Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 23.08.2010

LSG NRW (vvg, bezug, private krankenversicherung, gkv, tätigkeit, zustandekommen des vertrages, versicherungspflicht, krankenversicherung, versicherung, berufliche tätigkeit)

Landessozialgericht NRW, L 16 KR 329/10 B ER
Datum:
23.08.2010
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 16 KR 329/10 B ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 8 KR 494/10 ER
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund
vom 25.5.2010 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
1
I.
2
Der Beschwerdeführer (Bf), dessen seit 1997 bestehendes privates
Krankenversicherungsverhältnis zum 30.09.2007 wegen Beitragsrückständen beendet
worden ist und der sich seitdem nicht mehr versichert hat, begehrt im Wege des
einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Beschwerdegegnerin (Bg), ihn
vorläufig als gesetzlich versichertes Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung
zu führen.
3
Der 1971 geborene Bf war von 2000 - 2007 als Gesellschafter-Geschäftsführer einer
GmbH selbständig tätig, die im Jahre 2007 Insolvenz anmeldete. Nach seinen Angaben
meldete er nach Beantragung der Privatinsolvenz im Jahr 2008 alle seine Gewerbe ab;
nach Darstellung seiner Mutter gegenüber der Bg war er noch bis Mai 2009
"freiberuflich" tätig. Im Handelsregister ist er noch als Kaufmann (e.K.) mit einem
Gewerbe eingetragen, das er nach seinen Angaben jedoch bereits zum 31.12.2007
aufgegeben hat. Mit Beschluss vom 16.06.2009 wurde über sein Privatvermögen wegen
Zahlungsunfähigkeit das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 10.08.2009 beantragte er beim
JobCenter der Stadt I Arbeitslosengeld II (Alg-II), welches ihm mit Bescheid vom
22.09.2009 bewilligt wurde. Weil er zu diesem Zeitpunkt nicht krankenversichert war,
wurde er weder bei einer gesetzlichen Krankenkasse angemeldet noch wurde ihm ein
Zuschuss zu einer privaten Krankenversicherung bewilligt. Anfang 2010 erkrankte der
Bf schwer (Multiorganversagen) und wurde anschließend bis 05.05.2010 in
Krankenhäusern bzw. Reha-Einrichtungen stationär behandelt.
4
Im März 2010 beantragte er bei der Bg die Aufnahme in die gesetzliche
Krankenversicherung (GKV). Die Bg lehnte dies mit Bescheid vom 22.03.2010 ab:
5
Grundsätzlich seien Personen, die Alg-II beziehen, versicherungspflichtig in der GKV (§
5 Abs.1 Nr. 2a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V)). Wenn jedoch derjenige, der
Alg-II beziehe, unmittelbar vor dem Bezug von Alg-II privat krankenversichert oder weder
gesetzlich noch privat krankenversichert gewesen sei und eine hauptberuflich
selbstständige oder freiberufliche Tätigkeit ausgeübt habe, trete diese
Versicherungspflicht gemäß § 5 Abs. 5a SGB V nicht ein. Als privat krankenversichert
seien in diesem Zusammenhang auch die Personen mit Wohnsitz in Deutschland
anzusehen, die ihrer ab 01.01.2009 nach § 193 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz
(VVG) bestehenden Ver-pflichtung, sich in der privaten KV zu versichern, (noch) nicht
nachgekommen sind. Weil der Bf zuletzt (2007) privat krankenversichert gewesen sei,
sei er ab 01.01.2009 gesetzlich verpflichtet gewesen, sich in der privaten KV zu
versichern (Basistarif). Deshalb gehöre der Bf jetzt zum Personenkreis, der der privaten
KV zuzuordnen sei. Der Bf solle sich an ein privates KV-Unternehmen wenden und bei
dem JobCenter einen Zuschuss zu den Versicherungsbeiträgen beantragen.
Am 10.05.2010 hat der Bf beim Sozialgericht Dortmund (SG) Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung gestellt und ausgeführt: Als Bezieher von Alg-II-Leistungen
sehe er sich nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V als Mitglied der GKV. Seine frühere private
Krankenversicherung wie auch andere private Krankenversicherungen hätten seine
Aufnahme unter Hinweis auf diese Vorschrift beziehungsweise auf seine
Vorerkrankungen abgelehnt. Das Sozialgericht hat den Antrag (sowie die Bewilligung
von Prozesskostenhilfe (PKH)) mit Beschluss vom 20.05.2010 abgelehnt. Zur
Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Es bestehe keine Versicherungspflicht
des Bf in der GKV nach § 5 Abs.1 Nr. 2a SGB V. Denn nach § 5 Abs. 5a SGB V sei nach
§ 5 Abs.1 Nr. 2a SGB V nicht versicherungspflichtig, wer unmittelbar vor dem Bezug von
Alg-II privat versichert war oder weder gesetzlich noch privat krankenversichert war und
hauptberuflich selbstständig erwerbstätig ist. Vor dem Bezug des Alg-II sei der
Antragsteller selbstständig erwerbstätig gewesen. Ob diese Erwerbstätigkeit aufgrund
der Erkrankung ruhe aber grundsätzlich fortbestehe, oder ob diese vollständig
aufgegeben worden sei, sei aus dem Vortrag des Antragstellers nicht zu entnehmen.
Jedenfalls sei er vor Bezug des Alg-II verpflichtet gewesen, sich privat zu versichern.
Nach § 193 Abs. 3 VVG sei der Bf verpflichtet gewesen, seit 01.01.2009 eine
Krankheitskostenversicherung abzuschließen und aufrechtzuerhalten. Eine private KV
sei nach § 12 Abs. 1b Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) verpflichtet, eine
Versicherung im Basistarif zu gewähren. Wenn der Antragsteller dieser Verpflichtung
nicht nachgekommen sei, so könne er daraus nicht Ansprüche auf eine gesetzliche
Versicherung herleiten. Hinsichtlich seines Anspruchs gegen die gesetzliche
Krankenversicherung sei er so zu behandeln, als wäre er seiner Verpflichtung nach §
193 Abs. 3 VVG nachgekommen. Damit sei er aber unmittelbar vor Bezug des Alg-II
privat und nicht gesetzlich versichert gewesen.
6
Dagegen richtet sich die fristgerechte Beschwerde. Der Bf ist der Ansicht, dass die
Voraussetzungen des § 5 Abs. 5a SGB V nicht erfüllt seien, weil er unmittelbar vor dem
Bezug von Alg-II nicht privat krankenversichert gewesen sei. Er gehöre auch nicht zu
den in § 5 Abs. 5 SGB V oder den in § 6 Abs. 1 oder 2 SGB V genannten Personen.
Seine Pflicht aus § 193 Abs. 3 VVG habe er nicht erfüllen können, weil er aufgrund
seines Vermögensverfalls nicht mehr in der Lage gewesen sei, die Prämien für die
private KV zu zahlen und die privaten KV-Unternehmen sich wegen der
Beitragsrückstände weigerten, ihn im Basistarif zu versichern. Seine Neuaufnahme in
die private KV werde davon abhängig gemacht, dass er alle rückständigen Beiträge
entrichte und - weil er in Privatinsolvenz sei - einen Jahresbeitrag im Voraus zahle. Über
7
die Mittel dafür verfüge er jedoch nicht, deshalb könne er keinen privaten
Krankenversicherungsschutz erlangen. Teilweise sei die Versicherung in der privaten
KV auch wegen seiner Vorerkrankungen verwehrt worden. Wegen seiner schweren
Erkrankung sei er dringend auf Krankenversicherungsschutz angewiesen. Dazu legt er
Kopien des vorläufigen Entlassungsberichts vom 04.05.2010, Klinikrechnungen sowie
die Bescheinigung der Zahnärzte Drs. I/L vom 10.08.2010 vor, wonach er an
craniomandulärer Dysfunktion bei ausgeprägtem Bruxismus leidet, was dringend
therapiert werden müsse.
Die Bg hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.
8
II.
9
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Erlass einer
einstweiligen Anordnung im Ergebnis zu Recht abgelehnt, denn die beantragte
einstweilige Anordnung ist zur Abwendung unzumutbarer Nachteile nicht erforderlich.
10
Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der
Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand
treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden
Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich
erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach Abs. 2 Satz 2 der Norm
auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis zulässig, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint. Die Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann erlassen
werden, wenn glaubhaft gemacht wird (§ 86b Abs. 2 Satz 4 iVm § 920 der
Zivilprozessordnung), dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber der
Antragsgegnerin besteht (Anordnungsanspruch) und dass der Antragsteller ohne den
Erlass der begehrten Anordnung, insbesondere bei Abwarten einer Entscheidung in der
Hauptsache, wesentliche Nachteile iSv § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG erleiden würde. Die in
tatsächlicher (Glaubhaftmachung) wie in rechtlicher Hinsicht (summarische Prüfung)
herabgesetzten Anforderungen für die Annahme eines Anordnungsanspruchs
korrespondieren dabei mit dem Gewicht der glaubhaft zu machenden wesentlichen
Nachteile. Drohen im Einzelfall ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das
Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte nur an
den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend
geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und
Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu
entscheiden. Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in
die Abwägung einzustellen (st. Rspr, vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vom
12.05.2005 - 1 BvR 569/05). 1. Der Antrag ist nicht schon deshalb begründet, weil
unzweifelhaft mit dem Bezug von Alg-II Versicherungspflicht in der GKV nach § 5 Abs. 1
Nr. 2a SGB V begründet worden ist und daher dem Bf angesichts eines offensichtlich
bestehenden Anordnungsanspruchs das Abwarten des Hauptsacheentscheidung nicht
zugemutet werden könnte. Der Bf ist nicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 a SGB V
versicherungspflichtig in der GKV, weil er nach dem durch das GKV-WSG mWv
01.01.2009 eingefügten § 5 Abs.5 a SGB V vom Anwendungs-bereich dieser Vorschrift
ausgenommen ist.
11
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a 1.HS SGB V sind versicherungspflichtig Personen in der Zeit, für
12
die sie Alg-II nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) beziehen, soweit sie
nicht familienversichert sind, es sei denn, dass diese Leistung nur darlehensweise
gewährt wird oder nur Leistungen nach § 23 Abs. 3 S. 1 SGB II bezogen werden. Nach
dieser durch Gesetz vom 24.12.2003 (BGBl I S 2954) - für Bezieher von Alg-II ab
1.1.2005 - eingeführten Regelung sollte dieser Personenkreis unabhängig davon, ob er
zuletzt privat oder gesetzllich krankversichert war, während des Bezugs von Alg-II
gesetzlich krankenversichert sein. Wegen der Neuordnung des Verhältnisses von
gesetzlicher und privater Krankenversicherung durch das GKV-WSG und der
Verpflichtung der privaten KV, künftig einen bezahlbaren Basistarif im Umfang des
Leistungsangebots der gesetzlichen KV für Personen anzubieten, die privat
krankenversichert sind oder sein können, erschien es dem Gesetzgeber nicht länger
erforderlich, Alg-II-Bezieher auch dann in die Versicherungspflicht in der GKV
einzubeziehen, wenn sie unmittelbar vor dem Leistungsbezug privat krankenversichert
waren. Gleiches galt für die Personen, die unmittelbar vor dem Leistungsbezug weder
gesetzlich noch privat krankenversichert waren und als hauptberuflich selbstständig
Erwerbstätige oder als versicherungsfreie Person zu dem Personenkreis gehören, der
grundsätzlich der privaten Krankenversicherung zuzuordnen ist (vgl. BT-Drucksache
16/3100 S. 94 f.).
Nach dem mWv 1.1.2009 eingefügten § 5 Abs. 5a SGB V ist deshalb nicht nach § 5 Abs.
1 Nr. 2a SGB V versicherungspflichtig, wer unmittelbar vor dem Bezug von Alg-II privat
krankenversichert war oder weder gesetzlich noch privat krankenversichert war und zu
den in Abs. 5 oder den in § 6 Abs. 1 oder 2 genannten Personen gehört oder bei
Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit im Inland gehört hätte. Ausgenommen sind für die
Dauer ihrer Hilfebedürftigkeit die Personen, die am 31.12.2008 wegen des Bezugs von
Alg-II nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V versichert waren.
13
Der Bf gehört nach Auffassung des Senats zu diesem nach § 5 Abs. 5a SGB V der
privaten KV zugewiesenen Personenkreis. Er war seit 1997 bis zum Verlust des
Versicherungsschutzes wegen Beitragsrückständen in der privaten KV
krankenversichert. Da ein neuer Versicherungspflichttatbestand in der GKV
zwischenzeitlich nicht begründet worden war - namentlich ordnete ihn der am
01.04.2007 in Kraft getretene § 5 Abs. 1 Nr. 13 lit. b SGB V nicht der gesetzlichen KV zu
- , war er ab dem 01.01.2009 gemäß § 193 Abs. 3 VVG verpflichtet, für sich bei einem
privaten Versicherungsunternehmen eine Krankheitskostenversicherung
abzuschließen. Unberührt war diese Verpflichtung davon, ob und in welchem Umfang
der Kläger zu diesem Zeitpunkt noch seiner selbständigen Erwerbstätigkeit in der
eigenen GmbH oder als eingetragener Kaufmann nachging. Seiner Verpflichtung, der
ein Kontrahierungszwang des Versicherers im Basistarif gegenüber stand und steht, ist
der Bf allerdings bis zu dem Zeitpunkt der Beantragung von Alg-II nicht nachgekommen.
Das hat indes nicht zur Folge, dass der Bf ab dem Beginn des Bezugs dieser Leistung
gesetzlich krankenversichert geworden wäre.
14
Die Sanktionen des nicht rechtzeitigen Abschlusses einer privaten KV regelt das VVG in
seinem § 193 Abs. 4 (vgl. dazu Marlow/Spuhl, Die Neuregelung der privaten Kranken-
versicherung durch das VVG, VersR 2009,593,598). Danach ist ein Prämienzuschlag zu
entrichten, wenn der Vertragsabschluss später als einen Monat nach Entstehen der
Pflicht nach Abs. 3 S. 1 beantragt wird. Eine ausdrückliche Regelung für den Fall, dass
jemand es (hier: bis zum Bezug von Alg-II) gänzlich unterlässt, sich entsprechend der
Ver-pflichtung aus § 193 VVG zu versichern, enthalten weder VVG noch SGB V. Der
Gesetzgeber ist ersichtlich davon ausgegangen, dass jeder der ohne KV- Schutz ist, von
15
der neuen gesetzlichen Möglichkeit, sich im Basistarif günstig in der privaten KV zu
versichern, wegen der Sanktion durch den Zuschlag zeitnah Gebrauch machen wird
und damit seiner gesetzlichen Verpflichtung nachkommen wird. Keinesfalls kann
angenommen werden, dass ein nach § 193 Abs. 3 VVG in der privaten KV
Versicherungspflichtiger dieser Verpflichtung sowie jener zur Entrichtung von
Zuschlägen nach § 193 Abs. 4 VVG dadurch ledig werden sollte, dass er ihnen nicht
nachkommt und später Alg-II-Bezieher wird. Dagegen spricht neben dem Fehlen
jeglicher Hinweise auf eine Beendigung einer einmal eingetretenen
Versicherungspflicht nach § 193 Abs.3 VVG durch einen späteren Alg-II-Bezug im
Gesetz vor allem die gesetzgeberische Wertentscheidung des GKV-WSG, wonach alle
Personen mit Wohnsitz in Deutschland, die zuletzt privat krankenversichert waren, sich
bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichern müssen und dass
dann, wenn eine frühere Krankenversicherung fehlt, sie in dem System versichert
werden, dem sie zuzuordnen sind (vgl. BT-Drucksache 16/4247 S. 67). Diese
Wertentscheidung, die insbesondere in § 5 Abs.1 Nr. 13 SGB V deutlich wird, bestimmt
auch den § 5 Abs. 5a SGB V.
Es kann dahinstehen, ob - wie das SG und die Ag meinen - ein Anspruchsteller sich bei
Nichterfüllung der Versicherungspflicht so behandeln lassen muss, als sei er tatsächlich
versichert oder ob das tatsächliche Bestehen einer privaten Versicherung am letzten
Tag vor dem Bezug des Alg-II ("unmittelbar") erforderlich ist (so SG Berlin, Beschluss
vom 01.10.2010 - S 36 KR 182/10 ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom
21.05.2010 - L 9 KR 33/10 B ER). Gegen die Ansicht des SG spricht allerdings, dass in
der PKV, anders als in der GKV, die Versicherungspflicht nicht automatisch zur
Begründung eines Versicherungsverhältnisses führt, sondern nur die Verpflichtung zum
Abschluss eines Versicherungsvertrages begründet. Als einzige Sanktion bei
Nichterfüllung dieser Verpflichtung hat der Gesetzgeber den Prämienzuschlag (§ 193
Abs. 4 VVG) vorgesehen. Der Gesetzgeber geht jedoch ausweislich der 2. Alternative
des § 5 Abs. 5a Satz 1 SGB V davon aus, dass ungeachtet der bestehenden
Versicherungspflicht Personen weiter ohne Versicherungsschutz sein können.
16
Jedoch ist die Versicherungspflicht nach der 2. Alternative ausgeschlossen. Zwar übte
der Bf zum Zeitpunkt des Eintritts des Alg-II-Bezugs keine selbständige Tätigkeit mehr
aus. Anders als das SG Berlin (a.a.O.) und das LSG Berlin (a.a.O.) hält der Senat es
aber nicht für erforderlich, dass die selbständige Tätigkeit bis zum Beginn des Alg-II-
Bezugs ausgeübt worden ist. Der Wortlaut der Bestimmung fordert dies nicht. Das Wort
"unmittelbar" bezieht sich nur auf den Status als Versicherter: Wer - aus welchen
Gründen auch immer - bis zum Beginn des Alg-II-Bezugs privat versichert war, bleibt in
diesem System, während Personen, die zu diesem Zeitpunkt ohne Versicherungsschutz
sind, nur dann nicht gesetzlich versichert sind, wenn sie dem Personenkreis angehören,
der nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung dem System der PKV zuzuordnen
ist. Auch die Formulierung "gehört" zwingt nicht zur Auslegung, dass die selbständige
Tätigkeit noch bis zum Beginn des Alg-II-Bezugs ausgeübt worden sein muss. Für die
Frage der Zugehörigkeit zum Kreis der oben bezeichneten Personen kommt es, wie
durch den Wechsel vom Imperfekt ("versichert war") ins Präsens ("gehört") deutlich wird,
nicht auf den Zeitpunkt unmittelbar vor dem Bezug von Alg-II an. Entscheidend ist
vielmehr die Zugehörigkeit des betreffenden Alg-II-Beziehers zum Kreis der
maßgeblichen Personen. Für diese Zugehörigkeit kann es aber nicht darauf ankommen,
ob die selbstständige Tätigkeit aktuell - auch während des Leistungsbezugs - noch
ausgeübt wird. Sonst würde die Zuordnung in der Hand des Betroffenen liegen und
davon abhängen, ob erst die Tätigkeit eingestellt wird und dann der Alg-II-Antrag gestellt
17
wird oder umgekehrt. Maßgeblich ist vielmehr der Status des Alg-II-Beziehers, wie er ihn
durch die letzte berufliche Tätigkeit erworben hatte, ob er also grundsätzlich zu dem
Personenkreis gehört, der nach § 5 Abs. 5 SGB V oder nach § 6 Abs. 1 oder 2 SGB V
der privaten KV zugewiesenen war und ist (so wohl auch Marlow/Spuhl, a.a.O., S. 594),
unabhängig davon, welche Aktivitäten er während des Leistungsbezugs als
Selbständiger noch verrichtet. An diesen Status knüpft das SGB V in der Fassung durch
GKV-WSG für die Zuordnung zu einem der KV-Systeme stets an (vgl. z.B. BT-
Drucksache 16/3100 S. 94)
Eine andere Auslegung würde dem Grundsatz widersprechen, die Risiken dem System
zuzuordnen, dem sie aufgrund ihrer zuvor verrichteten Tätigkeit zuzuordnen sind. Die
Regelung des § 5 Abs. 5a Satz 1 SGB V soll auch einer regelmäßigeren
Lastenverteilung zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung dienen (vgl.
BT-Drucks. 16/3100 S. 95). Da wohl in den seltensten Fällen die Ausübung einer
hauptberuflich selbständigen Tätigkeit bis unmittelbar an den Leistungsbezug
heranreicht, sondern Alg-II erst nach einer gewissen "Karenzzeit" beantragt wird, bliebe
für die 2. Alternative kaum ein Anwendungsbereich, wenn man ihr Eingreifen davon
abhängig machen würde, dass der Betroffene bis zum Beginn des Alg-II-Bezug "aktiv"
selbständig tätig war. Damit würde das gesetzgeberische Ziel verfehlt, auch die
wirtschaftlich schlechten Risiken in die PKV zu zwingen, soweit sie diesem Bereich
zuzuordnen sind. Zudem ist zu bedenken, dass angesichts der Tatsache, dass der
private Krankenversicherungsschutz das Zustandekommen eines Vertrages
voraussetzt, die privaten Versicherungsunternehmen es in gewisser Weise in der Hand
hätten, die Erlangung des privaten Krankenversicherungsschutzes bis zum Bezug von
Alg-II zu verzögern. Da Versicherungspflicht (§ 193 Abs. 3 VVG) und
Kontrahierungszwang (§ 193 Abs. 5 VVG) nicht deckungsgleich sind, weil der
Versicherungspflicht auch anders als mit dem Basistarif genügt werden kann, während
nur für den Basistarif Kontrahierungszwang besteht (vgl. Marlow/Spuhl a.a.O. S. 600),
können Versicherer Anträge, die nicht ausdrücklich auf den Basistarif gerichtet sind,
ablehnen, so dass ein uninformierter Anspruchsteller keinen Versicherungsschutz
erlangt. Dass diese Annahme nicht fern liegt, zeigt der Vortrag des Bf: Sein (allerdings
erst nach Beantragung von Alg-II begonnenes) Bemühen um "Rückkehr in die private
KV war erfolglos, denn - sofern man nicht annehmen will, dass sich die privaten
Versicherer offensichtlich rechtswidrig verhalten - er hat offenbar keine auf den Basistarif
gerichteten Anträge gestellt, wenn diese nach seinem Vortrag wegen seiner
wirtschaftlichen Situation bzw. (später) wegen Vorerkrankungen abgelehnt worden sind.
Wenn in einer solchen Situation ein Selbständiger ohne Versicherungsschutz bleibt,
seine Erwerbstätigkeit schließlich aufgibt und nach - kurzer - "Zwischenzeit" Alg-II
bezieht, müsste bei "enger" Auslegung der 2. Alternative wieder die
Versichertengemeinschaft der GKV für ihn aufkommen, obwohl er eindeutig dem
System der PKV zuzuordnen war. Ein solches Ergebnis entspräche nach Auffassung
des Senats nicht der gesetzgeberischen Grundentscheidung. Er hält es daher für
sachgerecht, insoweit an den auf Grund der vorherigen Erwerbstätigkeit erlangten
Status anzuknüpfen. An diesen Status knüpft das SGB V in der Fassung durch GKV-
WSG für die Zuordnung zu einem der KV-Systeme stets an (vgl. BT-Drucksache
16/3100 S. 94). Die Alternative in § 5 Abs. 5 a SGB V "oder bei Ausübung seiner
beruflichen Tätigkeit im Inland gehört hätte" spricht ebenfalls für diese Auslegung. Denn
bei dem dort angesprochenen Personenkreis dürfte es sich um jetzt (notwendig) im
Inland aufhaltende Alg-II-Bezieher handeln, bei denen ebenfalls nicht an die aktuelle
Tätigkeit, sondern an den auf Grund der zuletzt ausgeübten Berufstätigkeit im Ausland
erworbenen Status angeknüpft wird (vgl. auch BT-Drucksache 16/3100 S. 94). Für den
18
Bf verbleibt es deshalb bei der Zuordnung zu dem Kreis der hauptberuflich
Selbständigen, da sich an diesem Status vor dem Alg-II-Bezug - zum Beispiel durch
Aufnahme einer versicherungspflichtigen abhängigen Beschäftigung - nichts geändert
hat. Der Bf bleibt damit der Sphäre der PKV zugewiesen.
2. Obwohl über die streitige Auslegung des § 5 Abs. 5 a SGB V höchstrichterlich noch
nicht entschieden ist und der Kläger nach der Auslegung der genannten Vorschrift durch
den Senat gegenwärtig nicht nur nicht gesetzlich, sondern auch noch nicht privat
krankenversichert ist, bestand derzeit für den Senat im Rahmen der vorzunehmenden
Folgenabwägung keine Veranlassung, zur Sicherung eines aktuellen
Behandlungsbedarfs - gegebenenfalls befristet - die Bg antragsgemäß zu verpflichten.
Zwar hat die Erlangung von Krankenversicherungsschutz erhebliche Bedeutung. Der
Senat verkennt auch nicht, dass der Bf lebensbedrohlich erkrankt war und längere Zeit
stationär behandelt werden musste. Allerdings besteht offensichtlich wegen dieser
Erkrankung gegenwärtig kein akuter Behandlungsbedarf. Ausweislich des von ihm
vorgelegten vorläufigen Entlassungsberichts vom 04.05.2010 war zwar die Symptomatik
damals noch nicht komplett abgeklungen, es ist aber nicht ersichtlich, dass insoweit
aktuell ärztliche Behandlungsmaßnahmen unabweisbar wären. Der Bf hat
(erstinstanzlich) nur pauschal angegeben, er sei "auf ärztliche und medikamentöse
Behandlung angewiesen" ohne konkret vorzutragen (geschweige denn glaubhaft zu
machen), welche ärztlichen Behandlungsmaßnahmen oder Verordnungen (z.B. von
Arzneimitteln) anfallen. Im Beschwerdeverfahren hat er auf ausdrücklichen Hinweis, er
möge zum akuten Behand-lungsbedarf vortragen, lediglich die Bescheinigung der
Zahnärzte Dres. I/L vom 10.08.2010 übersandt. Nach dieser zahnärztlichen
Bescheinigung besteht dringendste Therapiebedürftigkeit wegen Beschwerden im
Kausystem bei ausgeprägtem Zahnknirschen. Insoweit hält es der Senat im Rahmen
der Folgeabwägung für zumutbar, die fragliche Behandlung zunächst zurückzustellen,
da dem Bf unzumutbare Folgen nicht erkennbar sind. Konkrete unabweisbar
erscheinende Behandlungen wegen der von den Zahnärzten mitgeteilten sonstigen
Gesundheitsstörungen gehen aus der Bescheinigung ebenfalls nicht hervor.
19
Der Bf ist darauf zu verweisen, sich um - endgültigen - Versicherungsschutz zu
bemühen und entsprechend seiner seit 01.01.2009 bestehenden Verpflichtung eine
private Krankenversicherung zumindest im Basistarif abzuschließen und ggf. ein
Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid der Bg vom 22.03.2010 durchzuführen.
Entsprechend seiner Zuordnung (s.o.) ist er trotz des inzwischen bezogenen Alg-II
weiterhin nach § 193 Abs. 3 VVG berechtigt und verpflichtet, sich in der privaten KV zu
versichern. Für die Versicherungsunternehmen der privaten KV besteht gemäß § 193
Abs. 5 VVG Kontrahierungszwang für eine Versicherung im Basistarif. Die Versicherung
im Basistarif kann nicht wegen Vorerkrankungen abgelehnt werden (Umkehrschluss aus
§ 203 Abs. 1 Satz 3 VVG, vgl. Marlow/Spuhl, a.a.O., S. 600). Ebenso wenig dürfen
private Versicherungsunternehmen den Vertragsschluss wegen der Insolvenz des Bf
ablehnen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 02.06.2010, L 10 AS 817/10 B
ER). Erst recht wäre es unzulässig, wenn sie - wie der Bf behauptet - das
Zustandekommen eines Vertrages von der Zahlung der ausstehenden Prämien für die
bis 2007 bestehende private Versicherung oder des Prämienzuschlages (§ 193 Abs. 4
VVG) abhängig machen würden, zumal hinsichtlich des Zuschlags nach § 193 Abs. 4
Satz 5 VVG eine Stundung in Betracht kommt. Sie sind auch nicht berechtigt, einen
Jahresbeitrag im Voraus zu verlangen. Vielmehr sind die Beiträge zum Basistarif
monatlich laufend zu entrichten (§ 8 Abs. 1 MB/BT 2009), wobei der erste Beitrag
innerhalb von zwei Wochen nach Zugang des Versicherungsscheins zu leisten ist (§ 8
20
Abs. 2 MB/BT 2009). Der Bf hat nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II Anspruch gegen den
Träger der Grundsicherung auf einen Beitragszuschuss. Dieser erreicht zwar nach der
gesetzlichen Regelung nicht die Höhe des tatsächlich zur privaten Versicherung zu
leistenden Beitrags, da nur ein Zuschuss in Höhe des in der gesetzlichen Versicherung
zu leistenden Beitrags übernommen wird (§ 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II iVm § 12 Abs.
1c Satz 6 2. Halbsatz VAG). Ob insoweit im Wege verfassungskonformer Auslegung ein
Anspruch auf den vollen in der PKV zu leistenden Beitrag besteht (so LSG für Saarland,
Urteil vom 13.04.2010 - L 9 AS 15/09) oder - so die wohl herrschende Meinung - die
Deckungslücke hinzunehmen ist (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 22.03.2010 - L 9
AS 570/09 B ER; Bayrisches LSG, Beschluss vom 21.04.2010 - L 7 AS 701/10 B ER)
kann dahinstehen. Der Bf müsste allein den ersten Beitrag, der wegen seiner
Bedürftigkeit nach § 12 Abs. 1c Satz 6 i.V.m. Satz 4 VAG die Hälfte des Beitrags für den
Basistarif beträgt, in voller Höhe zahlen, um auf jeden Fall die mögliche Folge des
Rücktritts wegen Zahlungsverzugs bei der Erstprämie nach § 37 VVG auszuschließen.
Ohnehin dürfte diese Vorschrift im Rahmen des § 193 Abs. 3 VVG nicht anwendbar sein
(vgl. Voit in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl. § 193 Rdn. 40), da der Gesetzgeber für
Prämienrückstände in § 193 Abs. 6 VVG eine eigenständige Regelung getroffen hat und
das Rücktrittsrecht nach § 37 VVG dazu führen könnte, dass die Versicherungspflicht
nicht erfüllt werden kann. Der Bf könnte aber die Differenz zwischen dem Zuschuss und
der tatsächlichen Prämie aus der Regelleistung nach § 20 SGB II aufbringen oder - was
wohl näher liegt - gegenüber dem Grundsicherungsträger - ggfls. im Wege einer
einstweiligen Anordnung - darauf hinwirken, dass dieser darlehensweise einen
Zuschuss bis zur Hälfte des halben Basistarifs erbringt (vgl. zu dieser Problematik auch
LSG Berlin-Brandenburg a.a.O.). Nach Zustandekommen des Vertrages ist ein Ruhen
von Leistungsansprüchen gemäß § 193 Abs. 6 VVG aufgrund eines
Beitragsrückstandes in Höhe von Prämienanteilen für zwei Monate nicht zu befürchten,
denn gemäß § 193 Abs. 6 S. 5 VVG endet das Ruhen, wenn der Versicherungsnehmer
bedürftig im Sinne des SGB II wird. Nach ihrem Sinn und Zweck, den Ausschluss
Hilfebedürftiger vom Versicherungsschutz zu vermeiden, ist diese Vorschrift so
auszulegen, dass ein Ruhen gar nicht erst eintritt, wenn der Versicherungsnehmer
bereits Leistungen nach dem SGB II bezieht (vgl. z.B. LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O.;
wegen des Kündigungsschutzes s. § 206 und Marlow/Spuhl, a.a.O., S. 603). Auf dieses
Vorgehen ist der Bf zu verweisen, weil derzeit ein dringender aktueller
Behandlungsbedarf nicht glaubhaft gemacht ist.
Der Senat sieht sich angesichts der komplexen Rechtslage zu folgenden Hinweisen
veranlasst: Kann der Bf kurzfristig - auch nicht im Wege einer einstweiligen Anordnung -
keinen privaten KV-Schutz erlangen, wird es sich anbieten, hier im
Widerspruchsverfahren und ggfls. anschließenden Klageverfahren eine Klärung des
Versicherungsschutzes unter Beteiligung des gewählten privaten
Krankenversicherungsunternehmens zu betreiben. Letzteres wäre im
Verwaltungsverfahren nach § 12 Abs. 1 SGB X zu beteiligen und in einem evtl.
anschließenden Klageverfahren nach § 75 Abs. 2 SGG beizuladen. Damit wäre
gewährleistet, dass in einem Verfahren eine Klärung erreicht wird, ob der Bf der
gesetzlichen oder der privaten Krankenversicherung zuzuordnen ist, weil der private
Versicherungsträger nach Beiladung nach § 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG an eine
rechtskräftige Entscheidung gebunden wäre.
21
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
22
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
23