2009 - L 11 B 8/09 KA ER - rechtskräftig fest, dass der
Kläger jedenfalls 50 Substitutionsbehandlungsfälle erbringen darf.
38
Etwas anderes würde allerdings dann gelten, wenn der von der Beklagten im Bescheid
vom Bescheid vom 14.12.2009 neuerlich angeordnete Sofortvollzug des Widerrufs der
Substitutionsgenehmigung rechtliche Wirkungen entfaltet. Das wäre u.U. dann der Fall,
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wenn die Anordnung des Sofortvollzugs durch Bescheid vom 14.12.2009 auf neue
Tatsachen gestützt wäre. So kann ein wiederholter Antrag trotz dessen früherer
rechtskräftiger Ablehnung zulässig dann gestellt werden, wenn nach der früheren
Entscheidung bzw. nach dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt neue
Tatsachen entstanden sind, welche eine andere Beurteilung des
entscheidungserheblichen Sachverhalts rechtfertigen (vgl. BFH, Beschluss vom
18.12.1991 - II B 112/91 - Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im
Verwaltungsstreitverfahren, 3. Auflage, Rdn. 106 und 111 m.w.N.; ähnlich Humpert,
a.a.O, § 141 Rdn. 37a; Keller, a.a.O., § 141 Rdn. 8c und Zeihe, a.a.O., vor § 141 Anm.
1d). Ist eine solche wesentliche Änderung eingetreten, so entfällt die grundsätzlich
zeitlich unbegrenzte Rechtskraftwirkung (Keller, a.a.O., § 141 Rdn. 19; Zeihe, a.a.O., vor
§ 141 Anm. 1d). Ob und inwieweit das der Fall ist, wird ggf. vom SG zu klären sein.
b) Der Bescheid vom 14.12.2009 ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht
Gegenstand des vor dem Senat anhängigen Verfahrens L 11 B 23/09 KA ER geworden.
Läge ein Fall der §§ 96 Abs. 1, 153 Abs. 1 SGG vor, würde der neue Bescheid zwar
"automatisch" Gegenstand des Verfahrens (BSG, Urteil vom 17.11.2005 - B 11a/11 AL
57/04 R -; Eschner in Jansen, SGG, 3. Auflage, 2009, § 96 Rdn. 1). Indessen sind die
Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 SGG nicht erfüllt.
40
aa) Die Einbeziehung des neuen Verwaltungsaktes in das Verfahren setzt voraus, dass
die Rechtshängigkeit noch nicht beendet ist (Eschner, a.a.O., § 96 Rdn. 5; Leitherer in
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, 2008, § 96 Rdn. 3). Soweit der Senat
mit Beschluss vom 01.07.2009 entschieden hat, dass der Antragsteller (noch) 50
Substitutionsbehandlungsfälle erbringen darf, war das Verfahren rechtskräftig beendet.
Schon deswegen kann der Bescheid vom 14.12.2009 - insoweit - nicht Gegenstand des
Verfahrens L 11 B 8/09 KA ER geworden sein.
41
bb) Im Hinblick auf das Verfahren L 11 B 23/09 KA ER gilt: Dieses Verfahren beginnt
losgelöst vom Zeitpunkt der Aktenzeichenvergabe in dem Augenblick, in dem das
BVerfG die Entscheidung des Senats vom 01.07.2009 teilweise aufgehoben hat, mithin
am 27.10.2009 bzw. mit dem Zugang dieses Beschlusses (1 BvR 1876/09) bei den
Beteiligten. Ungeachtet dessen ist der Bescheid vom 14.12.2009 nicht Gegenstand des
Verfahrens L 11 B 23/09 KA ER geworden. Nach § 96 Abs. 1 SGG müsste der Bescheid
vom 14.12.2009 den Bescheid vom 17.12.2008 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 27.01.2009 abändern oder ersetzen.
42
Eine Abänderung liegt vor, wenn der Verwaltungsakt teilweise aufgehoben und durch
eine Neuregelung ersetzt wird. Bei einer Ersetzung wird der alte Verwaltungsakt
vollständig ersetzt. Maßgebend ist der jeweilige Verfügungssatz, nicht die Begründung
(BSG, Urteile vom 28.10.2009 - B 6 KA 56/08 B - und vom 20.07.2005 - B 13 RJ 23/04 R
-). Ein Ersetzen liegt auch dann vor, wenn der neue Verwaltungsakt den alten zwar
aufhebt, aber inhaltlich die gleiche Entscheidung trifft, insbesondere um eine fehlende
Anhörung nachzuholen oder bei einer Ermessensentscheidung die
Ermessenserwägungen zu ergänzen (BSG, Beschluss vom 06.10.1994 - GS 1/91 -).
Jeweils setzt ein Abändern oder Ersetzen voraus, dass der Regelungsgegenstand des
neuen Verwaltungsaktes mit dem des früheren identisch ist und zwar sowohl
hinsichtlich des Verfügungssatzes als auch hinsichtlich des Streitstoffs. Abänderung
oder Ersetzung i.S.d. § 96 Abs. 1 SGG sind hiernach bei veränderten Tatsachen zu
verneinen (Leitherer, a.a.O., § 96 Rdn. 4a m.w.N.).
43
Ausgehend hiervon ergibt sich: Der Bescheid vom 14.12.2009 wird auf neue Tatsachen
gestützt. Hierzu rechnet z.B. der Vorhalt, der Kläger habe am 07.02.2009 ohne jegliche
Vorankündigung seiner gesamten Patientenklientel die Vergabe des
Substitutionsmittels verweigert. Selbst wenn insoweit im Kern über gleiche
Rechtsfragen zu entscheiden ist wie auf der Grundlage des Bescheides vom
17.12.2008, rechtfertigen prozessökonomische Erwägungen eine erweiternde
Auslegung bzw. Heranziehung des § 96 SGG dann nicht, wenn in Bezug auf jeden
ergangenen Bescheid jeweils auch auf Sachverhaltsbesonderheiten und zusätzliche
(unterschiedliche) für den konkreten Anspruch rechtserhebliche tatsächliche
Gesichtspunkte eingegangen werden müsste (vgl. BSG, Urteil vom 13.12.2005 - B 1 KR
21/04 R - m.w.N.). So liegt es hier, denn der fragliche, dem Bescheid vom 14.12.2009 zu
Grunde gelegte (teilweise neue) Sachverhalt bedarf ggf. der Sachaufklärung durch das
Gericht.
44
cc) Einer Einbeziehung des Bescheides vom 14.12.2009 stehen auch Sinn und Zweck
des § 96 SGG entgegen. Mittels dieser Regelung soll die Prozessökonomie gefördert
werden (vgl. Eschner, a.a.O., § 96 Rdn. 1, Leitherer, a.a.O., § 96 Rdn. 1a). Dieses Ziel
wird verfehlt, wenn durch Folgebescheide der jeweils entscheidungserhebliche
Sachverhalt variiert oder ergänzt wird. Die Einbeziehung solcher Bescheide in das
anhängige Verfahren kann vielmehr eine erhebliche Komplizierung der ggf. gebotenen
Sachaufklärung bewirken. Gleichermaßen kann es, wenn in einem Folgebescheid oder
sogar mehreren Folgebescheiden weitere Streitpunkte hinzukommen, zu einer Häufung
von Streitgegenständen im Prozess kommen (hierzu auch BSG, Urteil vom 14.07.2004 -
B 12 KR 10/02 R -).
45
dd) Eine analoge Anwendung des § 96 Abs. 1 SGG scheidet aus. Die Vorschrift ist
durch das SGGArbGÄndG vom 26.03.2008 (BGBl. I S. 444) mit Wirkung vom
01.04.2008 geändert worden. Um der ausufernden Rechtsprechung zur
(entsprechenden) Anwendung des § 96 SGG zu begegnen, sollen nach der Neufassung
nur noch solche Verwaltungsakte in das Verfahren mit einbezogen werden, die den
bereits angefochtenen Verwaltungsakt abändern oder ersetzen (BT-Drs. 16/7716 S. 14
Begr. Teil A I zu Nr. 2b aa) und S. 22 Begr. Teil B zu Art. 1 Nr. 16; zur unzulässigen
analogen Anwendung: vgl. auch BSG, Urteil vom 28.10.2009 - B 6 KA 56/08 B -; BSG,
Beschluss vom 19.09.2008 - B 14 AS 44/08 B -).
46
Der Bescheid vom 14.12.2009 ist demnach nicht Gegenstand des Verfahrens L 11 B
23/09 KA ER geworden.
47
2. Damit bleibt letztlich zu klären, ob der von der Beklagten im Bescheid vom
17.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.01.2009 angeordnete
Sofortvollzug auf der Grundlage der Ausführungen des BVerfG im Beschluss vom
27.10.2009 - 1 BvR 1876/09 - zu bestätigen ist. Das ist zu verneinen.
48
a) Der Senat hat im Beschluss vom 01.07.2009 - L 11 B 8/09 KA ER - ausgeführt, dass
die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens offen und die Voraussetzungen für
den Sofortvollzug auch aus formellen Grünen nicht dargetan sind. Ungeachtet dessen
hat der Senat a.a.O. es auf der Grundlage einer allerdings nicht näher begründeten
Gesamtabwägung und wegen § 10 Abs. 4 Satz 1 der Substitutionsrichtlinien als
geboten angesehen, die vom Antragsteller zulässig erbringbaren vertragsärztlichen
Substitutionsbehandlungen (vorerst) auf 50 Fälle zu begrenzen. Demgegenüber
bemängelt das BVerfG im Beschluss vom 27.10.2009 - 1 BvR 1876/09 -, der Senat habe
49
weder dargelegt, ob und welche Gefahren durch die vertragsärztliche
Substitutionsbehandlung von mehr als 50 Patienten während des
Hauptsacheverfahrens drohen, noch sei erörtert worden, wie sich der in der Begrenzung
liegende Eingriff auf die berufliche Tätigkeit des Antragstellers auswirke.
b) Hierzu ist zu bemerken:
50
aa) § 10 Abs. 4 Satz 2 der Substitutionsrichtlinie bestimmt als Grundsatz, dass ein Arzt
in der Regel nicht mehr als 50 Opiatabhängige gleichzeitig substituieren soll. Im
Gegensatz zur Interpretation dieser Regelung durch das BVerfG a.a.O. versteht der
Senat die Restriktion auf 50 Fälle dahin, dass jede vertragsärztliche
Substitutionsbehandlung von mehr als 50 Patienten unabhängig von den Umständen
des Einzelfalls konkrete Gefahren für öffentliche Belange hervorrufen kann. Anderenfalls
wäre die zweifache Einschränkung ("soll in der Regel") schwerlich nachvollziehbar.
Ausgehend hiervon legt § 10 Abs. 4 Satz 3 der Substititionsrichtlinie sodann folgerichtig
fest, dass die KV in geeigneten Fällen zur Sicherstellung der Versorgung den
Genehmigungsumfang erweitern kann. Wiederum bedarf es zweier Voraussetzungen.
Die Fälle müssen "geeignet" sein, was zu verneinen ist, wenn im jeweiligen Einzelfall
Gefahren für öffentliche Belange drohen. Zusätzlich muss mit der Erweiterung des
Genehmigungsumfangs angestrebt werden, die Versorgung sicherzustellen ("zur").
51
Stellt sich nun heraus, dass eine (ausnahmsweise) für mehr als 50 Opiatabhängige
erteilte Substitutionsgenehmigung im konkreten Fall ein nicht unerhebliches
Gefahrenpotential für die vom jeweiligen Arzt behandelten Patienten mit sich bringt, ist
es nicht nur gerechtfertigt sondern ggf. geboten, die Genehmigung zu widerrufen oder
aber einzuschränken und diese Maßnahme mit der Anordnung des Sofortvollzugs zu
flankieren. Ausgehend vom aktenkundigen Sachverhalt drängte sich zur Überzeugung
des Senats als offenkundig auf, dass für die opiatabhängigen Patienten des Klägers
Gefahren drohen, denn aufgrund der Vielzahl der ihm vorgehaltenen Regelverstöße hat
sich nach Aktenlage jedenfalls ein nicht unerhebliches Gefährdungspotential realisiert,
so dass es insoweit gerechtfertigt war, den Genehmigungsumfang auch vor dem
Hintergrund von Art. 12 GG zunächst nur auf fünfzig Opiatabhängige zu reduzieren. Der
Senat nimmt zur Kenntnis, dass der BVerfG dieser - einfachrechtlichen - Auslegung des
§ 10 Abs. 4 der Substitutionsrichtlinie nicht folgt.
52
bb) Im Übrigen kann den vom BVerfG aufgestellten Anforderungen nur dann Rechnung
getragen werden, wenn die dem Sofortvollzug zugrundeliegenden Tatsachen entweder
unstreitig sind oder aber zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Angesichts der dem
Antragsteller gemachten Vorhalte (hierzu der Inspektionsbericht der Stadt C vom
06.10.2008) einerseits und der die tatsächlichen Feststellungen im Bescheid vom
17.12.2008 weitgehend bestreitenden Darlegungen des Antragstellers andererseits
könnte sich der Senat die volle richterliche Überzeugung davon, dass alle Vorhalte
letztlich zutreffen, nur auf der Grundlage einer umfangreichen Beweiserhebung
verschaffen. In einem zweiten Schritt wäre sodann zu klären, ob diese
Sachverhaltsfeststellungen ggf. die Anordnung des Sofortvollzugs rechtfertigen. Eine
derart umfassende Sachaufklärung muss grundsätzlich dem Hauptsacheverfahren
vorbehalten bleiben. Anderenfalls würde das Hauptsacheverfahren vorweggenommen,
indem die notwendigen Ermittlungen in das vorläufige Verfahren verlagert werden. Dies
entspricht nicht Sinn und Zweck eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens und ist nur
dann angezeigt, wenn dieses vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens
übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines
53
Beteiligten droht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -).
Ob Letzteres zu bejahen ist, kann dahinstehen. Das ergibt sich wie folgt: Soweit die
sofortige Vollziehung eines Bescheides in die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete
Freiheit der Berufsauswahl (z.B. Approbation) eingreift, gilt nach der ständigen
Rechtsprechung des BVerfG, dass Art. 12 Abs. 1 GG einen Eingriff in die Freiheit der
Berufswahl schon vor Rechtskraft des Hauptverfahrens als Präventivmaßnahme zur
Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter zuläßt (vgl. u.a. BVerfGE
35, 263 (274); 44, 105 (118 ff.)). Überwiegende öffentliche Belange können es
ausnahmsweise rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers
einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des
allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten (vgl. BVerfGE 44, 105 (120 f.)).
Wegen der Eingriffsintensität einer sofortigen Vollziehung des Widerrufs einer
Approbation sind jedoch nur solche Gründe ausreichend, die im angemessenen
Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen und die ein Zuwarten bis zur Rechtskraft
des Hauptverfahrens ausschließen. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt
von der Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles und insbesondere davon ab,
ob eine weitere Berufstätigkeit konkrete Gefahren für Dritte befürchten lässt (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 16.01.1991 - 1 BvR 1326/90 - und 28.08.2007 - 1 BvR 2157/07 - sowie
BVerfGE 44, 105 (121)).
54
Werden diese Anforderungen, wie vom BVerfG durch Beschluss vom 27.10.2009 - 1
BvR 1876/09 - vorgegeben, auf Konstellationen übertragen, in denen es - wie hier - um
die sofortige Vollziehung eines Bescheides geht, der (nur) in die Freiheit der
Berufsausübung eingreift, ist gleichwohl festzustellen, welche konkreten Gefahren
Dritten drohen, wenn eine Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der
Substitutionsgenehmigung unterbleibt. Zwar kann die Gefahrenprognose auch aufgrund
von Feststellungen aus Ermittlungsergebnissen der Polizei und der Staatsanwaltschaft
erfolgen, sofern diese Fakten einer eigenständigen, nachvollziehbaren Bewertung
unterworfen werden (so BVerfG, Beschluss vom 16.01.1991 - 1 BvR 1326/90 -). Auf
Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft und/oder Polizei ist der Bescheid vom
17.12.2008 indessen nicht gestützt worden. Zugrunde gelegt sind lediglich die vom
Kläger angegriffenen Feststellungen im Inspektionsbericht der Stadt C. Demzufolge
kann eine Gefahrenprognose nach Maßgabe der Vorgaben des BVerfG ohne weitere
zeitaufwändige Ermittlungen bezogen auf den Bescheid vom 17.12.2008 derzeit nicht
mit der Sicherheit abgegeben werden, dass der Sofortvollzug gerechtfertigt werden
könnte.
55
cc) Soweit die Beklagte mit Schriftsatz vom 15.12.2009 Unterlagen aus dem gegen den
Kläger geführten Verfahren der Staatsanwaltschaft C vorgelegt hat, lässt sich zwar aus
darin befindlichen psychiatrischen Einzelgutachten z.B. entnehmen (z.B. Polizei-Fall-Nr.
X und Nr. X):
56
Die in der Richtlinie geforderte Dokumentationspflicht und die geforderten Formalien
wurden grob missachtet. Die Dokumentation ist insgesamt sehr mangelhaft. Ein
Behandlungskonzept ist weder dokumentiert und bis auf die Mitbehandlung der
Geschwüre/Abszesse/teilweise Erysipel auch nicht erkennbar. Hinreichende Kontrollen
auf Beigebrauch/Drogen-Screenings erfolgten nicht. Offensichtlich erfolgte über alle
Behandlungssequenzen keine psychosoziale Betreuung, dazu auch kein
dokumentierter Nachdruck. Soweit das Protokoll des Vergabe-Automaten Metha 2
außer Acht gelassen wird, erfolgte zumindest ab Ende 12/2006 keine Take-home-
57
Vergabe bei insgesamt auch wenig Fehltagen. Trotz bestehender GKV-Versicherung
erfolgte über alle Behandlungssequenzen keine ordnungsgemäße Anmeldung und
Abrechnung der Substitutionstherapie bei der Krankenkasse. Für die
Behandlungssequenzen ab Ende 12/2006 bleibt der Patientenstatus unklar. Weder ist
die Zahlung von Praxisgebühr dokumentiert, noch liegt ein schriftlicher Privat-
Behandlungsvertrag vor, noch sind Privat-Zahlungen vermerkt. Unter ersatzweisen
Gebührenziffern wurden Laborleistungen und (fast) tägliche Konsultationskomplexe
abgerechnet.
Der von Staatsanwaltschaft beauftragte Gutachter hat außerdem - beispielsweise -
ausgeführt (Polizei-Fall-Nr. XX)
58
Aus einem Entlassungsbericht der V-klinik C über einen Aufenthalt des Patienten dort
vom 20.04.2005-09.05.2005 geht hervor, dass er bereits 1988 mit dem Konsum von
Cannabis und Amphetaminen begonnen hat. Seit 1990 konsumierte er Heroin.
Phasenweise wurden Benzodiazepine und Barbiturate konsumiert. Während der
gesamten Suchtanamnese sei der Alkoholkonsum angestiegen. 1996 sei er erstmalig
substituiert worden. Damals mit Codein. Während einer Haftzeit von 1994 bis 96 sei er
bis auf einen Cannabiskonsum abstinent geblieben. Danach sei er mit Methadon
substituiert worden. Es kamen Benzodiazepine und Kokain hinzu. Zu diesem Zeitpunkt
seien mehrere Delirien und epileptische Anfälle aufgetreten. Bei dieser Datenlage ist
davon auszugehen, dass offenbar bereits die erste Substitution beim VfG fraglich
indiziert war. Auch beim Beginn der Substitution bei Dr. S wurde offenkundig die
Vorgeschichte nicht ausreichend gewürdigt und bei zu diesem Zeitpunkt vorliegendem
ausschließlichem Cannabiskonsum (während der Haftzeit) eine Entwöhnungstherapie
nicht wirksam diskutiert. Auch in der Folgezeit wurde eine solche Therapiemaßnahme
nicht ausreichen intensiv mit dem Patienten besprochen, allerdings auch nicht bei den
dokumentierten Klinikaufenthalten zur Beikonsumentgiftung. Trotz Beigebrauch und
dokumentierter Unzuverlässigkeit erhielt der Patient über längere Strecken das
Substitutionsmittel als Mitgabe aus der Praxis.
59
und weiter dargelegt:
60
BtmG: Die nach diesem Gesetz geforderten Meldungen sind nicht erfolgt. BtMW: - Die
Indikation zur Substitution wurde nicht ausreichend geprüft 2001 wurde zwar formuliert,
dass eine Reduktion des Substitutionsmittels ein Ziel sei. Dieses Ziel wurde allerdings
nicht nachhaltig verfolgt. Insbesondre wurden keine ausreichenden Therapieversuche
(keine einzige Entwöhnungsbehandlung) durchgeführt. - Den Meldeverpflichtungen
wurde nicht vollständig nachgekommen. - Es erfolgte eine ständiger Beigebrauch mit
gefährlichen Stoffen. Es erfolgten über längere Zeiträume keine regelmäßigen
(wöchentlichen) Arztkonsultationen. - Das Substitutionsmittel wurde bis zu einem
Zeitraum von 16 Tagen aus der Praxis mitgegeben. Es erfolgte keine take home-
Verordnung über ein Rezept. - Auch während der take home Vergabe erfolgte ein
gefährlicher Beigebrauch. BUB-Richtlinien vom 28.10.2002: - Es erfolgten keine
ausreichenden Abstinenzversuche unter ärztlicher Kontrolle. - Ein umfassendes
Therapiekonzept wurde nicht erstellt. - Die Ausschlussgründe für eine Substitution
wurden nicht beachtet. - Meldeverfahren wurden nicht ausreichend beachtet. -
Maßnahmen der Qualitätssicherung wurden nicht vorgenommen. Richtlinien der BÄK: -
Die Richtlinien zur Take home Vergabe wurden nicht beachtet. - Meldeverfahren
wurden nicht eingehalten. - Die Abbruchkriterien wurden nicht beachtet. Richtlinien der
KV: - Ein umfassendes Therapiekonzept lag nicht vor. - Es wurden keine ausreichenden
61
Abstinenzversuche unter ärztlicher Kontrolle vorgenommen. Abrechungsprobleme: - Es
wurden nur sehr selten Zahlungen der Praxisgebühr sowie vereinzelt nicht näher
zuzuordnende Zahlungen dokumentiert.
Ob und inwieweit es sich hierbei um neue Tatsachen handelt, die es losgelöst von der
materiellen Rechtskraft des Senatsbeschlusses vom 01.07.2009 - L 11 B 8/09 KA ER -
und unter Berücksichtigung der Ausführungen des BVerfG im Beschluss vom
27.10.2009 - 1 BvR 1876/09 - rechtfertigen, wiederum den Sofortvollzug anzuordnen
(Bescheid der Beklagten vom 14.12.2009), bleibt der Klärung durch das SG
vorbehalten. Der Senat kann diese Erkenntnisse im Zusammenhang mit der Prüfung, ob
der Sofortvollzug durch Bescheid vom 17.12.2008 rechtmäßig angeordnet worden ist,
nicht berücksichtigen, weil die gutachterlichen Feststellungen seinerzeit noch nicht
bekannt waren und demzufolge in die Abwägung der Beklagten, ob und inwieweit
Sofortvollzug anzuordnen war, nicht eingeflossen sind. Maßgeblicher Zeitpunkt für die
Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist zwar der Zeitpunkt der Entscheidung des
Gerichts über den Antrag (vgl. Keller in Meyer/Ladewig/Keller/Leitherer, 9. Auflage,
2008, § 86b Rdn. 42). Darum geht es hier indessen nicht. Denn insoweit kommt es allein
darauf an, ob die Beklagte die Anordnung des Sofortvollzugs im Bescheid vom
17.12.2008 hinreichend begründet hat. Das war nicht der Fall. Die fehlenden oder
unzureichenden Erwägungen können vom Senat, wie im Beschluss vom 01.07.2009 - L
11 B 8/09 KA ER - dargelegt, nicht nachgeholt werden (vgl. auch Keller in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage , § 86a Rdn. 21c m.w.N.).
62
Nach alledem musste die Beschwerde nunmehr Erfolg haben.
63
III.
64
Die Entscheidung über den Streitwert ergeht gesondert.
65
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 162 Abs. 1 SGG.
66
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
67