Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 12.12.2012

LSG Niedersachsen: form, sozialhilfe, auflage, vorrang, geldleistung, umtausch, krankenversicherung, erfüllung, gerichtsakte, bargeld

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Nachgewährung von Grundleistungen im AsylbLG
1. Bei der in einem Leistungsbescheid enthaltenen Aufteilung der errechneten
und bewilligten Grundleistungen in einen Barbetrag und einen weiteren
Betrag, der dem Leistungsberechtigten in Wertgutscheinen ausgehändigt
wird, handelt es sich um einen rechtlich abtrennbaren Streitgegenstand, der
einer isolierten gerichtlichen Überprüfung außerhalb eines sog. Höhenstreits
zugänglich ist.
2. Das Gegenwärtigkeitsprinzip prägt das Recht der Asylbewerberleistungen
nach dem AsylbLG. Die Existenzschwäche des Hilfeanspruchs nach dem
AsylbLG zeitigt daher den Vorrang der Sachleistungsgewährung.
3. Die Nachgewährung von Grundleistungen gem. § 3 Abs. 2 AsylbLG hat
stets in Form von Geldleistungen zu erfolgen.
SG Hildesheim 42. Kammer, Urteil vom 12.12.2012, S 42 AY 126/11
§ 3 Abs 1 S 4 AsylbLG, § 3 Abs 2 S 1 AsylbLG, § 3 Abs 2 S 2 AsylbLG, Art 19 Abs 4
GG, § 13 Abs 3 SGB 5, § 96 Abs 1 SGG, § 35 S 1 VwVfG
Tenor
Die Beklagte wird unter entsprechender Abänderung ihrer Bescheide vom 29.
Juli und 27. September 2011 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom
12. Oktober 2011 und ihres Änderungsbescheides vom 10. September 2012
verurteilt, den Klägerinnen die für August 2011 in Wertgutscheinen i.H.v. 40,00
Euro nachgewährten Grundleistungen Zug um Zug gegen die Zahlung von
Bargeld in selber Höhe umzutauschen.
Die Beklagte hat den Klägerinnen ein Drittel ihrer notwendigen
außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten nach übereinstimmender Erklärung der Erledigung des
Rechtsstreits im Übrigen noch um die Frage der Art und Weise der
Nachgewährung von höheren, verfassungsmäßigen Grundleistungen gem. § 3
Abs. 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für den Monat August 2011, die
in Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 18. Juli
2012 (- 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11 -, BGBl I. 2012, S. 1715 f. = NVwZ 2012, S.
1024 ff.) den drei Klägerinnen von der Beklagten erst im September 2012
bewilligt und ausgehändigt wurden.
Grundlage der Leistungsbewilligung gegenüber den drei Klägerinnen sind die
Bescheide der Beklagten vom 29. Juli und 27. September 2011 in der Gestalt
ihres Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2011 und ihres gem. § 96
Sozialgerichtsgesetz (SGG) einzubeziehenden Änderungsbescheides vom 10.
September 2012, mit denen die Beklagte den Klägerinnen für den
streitgegenständlichen Monat August 2011 zuletzt Grundleistungen i.H.v.
zusammen 1.249,- € bewilligt und in Umsetzung dieser Bewilligung einen Betrag
i.H.v. 210,20 Euro in bar nachgezahlt und daneben den Klägerinnen
Wertgutscheine der Fa. L. in unterschiedlicher Stückelung und mit beschränkter
Einlösbarkeit hinsichtlich der in § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG aufgezählten
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Warengruppen, jeweils gültig bis zum 31. Dezember 2012, mit einem
Gesamtwert von 40,68 Euro ausgehändigt hat. Wegen der Einzelheiten der
Berechnung der Grundleistungen und der Zuordnung der errechneten Beträge
zu den einzelnen Klägerinnen sowie der Entscheidung über die Zahlwege, die
die Beklagte am Schluss des Berechnungsbogens des Änderungsbescheides
vom 10. September 2012 unter der Überschrift "Dieser Betrag wird folgenden
Zahlungsempfängern zugeordnet:" vorgenommen hat, wird auf die e.g.
Bescheide der Beklagten (Bl. 14 f., 17 f., 20 f. und 42 f. der Gerichtsakte)
verwiesen.
Die Klägerinnen sind der Ansicht, die Beklagte habe ihre gem. § 3 Abs. 2 Satz 1
AsylbLG nach pflichtgemäßer Ausübung ihres Auswahlermessens zu treffende
Entscheidung über die Gewährung von Grundleistungen in Form von
Ersatzleistungen ermessensfehlerhaft herbeigeführt. Sie habe hinsichtlich der
Nachgewährung eines Teilbetrages von 40,68 Euro in Wertgutscheinen zur
Sicherung des physischen Existenzminimums von vornherein kein Ermessen
ausgeübt, weil sie rechtsfehlerhaft von einem Rangverhältnis der
Ersatzleistungen innerhalb des § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG ausgehe. Der von ihr
vertretene Nachrang von Geldleistungen gegenüber Wertgutscheinen oder
anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen lasse sich weder nach dem
Wortlaut der Norm noch der Gesetzeshistorie und dem Willen des Gesetzgebers
begründen. Sie hätten daher gegenüber der Beklagten aufgrund der
besonderen Konstellation der Nachgewährung von Grundleistungen einen
weitergehenden Anspruch auf Geldleistungen, zumindest aber auf
Neubescheidung unter fehlerfreier Ausübung des Auswahlermessens.
Nachdem die Klägerinnen ihr ursprüngliches, auf den Umtausch von
Wertgutscheinen i.H.v. 120,00 Euro gerichtetes Klagebegehren in der
mündlichen Verhandlung ausdrücklich auf den Umtausch der für den Monat
August 2011 nachgewährten Gutscheinleistungen i.H.v. 40,68 Euro beschränkt
und im Übrigen die Hauptsache für erledigt erklärt haben, beantragen sie
nunmehr,
die Beklagte unter entsprechender Abänderung ihrer Bescheide vom
29. Juli 2011 und 27. September 2011 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2011 in Gestalt des
einzubeziehenden Änderungsbescheides vom 10. September 2012 zu
verurteilen, ihnen die für August 2011 in Wertgutscheinen in Höhe von
40,00 Euro nachgewährten Grundleistungen Zug um Zug gegen die
Zahlung von Bargeld in selber Höhe umzutauschen.
Die Beklagte hat sich in der mündlichen Verhandlung der Erledigungserklärung
der Klägerinnen angeschlossen und darüber hinaus unter Bezugnahme auf die
Gründe der angefochtenen Bescheide sowie des gesetzlichen Vorrangs der
Sachleistungsgewährung, aus der sich der Vorrang der
Wertgutscheinleistungen im Rahmen der Ersatzleistungsgewährung ableite,
beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Gerichtsakte sowie die im vorliegenden Verfahren beigezogenen
Verwaltungsakten der Beklagten (6 Bände Leistungsakten, 1 Ordner und 2
Hefte Ausländerakten) Bezug genommen, die vorgelegen haben und
Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Kammer hat nach Erledigung des Rechtsstreits im Übrigen durch
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übereinstimmende Erklärung der Beteiligten nur noch über die zwischen den
Beteiligten streitige Frage der Berechtigung der Beklagten zur Nachgewährung
von Grundleistungen gem. § 3 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AsylbLG für den Monat
August 2011 in Form von Wertgutscheinen mit einem Nennwert von 40,00 Euro
zu entscheiden; im Übrigen ist der Rechtsstreit beendet (vgl. Keller in: Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Auflage, § 125 Rn. 7 ff.).
Die Kammer geht dabei von einem in den angefochtenen Bescheiden der
Beklagten, zuletzt in Gestalt des Änderungsbescheides vom 10. September
2012, hinsichtlich der Art und Weise der Leistungsgewährung abtrennbaren
Verfügungssatz aus, der sich am Schluss des Berechnungsbogens für den
jeweiligen Monat mit der Überschrift "Dieser Betrag wird folgenden
Zahlungsempfängern zugeordnet:" wiederfindet. An dieser Stelle trifft die
Beklagte aus Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers eine eigenständige
und gerichtlich separat überprüfbare Regelung i.S.d. § 35 Satz 1 VwVfG i.V.m. §
1 NdsVwVfG (zur Anwendbarkeit des VwVfG im AsylbLG vgl. etwa
Gerichtsbescheid der Kammer vom 6. August 2012 - S 42 AY 27/10 - m.w.N.).
mit dem Inhalt, dass die von ihr errechneten und bewilligten Grundleistungen zu
einem konkret bezifferten Teil dem Asylbewerberleistungsberechtigten in bar
(sog. Taschengeld) und im Übrigen in Wertgutscheinen ausgehändigt werden.
Enthält ein Bewilligungsbescheid mehrere abtrennbare Verfügungssätze, kann
unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG)
zum rechtlich abtrennbaren Streitgegenstand im Recht der
Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II und dem SGB XII eine
Beschränkung des Prozessstoffes in der beschriebenen Weise durch die
Beteiligten in Ausübung ihrer Dispositionsbefugnis erfolgen (vgl. BSG, Urteil vom
20. September 2012 - B 8 SO 4/11 R -, zit. nach juris Rn. 12 ff. m.w.N.; Leitherer
in: Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., § 96 Rn. 11a).
Die danach zulässige Klage ist begründet, denn die mit den angefochtenen
Bescheiden der Beklagten getroffene Regelung, den Klägerinnen für den Monat
August 2011 Grundleistungen i.H.v. 40,00 Euro in Form von Wertgutscheinen
der Fa. L. nachzugewähren, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerinnen in ihren
Rechten. Die Klägerinnen haben einen Anspruch auf Nachgewährung dieses
Teilbetrages in Geld. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Das Recht der Asylbewerberleistungen ist der Sache nach materielles
Sozialhilferecht (vgl. etwa Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, Kommentar zum
SGB XII, 4. Auflage, Einl. AsylbLG Rn. 5; mit etwas anderer Begründung
("Sonder-Sozialhilferecht") Hohm in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, Kommentar
zum SGB XII, 18. Auflage, Vorbem AsylbLG Rn. 4). Es entspricht daher
ständiger Rechtsprechung der erkennenden Kammer, dass die
Strukturprinzipien des allgemeinen Sozialhilferechtes (dazu eingehend:
Rothkegel, Die Strukturprinzipien des Sozialhilferechts, 1. Auflage 2000), wie es
nunmehr im SGB XII (früher BSHG) kodifiziert wurde, auch im Rahmen des
AsylbLG Anwendung finden (vgl. etwa Beschluss der Kammer vom 3.
September 2012 - S 42 AY 13/09 -, zit. nach juris Rn. 7 m.w.N.:
Kenntnisgrundsatz; Beschluss der Kammer vom 30. August 2012 - S 42 AY
140/12 ER -, zit. nach juris Rn. 30 m.w.N.: Nachrangprinzip; Beschluss vom 11.
Mai 2012 - S 42 AY 43/12 ER -, zit. nach juris Rn. 2 m.w.N.:
Gegenwärtigkeitsprinzip). In ihrem Beschluss vom 11. Mai 2012 (a.a.O.) hat die
Kammer unter Bezugnahme auf den Beschluss des BVerfG vom 12. Mai 2005
(1 BvR 569/05 -, NVwZ 2005, S. 927 ff., zit. nach juris Rn. 26 m.w.N.) ausgeführt,
dass der elementare Lebensbedarf eines Menschen grundsätzlich nur in dem
Augenblick befriedigt werden kann, in dem er entsteht und solange er besteht
(sog. Existenzschwäche des Sozialhilfeanspruchs, der aus seiner
Zeitgebundenheit resultiert, vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom
5. Mai 1994 - 5 C 43/91 -, BVerwGE 96, S. 18 (20)). Dieses
"Gegenwärtigkeitsprinzip" ist als Teil des Bedarfsdeckungsgrundsatzes für die
Sozialhilfe allgemein anerkannt und findet auch im Asylbewerberleistungsrecht
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Anwendung (Beschluss der Kammer vom 11. Mai 2012, a.a.O.). Das
Gegenwärtigkeitsprinzip zeitigt nicht nur den Anspruch des Hilfebedürftigen auf
Leistungen nach dem AsylbLG, die gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG vorrangig
in Sachleistungen zu erbringen sind. Umgekehrt setzt es auch der Befugnis des
zuständigen Leistungsträgers nach dem AsylbLG, zur Erfüllung seiner
Verpflichtung zur Hilfegewährung Sachleistungen bereitzustellen, oder in den
Fällen, in denen es nach den Umständen (des Einzelfalls) erforderlich ist,
anstelle von vorrangig zu gewährenden Sachleistungen (vgl. Wortlaut § 3 Abs. 2
Satz 1 AsylbLG) Ersatzleistungen etwa in Form von Wertgutscheinen
anzubieten, eine zeitliche Grenze, die wegen des in § 3 Abs. 1 Satz 4 und Abs.
2 Satz 2 AsylbLG verorteten Monatsprinzips regelmäßig am Ende des Monats
zu finden ist, in dem der Leistungsberechtigte seinen Hilfebedarf dem
Leistungsträger zur Kenntnis gebracht hat. Sach- oder Ersatzleistungen nach §
3 AsylbLG können deshalb ebenso wie die Sozialhilfe naturgemäß nicht
rückwirkend erbracht werden, ohne dass es darauf ankäme, ob die Hilfe bei
rechtzeitigem Handeln des Leistungsträgers in Form einer Geld- oder
Sachleistung zu erbringen gewesen wäre; beide Leistungsarten beinhalten
lediglich unterschiedliche Formen desselben (Primär-)Anspruchs auf Sozialhilfe
(vgl. Rothkegel, a.a.O., S. 68).
Das Bundesverwaltungsgericht hat hieraus folgernd in ständiger
Rechtsprechung den Grundsatz "Keine Sozialhilfe für die Vergangenheit" betont
und Ausnahmen von dem Erfordernis eines tatsächlich (fort-)bestehenden
Bedarfs u.a. wegen der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19
Abs. 4 Grundgesetz u.a. in den Fällen zugelassen, in denen der Betroffene
seinen Bedarf zwischenzeitlich im Wege der Selbsthilfe oder der Hilfe Dritter
(teilweise) gedeckt, aber gegen die (teilweise) Ablehnung seines Hilfebegehrens
durch den Sozialhilfeträger rechtzeitig um gerichtlichen Rechtsschutz
nachgesucht hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 1992 - 5 C 12/87 -, BVerwGE
90, S. 154 ff., zit. nach juris Rn. 14 m.w.N.). Zwar es sei grundsätzlich nicht
Aufgabe der Sozialhilfe, Schulden zu tilgen. Hiervon ausgenommen seien
jedoch Schulden, die dadurch entstanden sind, dass der Bedarf nicht rechtzeitig
mit Mitteln der Sozialhilfe gedeckt worden, die Behörde also in diesem Sinne
säumig geblieben sei. Habe ein Dritter den Bedarf des Hilfebedürftigen
tatsächlich gedeckt, dürfe dies dem Sozialhilfeanspruch dann nicht
entgegengehalten werden, wenn der Dritte die Hilfeleistung - gleichsam an Stelle
des Sozialhilfeträgers und unter Vorbehalt des Erstattungsverlangens - nur
deshalb erbracht habe, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig geholfen
oder Hilfe abgelehnt habe (BVerwG, Urteil vom 5. Mai 1994, a.a.O., zit. nach juris
Rn. 10 m.w.N.). Dem folgend hat auch das BSG in seiner bisherigen
Rechtsprechung zum SGB XII den Grundsatz der zulässigen Selbstbeschaffung
anerkannt (vgl. BSG, Urteil vom 11. Dezember 2007 - B 8/9b SO 12/06 R -,
FEVS 59, S. 481 ff., zit. nach juris Rn. 11). Vor diesem Hintergrund sind auch die
Ausführungen des von der Kammer in ihrem Prozesskostenhilfe bewilligenden
Beschluss vom 15. November 2012 zitierten Sozialgerichts (SG) Koblenz zu
verstehen (Gerichtsbescheid vom 29. Juni 2012 - S 11 AY 5/12 -, abrufbar unter:
http://www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/docs/C2466.pdf). Das SG Koblenz hat
vom Ergebnis her zutreffend dargelegt, dass eine nachträgliche Sicherung eines
in der Vergangenheit liegenden Bedarfs zwangsläufig nur in Form von
Geldleistungen möglich sei, weil der Betroffene gezwungen gewesen sei, seinen
Lebensunterhalt anderweitig (z.B. durch Spenden oder geliehene Geldmittel)
sicherzustellen. Durch die Nachgewährung der ihm zustehenden Leistungen
müsse der Betroffene in die Lage versetzt werden, die während der
rechtswidrigen Vorenthaltung zustehender Leistungen ggf. entstandenen
Schulden zu tilgen, was regelmäßig nicht durch Wertgutscheine, sondern nur
durch Geldleistungen möglich sei.
Dem ist nach Auffassung der Kammer klarstellend hinzuzufügen, dass die
Existenzschwäche des Sozialhilfeanspruchs und damit auch die des (Primär-
)Anspruchs auf Grundleistungen gem. § 3 AsylbLG regelmäßig nach Ablauf des
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Monats, in dem der Bedarf durch den säumigen Leistungsträger (weitergehend)
zu decken gewesen wäre, dazu führt, dass anstelle des (Primär-)Anspruchs ein
(sekundärer) Anspruch auf Kostenerstattung für die selbstbeschafften (Sozial-
)Hilfeleistungen auflebt, der richterrechtlich anerkannt ist und für Teilbereiche
des Sozialrechts (vgl. § 13 Abs. 3 SGB V, 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX und §36a
Abs. 3 SGB VIII) eine ausdrückliche Regelung erhalten hat (eingehend Grube in:
Grube/Wahrendorf, a.a.O., § 17 Rn. 9 und 20 sowie Einl Rn. 149 m.w.N.). Das
Bundessozialgericht hat diesbezüglich ausgeführt, die Regelung des § 13 Abs.
3 SGB V sei Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens, der auch bei
Fehlen einer entsprechenden Normierung über das Recht der gesetzlichen
Krankenversicherung nach dem SGB V hinaus Anwendung finde (vgl. BSG,
Urteil vom 30. Oktober 2001 - B 3 KR 27/01 R -, BSGE 89, S. 50 ff., zit. nach juris
Rn. 36). Für das Recht der Sozialhilfe nach dem SGB XII hat der zuständige 8.
Senat des BSG bereits entschieden, solange der Sozialhilfeträger seiner
Verpflichtung aus § 63 Satz 1 SGB XII nicht nachkomme, ergebe sich ein
Anspruch auf Übernahme der angemessenen Kosten als Beihilfe in Form einer
Geldleistung als Sekundäranspruch (BSG, Urteil vom 26. August 2008 - B 8/9b
SO 18/07 R -, FEVS 60, S. 385 ff., zit. nach juris Rn. 19). Der als
Sekundäranspruch bezeichnete Anspruch auf Kostenerstattung, der auch im
AsylbLG an die Stelle des auf Sachleistungen gerichteten Primäranspruchs tritt
(für das SGB V vgl. Behnsen, NZS 2012, S. 770 (772) m.w.N.), ist ungeachtet
der unterschiedlichen Ansätze zu seiner dogmatischen Herleitung bzw.
Begründung (eingehend hierzu: Rothkegel, a.a.O., S. 77 ff.) nach allgemeiner
Auffassung stets ein Anspruch auf Geldleistung (vgl. BSG, Urteil vom 26. August
2008, a.a.O.; Rothkegel, a.a.O., S. 76; für das Recht der gesetzlichen
Krankenversicherung: BSG, Urteil vom 18. Juli 2006 - B 1 KR 24/05 R-, BSGE
97, S. 6 ff., zit. nach juris Rn. 13). Deshalb können auch im
Asylbewerberleistungsrecht nachzugewährende Grundleistungen stets nur in
Geld erbracht werden.
Auf die von den Klägerinnen aufgeworfene Frage, ob hinsichtlich der in § 3 Abs.
2 Satz 1 AsylbLG genannten Ersatzleistungsformen ein freies
Auswahlermessen des Leistungsträgers besteht, dass sich im Falle der
Nachgewährung auf die Form der Geldleistung verdichte bzw. reduziere, kommt
es danach nicht entscheidungserheblich an. Dies gilt ebenso hinsichtlich der
vom Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport in seiner Email vom
15. August 2012 gegenüber dem Landkreis G. vertretenen Auffassung, bei den
aufgrund des Urteils des BVerfG vom 18. Juli 2012 (a.a.O.) vorzunehmenden
Nachzahlungen sei es naheliegend, eine besondere Sachkonstellation
anzunehmen. Es werde anheimgestellt, in den entsprechenden Fällen
ausnahmsweise vom Vorrang des Sachleistungsprinzips abzuweichen. Denn
die vorstehend hergeleitete Verpflichtung des Leistungsträgers zur
Nachgewährung von Grundleistungen gem. § 3 AsylbLG ausschließlich in Form
von Geldleistungen besteht in jedem Fall der nachträglichen
Leistungsgewährung, nicht etwa nur in Ausnahmefällen bzw. -konstellationen.
Die Nachgewährung von Leistungen zur Erfüllung des Sekundäranspruchs auf
Kostenerstattung lässt - wie vorstehend dargelegt - das auf den Primäranspruch
beschränkte Sachleistungsprinzip unberührt.
Die Kammer weist die Beteiligten klarstellend darauf hin, dass aus der
vorliegenden Entscheidung keine Rückschlüsse auf die Frage der Art und
Weise der Gewährung von Grundleistungen in Form von Ersatzleistungen gem.
§ 3 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG für die laufende, d.h. gegenwärtige Hilfegewährung
gezogen werden können. Diese, zwischen den Beteiligten unter Heranziehung
eines in der Kommentarliteratur vertretenen Rangverhältnisses der
Ersatzleistungen streitige Rechtsfrage (zum Meinungsstand vgl. etwa Frerichs
in: juris-Praxiskommentar zum SGB XII, Online-Ausgabe, § 3 Rn. 87 f. m.w.N.)
war für den vorliegenden Sachverhalt nicht entscheidungserheblich und bedarf
ggf. der Klärung in einem anderen Hauptsacheverfahren.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt die teilweise
(2/3) Reduzierung des ursprünglich auf den Umtausch von Wertgutscheinen
i.H.v. 120,00 € gerichtete Klagebegehrens der Klägerinnen, die sich insoweit
freiwillig in die Rolle der unterlegenen Beteiligten begeben und für diesen Teil
ihre Verfahrenskosten selbst zu tragen haben.
Gründe für eine Zulassung der Berufung gem. § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht
vor.