Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 23.01.2001

LSG NRW: arbeitsunfähigkeit, krankengeld, wichtiger grund, berufliche tätigkeit, krankheit, zumutbarkeit, arbeitslosenhilfe, versicherter, verfügung, arbeitslosigkeit

Landessozialgericht NRW, L 5 KR 66/99
Datum:
23.01.2001
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 5 KR 66/99
Vorinstanz:
Sozialgericht Gelsenkirchen, S 17 KR 29/99
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts
Gelsenkirchen vom 24.06.1998 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen,
dass die Beklagte dem Kläger Krankengeld vom 28.07.1998 bis zum
02.12.1998 unter Anrechnung der für den gleichen Zeitraum gewährten
Leistungen (Übergangsgeld, Arbeitslosengeld, Krankengeld) zu
gewähren hat. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des
Klägers. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger Krankengeld auch für den Zeitraum vom
28. Juli 1998 bis zum 02. Dezember 1998 zusteht.
2
Der am ...1945 geborene Kläger war bis zum 30.04.1998 als Kfz-Meister
versicherungspflichtig beschäftigt. Vom 27.04. bis 30.04.1998 befand er sich in
stationärer Behandlung des St ... H ... Anschließend bescheinigten ihm seine
behandelnden Ärzte (Internist Dr. L ..., und Arzt für Allgemeinmedizin Dr. J ..., beide G ...)
das Bestehen von Arbeitsunfähigkeit wegen eines Zustandes nach Myocarditis und
wegen eines Schulter-Arm-Syndroms.
3
Von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erhielt der Kläger (rückwirkend) ab
01.05.1998 Übergangsgeld in Höhe von kalendertäglich 79,02 DM bzw. (für die Zeit
vom 28.10.1998 bis 02.12.1998) in Höhe von 71,66 DM kalendertäglich. Außerdem
bezog der Kläger vom 29.07. bis zum 24.09.1998 Arbeitslosengeld sowie vom 25.09. bis
27.10.1998 Krankengeld, das auf der Basis des zuvor gezahlten Arbeitslosengeldes
berechnet wurde.
4
Die Beklagte entschied durch die Bescheide vom 21.07.1998 und 27.07.1998, dass die
Arbeitsunfähigkeit des Klägers zum 29.07.1998 beendet werde. Zur Begründung führte
sie aus, dass der Kläger als Arbeitsloser zumutbar auf alle seine Arbeitsfähigkeit
entsprechen den Beschäftigungen verwiesen werden könne, soweit allgemeine oder
5
personenbezogene Gründe der Zumutbarkeit einer Beschäftigung nicht
entgegenstünden. Nach dem in ihrem Auftrag erstatteten Gutachten des Dr. S ...-M ...,
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDK) vom 21.07.1998, könne er zwar auf
Dauer die Tätigkeit als Kfz-Mechaniker nicht mehr ausüben, sei jedoch in der Lage,
leichte bis mittelschwere Arbeiten in vollschichtigem Umfang zu leisten. Deshalb liege
keine Arbeitsunfähigkeit über den 28.07.1998 hinaus mehr vor.
Im Hinblick auf den vom Kläger dagegen am 11.08.1998 eingelegten Widerspruch
beauftragte die Beklagte Dr. K ..., MDK, mit einer erneuten Untersuchung und
Begutachtung des Klägers. Dieser Sachverständige gelangte im Gutachten vom 09.09.
ebenfalls zu dem Ergebnis, der Kläger könne noch leichte bis gelegentlich kurzfristig
mittelschwere Arbeiten ohne Überkopfarbeiten verrichten.
6
Sodann wies die Beklagte den Widerspruch durch den Widerspruchsbescheid vom
12.02.1999 zurück: Arbeitsunfähigkeit liege über den 28.07.1998 hinaus nicht vor.
Werde das Beschäftigungsverhältnis während der laufenden Arbeitsunfähigkeit
beendet, beurteile sich das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit nicht nach der zuletzt
ausgeübten Tätigkeit. Maßstab für das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit seien vielmehr
alle Arbeiten, auf die der Kläger nach dem Recht der Arbeitsförderung gemäß § 121 des
Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB III) verwiesen werden könne. Da der
Kläger Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in vollschichtigem Umfang
verrichten könne, liege Arbeitsunfähigkeit nicht mehr vor.
7
Der Kläger hat am 23.02.1999 Klage vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen erhoben.
8
Er ist der Ansicht gewesen, dass es für das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit nicht auf
die Frage ankomme, ob er Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten
könne. Vielmehr sei insofern auf die von ihm zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Kfz-Meister
abzustellen. Eine derartige Tätigkeit könne er aber aufgrund der bei ihm vorliegenden
internistischen und orthopädischen Leiden nicht mehr leisten. Dies werde nicht zuletzt
durch die Tatsache bestätigt, dass ihm ab 03.12.1998 Erwerbsunfähigkeitsrente
bewilligt worden sei.
9
Der Kläger hat beantragt,
10
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 21.07.1998 und 27.07.1998 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.02.1998 zu verurteilen, ihm über den
28.07.1998 hinaus Krankengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu
gewähren.
11
Die Beklagte hat beantragt,
12
die Klage abzuweisen.
13
Sie hat an ihrer in den angefochtenen Bescheiden zum Ausdruck kommenden
Rechtsauffassung festgehalten. Darüber hinaus hat sie die Auffassung vertreten, dass
das dem Kläger gewährte Übergangsgeld sowie die von ihm bezogene
Erwerbsunfähigkeitsrente gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 4 SGB V zum
Ausschluss des Krankengeld anspruches führten.
14
Durch Urteil vom 24.06.1998 hat das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäß
15
verurteilt. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Gegen das ihr am 30.06.1999 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 23.07.1999
Berufung eingelegt.
16
Zur Begründung bringt sie vor: Arbeitsunfähigkeit i.S.d. § 44 Abs. 1 SGB V liege vor,
wenn der Versicherte infolge der Krankheit seiner zuletzt ausgeübten oder einer
gleichgearteten Erwerbstätigkeit überhaupt nicht mehr oder nur auf die Gefahr hin
nachgehen könne, seinen Gesundheitszustand zu verschlimmern. Das
Bundessozialgericht habe entschieden (Urteile vom 09.12.1986, Az.: 8 RK 27/84 und 8
RK 12/85), dass Arbeitsunfähigkeit bei einem beendeten Arbeitsverhältnis
ausgeschlossen sei, wenn wegen Krankheit die letzte Tätigkeit auf Dauer nicht mehr
ausgeübt werden könne und eine Verweisung auf andere Tätigkeiten zumutbar sei,
wobei sich die Verweisbarkeit nach den Vorschriften des SGB III richte. Das
Bundessozialgericht habe konkrete Hinweise zur Verweisbarkeit gegeben, die sich
offensichtlich an der damaligen Zumutbarkeitsanordnung der Bundesanstalt für Arbeit
vom 16.03.1982 orientierten. Diese Regelungen seien aber inzwischen neu gefasst und
ab 01.04.1997 als § 103 b Arbeitsförderungsgesetz (AFG) und später als § 121 SGB III
übernommen worden. Die Vorschriften enthielten den Grundsatz, dass ein Arbeitsloser
jede Arbeit annehmen und ausüben müsse, die er ausüben könne und dürfe. Nichts
anderes könne gelten, wenn das Arbeitsverhältnis während einer bestehenden
Arbeitsunfähigkeit gelöst werde und für die bisherige Tätigkeit auf Dauer
Arbeitsunfähigkeit bestehe. Demzufolge könne im vorliegenden Fall die zuletzt
ausgeübte Tätigkeit als Kfz-Meister nicht mehr Maßstab für die Frage der
Arbeitsunfähigkeit sein. Zudem stehe § 50 Abs. 1 Nr.4 SGB V der Zahlung von
Krankengeld entgegen. Die Zahlung eines Krankengeldspitzbetrages scheitere an § 49
Abs. 3 SGB V.
17
Die Beklagte beantragt,
18
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 24.06.1998 zu ändern und die Klage
abzuweisen.
19
Der Kläger beantragt,
20
die Berufung zurückzuweisen.
21
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
22
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den
übrigen Inhalt der Streitakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten, der
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
23
Entscheidungsgründe:
24
Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu
Recht entschieden, dass dem Kläger über den 28.07.1998 hinaus Krankengeld zusteht.
25
Gemäß § 44 Abs. 1 SGB V besteht ein Anspruch auf Krankengeld, wenn der Versicherte
wegen Krankheit arbeitsunfähig ist. Diese gesetzlichen Voraussetzungen haben auch
nach dem 28.07.1998 bis zum 02.12.1998, bis zum Beginn der
26
Erwerbsunfähigkeitsrente, vorgelegen.
Arbeitsunfähig ist ein Versicherter, der seiner bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit nicht
mehr oder nur auf die Gefahr hin, seinen Zustand zu verschlimmern, nachgehen kann
(ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BSGE 5, 283, 288; 26, 288, 290; USK 90186).
Wegen des beim Kläger bestehenden Zustandes nach Myocarditis sowie des Schulter-
Arm-Syndroms konnte der Kläger als Kfz-Meister nicht mehr arbeiten. Das ergibt sich
aus einer Würdigung der von der Beklagten eingeholten Gutachten des Dr. S ...-M ... und
des Dr. K ... vom MDK der Krankenversicherungen. In die gleiche Richtung deutet, dass
dem Kläger bereits ab 03.12.1998 Erwerbsunfähigkeitsrente bewilligt und er aus einer
zuvor absolvierten Rehabilitationsmaßnahme zu Lasten der BfA als arbeitsunfähig
entlassen worden ist. Auch die Beklagte geht - ausweislich ihrer im Termin zur
mündlichen Verhandlung am 23.01.2001 abgegebenen Erklärung - davon aus, dass der
Kläger aufgrund der bei ihm vor liegenden gesundheitlichen Einschränkungen seine
zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Kfz-Meister nicht mehr ausüben konnte.
27
Entgegen der Auffassung der Beklagten war der Kläger nicht etwa ab 28.07.1998
deshalb arbeitsfähig, weil er andere Tätigkeiten verrichten konnte. Zutreffend ist der
Ausgangspunkt der Beklagten, dass nach dem Verlust des letzten Arbeitsplatzes nach
Eintritt der Arbeitsunfähigkeit der Vergleichsmaßstab für die Beurteilung der
Arbeitsunfähigkeit sich dahingehend ändert, dass nicht mehr auf die konkreten
Verhältnisse des letzten Arbeitsplatzes maßgeblich abzustellen, sondern abstrakt auf
die Art der zuletzt ausgeübten Tätigkeit abzustellen ist. Der Versicherte darf dann auf
andere Tätigkeiten verwiesen werden, die den Bedingungen des bisherigen
Beschäftigungs- und Arbeitsverhältnisses im wesentlichen entsprechen. Wegen der
Lohnersatzfunktion des Krankengeldes ist aber der Kreis möglicher
Verweisungstätigkeiten jedenfalls in der ersten Blockfrist sehr eng zu ziehen. Der
Versicherte kann zumutbar nur auf ähnliche oder gleichgelagerte Tätigkeiten verwiesen
werden, die nach den erforderlichen Kenntnissen und Fähigkeiten sowie der
Entlohnung der zuletzt ausgeübten Tätigkeit im wesentlichen entsprechen. Hat der
Versicherte zuletzt einen anerkannten Ausbildungsberuf verrichtet, ist eine Verweisung
auf Tätigkeiten außerhalb dieses Berufs grundsätzlich ausgeschlossen. Selbst
innerhalb des Ausbildungsberufs müssen sich die zuletzt verrichtete und die
"Verweisungstätigkeit" im wesentlichen gleichen, was die Art der Verrichtung, die
körperlichen und geistigen Anforderungen, die notwendigen Kenntnisse und
Fertigkeiten sowie die Höhe der Entlohnung angeht. Nach diesen Grundsätzen, die der
Senat für zutreffend hält, war der Kläger auch nach Beendigung seines
Beschäftigungsverhältnisses arbeitsunfähig. Die Beklagte hat in Betracht kommende
Verweisungstätigkeiten für den Kläger, bei dem vom Ausbildungsberuf des Kfz-Meisters
auszugehen ist, nicht benannt. Es ist auch nicht ersichtlich, welche Tätigkeiten aus dem
Umfeld der Tätigkeiten eines Kfz-Meisters für den Kläger noch in Betracht kommen
könnten, die er mit den gesundheitlichen Einschränkungen noch hätte leisten können.
28
Entgegen der Auffassung der Beklagten entfiel die Arbeitsunfähigkeit des Klägers ab
28.07.1998 nicht etwa deshalb, weil er auf alle nach dem Recht der Arbeitsförderung
zumutbaren Beschäftigungen (§ 121 SGB III) hätte verwiesen werden können.
29
Weder können die Bestimmungen des Arbeitsförderungsrechts im
Krankenversicherungsrecht angewandt noch kann die alleinige Zuständigkeit der
Bundesanstalt für Arbeit auch für erkrankte Arbeitnehmer bei Verlust ihres
Arbeitsplatzes angenommen werden.
30
§ 121 SGB III definiert die Zumutbarkeit von Beschäftigungen für den Arbeitslosen. Die
Regelung ist vor allem für die Frage bedeutsam, ob der Arbeitslose subjektiv und
objektiv der Arbeitsverwaltung zur Verfügung steht und deshalb Arbeitslosengeld oder
Arbeitslosenhilfe beziehen kann. Ferner ist sie von Bedeutung im Rahmen des § 144
Abs. 1 SGB III, ob ein wichtiger Grund für die Ablehnung einer angebotenen
Beschäftigung oder die Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses bestanden hat
(vgl. Steinmeyer in: Gagel, SGB III, § 121 Rdn. 1). Schon diese Zweckbestimmung der
Regelung spricht gegen ihre Anwendung im Krankenversicherungsrecht.
31
Die Behauptung der Beklagten, die bisherige Rechtsprechung des BSG habe sich
hinsichtlich der Zumutbarkeit einer "Verweisung" offensichtlich an der bis zum
31.03.1997 geltenden Zumutbarkeits-Anordnung (vom 16.03.1982, ANBA S. 523
(Zumutbarkeits-AO)) orientiert, ist nicht nachzuvollziehen. Die Rechtsprechung des BSG
bietet hierfür keine Hinweise, im Gegenteil ist offenkundig, dass die oben genannten
Grundsätze für die Verweisbarkeit erkrankter Arbeitnehmer anderen Maßstäben folgen.
Bereits aus der Entscheidung des BSG vom 03.11.1993 (SozR 3-2500 § 48 Nr. 5) ergibt
sich, dass das BSG zwischen der Arbeitsunfähigkeit im bisherigen Beruf und der
Verfügbarkeit i.S.d. Arbeitsförderungsgesetzes (die sich nach den zumutbaren -
gegebenenfalls sogar unterwertigen - Beschäftigungen bestimmt) unterschieden hat.
Die in dem genannten Urteil vorgenommene Differenzierung wäre unsinnig, wenn
tatsächlich der Bezugspunkt für die Tätigkeit der Arbeitsunfähigkeit nicht mehr die
bisherige Tätigkeit, sondern die i.S.d. Arbeitsförderungsrechts zumutbaren
Beschäftigungen gewesen wäre. Auch die Rechtsprechung, wonach eine bestehende
Arbeitsunfähigkeit nicht entfällt, wenn sich der Versicherte mit seinem verbliebenen
Leistungsvermögen der Arbeitsverwaltung zur Verfügung stellt, solange er nicht
tatsächlich eine neue berufliche Tätigkeit aufgenommen hat (BSG SozR 2500 § 182 Nr.
34, 96; USK 8309; SozR 4100 § 158 Nr. 6; Urteil vom 08.02.2000, a.a.O.), ist nur
verständlich, wenn die Arbeitsunfähigkeit für den bisherigen Beruf unabhängig von der
Verfügbarkeit (und damit der Zumutbarkeit i.S.d. Arbeitsförderungsrechts) ist. Die
Arbeitsunfähigkeit kann nämlich nur weiter bestehen, wenn für die Vermittlung in Frage
kommende zumutbare Beschäftigungen keine i.S.d. Krankenversicherungsrechts
zumutbaren Verweisungstätigkeiten sind.
32
Auch der inhaltliche Vergleich mit den Kriterien der Zumutbarkeits-AO zeigt die
Unrichtigkeit der Behauptung der Beklagten. Die Zumutbarkeits-AO ging von
Qualifikationsstufen aus, wobei sich der Arbeitslose nach längeren erfolglosen
Vermittlungsbemühungen auf Beschäftigungen der nächst niedrigeren Stufe verweisen
lassen musste. Außerdem war eine Beschäftigung schon in der ersten Zeit der
Arbeitslosigkeit zumutbar, wenn das Arbeitsentgelt der neuen Beschäftigung 80 % der
früheren Entlohnung erreichte; in der weiteren Zeit der Arbeitslosigkeit genügt es dann
sogar, wenn das Nettoentgelt die Höhe des Arbeitslosengeldes erreichte. Es liegt auf
der Hand, dass die oben genannten Grundsätze zur Verweisung von erkrankten
Versicherten nichts mit diesen Kriterien der Zumutbarkeitsanordnung zu tun haben.
Bestätigt wird die Unterscheidung zwischen der Verfügbarkeit und der Zumutbarkeit
i.S.d. Arbeitsförderungsrechts und der Zumutbarkeit einer Verweisung im
Zusammenhang mit dem Krankengeldbezug durch die "Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien"
des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (in der Fassung vom
03.09.1991, BArbBl. Nr. 11 vom 31.10.1991). Diese bezeichnen ausdrücklich den
Tätigkeitsbereich, der für die Vermittlung des Arbeitslosen in Betracht kommt und nicht
die vor der Arbeitslosigkeit ausgeübte Tätigkeit nur bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit
33
nach der Arbeitslosmeldung als Maßstab für die Arbeitsunfähigkeit (Nr. 4 a.a.O.).
Es gibt auch keinen sachlichen Grund, für ihren bisherigen Berufarbeitsunfähige
Versicherte wegen des Verlustes ihres Arbeitsplatzes an die Bundesanstalt für Arbeit zu
verweisen. Die Beklagte meint, der kranke Versicherte müsse sich bei einem Verlust
des Arbeitsplatzes ohnehin beruflich neu orientieren, so dass es der
Zuständigkeitsabgrenzung zwischen den Sozialleistungsträgern entspreche, ihn mit
seinem verbliebenen Leistungsvermögen an das Arbeitsamt zu verweisen. Diese
Argumentation wird schon dem möglichen Umstand nicht gerecht, dass sich der
Gesundheitszustand und damit das Leistungsvermögen des Versicherten verbessern
können, so dass eine Weitergewährung von Krankengeld gerade dessen
Zweckbestimmung entspricht. Im übrigen muss es dem Versicherten überlassen
bleiben, sich ungeachtet der weiterbestehenden Arbeitsunfähigkeit für den bisherigen
Beruf arbeitslos zu melden und sich - ins besondere bei nicht besserungsfähigem
Gesundheitszustand - mit dem Restleistungsvermögen zur Verfügung zu stellen. Die
Arbeitsverwaltung könnte dann Vermittlungsmöglichkeiten prüfen. Ein Verlust des aus
der bisherigen Beschäftigung erworbenen Krankengeldanspruchs kann aber damit nicht
verbunden sein, die Arbeitsunfähigkeit entfällt vielmehr erst bei tatsächlicher Aufnahme
einer neuen Tätigkeit (BSG SozR 2200 §§ 182 Nr. 34, 96; USK 8309; SozR 4100 § 158
Nr. 6; Urteil vom 08.02.2000, a.a.O.). Das Argument der Beklagten, wenn man die
Arbeitsunfähigkeit nach der zuletzt verrichteten Tätigkeit bestimme, werde bei Verlust
des Arbeitsplatzes ein erkrankter Versicherter besser gestellt als ein gesunder
Versicherter, der sich arbeitslos gemeldet habe, geht fehl. Die Beklagte übersieht, dass
nach der Systematik des Systems der sozialen Sicherung bei erkrankten Arbeitnehmern
allein der Krankenversicherungsträger zuständig ist, die nach den für ihn geltenden
Vorschriften vorgesehenen Leistungen zu erbringen. Weshalb dieser Anspruch wegen
des Verlusts des Arbeitsplatzes entfallen und die Zuständigkeit eines anderen Trägers
begründen soll, leuchtet nicht ein. Die Rechtsprechung trägt der Tatsache, dass eine
Rückkehr des erkrankten Arbeitnehmers auf den konkreten Arbeitsplatz nicht möglich
ist, hinreichend Rechnung. Wie oben dargelegt, ändert sich der Maßstab für die
Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit dahingehend, dass nunmehr auf die abstrakte Art der
Beschäftigung abgestellt wird. Ferner setzt eine "Verweisung" auf eine andere
Beschäftigung nicht voraus, dass ein offener Arbeitsplatz nachgewiesen wird, es
genügt, wenn es eine hinreichende Zahl von Arbeitsplätzen für solche Beschäftigungen
gibt (vgl. BSGE 61, 66, 74). Demgegenüber kann bei weiter bestehendem
Beschäftigungsverhältnis die Arbeitsunfähigkeit nur entfallen, wenn der Arbeitgeber
dem erkrankten Arbeitnehmer konkret im Rahmen seines Direktionsrechts einen
anderen Arbeitsplatz anbietet (vgl. BSG SozR 3-2200 § 182 Nr. 9).
34
Es besteht auch kein Bedürfnis, den Krankengeldanspruch durch Ausweitung des
Kreises der zumutbaren anderen Tätigkeiten zu beschränken. Das Risiko der Beklagten
ist im Rahmen des SGB V durch die Neuregelung der Wiedergewährung von
Krankengeld in der zweiten und einer weiteren Blockfrist begrenzt worden. Anders als
nach dem früher geltenden Recht hat das Krankengeld bei Dauererkrankungen keinen
rentenähnlichen Charakter mehr. In der zweiten Blockfrist kann wegen derselben
Krankheit Krankengeld nur erneut beansprucht werden, wenn eine Versicherung mit
Krankengeldanspruch besteht und in der Zwischenzeit mindestens sechs Monate nicht
wegen dieser Krankheit Arbeitsunfähigkeit bestand und der Versicherte entweder
erwerbstätig war oder der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand (§ 48 Abs. 2 SGB V).
Ein für die bisherige Beschäftigung auf Dauer arbeitsunfähiger Versicherter, der sich mit
seinem Restleistungsvermögen der Arbeitsverwaltung zur Verfügung stellt und dadurch
35
einen neuen Anspruch auf Krankengeld in der zweiten Blockfrist wegen derselben
Krankheit erwirbt, erhält zudem Krankengeld nur noch nach dem zuvor bezogenen
Arbeitslosengeld und nicht mehr nach dem Regelentgelt, das er vor Eintritt der
Arbeitsunfähigkeit in der ersten Blockfrist hatte (BSGE 73, 121, 123 f unter Aufgabe der
früheren Rechtsprechung zum Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO), vgl.
insoweit BSG SozR 4100 § 158 Nr. 6; USK 8415).
Dem Anspruch auf Krankengeld steht nicht entgegen, dass der Kläger sich nach seinen
Angaben in der mündlichen Verhandlung im Juli 1998 arbeitslos gemeldet und
Arbeitslosengeld bzw. wegen Arbeitsunfähigkeit auch für eine andere, trotz der
fortbestehenden Krankheit mögliche Erwerbstätigkeit Krankengeld in Höhe des zuvor
bezogenen Arbeitslosengeldes bezogen hat. Zwar sieht § 49 Abs. 1 Nr. 3 a SGB V in
der Fassung des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes (UVEG) vom 07.08.1996
(BGBl. I, 1254) seit dem 01.01.1997 (wieder) das Ruhen des Krankengeldanspruches
vor, "solange" Arbeitslosengeld bezogen wird. Der Anwendungsbereich dieser
Ruhensregelung ist aber entgegen ihrem Wortlaut eingeschränkt.
36
Bereits § 183 Abs. 6 RVO in der seit 01.01.1982 geltenden Fassung des
Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes vom 22.12.1981 (BGBl. I, 1497) und § 49
Abs. 1 Nr. 3 SGB V in der Fassung des Gesundheitsreformgesetzes (GRG) vom
20.12.1988 (BGBl. I, 2477) enthielten eine gleichlautende Regelung, die zum
01.01.1990 nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09.11.1988
(BVerfGE 79, 87) durch das Rentenreformgesetz 1992 vom 18.12.1989 (BGBl. I, 2261)
durch Voranstellung des Wortes "soweit und" geändert wurde. § 183 Abs. 6 RVO hatte
das BSG dahingehend ausgelegt, dass der Anspruch auf Krankengeld nur insoweit
ruhte, als der Arbeitslose während des Bezugs von Arbeitslosengeld oder
Arbeitslosenhilfe arbeitsunfähig wird und deshalb nach § 134 Abs. 4 i.V.m. § 105 b
Arbeitsförderungsgesetz (AFG) a.F. Anspruch auf Leistungsfortzahlung hat (BSGE 61,
193, 196; ebenso LSG Niedersachsen, Urteil vom 07.09.1988 - L 4 KR 90/86 -). Das
BSG hat dies im Einzelnen mit der Gesetzesentwicklung im Zusammenhang mit der
Ruhensregelung begründet. Es hat ferner darauf hingewiesen, eine streng am Wortlaut
orientierte Auslegung sei nicht möglich, da das Arbeitsförderungsrecht das Ruhen von
Leistungen bei Gewährung von Krankengeld vorsehe (§ 118 Abs. 1 Nr. 2 AFG) und eine
Regelung fehle, welcher Leistung, Krankengeld oder Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe
oder Unterhaltsgeld der Vorrang zukommen solle. Sobald die Voraussetzungen für
Krankengeld und die genannten Leistungen nach dem Arbeitsförderungsrecht etwa
gleichzeitig entstünden, würde § 183 Abs. 6 RVO i.V.m. § 118 Abs. 1 Nr. 2 AFG eine
zögerliche Bewilligung der Leistung prämieren; derjenige Leistungsträger, der die
Bewilligung und Gewährung durch den anderen Träger abwarte, könnte sich dann auf
die Ruhensregelung berufen und brauchte selbst nicht zu zahlen. Diese
einschränkende Auslegung der Ruhensregelung galt nach dem Urteil des BSG vom
15.12.1993 (USK 93103) auch für § 49 Abs. 1 Nr. 3 SGB V in der Fassung des GRG,
weil der Gesetzgeber die bisherige Regelung des § 183 Abs. 6 RVO vollinhaltlich in das
SGB V übernommen habe.
37
Wenn nunmehr seit dem 01.01.1997 wieder die Gesetzesfassung gilt, die bis zum
31.12.1989 bestanden hat, spricht alles dafür, dass sie wiederum einschränkend
dahingehend auszulegen ist, dass das Ruhen des Krankengeldanspruchs nur in Fällen
des Leistungsfortbezugs (jetzt § 126 SGB III) eingreift (ebenso Noftz in: Hauck/ Haines,
SGB V, § 49 Rdn. 12, 39; KassKomm-Höfler, § 49 SGB V Rdn. 9). Die
Gesetzesbegründung des UVEG gibt keinen Hinweis dar auf, dass eine Änderung der
38
früheren Rechtslage beabsichtigt war. Die Neuregelung ist lediglich damit begründet
worden, dass beim Bezug von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe nicht gleichzeitig
Krankengeld gezahlt werden dürfe und mit der Neuregelung Mißverständnisse
vermieden werden sollten, dass ein Spitzbetrag gezahlt werden könne (Bundestags-
Drucksache 13/2204, S. 124 f.). Umgekehrt sieht das Arbeitsförderungsrecht
unverändert eine Ruhensregelung für das Arbeitslosengeld bei Bezug von Krankengeld
vor (§ 142 Abs. 1 Nr. 2 SGB III), so dass wie früher die Konkurrenz beider
Ruhenstatbestände gelöst werden muss. Von daher trifft immer noch der Hinweis des
BSG zu, dass bei wörtlicher Anwendung der Ruhensregelungen der §§ 49 Abs. 1 Nr. 3
a SGB V, 142 Abs. 1 Nr. 2 SGB III die zögerliche Leistungsbewilligung eines Trägers
prämiert und sogar das rechtswidrige Verhalten des Krankenversicherungsträgers
honoriert würde, der - wie hier - zu Unrecht Krankengeld verweigert und dadurch erst
das Entstehen des Arbeitslosengeldanspruchs ermöglicht. Da somit der
Anwendungsbereich des § 49 Abs. 1 Nr. 3 a SGB V auf die Fälle der
Leistungsfortzahlung nach § 126 SGB III beschränkt ist, greift die Ruhensregelung nicht
ein, wenn sich ein Versicherter bei bestehender Krankengeldberechtigung arbeitslos
meldet und Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe erhält.
Soweit der Kläger nach seiner Arbeitslosmeldung Leistungen vom Arbeitsamt erhalten
hat, gilt sein Anspruch gegen die Beklagte als erfüllt (§ 107 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch [SGB X]), weil insoweit ein Erstattungsanspruch der
Arbeitsverwaltung besteht (wobei dahinstehen kann, ob sich dieser aus § 103 Abs. 1
SGB X - so BSG USK 93103 - oder § 105 SGB X - so LSG für das Saarland, Urteil vom
19.10.1999 - L 2 KR 7/99 - ergibt). Soweit die Beklagte während der Arbeitslosigkeit
Krankengeld auf der Grundlage des zuvor gewährten Arbeitslosengeldes gezahlt hat,
kann der Kläger den Differenzbetrag zu dem nach dem Regelentgelt der letzten
Beschäftigung bemessenen Krankengeld verlangen. Der Senat hat daher zur
Klarstellung den Tenor neu gefasst, dass der Kläger im zuerkannten Zeitraum das
Krankengeld nur unter Anrechnung der bezogenen Leistungen beanspruchen kann.
39
Entgegen der Ansicht der Beklagten scheitert der Anspruch des Klägers auf Zahlung
eines Krankengeldspitzbetrages während des Bezugs von Übergangsgeld auch nicht
etwa an § 49 Absatz 3 SGB V. Diese Vorschrift setzt voraus, dass eine Entgelt- oder
Entgeltersatzleistung aufgrund gesetzlicher Bestimmungen gesenkt worden ist. Dies trifft
aber auf das vom Kläger während des hier fraglichen Zeitraums bezogene
Übergangsgeld nicht zu. Diese Leistung ist nicht "aufgrund gesetzlicher Bestimmungen"
gesenkt worden. Der hier vorliegende Sachverhalt wird vielmehr von § 49 Absatz 1 Nr. 3
SGB V erfasst, wonach ein Anspruch auf den das Übergangsgeld übersteigenden Teil
des Krankengeldes ("soweit") besteht.
40
Schließlich ist der Anspruch des Klägers auch nicht gemäß § 50 Absatz 1 Nr.4 SGB V
ausgeschlossen, weil diese Vorschrift nur Leistungen ausländischer Träger der
gesetzlichen Rentenversicherung meint (vergl. Höfler in: Kasseler Kommentar, § 50
Rdnrn.3, 10).
41
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
42
Der Senat hat sowohl hinsichtlich der Auslegung des § 49 Abs. 1 Nr. 3 a SGB V als
auch im Hinblick darauf, dass wohl erst eine höchstrichterliche Entscheidung die
Zweifel der Krankenversicherungsträger an der Fortgeltung der Grundsätze zur
"Verweisung" erkrankter "arbeitsloser" Arbeitnehmer beseitigen wird, dem Rechtsstreit
43
grundsätzliche Bedeutung beigemessen und daher die Revision zugelassen (§ 160
Abs. 2 Nr. 1 SGG).