Urteil des LSG Hamburg vom 27.09.2006

LSG Ham: unterhalt, tod, wesentliche veränderung, vergleich, auflage, sittenwidrigkeit, ausbildung, scheidung, gespräch, verzicht

Landessozialgericht Hamburg
Urteil vom 27.09.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 42 RA 659/04
Landessozialgericht Hamburg L 1 R 60/06 KN
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 24. Februar 2006 aufgehoben. Die
Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente nach dem am XX.XXXXXXXX 1992 verstorbenen G. F. (im
Folgenden: Versicherter).
Die 1966 zwischen der Klägerin und dem Versicherten geschlossene Ehe, aus der zwei Kinder hervorgegangen sind,
der 1966 geborene M. F. sowie die 1969 geborene K. F., wurde durch Urteil des Landgerichts Hamburg vom 23.
September 1970 aus dem Verschulden des Versicherten geschieden. In dem am selben Tag geschlossenen
gerichtlichen Vergleich verpflichtete sich der Versicherte für den Fall der rechtskräftigen Scheidung der Ehe aus
seinem alleinigen Verschulden, zu Händen der Klägerin beiden Kindern einen monatlichen Unterhalt in Höhe von je
150 DM zu zahlen. Die Klägerin erhielt eine Unterhaltsabfindung in Höhe von 42.000 DM, zahlbar in 60 Monatsraten à
700 DM, die unabhängig davon gezahlt werden sollte, ob und wieviel Eigenverdienst die Klägerin habe. Der
Versicherte verpflichtete sich weiter, einen Zugewinnausgleich in Höhe von 25.000 DM an die Klägerin zu zahlen und
die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Vergleichs zu tragen. Die Klägerin und der Versicherte
bekundeten dahingehend Einigkeit, dass weitergehende vermögensrechtliche Ansprüche gegeneinander nicht mehr
bestehen. Außerdem wurden in dem Vergleich Regelungen zum Sorge- und Umgangsrecht getroffen. Weder die
Klägerin noch der Versicherte heirateten wieder.
Im Januar 2002, gut neun Jahre nach dem Tod des Versicherten, der die gemeinsame Tochter K. F. als Alleinerbin
eingesetzt und zuletzt Altersruhegeld von der Seekasse, deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, (im Folgenden:
Beklagte) bezogen hatte, beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Geschiedenenwitwenrente nach § 243
Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Sie gab an, der Versicherte habe durchgehend seit der Scheidung
Unterhalt gezahlt, zuletzt vor seinem Tod monatlich 400 DM. Die Klägerin legte Kontoauszüge vor, aus denen sich
ergibt, dass der Versicherte jedenfalls von Ende Januar 1988 bis Ende August 1991 monatlich 800 DM und jedenfalls
von Ende Oktober 1991 bis Ende September 1992 monatlich 400 DM per Dauerauftrag an sie überwiesen hatte.
Kontounterlagen für die Zeit vor 1988 existieren nicht mehr.
Mit Bescheid vom 26. Januar 2004 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, dass nicht abschließend
habe geklärt werden können, ob es sich bei den zuletzt laufenden Zahlungen an die Klägerin um für deren Unterhalt
bestimmte Zahlungen gehandelt habe. Dies sei nach dem abgegebenen Unterhaltsverzicht unwahrscheinlich.
Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch und gab an, dass der Versicherte aus schlechtem Gewissen heraus von
sich aus angeboten habe, weiterhin Unterhalt zu zahlen, zunächst, damit sie vorerst nur halbe Tage arbeiten müsse,
solange die Kinder noch klein seien, später, damit sie eine vernünftige Wohnung mieten und Urlaubsreisen machen
könne. Schließlich habe er die Zahlungen fortgesetzt, damit sie den Kindern ein Studium ermöglichen könne. Der
Versicherte habe sein Gewissen erleichtern wollen, weil er ihr die gesamte Verantwortung überlassen habe. Er habe
sie verlassen, als sie mit der gemeinsamen Tochter im siebten Monat schwanger gewesen sei, und habe nie den
Kontakt zu den gemeinsamen Kindern aufgenommen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 2004 zurück. Es sei weder das Vorliegen
von tatsächlichen Unterhaltszahlungen im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten nachgewiesen noch habe im
letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod des Versicherten ein Unterhaltsanspruch bestanden, so dass die
Voraussetzungen des § 243 Abs. 2 SGB VI nicht vorlägen. Es wirke sich nach dem Grundsatz der objektiven
Beweislast zu Lasten der Klägerin aus, dass nicht nachgewiesen sei, dass durch die belegten Zahlungen nicht
Unterhaltsleistungen für die Kinder, sondern Unterhalt für die Klägerin erbracht werden sollte. Wegen des
umfassenden Unterhaltsverzichts habe auch kein Unterhaltsanspruch bestanden. Ein Anspruch nach § 243 Abs. 3
SGB VI scheide aus, weil diese Regelung nur für Fälle gelte, in denen der Unterhaltsanspruch nur deshalb nicht
bestehe, weil die Unterhaltsberechtigte nicht unterhaltsbedürftig oder der Unterhaltspflichtige nicht unterhaltsfähig sei,
nicht jedoch für Fälle wie den vorliegenden, in denen ein Unterhaltsanspruch aus anderen Gründen, hier wegen der
Unterhaltsabfindung, nicht bestehe. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Unterhaltsverzicht in
der Annahme abgegeben worden sei, Unterhaltsansprüche seien ohnehin auch zukünftig nicht zu realisieren ("leere
Hülse").
Hiergegen hat die Klägerin am 26. Juli 2004 Klage erhoben und weiter behauptet, dass es sich bei den zuletzt vom
Versicherten an sie gezahlten 400 DM monatlich um Unterhalt für sie gehandelt habe. Die Annahme der Beklagten,
der handschriftliche Vermerk auf dem Kontoauszug des Versicherten vom 14. Februar 1990 ("Kd.Unterhalt") stamme
vom Versicherten und sei damit ein Beleg für die Zweckbestimmung der zuletzt geleisteten Zahlungen als
Kindesunterhalt, sei falsch. Wahrscheinlicher sei, dass dieser Vermerk zum Beispiel von einem Mitarbeiter der
Beklagten angefertigt worden sei. Außerdem habe ein Unterhaltsanspruch bestanden. Nach der neueren
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) sei der 1970 ausgesprochene Unterhaltsverzicht wegen
Sittenwidrigkeit unwirksam. Hilfsweise hat die Klägerin ausgeführt, dass dem Unterhaltsverzicht im
Ehescheidungsfolgenvergleich zumindest im Wege der Ausübungskontrolle im Sinne der Rechtsprechung des BGH
keine Wirksamkeit zukomme.
Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 14. Februar 2006, der Beklagten zugestellt am 15. März 2006,
stattgegeben, nachdem es K. und M. F. als Zeugen gehört hatte. Der Anspruch ergebe sich aus § 243 Abs. 2 SGB
VI. Nach Überzeugung des Sozialgerichts habe die Klägerin im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten für sie
bestimmten Unterhalt erhalten. Dass die per Dauerauftrag gezahlten 400 DM monatlich für die Klägerin gedacht
gewesen seien, ergebe sich daraus, dass es sich weder um Kindesunterhalt für K. noch für M. gehandelt habe, so
dass nur diese Möglichkeit bleibe, wobei die Zahlung trotz ausgesprochenen Unterhaltsverzichts wegen des
schlechten Gewissens des Versicherten plausibel sei. Die Überzeugung, dass es sich bei den 400 DM weder um
Kindesunterhalt für K. noch für M. F. gehandelt habe, gründet das Sozialgericht darauf, dass im Oktober 1991 im
zeitlichen Zusammenhang mit der Beendigung der Ausbildung der K. F. die Zahlungen von 800 DM auf 400 DM
halbiert worden seien, was dafür spreche, dass die Unterhaltszahlungen für die gemeinsame Tochter eingestellt
werden sollten. Eine gewisse Verzögerung nach Beendigung der Ausbildung im Juni 1991 sei dadurch erklärbar, dass
der Versicherte zur See gefahren sei und erst eine gewisse Zeit später vom erfolgreichen Ausbildungsabschluss
seiner Tochter erfahren und die Umstellung des Dauerauftrags eine weitere Zeit beansprucht haben dürfte. Dass es
sich um Zahlungen von Kindesunterhalt für den noch studierenden M. F. gehandelt habe, sei deshalb
unwahrscheinlich, weil der Versicherte sich über den gemeinsamen Sohn dermaßen geärgert habe, dass er
angekündigt habe, ihn wegen schlechter schulischer Leistungen nicht mehr unterstützen zu wollen. Dabei sei
unerheblich, ob dies - wie schriftlich behauptet - 1977 im zeitlichen Zusammenhang mit der Nichtversetzung auf das
Gymnasium geschehen sei oder - wie von M. F. in der mündlichen Verhandlung angegeben - im zeitlichen
Zusammenhang mit der Wiederholung der 12. Klasse des Wirtschaftsgymnasiums oder auch zu beiden Zeitpunkten.
Dass der Versicherte jedenfalls ab 1985 keinen Unterhalt mehr für M. F. gezahlt habe, erschließe sich daraus, dass er
jenen nicht als Erben bedacht habe.
Mit ihrer am 30. März 2006 eingelegten Berufung trägt die Beklagte vor, dass eine nacheheliche Unterhaltszahlung
des Versicherten an die Klägerin nicht bewiesen sei. Sie hält den handschriftlichen Vermerk auf dem Kontoauszug
vom 14. Februar 1990 nach wie vor für eine Dokumentation des Versicherten selbst. Sie mache derartige Vermerke
grundsätzlich nur auf Kopien. Die Tatsache, dass die Unterhaltszahlungen des Versicherten zu Händen der Klägerin
im zeitlichen Zusammenhang mit dem Abschluss der Ausbildung der Tochter K. F. halbiert worden seien, spreche
dafür, dass es sich um Kindesunterhalt gehandelt habe. Es sei weiter nicht nachvollziehbar, wenn, wie von der
Klägerin vorgetragen, einerseits der Versicherte durch Einschaltung eines Rechtsanwalts habe gezwungen werden
müssen, den Kindesunterhalt von den im Vergleich vereinbarten 150 DM pro Kind auf 175 DM im Alter von etwa 10
Jahren anzuheben, andererseits freiwillig Ehegattenunterhalt gezahlt worden sein soll. Wenn der Versicherte
entsprechend den Angaben der Klägerin nie mehr als 800 DM monatlichen Unterhalt gezahlt haben sollte, sei eine
Unterhaltskürzung nach dem behaupteten Streit mit M. F. in der 12. Klasse nicht nachzuvollziehen. Auch habe zuletzt
vor dem Tod des Versicherten ein Unterhaltsanspruch nicht bestanden. Der unbedingte und vollständige
Unterhaltsverzicht im Vergleich während des Scheidungsverfahrens sei wirksam. Sittenwidrigkeit im Sinne einer
gravierenden Benachteiligung der Klägerin liege nicht vor. Selbst wenn man eine unzumutbare Erwerbstätigkeit der
Klägerin zu der Zeit unterstelle, als die Kinder noch minderjährig gewesen seien, wäre hierdurch lediglich eine
"Beschränkung der Verzichtserklärung nach Dauer und Höhe eingetreten". Das Vorbringen der Klägerin, dass sie den
Zahlungsbetrag im Wesentlichen für sich selbst verbraucht habe, sei nicht entscheidungserheblich. Es komme nicht
darauf an, wer die Leistungen verbraucht habe, sondern für wen sie bestimmt gewesen seien.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 24. Februar 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt weiter hilfsweise aus, dass jedenfalls bis zuletzt ein
Unterhaltsanspruch bestanden habe, weil dem Unterhaltsverzicht im Ehescheidungsfolgenvergleich zumindest im
Wege der Ausübungskontrolle keine Wirksamkeit zukomme. Die Unwirksamkeit ergebe sich daraus, dass die Klägerin
die Kinder selbst habe durchbringen müssen, ohne für diese Tätigkeit eine Vergütung zu erhalten. Dadurch sei der
Kernbereich des Unterhaltsrechts betroffen. Die Klägerin weist darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des BGH
erst ab dem Alter der Kinder von 8 Jahren eine Teilerwerbstätigkeitsverpflichtung bestanden hätte und erst ab 15
Jahren eine Vollerwerbstätigkeitsverpflichtung. Dass sie nach der Scheidung etwa 1975 eine Halbtagstätigkeit und
anschließend ab 1976 eine Vollzeittätigkeit ausgeübt habe, sei überobligatorisch und damit unterhaltsrechtlich
unbeachtlich.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der
Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG)
eingelegte Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die angefochtenen
Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen
Anspruch auf Gewährung einer Geschiedenenwitwenrente. Die Voraussetzungen des § 243 SGB VI liegen nicht vor.
Es kann weder festgestellt werden, dass die Klägerin im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten von diesem
nachehelichen Unterhalt erhielt (siehe dazu unter 1.) noch hatte sie im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor
dessen Tod einen Anspruch hierauf (siehe dazu unter 2.) (§ 243 Absätze 1 und 2, jeweils Nr. 3 SGB VI). Ein
Anspruch nach § 243 Abs. 3 SGB VI scheitert daran, dass die Klägerin tatsächlich einen Unterhaltsanspruch hatte,
der in dem Scheidungsfolgenvergleich auch abgefunden wurde (§ 243 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI). 1. Es kann entgegen der
Auffassung des Sozialgerichts nicht mit der erforderlichen Gewissheit festgestellt werden, dass die bis zum Tode des
Versicherten per Dauerauftrag gezahlten monatlichen 400 DM nacheheliche Unterhaltszahlungen des Versicherten an
die Klägerin waren.
Der Senat stimmt mit dem Sozialgericht und den Beteiligten darin überein, dass die Halbierung der
Unterhaltszahlungen von 800 auf 400 DM im zeitlichen Zusammenhang mit der Beendigung der Ausbildung der K. F.
dafür spricht, dass zu diesem Zeitpunkt die Unterhaltszahlungen an Letztere eingestellt wurden. Hingegen spricht
nach Auffassung des Senats einiges dafür, dass die weiter geleisteten 400 DM Zahlungen von Kindesunterhalt für M.
F. waren, der noch studierte. Dabei kann dahinstehen, von wem und in welchem Zusammenhang der handschriftliche
Vermerk auf dem Kontoauszug des Versicherten vom 14. Februar 1990 ("Kd.Unterhalt") gefertigt wurde.
Das Sozialgericht hat aus den Angaben des M. F. zu einem Telefongespräch mit dem Versicherten, in dem jener
angekündigt habe, jegliche Unterstützung für ihn einzustellen und nur noch die Klägerin und K. F. unterstützen zu
wollen, geschlossen, dass diese Einstellung tatsächlich erfolgt ist. Aus den widersprüchlichen Angaben zum
Zeitpunkt dieses Gesprächs - schriftlich war die Rede von 1977 zum Zeitpunkt des fehlgeschlagenen Wechsels zum
Gymnasium, in der mündlichen Verhandlung von einem Gespräch nach dem Scheitern in der 12. Klasse und vor der
Wiederholung dieser Jahrgangsstufe, also Mitte der 80er Jahre - hat das Sozialgericht geschlossen, dass
wahrscheinlich zwei Gespräche dieser Art stattgefunden haben. Wenn dies jedoch so gewesen sein sollte, würde dies
zwangsläufig bedeuten, dass nach dem ersten Gespräch entgegen der Ankündigung eine Einstellung der
Unterhaltszahlungen nicht erfolgt war. Dann stellt sich die Frage, warum nach dem zweiten Gespräch diese
Ankündigung in die Tat umgesetzt worden sein soll. Sollte bereits zum Zeitpunkt des ersten Gesprächs die
Einstellung der Unterhaltszahlungen erfolgt sein, ergäbe das zweite Gespräch keinen Sinn.
Eine Einstellung der Unterhaltszahlungen Mitte der 80er Jahren erscheint vor dem Hintergrund unwahrscheinlich, dass
die Klägerin selbst angegeben hat, dass nie mehr als 800 DM monatlich gezahlt worden seien. Sollten jedoch die bis
1991 gezahlten 800 DM Kindesunterhalt für K. F. und nachehelicher Unterhalt für die Klägerin gewesen sein, hätte bis
zum Zeitpunkt des Gesprächs mit M. F. Mitte der 80er Jahre ein deutlich höherer Betrag gezahlt worden sein müssen.
Gegen eine Einstellung der Unterhaltszahlungen spricht weiter die unstreitig bestehende gesetzliche
Kindesunterhaltsverpflichtung des Versicherten gegenüber M. F. bis zum - erst nach dem Tod des Versicherten
erfolgten - Abschluss des Studiums. Entsprechend wurde 1990 vom Studentenwerk Hamburg im Zusammenhang mit
der BAföG-Antragstellung des M. F. bei der Beklagten nach der Höhe des Überbrückungsgeldes des Versicherten und
Unterhaltspflichtigen gefragt. Offenbar hatte M. F. seinen Vater den rechtlichen Verhältnissen entsprechend als
Unterhaltspflichtigen im Antrag angegeben. Die Beklagte bezweifelt zu Recht, dass der Versicherte einerseits diese
rechtliche Verpflichtung nicht erfüllt, aber andererseits freiwillig Unterhaltsleistungen an die Klägerin erbracht haben
soll.
Noch viel mehr gegen eine Einstellung der Unterhaltszahlung an M. F. spricht der Telefonvermerk vom 28. Januar
1993 in der Verwaltungsakte der Beklagten, wonach dieser im Rahmen von Ermittlungen zur Rechtsnachfolge des
Versicherten telefonisch mitgeteilt hatte, dass er vom Versicherten wesentlich unterhalten worden sei. Diese Angabe
wäre nicht zu erklären, wenn M. F. zu diesem Zeitpunkt davon ausgegangen sein sollte, dass sein Vater für ihn
zuletzt keinerlei Unterhaltszahlungen mehr erbracht hatte.
Dass der Versicherte M. F. nicht als Erben bedacht und ihm - im Gegensatz zu seiner Schwester K. F. - auch keine
Geschenke zu Geburtstagen oder ähnlichen Anlässen hat zukommen lassen, spricht nicht gegen eine Erfüllung der
allein gesetzlich bestehenden Unterhaltsansprüche.
Schließlich spricht die Höhe der Unterhaltszahlungen dafür, dass es sich um Kindesunterhalt handelte. Nach dem
Scheidungsfolgenvergleich war der Verstorbene verpflichtet, zunächst 150 DM monatlich Unterhalt pro Kind zu
zahlen, was nach der damals geltenden sogenannten Düsseldorfer Tabelle knapp über dem Mindestbedarf von
Kindern in der damaligen Altersgruppe von M. und K. F. lag (135 DM, vgl. Palandt- Diederichsen, BGB, 36. Auflage
1977, § 1610 Rdnr. 1). 1991, also zum Zeitpunkt der Zahlung von zweimal 400 DM und der Halbierung dieses
Betrages lag der Mindestbedarf für den Unterhalt von volljährigen Kindern - M. und K. F. waren damals volljährig - bei
360 DM (vgl. Palandt-Diederichsen, BGB, 50. Auflage 1991, § 1610 Rdnr. 13), so dass die tatsächlich erfolgten
Zahlungen wiederum knapp über dem einschlägigen Mindestbedarf nach der Düsseldorfer Tabelle lagen, was für eine
proportionale Anhebung der Kindesunterhaltszahlungen im Laufe der Jahre spricht.
Die Beklagte weist im Übrigen zu Recht darauf hin, dass es nicht entscheidend darauf ankommt, wer die Leistungen
verbrauchte, sondern für wen sie bestimmt waren. Es spricht einiges dafür, dass die zuletzt gezahlten 400 DM als
Kindesunterhalt für M. F. gedacht waren. Zumindest lässt sich nicht mit ausreichender Sicherheit feststellen, dass es
sich um nachehelichen Unterhalt für die Klägerin handelte. Dies geht nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast
zu Lasten der Klägerin.
2. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der im Scheidungsfolgenvergleich vom 23. September 1970
ausgesprochene unbedingte und umfassende Unterhaltsverzicht bei Zahlung einer Unterhaltsabfindung nicht
unwirksam. Es liegen weder Nichtigkeitsgründe im Sinne des § 138 BGB vor noch erscheint die Berufung auf den
Verzicht rechtsmissbräuchlich mit der Folge, dass er im Wege der Ausübungskontrolle als unwirksam zu behandeln
wäre. Dies gilt auch unter Zugrundelegung der neueren Rechtsprechung des BGH zur Wirksamkeitskontrolle, die auf
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zurückgeht (vgl. BGH 11. Februar 2000 - XII ZR 265/02, BGHZ 158,
81).
Das Gesetz gibt Ehegatten die Möglichkeit, durch während oder vorsorglich schon vor der Ehe getroffene
Vereinbarungen für den Fall einer späteren Scheidung den nachehelichen Unterhalt oder sonstige versorgungs- und
güterrechtliche Angelegenheiten verbindlich zu regeln (vgl. § 1408 Absätze 1 und 2, § 1585 c BGB). Nach der früheren
Rechtsprechung des BGH bestand für derartige Vereinbarungen grundsätzlich volle Vertragsfreiheit, konnte allenfalls
dann ein Unterhaltsverzicht den guten Sitten zuwiderlaufen und damit nichtig sein, wenn die auf der Ehe beruhenden
Familienlasten objektiv zum Nachteil der Sozialhilfe geregelt wurden. Auch nach der neueren Rechtsprechung
unterliegen die gesetzlichen Regelungen über nachehelichen Unterhalt, Zugewinn und Versorgungsausgleich
grundsätzlich der vertraglichen Disposition der Ehegatten, ohne dass es einen unverzichtbaren Mindestgehalt an
Rechten gäbe. Allerdings darf dies nicht dazu führen, dass der Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen durch
vertragliche Vereinbarungen beliebig unterlaufen werden kann. Dies wäre der Fall, wenn dadurch eine evident
einseitige und durch individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigte Lastenverteilung
entstünde, die hinzunehmen für den belasteten Ehegatten – bei angemessener Berücksichtigung der Belange des
anderen Ehegatten und seines Vertrauens in die Geltung der getroffenen Abrede – bei verständiger Würdigung des
Wesens der Ehe unzumutbar erscheint. Dabei ist eine Gesamtwürdigung vorzunehmen, in deren Rahmen
insbesondere eine völlige wirtschaftliche Abhängigkeit und eine Zwangslage des einen Ehegatten zur Annahme der
Sittenwidrigkeit führen können. Soweit ein Vertrag danach Bestand hat, ist im Wege der so genannten
Ausübungskontrolle zu prüfen, ob und inwieweit ein Rechtsmissbrauch durch Berufung auf den Verzicht vorliegt (§
242 BGB), wenn die Verhältnisse sich nachträglich so entwickelt haben, dass überwiegend schutzwürdige Interessen
gemeinschaftlicher Kinder der Geltendmachung des Verzichts entgegenstehen. (BGH aaO).
Diese Rechtsprechung zur Inhaltskontrolle von Eheverträgen dürfte sich nach Auffassung des Senats nicht auf
Scheidungsfolgenvereinbarungen nach der Trennung übertragen lassen, weil die Folgen der Vereinbarung zu diesem
Zeitpunkt bereits offen zu Tage treten und die Gestaltung der nachehelichen Verhältnisse Ausdruck der
Eigenverantwortung ist (ebenso: Palandt-Brudermüller, 65. Auflage 2006, § 158 c Rdnr. 16).
Diese Frage kann indes offen bleiben. Denn eine Sittenwidrigkeit im Sinne des § 138 BGB lässt sich vorliegend nicht
feststellen. Die Klägerin befand sich zum Zeitpunkt des Scheidungsfolgenvergleichs in keiner Zwangslage, hat
vielmehr, vertreten durch einen Rechtsanwalt, einen umfassenden Vergleich ausgehandelt, in dem u.a. eine
Unterhaltsabfindung mit dem Zusatz vereinbart wurde, dass die 60 Monatsraten à 700 DM unabhängig davon gezahlt
werden, ob und wieviel Eigenverdienst die Klägerin hat. Die Klägerin hat tatsächlich auch direkt danach wieder
angefangen, halbtags zu arbeiten, ohne dass die Unterhaltsabfindung reduziert wurde, und 1976 mit Auslaufen der
Zahlung wieder Vollzeit gearbeitet. Da die Ehe schon gescheitert war und am selben Tag geschieden wurde, stand die
Klägerin nicht mehr unter Druck, und die Folgen des Vertrags waren absehbar (vgl. zu diesen Voraussetzungen:
Palandt-Brudermüller, BGB, 65. Auflage 2006, § 1585 c Rdnr. 15). Im Vergleich wurden auch noch Regelungen zum
Sorgerecht, Umgangsrecht, Kindesunterhalt und Zugewinnausgleich, der mit 25.000 DM abgefunden wurde, getroffen.
Das Nichtbestehen weiterer vermögensrechtlicher Ansprüche wurde ebenso vereinbart wie die Pflicht des
Versicherten, die Kosten des Rechtsstreits allein zu tragen. Danach handelte es sich bei dem (teilweisen)
Unterhaltsverzicht um eine Regelung, die in eine umfassende Scheidungsfolgenvereinbarung eingebettet war, die
wiederum bei einer Gesamtwürdigung nicht als sittenwidrig angesehen werden kann, weil sie sich als frei und ohne
Zwang ausgehandelter Vertrag darstellt, bei dem die Interessen beider Parteien Berücksichtigung gefunden haben.
Eine spätere, zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vorhersehbare oder von den Parteien nicht bedachte
Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, die eine gerichtliche Ausübungskontrolle auf der Grundlage des § 242 BGB
notwendig erscheinen ließe, ist nicht erkennbar. Insbesondere war der weiter bestehende Betreuungsbedarf der Kinder
nach Auslaufen der monatlichen Unterhaltsabfindungsraten absehbar. Selbst wenn man dies – auch trotz der
tatsächlichen Aufnahme einer vollen Erwerbstätigkeit durch die Klägerin – als wesentliche Veränderung im Sinne des
Einsetzens einer Ausübungskontrolle ansehen wollte, würde dies nicht zu einem Anspruch auf
Geschiedenenwitwenrente führen. Denn entscheidend ist darauf abzustellen, ob zum Zeitpunkt des letzten
wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dem Tod ein Unterhaltsanspruch bestand. Die Anwendung des § 242 BGB statt
des § 138 BGB führt jedoch nur dazu, dass der Unterhaltsverzicht zeitweise ausgesetzt oder auf den Notbedarf
reduziert wird (Palandt-Diederichsen, BGB, 54. Auflage 1995, Rdnr. 11 mN), d.h. die Ausübungskontrolle lässt die
Berufung auf einen Unterhaltsverzicht gegebenenfalls nur vorübergehend rechtsmissbräuchlich erscheinen. Im
vorliegenden Fall wäre spätestens mit Erreichen der Volljährigkeit der Kinder der Klägerin eine Berufung auf den
Verzicht insbesondere auf Betreuungsunterhalt nicht mehr rechtsmissbräuchlich gewesen. Nach diesem Zeitpunkt
dürfte unstreitig von einer Zumutbarkeit der Ausübung einer Vollerwerbstätigkeit auszugehen sein. M. F. hat 1984 sein
18. Lebensjahr vollendet, K. F. 1987, also lange vor dem Tod des Versicherten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht
vorliegen.