Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 25.08.2003

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 25.08.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Oldenburg S 7 U 307/99
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 6 U 428/01
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 24. Oktober 2001 aufgehoben. Die
Klage wird abgewiesen. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die Beklagte zuständige Versiche-rungsträgerin für einen Unfall ist, den
ein Wehrdienstleistender am 17. Mai 1989 in der ehemaligen DDR erlitt, und die Erstattung von 432,87 DM, die die
Klägerin für die Einholung ärztlicher Gutachten aufgebracht hat.
Der Unfall ereignete sich während des Wehrdienstes, den der Verletzte bei der Volkspolizei-Bereitschaft absolvierte,
und war in der DDR als - wie ein Arbeitsun-fall zu wertender und auszugleichender - Dienstunfall aner-kannt (vgl. das
Schrei-ben des Ministerrats an den Verletzten vom 31. Juli 1990). Eine Unfallteilrente wurde nicht gezahlt, weil der
Sturz auf Rücken und Kopf fol-genlos abheilte (Mit-teilung der Dres. A. vom 14. Dezember 1989). Im Juni 1996 zeigte
der Verletzte der Klägerin den Dienstunfall an und be-antragte, das Rentenentschädigungsver-fahren einzuleiten,
nachdem Leistungen nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) abgelehnt worden waren (Bescheid des Amtes für
Soziales und Versor-gung B. vom 10. April 1992). Die Klä-gerin zog medizinische Unterlagen bei und veranlasste die
Rentengutachten vom April und Oktober 1998, die im Wesentli-chen zu der Einschätzung der Ärzte in der ehemaligen
DDR kamen. Der Verletzte nahm daraufhin den Widerspruch gegen den die Zahlung von Verletztenrente ablehnenden
Bescheid der Klägerin vom 18. Juni 1998 zurück.
Im Juni 1998 meldete die Klägerin bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch an: Die fachliche Zuständigkeit richte
sich nach den Verhältnissen in den alten Bundesländern. Die Polizeibehörden unterstünden den Innenministern der
Län-der. Deshalb sei die Beklagte für den Dienstunfall bei der Volkspolizei-Bereitschaft zu-ständig. Demgegenüber
hielt die Beklagte die Klägerin für zustän-dig, weil sich der Dienstunfall im Rahmen des Wehrdienstes ereignet habe.
Deshalb hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg Klage erhoben. Das SG hat durch Urteil vom 24.
Oktober 2001 festgestellt, dass die Beklagte zu-ständige Unfallversicherungsträgerin sei, diese verurteilt, der Klägerin
432,87 DM zu erstatten und die Berufung zugelassen: Soweit Dienstunfälle im Rahmen der Ableistung des
Wehrdienstes als Arbeitsunfälle im Sinne des Übergangsrechts nach der Wieder-vereinigung zu behandeln seien,
komme es auf die Zuordnung des "Unterneh-mens” an. Die Landeszuständigkeit anstelle der Bundeszuständig-keit
ergebe sich aus der Tatsache, dass die Bereitschaftspolizei Länderangele-genheit sei.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 26. Oktober 2001 zugestellte Urteil am 23. November 2001 Berufung eingelegt. Sie
hält an ihrer - bereits vor dem SG vorgetragenen - Auffassung fest, dass sich die Frage des zuständigen Unfallver-
sicherungsträgers deshalb nicht stelle, weil schon kein Versicherungsfall der ge-setzlichen Unfallversicherung (UV)
vorliege. Damit habe sich das SG nicht an-satzweise auseinandergesetzt.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 24. Oktober 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 24. Oktober 2001 zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und hat ergänzend vorge-tragen, die Ausschlussfrist des §
1150 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 1 Reichsversicherungs-ordnung (RVO) finde keine Anwendung, weil sonst das sinnwidrige
Ergebnis die Folge wäre, dass der Personenkreis, zu dem der Verletzte gehört habe, Leistun-gen weder aus der
gesetzlichen UV noch einen Härteausgleich nach dem Bun-desversorgungsgesetz (BVG) erhalten würde. Die Urteile
des Bundessozi-al-gerichts (BSG) zu der Ausschlussfrist des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 1 RVO vom 24. Februar 2000
(B 2 U 8/99 R) und 10. Oktober 2002 (B 2 U 10/02 R) seien nicht einschlägig.
Die Beteiligen haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Dem Senat haben den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beteiligten vorge-legen. Sie sind Gegenstand der
Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf
den Akten-in-halt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die - kraft Zulassung durch das SG (§ 144 Sozialgerichtsgesetz - SGG) - statt-hafte Berufung der Beklagten ist form-
und fristgerecht eingelegt und da-mit zuläs-sig. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Ansicht des SG ist
das Er-stattungsbegehren der Klägerin nicht begründet. Die Klage auf Feststellung des zuständigen
Versicherungsträgers (§ 55 Abs. 1 Ziff. 2 SGG) ist schon nicht zu-lässig.
Zum Verfahren brauchte der Verletzte nicht beigeladen zu werden (vgl. BSG, Ur-teil vom 26. März 1986 - 2 RU 77/84).
Nach § 75 Abs. 1 Alt. 1 SGG sind Dritte beizuladen, die an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass
die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Das setzt die Identität des Streitgegenstandes
im Verhältnis der Beteiligten (Klägerin und Be-klagte) und dem Dritten (dem Verletzten) voraus. Streitgegenstand im
vorliegen-den Verfahren ist der Anspruch der Klägerin auf Er-stattung der für die eingehol-ten Gutachten
aufgebrachten Kosten in Höhe von 432,87 DM. Die Entscheidung hierüber greift in die Rechtssphäre des Verletzten
nicht unmittelbar ein. Das ist auch nicht durch den Feststellungsantrag der Kläge-rin der Fall, dass die Beklagte die
für die Entschädigung des Unfalls vom 17. Mai 1989 zuständige Versicherungsträgerin sei. Denn der Feststellung der
zuständigen Versicherungs-trägerin kommt keine selbstständige Bedeutung zu. Sie kann ledig-lich Vorfrage für den
von der Klägerin geltend gemachten Erstattungsanspruch sein. Die Rechtssphäre des Verletzten wäre allenfalls dann
von der Entscheidung der Zuständigkeitsfrage berührt, wenn dieser selbst Ansprüche auf Entschädigung von Folgen
des Unfalls vom 17. Mai 1989 geltend gemacht hätte und daher ein eigenes Interesse daran haben würde
festzustellen, welcher Versicherungsträger ihm Leistungen zu erbringen hat. Das ist jedoch nicht der Fall. Denn der
Unfall vom 17. Mai 1989 hat keine Folgen hinterlassen. Deshalb nahm der Verletzte den Widerspruch gegen den die
Zahlung von Verletztenrente ablehnenden Be-scheid der Klägerin zurück. Da der Frage der Feststellung des zustän-
digen Versicherungsträgers keine selbstständige Bedeutung zukommt, fehlt der Klägerin auch das berechtigte
Interesse an der Feststellung des zuständigen Ver-sicherungsträgers mit der Folge, dass der Feststellungsantrag
unzulässig ist.
Die Erstattungsklage ist nicht begründet. Hat ein Leistungsträ-ger auf Grund ge-setzlicher Vorschriften vorläufig
Sozialleistungen erbracht, ist der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger erstattungspflichtig (§ 102 Abs. 1 Sozi-
algesetzbuch - SGB - X). Voraussetzung eines - nach § 109 Satz 2 SGB X möglichen - Erstat-tungsanspruchs ist
somit, dass der Unfall am 17. Mai 1989 einen Arbeitsunfall i.S.d. auf diesen Sachverhalt noch anzuwendenden RVO
(Art. 36 Unfallversiche-rungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII) darstellt. Das ist jedoch nicht der Fall. Denn der
Unfall ereignete sich im Rahmen des Wehrdienstes. Als Wehrdienst-leistender wäre der Versicherte nach dem Recht
des Dritten Buches der RVO jedoch nicht in der gesetzlichen UV versichert gewesen, weil ihm bei einer Wehr-
dienstbeschädigung nach Maßgabe der §§ 80 ff des SVG Versorgung in entspre-chender Anwendung der Vorschriften
des BVG gewährt worden wäre und für ihn daher nach § 541 Abs. 1 Ziff. 2 RVO Versicherungsfreiheit bestanden hätte
(vgl. BSG SozR 3-3100 § 89 Nr. 9 m.w.N.). Der Unfall vom 17. Mai 1989 gilt auch nicht deshalb als Arbeitsunfall im
Sinne des Dritten Buches der RVO, weil er als Ar-beitsunfall der Sozialversicherung der ehe-maligen DDR anerkannt
war. Denn der Unfall ist einem für das Beitrittsgebiet zu-ständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem
"Stichtag” des 31. Dezember 1993 be-kannt geworden und konnte deshalb nicht entschädigt werden (§ 1150 Abs. 2 S.
2 Nr. 1 RVO). Die Antrag-stellung beim Amt für Soziales und Versorgung ge-nügte nicht (vgl. BSG, Urteile vom 20.
Februar 2001 - B 2 U 11/00 R - und 26. Juni 2001 - B 2 U 31/00 R -). Für eine dem eindeutigen Wortlaut des § 1150
Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO entgegen-stehende einschränkende Auslegung besteht kein Anlass (s. zuletzt das Urteil
vom 10. Oktober 2002 - B 2 U 10/02 R - S. 9 f). Entgegen dem von der Klä-gerin vermittelten Eindruck gelten in der
ehemaligen DDR als Arbeitsunfälle an-erkannte Unfälle während des Wehrdienstes aus Gesichtpunkten des
Vertrauens-schutzes grundsätzlich als Arbeitsunfälle im Sinne des Dritten Buches der RVO (§ 1150 Abs. 2 Satz 1
RVO). Dass dieser Vertrauensschutz aber nicht unbegrenzt gilt, sondern an dem "Stichtag” des 31. Dezember 1993
endet, ist rechtlich nicht zu beanstanden (BSG a.a.O.). Deshalb liegt die Argumentation der Klägerin über ein
"sinnwidriges Ergebnis” wegen fehlender Anwendbarkeit durch das BVG (Schriftsatz vom 8. Mai 2003) neben der
Sache.
Weil der Verletzte schon aus Rechtsgründen keinen Anspruch auf Entschädigung aus der gesetzlichen
Unfallversicherung hat, steht der Klägerin kein Erstattungs-anspruch gegen die Beklagte zu. Die Frage des
zuständigen Versicherungsträ-gers stellt sich deshalb nicht. Somit müssen auf die Berufung der Beklagten das Urteil
des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegt nicht vor. Die Frage der Anwendbarkeit
der Regelung des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 1 RVO ist geklärt.