Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 23.02.2007

LSG NRW: einreise, behörde, erstmaliger, beweislast, asylverfahren, anerkennung, beweislosigkeit, ausreise, drittstaat, kauf

Landessozialgericht NRW, L 20 B 61/06 AY
Datum:
23.02.2007
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 20 B 61/06 AY
Vorinstanz:
Sozialgericht Gelsenkirchen, S 8 AY 6/06
Sachgebiet:
Sozialhilfe
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 27.02.2006 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
1
Die zulässige Beschwerde der Kläger zu 1) und 2) vom 15.08.2006, der das
Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Nichtabhilfebeschluss vom 18.10.2006), ist
unbegründet.
2
Das Sozialgericht hat es zu Recht abgelehnt, den Antragstellern für das
sozialgerichtliche Klageverfahren Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines
Rechtsanwalts zu bewilligen. Die angefochtenen Bescheide vom 26.01.2006 und
02.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2006, mit denen die
Beklagte höhere als nach § 1a Ziffer 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu
gewährende Leistungen abgelehnt hat, beschweren die Kläger zu 1) und 2) nach der
gebotenen summarischen Prüfung nicht im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG), so dass ihre Klage auch zur Überzeugung des Senats
derzeit keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§§ 73a SGG, 114ff.
Zivilprozessordnung [ZPO]),
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Der Senat verweist zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen
Beschlusses (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerdebegründung rechtfertigt eine
Abänderung des angefochtenen Beschlusses und damit die Gewährung von
Prozeskostenhilfe nicht.
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Nach § 1a Nr. 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte, die, wie die Antragsteller,
leistungsberechtigt im Sinn des § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG sind, Leistungen nach diesem
Gesetz nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist,
wenn sie sich in den Geltungsbereich des Gesetzes begeben haben, um Leistungen
nach diesem Gesetz zu erlangen.
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Da die Regelung des § 1a Nr. 1 AsylbLG im Wesentlichen der Vorschrift des § 23 Abs. 3
Sozialgesetzbuch 12. Buch (SGB XII) und deren Vorgängernorm § 120
Bundessozialhilfegesetz (BSHG) entspricht, kann zur Konkretisierung der
tatbestandlichen Voraussetzungen die hierzu ergangene verwaltungsgerichtliche
Rechtsprechung und einschlägige Literatur herangezogen werden (vgl. etwa
Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 1a AsylbLG RdNr. 5; Fasselt in:
Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Auflage 2005, § 1a AsylbLG RdNr.
6).
6
Von einer Einreise zum Zweck des Leistungsbezuges kann danach ausgegangen
werden, wenn ein finaler Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss und der
Inanspruchnahme von Sozialleistungen besteht. Sind mehrere Motive denkbar oder
gegeben, muss das prägende Motiv des Hilfesuchenden im Zeitpunkt der Einreise die
Inanspruchnahme von Leistungen nach dem AsylbLG gewesen sein. Das bedeutet,
dass die Möglichkeit, auf Leistungen nach dem AsylbLG angewiesen zu sein, für den
Einreiseentschluss, sei es allein, sei es neben anderen Gründen, in besonderer Weise
bedeutsam gewesen sein muss. Es genügt demgegenüber nicht, dass der Bezug von
Leistungen nach dem AsylbLG beiläufig erfolgt oder anderen Einreisezwecken
untergeordnet und in diesem Sinne nur billigend in Kauf genommen wird (vgl. BVerwG,
Urteil vom 04.06.1992 - 5 C 22.87 - BVerwGE 90, 212 zur inhaltlich gleichen Regelung
des § 120 BSHG). Die nur in das Wissen des Ausländers gestellten Gründe für seine
Ausreise muss dieser substantiiert und widerspruchsfrei darlegen, um der Behörde und
auch dem Gericht die Möglichkeit zu geben, zu prüfen, ob der genannte Tatbestand
erfüllt ist (zum Sphärengedanken etwa Wahrendorf, a.a.O., § 1a AsylbLG RdNr. 5). Erst
sodann kann unter Berücksichtigung der die Behörde treffenden (objektiven) Beweislast
die Beweislosigkeit ggf. die Anwendung des § 1a Nr. 1 AsylbLG verwehrt sein.
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Unter Berücksichtigung sämtlicher (bekannter) Umstände der Einreise erscheint die
Annahme einer Einreise zur Erlangung von Leistungen nach dem AsylbLG
gerechtfertigt. Hierfür spricht die (bei erstmaliger Stellung des Asylantrags
verschwiegene) Einreise über den sicheren Drittstaat Österreich, nachdem ein dortiger
Asylantrag aussichtslos erschien sowie die Ablehnung des ersten Asylantrages mit
Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom
19.11.2003 als offensichtlich unbegründet.
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Der Senat hält an seiner Auffassung fest, dass diese Umstände für sich betrachtet nicht
zwingend die Annahme einer Einreise zur Erlangung von Leistungen rechtfertigen (vgl.
etwa auch Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 1a AsylbLG RdNr. 5).
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Unter Berücksichtigung der geschilderten Fluchtgründe, des Umstandes, dass die
Klägerin zu 2) bei (erstmaliger) Einreise bereits im 8. Monat schwanger war, der nicht
zweifelsfrei geklärten Identität der Kläger, der Tatsache, dass die Kläger die
Bundesrepublik Deutschland nach Ablehnung ihres Asylantrages und erfolglosem
Klageverfahren (Verwaltungsgericht Arnsberg, Urteil vom 14.10.2004, 6 K 4711/03.A)
zwischenzeitlich wieder verließen, um erneut in Österreich unter anderem Namen ein
Asylverfahren durchzuführen, sodann aber wieder einkommenslos in die
Bundesrepublik Deutschland einreisten, liegen weitere Indizien vor, die die Gewährung
lediglich gekürzter Leistungen rechtfertigen dürften.
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Ob darüber auch die Vorschrift des § 1a Nr. 2 AsylbLG einschlägig ist, kann der Senat
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dahinstehen lassen.
Hinsichtlich der Kläger zu 3) und 4) hat das Sozialgericht PKH bewilligt.
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Kosten sind nicht zu erstatten, § 127 Abs. 4 ZPO.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
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