Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 07.01.2004

LSG NRW: vergütung, vertrag zu lasten dritter, kieferorthopädie, abrechnung, anpassung, angemessenheit, krankenversicherung, gestaltungsspielraum, beschränkung, versorgung

Landessozialgericht NRW, L 11 KA 173/02
Datum:
07.01.2004
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 11 KA 173/02
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 2 KA 44/01
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 6 KA 23/04 R
Sachgebiet:
Vertragsarztrecht
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 10.4.2002 wird zurückgewiesen. Der Kläger hat die
außergerichtlichen Kosten der Beklagten auch im Berufungsverfahren
zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über die Höhe des Punktwertes für Zahnersatz im Jahr 2000.
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Der Kläger ist Zahnarzt und in E zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen.
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Bei der bei der Beigeladenen zu 1) Versicherten N.T. gliederte der Kläger am
05.12.2000 einen Zahnersatz ein (Heil- und Kostenplan vom 06.10.2000). Hinsichtlich
seiner Gebühren setzte er dafür einen Punktwert von 1,3674 DM an.
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Die Beklagte nahm mit Bescheid vom 15.12.2000 eine Berichtigung der Abrechnung
des Klägers vor. Sie beanstandete, dass der Kläger bei der Berechnung seiner
Gebühren den um 5 % erhöhten Punktwert von 1,3674 DM anstelle des Punktwertes
von 1,3023 DM zu Grunde gelegt hatte. Die Beklagte könne gegenüber der
Beigeladenen zu 1) auch für im Jahr 2000 erbrachte Zahnersatzleistungen lediglich
einen um 5 % abgesenkten Punktwert in Ansatz bringen (Art. 15 des Gesetzes zur
Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-SolG).
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Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, die Berechnung seiner Gebühren
sei mit dem um 5 % erhöhten und von der Beigeladenen zu 1) genehmigten Punktwert
von 1,3674 DM vorzunehmen; die in Art. 15 GKV-SolG verordnete fünfprozentige
Absenkung des Punktwertes für Zahnersatz sei allein auf das Jahr 1999 begrenzt
gewesen.
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Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 26.01.2000 zurück
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und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, die Zuschussfestsetzung im Heil- und
Kostenplan beinhalte lediglich, dass die Kosten, die den entsprechenden vertraglichen
Vereinbarungen entsprächen, zu Grunde gelegt werden könnten. Der vertraglich
vereinbarte Punktwert betrage jedoch lediglich 1,3023 DM, so dass auch nur dieser um
5 % abgesenkte Punktwert der Abrechnung zu Grunde gelegt werden könne.
Mit seiner Klage hat der Kläger nochmals darauf hingewiesen, dass die fünfprozentige
Absenkung gemäß Art. 15 Abs. 1 GKV-SolG allein auf das Jahr 1999 begrenzt gewesen
sei. Diese Absenkung sei auch nicht durch das am 01.01.2000 in Kraft getretene GKV-
Gesundheitsreformgesetz verlängert worden. Aus der Gesetzesbegründung zum GKV-
SolG werde im Übrigen deutlich, dass die vom Gesetzgeber vorgenommene Absenkung
allein das Jahr 1999 erfassen sollte. Somit habe ab dem Jahre 2000 wieder der am
31.12.1997 geltende Punktwert Gültigkeit erhalten, so dass es für die von der Beklagten
vorgenommene Punktwertabsenkung einer rechtlichen Grundlage entbehre. Der mit den
Primärkassen vertraglich vereinbarte Punktwert von 1,3023 DM verstoße gegen
höherrangiges Recht und sei deshalb unwirksam. Die Beklagte könne sich somit auf die
vertraglichen Vereinbarungen nicht berufen und hätte die Abrechnung auf Grund des
von ihm in Ansatz gebrachten Punktwertes von 1,3674 DM vornehmen müssen.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 15.12.2000 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2001 die Abrechnung des
Zahnersatzantrages betreffend die Patientin N.T. nach einem Punktwert von 1,3674 DM
vorzunehmen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat auf die Ausführungen in ihren Bescheiden verwiesen.
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Die Beigeladene zu 1) hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat dargelegt, dass die von der Beklagten vorgenommene Honorarkürzung auf
Grund des vertraglich vereinbarten Punktwertes von 1,3023 DM rechtmäßig erfolgt sei.
Es sei nicht entscheidungserheblich, ob die in Art. 15 Abs. 1 GKV-SolG angeordnete
Absenkung des Punktwertes für Zahnersatz auf das Jahr 1999 beschränkt gewesen sei.
Denn selbst wenn man davon ausgehe, dass der Gesetzgeber eine Fortschreibung der
für das Jahr 1999 angeordneten fünfprozentigen Absenkung nicht gewollt habe, so sei
die Vergütungsvereinbarung dennoch rechtmäßig. Denn eine Beschränkung der
Absenkung auf das Jahr 1999 hätte allein zur Folge, dass diese Einschränkung nach
Ablauf des Jahres 1999 entfallen wäre, die Vertragspartner an sie also nicht mehr
gebunden wären. Die Vertragspartner wären dann aber berechtigt gewesen, mit
Rücksicht auf die Beitragssatzstabilität (§ 71 SGB V) weiterhin einen abgesenkten
Basiswert zu vereinbaren oder sogar den Punktwert im Wege einer vertraglichen
Vereinbarung noch weiter abzusenken.
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Mit Urteil vom 10.04.2002 hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf die Klage abgewiesen
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und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich bei der Regelung in Art.
15 GKV-SolG um ein auf das Jahr 1999 beschränktes Gesetz zur Verminderung der
Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen gehandelt habe, jedoch hätten die
Vertragsparteien trotz der beschränkten Geltungsdauer dieser Vorschrift nicht zwingend
für das Jahr 2000 eine Erhöhung der Punktwerte um (weitere) 5 % vornehmen müssen.
Denn den Vertragsparteien stünde ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Dieser sei nicht
verletzt. Den Vertragszahnärzten sei eine angemessene Vergütung ihrer Leistung im
Sinne von § 72 Abs. 2 SGB V zugebilligt worden. Die Angemessenheit ergebe sich
bereits daraus, dass der Gesetzgeber selbst für das Jahr 1999 die Herabsetzung der
Punktwerte um 5 % vorgenommen habe; dies verdeutliche, dass der reduzierte
Punktwert auch (noch) angemessen sei.
Mit der vom Senat zugelassenen Berufung trägt der Kläger vor, dass die vertragliche
Festlegung des Punktwertes durch die Vertragsparteien (Beklagte und Beigeladene) in
der Vereinbarung vom 23.02.2000 einen unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter
darstelle. Wenn man zutreffenderweise - wie das SG Düsseldorf - eine Beschränkung
der fünfprozentigen Punktwertabsenkung nur für das Jahr 1999 annehme, ergebe sich
zwingend, dass eine diese Punktwertabsenkung fortschreibende Vereinbarung der
Vertragsparteien gegen §§ 72, 85 SGB V verstoße.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.04.2002 abzuändern und die Beklagte
unter Aufhebung der Bescheide vom 15.12.2000 und 26.01.2001 zu verurteilen, die
Abrechnung des Zahnersatzantrages der Patientin S. nach einem Punktwert von 1,3674
DM vorzunehmen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
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Die Beigeladene zu 1) beantragt schriftsätzlich,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Zur Begründung nimmt sie Bezug auf die Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil
sowie ihren erstinstanzlichen Vortrag.
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Die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen. Auf den Inhalt dieser Akten und den der Streitakten
wird - insbesondere hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten - ergänzend Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der
Beklagten vom 15.12.2000 und 26.01.2001 sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen
Anspruch auf eine Vergütung unter Zugrundelegung eines Punktwertes für Zahnersatz
von 1,3674 DM. Die vertragliche Bestimmung des Punktwertes für Zahnersatz durch die
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Vertragsparteien in der Vereinbarung vom 23.02.2000 verstößt nicht gegen
höherrangiges Recht.
Den Vertragspartnern kommt bei einer im Wege freier Verhandlungen erzielten
Vereinbarungen ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Da vertragliche Vereinbarungen
auf Interessenausgleich angelegt sind und Kompromisscharakter haben, sind sie von
den Gerichten nur daraufhin zu überprüfen, ob die zwingenden rechtlichen Vorgaben
eingehalten worden sind. Die inhaltliche Kontrolle beschränkt sich mithin darauf, ob der
zu Grunde gelegte Sachverhalt zutrifft und der den Vertragsparteien zustehende
Gestaltungsspielraum eingehalten worden ist, d. h., ob die maßgeblichen
Rechtsmaßstäbe beachtet worden sind.
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Zu den Vorgaben, die von den Vertragspartnern zwingend zu beachten sind und deren
Einhaltung von den Gerichten dementsprechend zu kontrollieren ist, gehört der
Grundsatz der Beitragssatzstabilität (§ 71 Abs. 1 SGB V).
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Wie das BSG bereits zu früheren Fassungen dieses Grundsatzes ausführlich und
überzeugend dargelegt hat, handelt es sich dabei um eine verbindliche gesetzliche
Vorgabe für Vergütungsvereinbarungen, der im Verhältnis zu anderen Kriterien für die
Festsetzung der Gesamtvergütung sogar Vorrang zukommt (BSGE 86, 126, 136 ff.; vgl.
auch schon BSG SozR 3-2500 § 85 Nr. 30). Für die hier anzuwendende Fassung, die §
71 SGB V durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 erlangt hat, gilt dies erst
recht. Denn danach haben die Krankenkassen und die Leistungserbringer in den
Vereinbarungen über die Vergütung der Leistungen den Grundsatz der
Beitragssatzstabilität nicht mehr, wie in der Vorgängerfassung, "nur" zu beachten.
Vielmehr haben sie nunmehr diese Vereinbarungen so zu gestalten, dass
Beitragssatzerhöhungen ausgeschlossen werden, es sei denn, die notwendige
medizinische Versorgung ist auch nach Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven
nicht zu gewährleisten (§ 71 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Darüberhinaus schreibt § 71 Abs. 2
Satz 1 SGB V vor, dass die vereinbarte Veränderung der jeweiligen Vergütung die sich
bei Anwendung der Veränderungsrate für das gesamten Bundesgebiet nach § 71 Abs. 3
SGB V ergebende Veränderung der Vergütung, die für das Jahr 2000 1,43 % betragen
hat, nicht überschreiten darf. Durch diese strikte Anbindung hat der Gesetzgeber
ersichtlich einen noch höheren Grad der Bindung an den Grundsatz der
Beitragssatzstabilität bezweckt, als sie ohnehin schon bis zum 31.12.1999 bestand.
Dass § 85 Abs. 3 Satz 2 SGB V, der durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000
unverändert geblieben ist, nach wie vor eine "Beachtung" dieses Grundsatzes
vorschreibt, ändert hieran nichts, weil es sich bei dieser Bestimmung aufgrund der
Neufassung des § 71 Abs. 1 SGB V im Wesentlichen nur noch um eine
Verweisungsvorschrift handelt.
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"Vergütung" im Sinne von § 71 Abs. 1 SGB V ist nicht nur die jeweilige
Vergütungsobergrenze, sondern auch der für Einzelleistungen vereinbarte Punktwert.
Das ergibt sich aus einer Gesamtbetrachtung der Vorschrift im Zusammenhang mit § 85
Abs. 2 und 3 SGB V. Zunächst zeigt § 85 Abs. 3 Satz 2 SGB V, dass mit dem Begriff
"Vergütung" in § 71 Abs. 1 SGB V im Bereich der vertrags(zahn)ärztlichen Leistungen
die Gesamtvergütung im Sinne von § 85 Abs. 2 Satz 2 SGB V, also das
Ausgabenvolumen für die Gesamtheit der zu vergütenden vertrags(zahn)ärztlichen
Leistungen gemeint ist. Dieses Ausgabevolumen kann, wie sich aus § 85 Abs. 2 Satz 2
SGB V im Weiteren ergibt, auch nach Einzelleistungen berechnet werden. Wie das BSG
bereits klar gestellt hat, handelt es sich bei der Vergütung von Leistungen auf der
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Grundlage eines Bewertungsmaßstabes nach festen Punktwerten um eine solche
Einzelleistungsvergütung (BSGE 86, 126, 141). Stellt somit der feste Punktwert den
variablen Vergütungsfaktor dar, der letztlich über das Ausgabenvolumen entscheidet, so
ist auch bei seiner Anpassung der Grundsatz der Beitragssatzstabilität in seiner jeweils
konkreten Ausformung zu beachten.
Dem steht nicht entgegen, dass auch bei einer Vergütung nach Einzelleistungen das
Ausgabenvolumen zu bestimmen, eine Regelung zur Vermeidung der Überschreitung
dieses Betrages zu treffen (§ 85 Abs. 2 Satz 7 SGB V in der Fassung des GKV-SolG)
und auch das Ausgabenvolumen als "Vergütung" im Sinne von § 71 Abs. 1 SGB V
anzusehen ist, die dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität unterliegt. § 85 Abs. 2 Satz
7 SGB V trägt lediglich dem Umstand Rechnung, dass das gesamte Ausgabenvolumen
sich bei einer reinen Einzelleistungsvergütung durch Mengenausweitung tendenziell
nach oben unbegrenzt entwickeln kann. Um dies zu verhindern, muss neben die
Vergütung nach Einzelleistungen ein zweiter Vergütungsparameter in Gestalt einer
Vergütungsobergrenze treten (vgl. hierzu ausführlich - auch mit Hinweisen auf die
Entstehungsgeschichte - BSGE 86, 126, 142 ff.; Engelhard in Hauck/Haines, SGB V, §
85 Rdnr. 99). Es reicht indessen nicht aus, allein diese gemäß dem Grundsatz der
Beitragssatzstabilität anzupassen. Denn ebenso wenig wie § 71 Abs. 1 SGB V die
Gesamtvertragsparteien zwingt, die Veränderungsrate gemäß § 71 Abs. 3 SGB V voll
auszuschöpfen (vgl. zur vergleichbaren Problematik der Anpassung der
Gesamtvergütung an den Grundlohnsummenanstieg bereits BSG SozR 3-2500 § 85 Nr.
20), lässt sich seine Reichweite auf die Anpassung der Vergütungsobergrenze
beschränken, wenn - wie bei einem nach Einzelleistungen berechneten
Ausgabenvolumen möglich - die tatsächlich zu entrichtende Gesamtvergütung im
Ergebnis auch darunter liegen kann (vgl. Engelhard a.a.O., § 85 Rdnr. 332). Im Übrigen
kann es für die Anwendung von § 71 Abs. 1 SGB V aber auch nicht entscheidend darauf
ankommen, ob die Vergütung nach Einzelleistungen im Laufe des Jahres
voraussichtlich das festgesetzte Ausgabenvolumen erreichen wird mit der Folge, dass
unabhängig von der Höhe des festen Punktwertes ohnehin nur ein geringerer
Auszahlungspunktwert zur Anwendung kommt (vgl. hierzu BSG, Urt. v. 21.05.2003 - B 6
KA 25/02 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). Denn weder § 71 SGB V
noch § 85 SGB V sehen insoweit einen Ausnahmetatbestand oder die Möglichkeit der
Differenzierung vor.
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Die Bindung an den Grundsatz der Beitragssatzstabilität auch bei Anpassung der
Punktwerte führt dazu, dass die Vertragspartner sich bei der Festsetzung der
Gesamtvergütung für das Jahr 2000 an den Punktwerten des Jahres 1999 und der
Veränderungsrate für das Jahr 2000 gemäß § 71 Abs. 3 Satz 4 SGB V zu orientieren
hatten und nicht die Punktwerte des Jahres 1997 zu Grunde legen durften.
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§ 71 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB V ordnet an, dass die Vergütung sich nur nach Maßgabe
der gemäß § 71 Abs. 3 SGB V festgesetzten Veränderungsrate verändern darf. Diese
wird nach § 71 Abs. 3 Satz 1 SGB V jeweils für das folgende Kalenderjahr ermittelt.
Speziell für die Vereinbarungen des Jahres 2000 gelten die Veränderungsraten des
zweiten Halbjahres 1998 und des ersten Halbjahres 1999 (§ 71 Abs. 3 Satz 4 SGB V).
Aus dieser Anbindung an Jahreszeiträume wird unmittelbar ersichtlich, dass die
"Vergütung", auf welche die Veränderungsrate zu beziehen ist, nur diejenige des
jeweiligen Vorjahres sein kann. Das entspricht im Übrigen der ständigen
Rechtsprechung, wonach eine Vergütungsanpassung grundsätzlich auf der Basis der
Vergütung des Vorjahres vorzunehmen ist, weil diese die Vermutung der
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Angemessenheit für sich hat (BSGE 20, 73, 84; BSGE 51, 58, 63; Senat, Urt. v.
23.03.2000 - L 11 KA 123/98). Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese Vergütung
durch die Vertragspartner selbst, kraft Schiedsspruchs oder aufgrund einer gesetzlichen
Regelung erfolgt ist, die den Inhalt des Gesamtvertrags ganz oder teilweise unmittelbar
festlegt. Im Hinblick hierauf ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass die
Vergütungsvereinbarungen für das Jahr 2000 auf der Grundlage der
Ausgabenbudgetierung für das Jahr 1999 fortzuschreiben sind (allg.M.:BSG, Urt. v.
21.05.2003, a.a.O.; Engelhard a.a.O., § 85 Rdnr. 87c; Hess in KassKomm, § 85 SGB V
Rdnr. 44).
Eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung, die Vergütung der Leistungen für
Zahnersatz und Kieferorthopädie von dieser Regel auszunehmen und statt auf die
Punktwerte des Jahres 1999 auf die Punktwerte eines anderen Jahres, z.B. 1997,
Bezug zu nehmen, besteht nicht.
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Eine solche Ausnahmeregelung ist auch nicht konkludent darin zu sehen, dass die
Geltung des Art 15 Abs. 1 GKV-SolG auf das Jahr 1999 beschränkt war. An dieser
beschränkten zeitlichen Geltung bestehen zwar keine Zweifel. Sie ergibt sich, wie das
SG insoweit zutreffend dargelegt hat, sowohl aus dem Wortlaut als auch der
systematischen Stellung der Vorschrift und schließt die in Art 15 Abs. 1 Satz 7 GKV-
SolG geregelte Obergrenze für die Punktwerte für Zahnersatz und Kieferorthopädie mit
ein. Denn diese Bestimmung ist lediglich als Annexregelung zu der ebenfalls
vorgeschriebenen Obergrenze für das Ausgabenvolumen für Zahnersatz und
Kieferorthopädie in Art 15 Abs. 1 Satz 2 GKV-SolG zu lesen, deren alleiniger Zweck
darin bestand, den Vertragspartnern die Umsetzung der Vorschrift über die
Ausgabenbegrenzung für das Jahr 1999 zu erleichtern (BT-Drucks. 14/24, S. 26). Die
auf ein Jahr beschränkte Geltung einer gesetzlichen, erst recht vertraglichen oder auf
Schiedsspruch beruhenden Regelung über die Gesamtvergütung ist indessen keine
Besonderheit, sondern vielmehr die Regel, von der - wie bereits dargelegt - auch § 71
SGB V selbstverständlich ausgeht. Für den Folgezeitraum beschränkt sich die
Bedeutung entsprechender Vereinbarungen, Schiedssprüche bzw. gesetzlichen
Regelungen jeweils darauf, dass sie die Vermutung ihrer Angemessenheit für sich
haben und die Vertragspartner daher an sie anknüpfen können und müssen. Diese
Vermutung besteht jedoch auch für die Regelung zur Absenkung der Punktwerte für
Leistungen bei Zahnersatz und Kieferorthopädie in Art 15 Abs. 1 Satz 7 GKV-SolG. Es
gibt keinerlei Hinweise für die Annahme, der Gesetzgeber habe insoweit für das Jahr
1999 eine unangemessen niedrige Vergütung festgesetzt geschweige denn festgesetzt
wissen wollen. Im Gegenteil sollte die Vorschrift die Voraussetzungen dafür schaffen,
dass sich die zahnärztlichen Leistungen im Jahr 1999 wieder "normalisieren" konnten.
Die unterschiedlichen Obergrenzen sollten dabei einer vom Gesetzgeber als langfristig
angesehenen Entwicklung Rechnung tragen, die sich durch ein hohes Niveau
zahnerhaltender Maßnahmen bei gleichzeitigem Rückgang prothetischer Leistungen
auszeichnete (vgl. BT-Drucks. 14/157, S. 38).
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Auch die Gesetzgebungsgeschichte im Übrigen gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass
die Vertragspartner und damit der Beklagte im Jahr 2000 für die Festsetzung der
Vergütung und damit der Punktwerte in den Bereichen Zahnersatz und Kieferorthopädie
von der Regel des § 71 Abs. 1 SGB V abweichen durften. Zwar sah der ursprüngliche
Entwurf zum GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 die Bildung eines Globalbudgets in
der gesetzlichen Krankenversicherung mit dem Ziel einer über die einzelnen
Versorgungsbereiche hinaus gehenden flexiblen Verwendung der verfügbaren
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Finanzmittel vor (vgl. Art 1 Nr. 85 des Entwurfs der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN; BT-Drucks. 14/1245, S. 26 und die Begründung S. 93). Damit sollte
ermöglicht werden, die Obergrenze der Veränderungsrate in einzelnen Sektoren zu
überschreiten, soweit entsprechende Einsparungen in anderen Bereichen vertraglich
abgesichert waren. Auf diese Weise hätten z.B. die Punktwertabsenkung des Jahres
1999 für Zahnersatz und Kieferorthopädie - ggf. zu Lasten anderer Versorgungsbereiche
- im Jahr 2000 möglicherweise wieder rückgängig gemacht werden können. Das
Globalbudget ist indessen gerade am Widerstand des Bundesrates geschei tert.
Stattdessen ist die in ihren Wirkungen bereits beschriebene verschärfte Fassung des §
71 SGB V in Kraft getreten (vgl. hierzu Hess a.a.O., § 85 Rdnr. 2 m.w.N.).
Schließlich lässt sich auch aus dem Fehlen einer Vorschrift wie § 85 Abs. 2b Satz 2
SGB V nichts dafür herleiten, dass andere Punktwerte als diejenigen des Jahres 1999
zur Grundlage der Vergütungsanpassung gemacht werden dürften. Denn die
Punktwertabsenkung zum 01.01.1993 gemäß § 85b Abs. 2 Satz 1 SGB V einerseits, die
sich kraft § 85 Abs. 2b SGB V in den Folgejahren fortsetzte, und diejenige zum
01.01.1999 durch Art 15 Abs. 1 Satz 7 GKV-SolG andererseits beruhten auf
verschiedenen Regelungstechniken, die dementsprechend unterschiedlicher
Anordnungen für die Folgezeit bedurften. Dabei ist § 85 Abs. 2b SGB V im
Zusammenhang mit dem ebenfalls durch das Gesetz zur Sicherung und
Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (BGBl. 1992 I, S. 2266
(GSG)) zum 01.01.1993 eingefügten § 85 Abs. 3a SGB V zu lesen. Das GSG sah für die
Jahre 1993 bis 1995 eine Budgetierung der vertragsärztlichen und
vertragszahnärztlichen Gesamtvergütungen durch deren strikte Anbindung an die
Entwicklung der beitragspflichtigen Einnahmen vor (§ 85 Abs. 3a Satz 1 SGB V). Die
Besonderheit bestand jedoch darin, dass bei der Bestimmung der Gesamtvergütungen
für Vertragszahnärzte die zahnprothetischen und kieferorthopädischen Leistungen nicht
berücksichtigt wurden (§ 85 Abs. 3a Satz 3 SGB V). Für sie gab es statt dessen die
Sondervorschrift des § 85 Abs. 2b Satz 1 SGB V, der zunächst nur eine
Punktwertabsenkung für das Jahr 1993 vorsah. Um diese auch für die Folgejahre
wirksam werden zu lassen, bedurfte es einer eigenständigen Regelung, die in Gestalt
von § 85 Abs. 2b Satz 2 SGB V erfolgte. Für das Jahr 1999 hat der Gesetzgeber
dagegen die Bildung zweier voneinander getrennter Gesamtvergütungsteile (Art 15 Abs.
1 Sätze 1 und 2 GKV-SolG) und im Zusammenhang hiermit die Absenkung der
Punktwerte für zahnprothetische und kieferorthopädische Leistungen angeordnet (Art 15
Abs. 1 Satz 7 GKV-SolG). Für das Jahr 2000 hat er - insoweit anders als bei § 85 Abs.
3a Satz 3 SGB V - jedenfalls rechtstechnisch die Trennung der Gesamtvergütungen
jedoch nicht aufrecht erhalten, sondern stattdessen mit § 71 SGB V eine einheitliche,
alle Vergütungen erfassende Anpassungsvorschrift geschaffen. Aufgrund dessen
brauchte er das Schicksal der Punktwerte für Zahnersatz und Kieferorthopädie nicht
mehr gesondert zu regeln.
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Fehlt es nach alledem an einer Regelung, die es den Vertragspartnern erlaubt, für die
Festsetzung der Punktwerte bei Zahnersatz für das Jahr 2000 von den Vorgaben des §
71 Abs. 1 SGB V abzuweichen, so entspricht das Anknüpfen an die Punktwerte des
Jahres 1999 den vom Gesetzgeber getroffenen Vorgaben. Denn § 71 Abs. 1 SGV V
ordnet die Anknüpfung an den jeweiligen Vorjahreszeitraum an, ohne eine Ausnahme
mit entsprechender Begründung zu erlauben. Die von den Vertragspartnern in der
Vereinbarung vom 23. Februar 2000 vorgenommene Bestimmung des Punktwertes für
Zahnersatz im Jahr 2000 auf 1,3023 DM ist rechtmäßig und musste von der Beklagten
bei der Honorarberechnung zu Grunde gelegt werden.
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Die Kostenentscheidung erfolgt gemäß § 193 SGG in der Fassung bis zum 01.01.2002.
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Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der aufgeworfenen
Rechtsfragen zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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