Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 09.10.2003

LSG NRW: vergütung, arztbericht, heilmittel, therapie, feststellungsklage, krankenversicherung, bereicherungsanspruch, aufwand, zustand, öffentlich

Landessozialgericht NRW, L 5 KR 233/02
Datum:
09.10.2003
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 5 KR 233/02
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 19 KR 393/01
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 3 KR 22/03 R
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln
vom 07.10.2002 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind
nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über die Vergütung für die von der Klägerin erstatteten
Arztberichte.
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Die Klägerin betreibt eine krankengymnastische Praxis in C und ist als
Leistungserbringerin zugelassen. Sie hat keine Preisvereinbarung mit gesetzlichen
Krankenkassen getroffen und gehört auch keiner Vereinigung von Leistungserbringern
an, mit denen entsprechende Verträge bestehen. Die Klägerin erbringt gleichwohl
fortlaufend krankengymnastische Leistungen im Rahmen der gesetzlichen
Krankenversicherung auch an Versicherte der Beklagten, die diese regelmäßig nach
Maßgabe des zwischen den nordrheinischen Landesverbänden der Krankenkassen
und dem Bundesverband selbständiger Physiotherapeuten sowie dem Landesverband
nordrhein-westfälischer Krankengymnasten geschlossenen Vertrag über die Erbringung
und Vergütung physikalisch-therapeutischer Leistungen vom 25.06.1991 (im Folgenden:
Landesvertrag) vergütet.
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Die seit dem 01.07.2001 geltende Neufassung der Heilmittel-Richtlinien vom
06.02.2001 (BAnz Beilage Nr. 118a) schreibt in Ziffer 29.5 vor, dass der Therapeut den
verordnenden Vertragsarzt nach Abschluss einer Behandlungsserie schriftlich über das
Ergebnis der Therapie zu unterrichten hat. Sofern er die Fortsetzung der Therapie für
erforderlich hält, ist eine prognostische Einschätzung hinsichtlich der Erreichung des
Therapieziels anzugeben. Der Landesvertrag sieht für die Zeit bis 01.08.2002 keine
Vergütung für diesen Bericht vor. In einer am 29.06.2001 geschlossenen
"Ergänzungsvereinbarung über Höchstpreise für krankengymnastische Leistungen für
die Zeit ab 01.07.2001" (Anlage 2a des Landesvertrages) heißt es in einer
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Protokollnotiz: "Für die Preisvereinbarung ab 01.08.2002 wird für die Position X 9701
(Mitteilung/ Bericht an den Arzt/Übermittlungsgebühr) eine Vergütung unter
Berücksichtigung der bis dahin auf Bundesebene geltenden Regelungen zu finden
sein." Ab dem 01.08.2002 haben die Parteien des Landesvertrages eine Vergütung von
0,56 Euro vereinbart.
Die Klägerin erbrachte für den bei der Beklagten versicherten Herrn N1 zwischen dem
04.07. und 27.09.2001 krankengymnastische Leistungen. In ihrer Rechnung vom
15.10.2001 forderte sie u.a. für einen Arztbericht einen Betrag von 30,- DM. Die Beklagte
setzte in ihrer Rechnungsberichtigung vom 05.12.2001 u.a. diesen Betrag von der
Rechnung ab.
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Mit der am 28.12.2001 erhobenen Klage hat die Klägerin zunächst eine Vergütung von
30,- DM zuzüglich 3,- DM Verwaltungsaufwand gefordert. Zur Begründung hat sie
vorgetragen, seit dem 01.07.2001 sei sie zur Erstellung von Arztberichten verpflichtet.
Sie sei nicht bereit, diese aufwändige Tätigkeit kostenfrei zu erbringen. Ihre
innerbetriebliche Kalkulation für den entstehenden Aufwand habe eine angemessene
Vergütung von 30,- DM ergeben. Später hat die Klägerin aufgrund einer
"Nachkalkulation" einen Preis von 8,20 Euro für angemessen gehalten. Die Beklagte
hat demgegenüber darauf verwiesen, dass vertraglich eine Vergütung für den fraglichen
Zeitraum ausgeschlossen sei und es keinen Grundsatz gebe, dass Nebenleistungen im
Zusammenhang mit der Sachleistung gesondert zu vergüten seien.
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Mit Urteil vom 07.10.2002 hat das Sozialgericht unter Abweisung der weitergehenden
Klage der Klägerin eine Vergütung von 1,40 Euro für den Arztbericht zugesprochen.
Mangels einer vertraglichen Regelung komme nur ein Bereicherungsanspruch in
Betracht, wobei der objektive Wert des Berichtes entsprechend einem kurzen Bericht
eines Arztes zu bemessen sei, der nach dem EBM mit ca. 1,40 Euro zu vergüten sei.
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Beide Beteiligte haben die vom Sozialgericht zugelassene Berufung eingelegt. Die
Klägerin hält an ihrer Auffassung fest, dass nach dem entstehenden Aufwand eine
Vergütung von mindestens 8,20 Euro angemessen sei. Im Übrigen trägt sie ausführlich
zur Rechtslage und Unangemessenheit der bestehenden Vergütungsvereinbarung vor.
Sie begehrt nunmehr die Feststellung, dass bis zum Abschluss einer vertraglichen
Regelung alle von ihr erstellten Arztberichte mit 8,20 Euro zu vergüten seien.
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Die Klägerin beantragt,
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unter Änderung des Urteils des Sozialgerichts Köln vom 07.10.2002 festzustellen, dass
die Beklagte verpflichtet ist, bis zum Abschluss eines Vertrages mit ihr - der Klägerin -
oder ihrem Berufsverband Arztberichte nach Ziffer 29.5 der Heilmittel-Richtlinien mit
8,20 Euro zu vergüten.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung der Klägerin zurückzuweisen und unter Änderung des Urteils des
Sozialgerichts Köln vom 07.10.2002 die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
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Sie rügt, die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass sie den Arztbericht tatsächlich
erstattet habe. Im Übrigen seien die Sozialgerichte nicht befugt, im Streitfall die
"angemessene" Vergütung festzusetzen.
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Der verordnende Arzt Dr. N hat auf Anfrage mitgeteilt, dass die Klägerin die geforderten
Arztberichte erstattet habe; er hat beispielhaft drei Berichte übersandt.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen ist.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufungen sind kraft Zulassung statthaft und auch sonst zulässig. Soweit die
Klägerin in der mündlichen Verhandlung statt des ursprünglichen Leistungsantrages
einen Feststellungsantrag gestellt hat, handelt es sich nicht um eine Klageänderung im
Sinne des § 99 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), sondern um einen Fall des § 99
Abs. 3 Nr. 2 SGG (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 99 Rdn. 4). Die Umstellung
auf eine Feststellungsklage wäre im Übrigen im Hinblick auf die zahlreichen weiteren
Verfahren zwischen den Parteien mit gleichem Gegenstand sachdienlich, da mit der
Feststellungsklage eine abschließende Klärung im Verhältnis zwischen den Parteien
erreicht wird. Die Feststellungsklage ist zulässig. Eine solche Klage ist auch zur Klärung
einzelner Elemente aus einem Rechtsverhältnis möglich. Die Klägerin kann somit das
Bestehen eines Vergütungsanspruchs für die von ihr erstellten Arztberichte sowie
dessen eventuelle Höhe feststellen lassen. Das erforderliche Feststellungsinteresse ist
schon wegen der Vielzahl schon streitiger Leistungsfälle sowie der Notwendigkeit einer
Klärung der Rechtslage zwischen den Parteien für künftige Fälle zu bejahen.
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In der Sache bleibt jedoch die Berufung der Klägerin ohne Erfolg, denn die Klägerin hat
keinen Anspruch auf die verlangte Vergütung. Dagegen war auf die Berufung der
Beklagten das Urteil des Sozialgerichts abzuändern, da die Beklagte zu Unrecht zur
Zahlung einer Vergütung für den Bericht verurteilt worden ist.
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Der Senat kann es auch in diesem Fall dahinstehen lassen, ob nicht die Klägerin
ungeachtet ihrer verbalen Vorbehalte faktisch durch die jahrelangen Abrechnungen
nach den Sätzen des Landesvertrages die Geltung dieser vertraglichen Regelungen
anerkannt hat. Wenn sie wie im vorliegenden Fall zwar die Abrechnung ihrer Leistungen
nach den Vergütungssätzen dieses Vertrages vornimmt, jedoch für den Arztbericht eine
darüber hinausgehende Vergütung fordert, verhält sie sich widersprüchlich, da für die
Nebenleistung - den Arztbericht - etwas anderes gelten soll als für die Hauptleistungen.
Von daher spricht viel dafür, dass die Klägerin für den Arztbericht nur das verlangen
kann, was die Vertragspartner des Landesvertrages vereinbart haben, nämlich einen
Betrag von 0,56 Euro, allerdings erst für die ab 01.08.2002 erstatteten Berichte. Letztlich
kann die Frage offen bleiben, denn wenn die vertraglichen Regelungen nicht gelten
sollten, ist eine Rechtsgrundlage für die geforderte Vergütung nicht ersichtlich.
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Zugunsten der Klägerin kann davon ausgegangen werden, dass ungeachtet der
grundsätzlich öffentlich-rechtlichen Qualifizierung aller Rechtsbeziehungen zwischen
den Krankenkassen und den Leistungserbringern (§ 69 Satz 1 SGB V) die Vorschriften
des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) über Satz 3 a.a.O. Anwendung finden.
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Ein Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB, wie ihn das BSG für die
Vergütung der Leistungen bei einem vertragslosen Zustand bejaht hat (SozR 3-2500 §
132a Nr. 1), scheidet aus. Voraussetzung eines Bereicherungsanspruchs nach der
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genannten Norm ist, dass der Bereicherte "etwas" erlangt hat. Es muss durch die
Leistung des Entreicherten oder in sonstiger Weise eine Verbesserung der Position des
Bereicherten eingetreten sein. Dieser muss einen Vorteil erlangt haben, wobei allenfalls
streitig ist, ob dieser Vorteil eine Verbesserung des wirtschaftlichen Vermögens des
Begünstigten zur Folge haben muss (vgl. Palandt-Thomas, BGB, 62. Aufl., § 812 Rdn.
16; Münchener Kommentar - Lieb, BGB, Schuldrecht, Besonderer Teil III, 3. Aufl., § 812
Rdn. 284 ff.; Erman-H. P. Westermann, BGB, Bd. 1, 10. Aufl., § 812 Rdn. 3 ff; s.a. BGH
NJW 1995, 53, 54). Durch den Arztbericht der Klägerin nach Ziffer 29.5 der Heilmittel-
Richtlinien hat die Beklagte aber nicht "etwas" erlangt, denn dieser Bericht ist an den
Arzt gegangen und diente ausschließlich dessen Therapieplanung.
Während die Beklagte hinsichtlich der von der Klägerin gegenüber der Versicherten
erbrachten physiotherapeutischen Leistungen von einer Verbindlichkeit (dem
Sachleistungsanspruch der Versicherten) frei geworden ist, gilt dies nicht für den
Arztbericht, denn der Sachleistungsanspruch des Versicherten bezieht sich allein auf
die (Haupt-)Leistung selbst. Im Rahmen des Leistungsgeschehens ist es Sache des
Arztes, in Ausfüllung des dem Versicherten eingeräumten Rehmenrechts auf
Krankenbehandlung den Anspruch auf bestimmte Behandlungsmaßnahmen zu
konkretisieren (vgl. dazu grundlegend BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 4) und in diesem
Zusammenhang soll der Therapiebericht dem Arzt eine Rückmeldung für den Erfolg der
veranlassten Maßnahmen und Hinweise für eventuelle weitere
Behandlungsmaßnahmen geben. Die Beklagte erlangt durch den Bericht aber keinen
(und erst recht keinen vermögenswerten) Vorteil.
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Auch aus § 612 Abs. 1 BGB lässt sich kein Anspruch auf eine Vergütung begründen.
Voraussetzung dafür wäre, dass aus Sicht der Krankenkassen nach den Umständen
objektiv eine Fertigung des Berichts nur gegen Entgelt zu erwarten war, also davon
auszugehen war, dass ein in den Heilmittel-Richtlinien geforderter Arztbericht die
Zahlung einer gesonderten Vergütung voraussetzte. Das ist nicht der Fall. Insoweit ist
zu beachten, dass nach § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB V Hilfeleistungen anderer Personen nur
erbracht werden dürfen, wenn sie vom Arzt nicht nur verordnet, sondern auch
verantwortet werden. Diese Überwachung der Behandlungsmaßnahmen setzt
notwendig eine Zusammenarbeit zwischen Arzt und Hilfsperson - hier des
Physiotherapeuten - voraus, in deren Rahmen eine Rückmeldung hinsichtlich des
Erfolgs der durchgeführten Maßnahmen praktisch unerlässlich ist. Soweit der
Leistungserbringer, wenn er die Fortsetzung der Therapie für erforderlich hält, zusätzlich
eine prognostische Einschätzung hinsichtlich des Erreichens des Therapiezieles
abzugeben hat, dient der Bericht damit (auch) dem Interesse des Therapeuten an der
Fortsetzung der Behandlungsmaßnahmen, da der Arzt weitere Leistungen nur bei einer
positiven Einschätzung verordnen wird. Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist
davon auszugehen, dass der Bericht mit der Vergütung für die Leistungen abgegolten
ist.
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Hinzu kommt, dass das Ausfüllen des Vordrucks ersichtlich keinen größeren
Zeitaufwand erfordert. Die Klägerin kann die Angaben ohne Weiteres an Hand des von
ihr ohnehin aufzustellenden Therapieplanes und der ebenfalls zu führenden
Behandlungsdokumentation machen. Bedenkt man ferner, dass den
Leistungserbringern wegen ihrer Einbeziehung in das System der gesetzlichen
Krankenversicherung kraft gesetzlicher Anordnung auch eine nicht unerhebliche
Verwaltungstätigkeit für die Einziehung der Zuzahlung der Versicherten auferlegt
worden ist (§ 43b SGB V), die nicht gesondert vergütet wird, war hier eine Vergütung für
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den durch die Heilmittel-Richtlinien explizit vorgeschriebenen Arztbericht nicht zu
erwarten.
Dies wird letztlich dadurch bestätigt, dass die Vertragspartner des Landesvertrages für
die Zeit bis 01.08.2002 eine Vergütung für den Arztbericht nicht vorgesehen haben und
für die Zeit danach auch faktisch nur die Erstattung der Portokosten vereinbart haben.
Ohnehin wäre selbst bei Anwendung des § 612 BGB die im Landesvertrag vereinbarte
Vergütungsregelung als im Sinne des § 612 Abs. 2 BGB "übliche" anzusehen, so dass
für bis zum 31.07.2002 erstattete Berichte überhaupt keine Vergütung und für Berichte
ab dem 01.08.2002 jedenfalls kein Betrag von 8,20 Euro wie beantragt zu zahlen wäre.
Ob die Klägerin ab dem 01.08.2002 Anspruch auf die Vergütung von 0,56 Euro hat, hat
der Senat nicht zu entscheiden; die Beklagte hat allerdings in der mündlichen
Verhandlung zu erkennen gegeben, dass sie zur Zahlung dieses Betrages bereit ist.
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Zweifelsfrei kann die Klägerin auch nicht nach § 316 BGB eine Vergütung für den
Arztbericht nach ihrer eigenen Preisliste berechnen. Es besteht eine gesicherte
Rechtsprechung, dass bei Fehlen einer Preisvereinbarung die Klägerin nicht berechtigt
ist, einseitig die Vergütung festzusetzen (BSGE 66, 159, 162; BSG, Beschluss vom
27.10.1994 - 3 BK 4/93 -; Beschluss vom 04.03.2002 - B 3 KR 12/01 B -; Thüringer
Landessozialgericht, Urteil vom 25.06.2003 - L 6 KR 464/02; s.a. OLG Düsseldorf SGb
1993, 429).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der bis zum
01.01.2001 geltenden Fassung.
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Der Senat hat im Hinblick auf die zahlreichen anhängigen Streitverfahren dem
Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beigemessen und daher die Revision
zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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