Urteil des LSG Hessen vom 13.03.2017

LSG Hes: arbeitslosenversicherung, agent, putzfrau, anleitung, nachrichten, werbung, arbeitsvermittlung, abhängigkeitsverhältnis, provision, versicherungspflicht

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 11.03.1959 (rechtskräftig)
Sozialgericht Fulda
Hessisches Landessozialgericht L 6 Kr 24/58
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 12. Mai 1958, der
Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 1956 und der Bescheid vom 24. November 1955 dahin abgeändert, daß die
Klägerin nicht verpflichtet ist, in Bezug auf die Beigeladene F. Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu entrichten.
Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Mit Bescheid vom 24. November 1955 teilte die Beklagte der Klägerin mit, ihre Ermittlungen hätten ergeben, daß die
1915 geborene Frau K. F., wohnhaft in A., Krs. L. als Zeitungsträgerin zu der Klägerin in einem Verhältnis persönlicher
und wirtschaftlicher Abhängigkeit stehe und daß das ihr gezahlte Entgelt unter Berücksichtigung ihrer sonstigen
wirtschaftlichen Verhältnisse von wesentlicher Bedeutung sei. Es wurde ab 1. Januar 1953 Versicherungspflicht zur
Kranken-, Invaliden- und Arbeitslosenversicherung angenommen.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein. Nachdem die Beigeladene F. am 23. Februar 1955 von
dem Versicherungsamt in L. gehört worden war, half die Widerspruchsstelle bei der Beklagten dem Widerspruch nicht
ab.
Darauf erhob die Klägerin beim Sozialgericht Fulda Klage. Sie trug vor, die Beigeladene F. sei ab 1. April 1952
selbständige Agentin für den Ort A. gewesen. Sie legte einen zwischen ihr und der Beigeladenen F. am 31. März 1950
abgeschlossenen schriftlichen Vertrag vor, der folgenden Wortlaut hat:
AGENTUR – VERTRAG
zwischen der F. Verlagsanstalt GmbH., F.,
(im folgenden "Verlag” genannt)
und Herrn/Frau/Fräulein K. F., W., A., Krs. L.
(im folgenden "Agent” genannt)
wird folgender Agentur – Vertrag geschlossen:
§ 1 Der Agent wird unter Wahrung seiner wirtschaftlichen und persönlichen Selbständigkeit – und ohne als
Arbeitnehmer bei der Firma eingestellt zu sein – als selbständiger Agent im Sinne der §§ 84 ff. HGB ständig damit
betraut im Namen und für Rechnung des Verlages tätig zu sein.
§ 2 Der Aufgabenkreis des Agenten umfaßt:
1) Den Vertrieb von Zeitungen und Zeitschriften 2) Die Auslieferung und Zustellung der Zeitungen und Zeitschriften 3)
Die Vermittlung von Anzeigen- u. Geschäftsabschlüssen 4) Das Inkasso der Bezugsgelder und der Beträge gemäß
Punkt 3, soweit es sich um vom Agenten vermittelte Anzeigen handelt. 5) Die Entgegennahme von Reklamationen,
Ab-, Ummeldungen u.ä. Erklärungen. 6) Die Werbung neuer Abonnenten für folgende Zeitungen und Zeitschriften:
F. Volkszeitung H. Volkszeitung O. Volkszeitung
vom Verlag herausgegebene andere Druckwerke vom Verlag vertriebene fremde Druckwerke wie Illustrierte
Zeitschriften, Kalender etc.
§ 3 Der Verlag übernimmt die Verpflichtung:
1) Die für die Bezieher bestellten Zeitungen und Zeitschriften porto- und verpackungsfrei, die Inkassoquittungen
kostenfrei dem Agenten zu liefern. 2) Dem Agenten folgenden Provisionen zu zahlen: - je voll zu zahlendes
Abonnement, einschließlich der vom Verlag gelieferten Beilagen, eine Zustellprovision von monatlich DM 0,40. 3) je
vermittelte Anzeige, bzw. Beilageauftrag 15 % vom Kunden-Nettobetrag 4) je neugeworbenem Abonnement eine
Provision nach Vereinbarung.
Eine besondere Inkasso-Provision wird nicht gewährt.
- Dem Agenten ein kostenloses Exemplar der Volkszeitung während der Dauer des Vertrages zu liefern.
§ 4 Der Agent verpflichtet sich:
1) In allen Verrichtungen die Interessen des Verlages mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes wahrzunehmen;
2) Alle Geschäftsabschlüsse dem Verlag der unverzüglich mitzuteilen; 3) Für pünktliche Verteilung der Zeitungen und
Zeitschriften Sorge zu tragen; 4) Das Inkasso und etwaige Stundungen des Bezugsgeldes auf eigenes Risiko zu
übernehmen und die einkassierten Gelder bis zur Ablieferung gesondert aufzubewahren; 5) Bei der Werbung die
vorgeschriebenen Bestimmungen zu beachten; 6) An dritte Personen keinerlei Zahlungen für Rechnung und zu Lasten
des Verlages zu leisten; 7) Die ihm bei der Ausübung seiner Tätigkeit bekannt gewordenen Geschäftsvorgänge
insbesondere die Anschriften der Bezieher dritten gegenüber geheim zu halten; 8) Keine Beilagen den
Zeitungsexemplaren beizufügen, die nicht vom Verlag geliefert oder seitens des Agenten dem Verlag ordnungsmäßig
gemeldet wurden.
§ 5 Der Agent ist berechtigt:
1) Sich seine Tätigkeit selbst einzuteilen; 2) Hilfskräfte auf eigene Rechnung zu beschäftigen; 3) Geschäfte oder
Tätigkeiten anderer Art gleichzeitig zu betreiben, soweit seine Verpflichtungen aus diesem Vertrag dadurch nicht
berührt werden. Bestehen bei einer anderen Tätigkeit Möglichkeiten eines Wettbewerbs zum Nachteil der durch diesen
Vertrag bereits vertretenen Verlage und Verlagsobjekte, so ist der Agent vor Aufnahme einer solchen Tätigkeit
verpflichtet, dem Verlag Mitteilung zu machen; 4) Die vereinbarte Provision von den einkassierten Bezugsgeldern
einzubehalten.
§ 6 Dem Agenten ist bekannt, daß er durch die in diesem Vertrag übernommenen Leistungen kein Angestellter oder
Arbeiter des Verlages gegen Gehalt oder Lohn ist, sondern wirtschaftlich und persönlich selbständig ist und damit
nicht der Lohnsteuer- und Sozialversicherungspflicht unterliegt und daß er Umsatzsteuer dann bezahlen muß, wenn
seine Provisionseinnahme jährlich DM 6.000,00 überschreiben oder er andere Umsätze zusätzlich tätigt.
§ 7 Dieser Vertrag kann von jeder Seite unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat jeweils zum Schluß
eines Kalendermonats gekündigt werden.
Aus wichtigem Grunde kann jederzeit fristlos gekündigt werden.
§ 8 Erfüllungsort und Gerichtsstand ist der Sitz des Verlages.
§ 9 Mündliche Abreden zu diesem Vertrage sind unwirksam. Jederzeit widerrufliche Vereinbarungen über die
technische Abwicklung des Agenturbetriebes, auf dem als Anlage beigefügtem Blatt.
F., den 31.3.1950 F. Verlagsanstalt GmbH. gez. (K. F.) gez. (Unterschrift) (Unterschrift d. Agenten) (rechtsgültige
Unterschrift) Anlage
Unstreitig wurde das Vertragsverhältnis nach dem 30. April 1957 nicht mehr fortgesetzt.
Das Sozialgericht lud die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, die
Landesversicherungsanstalt H. und Frau K. F. zum Verfahren bei und wies die Klage mit Urteil vom 12. Mai 1958 ab.
Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihr am 3. Juni 1958 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 1. Juli 1958 Berufung eingelegt. Sie trägt u.a.
vor, die Beigeladene F. habe nicht in einem persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zu ihr
gestanden. Sie sei in der Gestaltung ihrer Tätigkeit und der Bestimmung ihrer Arbeitszeit nicht an Weisungen
gebunden, ausschließlich auf Provision angewiesen und berechtigt gewesen, selbständig fremde Hilfskräfte
anzustellen. Da es ihr überlassen gewesen sei, ob und wie sie die Bezugsgelder kassierte und ob sie Stundungen
gewährte, habe sie auch ein Risiko zu tragen gehabt. Sie habe in ihrem Bezirk die Zeitung repräsentiert und alle
Funktionen erfüllt, die üblicherweise einer Stadtgeschäftsstelle oblägen. Auch sei sie berechtigt gewesen, für andere
Unternehmen gleichzeitig tätig zu sein. Die Klägerin hat noch eine Aufstellung der Beträge vorgelegt, die die
Beigeladene F. vom 1. Januar 1953 bis 31. April 1957 aus ihrer Tätigkeit für die Klägerin bezog. Diese Beträge
schwanken zwischen 74,20 und 88,– DM monatlich.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 12. Mai 1958, den Widerspruchsbescheid der
Beklagten vom 15. Dezember 1956 und den Bescheid vom 24. November 1955 aufzuheben.
Die Beklagte und die Landesversicherungsanstalt H. beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Sie sind der Auffassung, daß die Beigeladene F. in der Zeit vom 1. Januar 1953 bis 30. April 1957 in einem Verhältnis
persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit zur Klägerin gestanden habe. Die Beklagte hat noch vorgetragen, das
Finanzamt L. habe ihr mit Schreiben vom 22. September 1958 folgendes mitgeteilt: "Die als Putzfrau beschäftigte K.
F., A., R.weg , hat für die Zeit vom 30. Mai 1954 bis 28. Dezember 1957 einen Gesamtbruttolohn von 5.690,25 DM
erhalten. Frau F. ist bei der Staatlichen Betriebskrankenkasse pflichtversichert und hat nach der Beitragsklasse B 2
(Kranken- und Invalidenversicherung) Arbeitnehmerbeiträge mit 498,33 DM entrichtet. Sie arbeitet wöchentlich 18
Stunden.”
Die vom Sozialgericht beigeladene Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung hat beantragt,
sie aus der Beiladung zu entlassen, da es sich bei der Tätigkeit der Beigeladenen F. um eine geringfügige und daher
arbeitslosenversicherungsfreie Beschäftigung gehandelt habe.
Die Beigeladene F. ist in der mündlichen Verhandlung am 11. März 1959 persönlich gehört worden. Auf ihre in die
Sitzungsniederschrift aufgenommenen Angaben wird Bezug genommen. Sie hat keinen Antrag gestellt.
Auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie die Verfahrensakten, die um Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gemacht wurden, wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist nach § 143 SGG zulässig. Einer der in §§ 144 ff. SGG genannten Berufungsausschließungsgründe
liegt nicht vor.
Die Berufung ist jedoch nur insoweit begründet, als die Klägerin nicht verpflichtet ist, in Bezug auf die Beigeladene F.
Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu entrichten. Dagegen unterlag die Beigeladene F. in der Zeit vom 1. Januar
1953 bis 30. April 1957 der Versicherungspflicht zur Kranken- und Invalidenversicherung, da sie in dieser Zeit in
einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zur Klägerin stand.
Die Reichsversicherungsordnung enthält zwar keine Bestimmung darüber, was unter einem versicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnis im Sinne der §§ 165, 1226 RVO a.F. zu verstehen ist. Nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts und des früheren Reichsversicherungsamtes, der sich der erkennende Senat in ständiger
Rechtsprechung angeschlossen hat, ist hierfür das Vorliegen eines Verhältnisses wirtschaftlicher und persönlicher
Abhängigkeit Voraussetzung (vergl. Urteil des BSG vom 25.2.1958, 3 RK 73/55; Reichsversicherungsamt in:
"Entscheidungen und Mitteilungen” Bund 15, Seite 28; Anleitung des Reichsversicherungsamtes über den Kreis der
nach der Reichsversicherungsordnung gegen Invalidität und Krankheit versicherten Personen, Amtliche Nachrichten
1912, Seite 721 ff., abgekürzt: "Anleitung”).
Ob die Beigeladene F. in einem solchen Abhängigkeitsverhältnis zur Klägerin stand, hängt davon ab, ob sie, wie diese
meint, Ortsagentin und damit selbständig tätig war oder nur als Zeitungsausträgerin Botendienste leistete, wobei es
auf die Gesamtstellung ankommt, die sich aus der Gesamtheit aller hierfür in Betracht kommenden Umstände ergibt
(vgl. hierzu Entscheidung des Reichsversicherungsamtes Nr. 3394 Amtl. Nachr. 1929, IV S. 165; Urteil des
Bayrischen LSG vom 16.1.1957, Breithaupt 1957, Seite 585 ff.; Urteil des Bundesfinanzhofes vom 12. Januar 1956,
Bundessteuerblatt 1956 Teil IXI, Nr. 9/10, Seite 119 ff.; Hasse, "Zentralblatt für Sozialversicherung und Versorgung”
1958, Seite 253 ff.).
Die Klägerin beruft sich in erster Linie auf den mit der Beigeladenen F. am 31. März 1950 abgeschlossenen "Agentur-
Vertrag”. Daß die Beigeladene F. diesen Vertrag tatsächlich bei Beginn ihrer Tätigkeit für die Klägerin und nicht, wie
die beigeladen gewesene Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung zunächst vorgetragen
hatte, erst im Frühjahr 1953 unterschrieben hat, ergibt sich aus den glaubhaften Erklärungen der Klägerin und der
Beigeladenen F ... Vertragliche Vereinbarungen und die rechtliche Erscheinungsform einer Arbeit allein sind jedoch
nicht geeignet, die Sozialversicherungspflicht zu beeinflussen. Es ist deshalb sozialversicherungsrechtlich
unerheblich, daß es in § 1 des "Agentur-Vertrages” heißt, der "Agent” werde unter Wahrung seiner wirtschaftlichen und
persönlichen Selbständigkeit und ohne als Arbeitnehmer bei der Firma eingestellt zu sein, als selbständiger Agent im
Sinne der §§ 84 ff. HGB tätig, und in § 6 a.a.O., dem "Agenten” sei es bekannt, daß er durch die in diesem Vertrag
übernommenen Leistungen kein Angestellter oder Arbeiter des Verlages gegen Gehalt oder Lohn, sondern
wirtschaftlich und persönlich selbständig sei und damit nicht der Lohnsteuer- und Sozialversicherungspflicht
unterliege. Maßgebend sind vielmehr allein die tatsächlichen Verhältnisse (vgl. Entscheidung des
Reichsversicherungsamtes Nr. 1581, Amtliche Nachrichten 1911, Seite 545). Zwischen diesen und dem schriftlichen
"Agentur-Vertrag” bestanden aber erhebliche Unterschiede.
Zunächst ist der Bezirk, in dem die Beigeladene F. als "selbständige Agentin im Sinne der §§ 84 ff. HGB” für die
Klägerin tätig werden sollte, in dem vorgedruckten "Agentur-Vertrag” nicht genannt worden. Die einzige
handschriftliche Ergänzung des einen Typenvertrag für Ortsagenten darstellenden Formulares besteht darin, daß als
Vertragschließende "K. F., W., A., Krs. L.” eingesetzt wurde. Es ist dem Vertrag also nicht zu entnehmen, ob die
Beigeladene F. für die Klägerin in A. oder einem anderen Ort bzw. in A. und zugleich in Nachbarort tätig werden sollte.
Da der Aufgabenkreis der Beigeladenen F. nach § 2 Nr. 6 des Vertrages auch die Werbung neuer Abonnenten u.a. für
die "F. Volkszeitung”, "H. Volkszeitung” und "O. Volkszeitung” umfaßte, könnte man annehmen, daß die Beigeladene
F. im gesamten Vertriebsbereich aller Druckerzeugnisse der Klägerin als Agentin tätig sein sollte. Tatsächlich war sie
jedoch, wie unstreitig ist, nur in dem 2200 Einwohner zählenden Dorf A. für die Klägerin tätig, in dem von den
genannten Zeitungen nur die "F. Volkszeitung” gelesen wurde.
Wie die Beigeladene F. in der mündlichen Verhandlung am 11. März 1959 von der Klägerin unwidersprochen erklärt
hat, oblag ihr ferner nicht die in § 2 Nr. 3 des Vertrages genannte "Vermittlung von Anzeigen- und
Geschäftsabschlüssen”.
Auch die in § 2 Nr. 6 des Vertrages angeführte "Werbung neuer Abonnenten” für die dort genannten Zeitungen und
Druckwerke wurde von der Beigeladenen F., von unbedeutenden Ausnahmen abgesehen, nicht ausgeübt. Zunächst
entfiel eine Werbung für die H. und O. Volkszeitung, weil in A., wie bereits ausgeführt, nur die für diesen Ort in
Betracht kommende F. Volkszeitung gelesen wurde. Nach dem glaubhaften Erklärungen der Beigeladenen F. hat sie
auch für diese keine Abonnenten geworben. Sie verteilte nur gelegentlich von der Klägerin mitgelieferte
Zeitungsexemplare an Nichtabonnenten und gab deren Namen der Klägerin an, die dann einen Werber schickte, der
die mit Freiexemplaren Belieferten besuchte. Wie die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 13. Oktober 1958 erklärt hat,
beliefen sich die der Beigeladenen F. gezahlten Werbeprämien im Jahre 1953 auf DM 5,–, 1954 DM 4,– und 1955 auf
DM 2,–. Auf welche Tätigkeit der Beigeladenen F. diese Prämien entfielen, ist nach den Erklärungen der Klägerin und
nach Befragen der Beigeladenen F. nicht mehr feststellbar. Auch für die in § 2 Nr. 6 des Vertrages genannten "vom
Verlag herausgegebenen anderen Druckwerke und vertriebenen fremden Druckwerke wie Illustrierte Zeitschriften,
Kalender, etc.” hat die Beigeladene F. nicht geworben, wie sie glaubhaft erklärte. Lediglich in einem Jahr habe sie 10
von der Klägerin herausgegebene Fahrpläne verkauft und dafür eine kleine Prämie erhalten. Nach ihren Angaben ist
ihr auch niemals ein Verzeichnis der von der Klägerin neben der F. Volkszeitung vertriebenen Druckwerke
ausgehändigt worden.
Der Aufgabenkreis der Beigeladenen F. umfaßte somit tatsächlich fast ausschließlich die Verteilung der Zeitungen an
die Abonnenten und das Kassieren der Bezugsgelder. Der schriftliche "Agentur-Vertrag” steht somit im Widerspruch
zu den tatsächlichen Verhältnissen. Er ist offensichtlich ohne Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse des
Einzelfalles entworfen worden. Wie die Beigeladene F. in der mündlichen Verhandlung am 11. März 1959 angab, hat
sie ihn auch nie gelesen. Nach dem Eindruck, den der Senat von ihr hatte, war sie auch gar nicht fähig, den Sinn und
Inhalt dieses Vertrages zu verstehen, durch den sie nach dem Willen der Klägerin zu einer selbständiger
Gewerbetreibenden gemacht werden sollte. In Wirklichkeit war sie persönlich und wirtschaftlich von der Klägerin
abhängig.
Wie schon das Reichsversicherungsamt in Nr. 67 der "Anleitung” ausgeführt hat, leisten die mit der Ablieferung von
Zeitungen an Abonnenten und mit der Einziehung von Gebühren beschäftigten Zeitungsträgerinnen im Gegensatz zu
den sogenannten Zeitungs-Kolporteuren, die sich der Kundenkreis selbst suchen, keiner Aufsicht in irgendeiner Form
unterliegen und zumeist für mehrere Verlage arbeiten, nur Botendienste und sind daher grundsätzlich
sozialversicherungspflichtig. Im vorliegenden Fall lag der Abonnentenkreis bereits fest, als die Beigeladene F. ihre
Tätigkeit für die Klägerin begann und veränderte sich im wesentlichen nur durch die auf dem Lande hauptsächlich
jahreszeitlich bedingten Zu- und Abgänge. Eine eigene Werbung nahm sie nicht vor, diese wurde vielmehr von der
Klägerin selbst betrieben, wie bereits ausgeführt ist. Die Aufgabe der Beigeladene F. bestand im wesentlichen darin,
die von der Klägerin mit der Bundesbahn angelieferten Zeitungen, die um 7.30 Uhr in A. ankamen, in Empfang zu
nehmen und an die Abonnenten zu verteilen. Weiterhin hatte sie zu Beginn eines jeden Monate die Bezugsgelder zu
kassieren und sie nach Abzug des ihr zustehenden Trägerlohnes an die Klägerin abzuführen. Dabei gab sie von der
Klägerin gedruckte und mit deren Firma versehene Quittungen aus, die sie unterschrieb. Diese Arbeiten gehören zu
den notwendigen Geschäften der Klägerin, die sie auch dadurch verrichten könnte, daß sie selbst die Belieferung der
Abonnenten durch eigene Angestellte und Arbeiter vornimmt. Dadurch, daß sie sich aus Gründen der Zweckmäßigkeit
und Wirtschaftlichkeit in dem Ort A. der Beigeladenen F. bediente, wird der Charakter dieser Tätigkeit als zu den
notwendigen Geschäften ihres Betriebes gehörend nicht beeinflußt. Durch die Ausübung dieser Verrichtungen ordnete
sich die Beigeladene F. in den Betrieb der Klägerin ein und begab sich insoweit ihrer Bewegungsfreiheit und wurde
dadurch zur unselbständigen Arbeiterin (vergl. Anleitung Nr. 16). Nicht erforderlich ist es für das Vorliegen eines
versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses, daß eine völlige Gleichstellung mit den übrigen
Betriebsangehörigen in Bezug auf Entlohnung, Urlaubsgewährung, Beteiligung an Betriebsveranstaltungen usw.
besteht. Unwesentlich ist auch, daß der Beigeladenen F. keine feste, stundenweise Tätigkeitszeit vorgeschrieben
war. Zwar wird das Vorliegen einer solchen Arbeitszeit in der Regeln auf ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis
hinweisen. Umgekehrt kann aus ihrem Fehlen allein noch nicht auf eine selbständige Gewerbeausübung geschlossen
werden. Die Beigeladene F. mußte ihre Arbeitszeit an die von der Klägerin vorgenommene Zusendung der Zeitungen
anpassen. Nach § 4 Nr. 3 des "Agentur-Vertrages” hatte sie "für eine pünktliche Verteilung der Zeitungen Sorge zu
tragen” und konnte somit nicht wie ein freier Gewerbetreibender die Zeit ihrer Tätigkeit selbst bestimmen. Die Dauer
ihrer Beschäftigung richtete sich nach der Anzahl der gelieferten Zeitungen und konnte daher ebenfalls von ihr nicht
frei gestaltet werden.
Sie verzichtete im wesentlichen auch nur körperliche, Kraft erfordernde Handarbeiten, die regelmäßig in der Form
abhängiger Lohntätigkeit erscheinen und von jedem beaufsichtigt werden können (vgl. Anleitung Nr. 16 e). Eine direkte
Beaufsichtigung erübrigte sich angesichts der Einfachheit der Arbeit und der Erfahrung der Beigeladenen F ... Auch
hatte die Klägerin stets eine indirekte Kontrolle dadurch, daß ihr die Bezugsgelder zugesandt werden mußten und
Reklamationen erfolgten konnten.
Gegen das Vorliegen einer selbständigen Gewerbetätigkeit sprechen alle in diesem Zusammenhang zu
berücksichtigenden Gesichtspunkte. Zunächst hatte die Beigeladene F. keine eigenen Betriebsmittel und keinen
Gewerberaum. An ihrem Haus befand sich noch nicht einmal ein auf eine "Agentur” hinweisendes Schild. Sie hatte
auch kein Gewerbe angemeldet. Ferner konnte sie sich ihre Geschäftspartner nicht selbst aussuchen. Die während
ihrer Tätigkeit von eigens damit beauftragten Bediensteten der Klägerin geworbenen Abonnenten mußte sie beliefern,
ohne daß sie nach dem Vertrag das Recht hatte, die Belieferung abzulehnen. Sie hatte auch nicht, wie ein
selbständiger Gewerbetreibender, ein Geschäftsrisiko zu tragen (vergl. hierzu Entscheidung des
Reichsversicherungsamtes Nr. 4937, Amtliche Nachrichten 1936, Seite IV 113). Als solches ist zunächst noch nicht
die mit dem Verlust der kassierten Bezugsgelder verbundene Gefahr anzusehen, die in § 4 Nr. 4 des "Agentur-
Vertrages” als Inkassorisiko bezeichnet worden ist. Solche Vereinbarungen werden häufig in Arbeitsverträgen
getroffen, wenn dem Dienstverpflichteten eine gewisse Selbständigkeit zukommt, z.B. bei Kassierern Gelderhebern.
Die Klägerin mein nun, die Beigeladene F. habe deshalb ein Geschäftsrisiko zu tragen gehabt, weil sie berechtigt
gewesen sei, Bezugsgelder auf eigene Verantwortung zu stunden. Wie die Beigeladene F. hierzu erklärt hat, konnte
sie die Bezugsgelder regelmäßig pünktlich kassieren. Nur in Einzelfällen sei es vorgekommen, daß sie das
Bezugsgeld für kurze Zeit vorgelegt habe. Ein Verlust sei ihr hierbei nie entstanden. Abgesehen davon, daß
Stundungen nur selten vorkamen und nur kleine Beträge von Personen geschuldet wurden, deren Zahlungsfähigkeit
die Beigeladene F. in der Regel kannte und sie die Möglichkeit hatte, bei zahlungsschwachen Abonnenten, die mit der
nicht rechtzeitigen Zahlung des Bezugsgeldes verbundene Gefahr dadurch abzuwenden, daß sie die Lieferung der
Zeitung einstellte, so daß ein echtes Risiko schon deshalb tatsächlich für sie niemals bestand, hat auch jeder mit
dem Einzug von Geldern beauftragte Arbeiter oder Angestellte die Möglichkeit, Beträge vorzulegen, wenn er dies aus
besonderen Gründen für zweckmäßig hält und kein entsprechendes Verbot des Arbeitgebers dem entgegen steht. Die
Beigeladene F. war auch von Anfang an wirtschaftlich gar nicht in der Lage, ein echtes Geschäftsrisiko zu tragen.
Daß ihr Verdienst Schwankungen unterworfen war, deutete ebenfalls nicht auf einen Gewerbebetrieb hin. In
Wirklichkeit handelte es sich nämlich um ein wechselndes Arbeitseinkommen, wie es bei jedem reinen Leistungslohn
im Gegensatz zum Zeitlohn vorkommt. Die Art der Entlohnung selbst spricht weder für noch gegen das Vorliegen
eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Nach § 160 RVO kommt es nicht darauf an, worin die
Leistung besteht, sofern sie nur Vermögenswert besitzt. So sind nach allgemeiner Auffassung auch Provisionen als
Entgelt im Sinne dieser Bestimmungen anzusehen (vgl. Reichsversicherungsamt im Amtliche Nachrichten 1929,
Seite 164).
Schließlich ist der Umstand, daß die Beigeladene F. die Zeitungen nicht allein austrug, sondern sich von einer
anderen Person helfen ließ, die von den 160–180 Zeitungen etwa 30 verteilte, nicht geeignet, ihre Versicherungspflicht
auszuschließen. Das für die Sozialversicherungspflicht erforderliche persönliche Abhängigkeitsverhältnis wird nicht
dadurch beeinflußt, daß der zur Leistung von Diensten Verpflichtete zu seiner Unterstützung Hilfskräfte heranzieht,
auch wenn er sie entlohnt. Mit dem Begriff des Entgeltes im Sinne von § 165 Abs. 2 RVO ist es vereinbar, daß die
Vergütung nicht nur für die Tätigkeit des Empfängers gewährt wird, sondern auch die Mittel zur Besoldung der von ihm
beigezogenen Hilfskräfte wie auch nur Bestreitung anderer Ausgeben enthält, so daß also die Höhe des dem
Empfänger Verbleibenden in gewissem Grad von seiner eigenen Entschließung und geschäftlichen Tüchtigkeit
abhängt (vgl. Anleitung Nr. 18). Das frühere Reichsversicherungsamt hat wiederholt versicherungspflichtige
Beschäftigungsverhältnisse angenommen, wenn von der mit einer Arbeit betrauten Person Hilfskräfte herangezogen
wurden (vergl. z.B. Entscheidung Nr. 1286, Amtliche Nachrichten 1906, Seite 641). Die Beigeladene F. hat Hilfskräfte
beschäftigt und war hierzu gemäß § 5 Nr. 2 des "Agentur-Vertrages” berechtigt. In größeren Orten wie A. mußte die
Klägerin auch damit rechnen, daß tatsächlich Hilfskräfte beschäftigt wurden, da die Zeitungen sonst nicht rechtzeitig
ausgetragen werden konnten, wozu aber nach § 4 Nr. 3 des Vertrages eine Verpflichtung bestand. Zwischen den
Hilfskräften und der Klägerin bestand damit ein mittelbares Arbeitsverhältnis (vgl. Entscheidung des
Reichsversicherungsamtes Nr. 1286 a.a.O.).
Es kann hier dahingestellt bleiben, ob zwischen der Klägerin und der Beigeladenen F. ein Dienst- oder
Werkvertragsverhältnis bestand. Ob eine Beschäftigung gegen Entgelt vorliegt, richtet sich weniger nach der
rechtlichen Erscheinungsform als nach dem wirklichen Tatbestand und dem wirtschaftlichen Inhalt der Tätigkeit.
Dabei kann auch, im vorliegenden Fall, die Lebensstellung der betreffenden Personen von Bedeutung sein (vgl.
Entscheidung des Reichsversicherungsamtes Nr. 1161, Amtliche Nachrichten 1904, Seite 524). Die Beigeladene F.
war bisher niemals als selbständige Unternehmerin tätig und hat sich auch nicht als solche gefühlt, wie sie glaubhaft
erklärt hat. Vor 1950 war sie bei verschiedenen Firmen und bei einem Forstamt als Arbeiterin tätig. Seit dem 30. Mai
1954 ist sie als Putzfrau beim Finanzamt beschäftigt.
Aus alledem ergibt sich, daß die Beigeladene F. in einem persönlichen und auf Grund der Entgeltszahlung, die für sie
von erheblichem wirtschaftlichem Wert war, auch in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zur Klägerin
stand. Wie sie in der mündlichen Verhandlung am 11. März 1959 glaubhaft erklärt hat, bildete die ihr von der Klägerin
gewährte Provision bis zur Aufnahme ihrer Arbeit als Putzfrau beim Finanzamt L. ihre Haupteinnahme und stellte auch
später einen wesentlichen Teil ihrer Einnahmen dar, da sie als Putzfrau zunächst einen Stundenlohn von 80 bis 90
Pfennigen bei 18 Wochenstunden erhielt.
Es bestand auch keine Versicherungsfreiheit nach § 168 RVO in der Fassung der Verordnung vom 17. März 1945
(BGBl. I Seite 41). In der Zeit vom 1. Januar 1953 bis zum 29. Mai 1954 war die Beigeladene F. nur für die Klägerin
tätig. In dieser Zeit schwankte ihr Verdienst zwischen DM 84,15 und 75,60 DM. Welche Beträge sie an ihre Hilfskräfte
zahlte, ist nicht mehr festzustellen, nach Angabe der Beigeladenen F. waren es etwa 15,– DM mtl. Da der in manchen
Monaten geringere Verdienst durch den hauptsächlich jahreszeitlich bedingten Rückgang der Abonnentenzahlen
bedingt war, ist anzunehmen, daß entsprechend auch die an die Hilfskräfte gezahlten Beträge zurückgingen. Es ist
somit nicht erwiesen, daß der Verdienst der Beigeladenen F. stets oder teilweise unter der in § 168 Abs. 2 RVO
festgesetzten Grenze von DM 15,– wöchentlich bzw. 65,– DM mtl. lag. Ab 30. April 1954 war sie dann außerdem
noch beim Finanzamt L. als Putzfrau tätig, so daß ihr gesamter Verdienst die genannte Einkommensgrenze
wesentlich überschritt. Auch die übrigen Versicherungsfreiheit bewirkenden Voraussetzungen des § 168 RVO lagen im
Hinblick auf die laufend und regelmäßig ausgeführten Dienstleistungen für die Klägerin an je 3 Stunden täglich und für
das Finanzamt L. am 18 Stunden wöchentlich sowie die Höhe des vom Finanzamt L. gezahlten Arbeitsentgeltes, das
von ca. DM 70,– im Laufe der Zeit auf DM 130,– anstieg, nicht vor.
Die Zugehörigkeit der Beigeladenen F. zur Beklagten ergibt sich aus § 309 RVO. Zwar wurde sie nach der Auskunft
des Finanzamtes L. vom 22.9.1958 ab 30. Mai 1954 als Putzfrau bei der staatlichen Betriebskrankenkasse
pflichtversichert. Da sie aber zuerst ein Arbeitsverhältnis mit der Klägerin begründete, in dem sie außer der normalen
Arbeitszeit von 18 Stunden wöchentlich noch etwa 12 Stunden monatlich mit dem Kassieren der Bezugsgelder tätig
war und sie bei Finanzamt L. zunächst nur etwa DM 70,– brutto mtl. verdiente, überwog die Beschäftigung bei der
Klägerin. Die Beklagte hat daher in dem angefochtenen Bescheid vom 24. November 1955 zu Recht die
Versicherungspflicht der Beigeladenen F. zur Kranken- und Invalidenversicherung ab 1. Januar 1953 geltend gemacht.
Der Anspruch auf die Rückstände vor diesem Zeitpunkt ist gemäß § 29 Abs. 1 RVO verjährt.
Dagegen war der angefochtene Bescheid insoweit abzuändern, als die Beklagte auch Beiträge zur
Arbeitslosenversicherung geltend gemacht hat. Wie die beigeladene Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und
Arbeitslosenversicherung zutreffend ausgeführt hat, handelte es sich nämlich um eine geringfügige Tätigkeit im Sinne
des § 75 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung a.F., da sie sich auf nicht mehr als 24
Stunden wöchentlich erstreckte. Die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung war daher auf
ihren Antrag aus der Beiladung zu entlassen. Auch das angefochtene Urteil war insoweit abzuändern, daß die Klage
zu Unrecht in vollem Umfang abgewiesen worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.