Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 26.02.2004

LSG Berlin-Brandenburg: psychosyndrom, arbeitsunfall, contusio cerebri, unfallfolgen, befund, diagnose, astigmatismus, fraktur, behandlung, erwerbsfähigkeit

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 3.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 3 U 31/04-16
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 8 Abs 1 SGB 7, § 2 Abs 1 Nr 8b
SGB 7, § 56 SGB 7
Beweiswürdigung über den Eintritt eines hirnorganischen
Psychosyndroms als Folge des Wegeunfalls eines Schülers
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Februar
2004 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls
vom 25. August 1998 über den 21. Mai 1999 hinaus.
Der 1988 geborene, türkischstämmige Kläger wurde, ohne zuvor einen Kindergarten
besucht zu haben, 1995 eingeschult und besuchte ab dann nachmittags eine Kita. Nach
seinen Angaben hatte er mit etwa sechs Jahren vor der Einschulung für ein bis zwei
Stunden pro Tag Deutschunterricht erhalten. Er erlitt am 25. August 1998 einen Unfall,
als er auf dem Rückweg von einem Ausflug mit seiner Kita Rstraße in B eine Straße
überquerte und dabei von einem Kraftfahrzeug erfasst und mitgeschleift wurde. Der
Durchgangsarzt Prof. Dr. R vom Universitätsklinikum B F diagnostizierte in seinem
Durchgangsarztbericht vom 25. August 1998 ein Polytrauma mit Lungenkontusion
beidseits, Schädelbasisfraktur, Schädelhirntrauma zweiten Grades, Schnittverletzungen
im Gesicht, Unterarmfraktur rechts und stabiler LWK-V-Fraktur. Der Kläger wurde in der
Abteilung für Kinderchirurgie des Universitätsklinikums B F in der Zeit vom 25. August bis
zum 11. September 1998 stationär und anschließend ambulant weiter behandelt
(Entlassungsbericht vom 11. September 1998 nebst Bericht der Klinik für
Anästhesiologie und operative Intensivmedizin des Klinikums vom 30. August 1998). In
dem Abschlussbericht des Universitätsklinikums B F vom 10. Dezember 1998 wurde eine
insgesamt nur endgradig eingeschränkte Beweglichkeit des rechten Handgelenks
festgestellt. Der Kläger gehe zur Schule und gebe nur noch geringe
Konzentrationsstörungen an. Die Behandlung werde abgeschlossen, die Minderung der
Erwerbsfähigkeit (MdE) über die 26. Woche hinaus betrage 10 v. H.
Nachdem sich der Vater des damals noch minderjährigen Klägers endlich mit einer
stationären Behandlung seines Sohnes zur Abklärung und Behandlung der Unfallfolgen
einverstanden erklärt hatte, wurde er am 24. März 1999 in die Neurologische
Rehabilitationsklinik für Kinder und Jugendliche G aufgenommen. Laut Aufnahmebericht
vom 01. April 1999 bestand der Verdacht auf ein noch mittelschweres hirnorganisches
Psychosyndrom mit Beeinträchtigung von Konzentrationsfähigkeit, Ausdauer,
Leistungsvermögen und Belastbarkeit. Es bestünden unklare Sehstörungen,
Sprachstörungen mit Wortfindungsstörungen und grammatikalischen Unsicherheiten
(Dysphasie). Der stationäre Aufenthalt endete am 21. Mai 1999. Aus dem
Entlassungsbericht vom 12. Juli 1999 ergab sich folgende rehabilitationsmedizinische
Beurteilung: Initial und auch jetzt hätten im CT keine Zeichen einer Hirnverletzung oder
einer späteren Hirnsubstanzminderung gefunden werden können, es habe kein initiales
wesentliches Ödem gegeben. Es bestehe kein Anhalt für ein hirnorganisches
Psychosyndrom. Die Sehstörungen hätten augenärztlicherseits als Folge eines
unfallunabhängigen Astigmatismus erklärt und mit einer Brille versorgt werden können.
Die Bewegungseinschränkung im rechten Handgelenk habe bis auf ein Beugedefizit von
etwa 10 Grad krankengymnastisch geändert werden können. Der Kläger habe hier
wiederholt über nicht näher lokalisierbare und unbestimmt beschriebene
Rückenbeschwerden geklagt. Bei der Untersuchung hätten sich keine wesentlichen
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Rückenbeschwerden geklagt. Bei der Untersuchung hätten sich keine wesentlichen
funktionellen oder anatomischen Einschränkungen ergeben. Der anfängliche Verdacht
auf eine Fraktur des fünften Lendenwirbelkörpers habe sich bei der Kontrolle nicht
bestätigen lassen. Es bestehe insoweit kein Therapiebedarf. Bei Krankengymnastik,
Psychomotorik, funktioneller Ergotherapie und Logopädie seien darüber hinaus keine
körperlichen Einschränkungen aufgefallen. Die sprachlichen Schwierigkeiten hätten nach
der klinisch-psychologischen Untersuchung einer Sprachentwicklungsstörung im
Deutschen - wahrscheinlich aufgrund der Zweisprachigkeit - entsprochen. Für eine
Teilaphasie habe sich kein ausreichender Anhalt ergeben. Die angegebene vorzeitige
Ermüdbarkeit hätte in der Klinik nicht beobachtet werden können. Die festgestellten
sprachlichen Störungen seien wahrscheinlich überwiegend nicht unfallbedingt. Es sei
aber durch die bei dem Unfall erlittene mittelschwere Hirnverletzung wahrscheinlich eine
vorübergehende hirnorganische Leistungsminderung verursacht worden, erkennbar an
den Angaben über vorzeitige Ermüdbarkeit und geringe Spontaneität. Dies und der
mehrwöchige stationäre Aufenthalt hätten wahrscheinlich die vorbestehenden
sprachlichen Störungen wesentlich verstärkt. Bei dem guten Lernvermögen und
Lernverhalten des Klägers sei nach dem Urteil der Sonderpädagogen ein Ausgleich
durch eine befristete zusätzliche Förderung zu erwarten. Die diskreten feinmotorischen
Schwierigkeiten im Bereich des rechten Handgelenks seien im Alltag und in der Schule
nicht wesentlich beeinträchtigend und bedürften keiner besonderen Behandlung. Es
werde bis zum Schuljahresende empfohlen, dreimal wöchentlich eine Stunde
pädagogische Zusatzförderung/Förderunterricht im Fach Deutsch zu Lasten der
gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Der Kläger habe durch den Unfall
erwerbsmindernde Folgen im rentenberechtigenden Ausmaß über die 26. Woche hinaus
erlitten. Der Schwerpunkt liege hierbei auf chirurgisch-orthopädischem Gebiet.
Auf Veranlassung der Beklagten erstellten die Ärzte für Unfallchirurgie Dr. V-S/Dr. G am
11. Januar 2000 ein erstes Rentengutachten, in dem sie zu dem abschließenden
Ergebnis kamen, als wesentliche Unfallfolgen bestünden eine Narbenbildung am rechten
distalen Unterarm nach operativ versorgter distaler Unterarmfraktur und nachfolgender
Materialentfernung bei nahezu uneingeschränkter Beweglichkeit der rechten Hand. Zum
größten Teil hätte keine Möglichkeit bestanden, für die von dem Kläger geäußerten
Beschwerden ein organisches Korrelat nachzuweisen. Von Seiten des Vaters des Klägers
seien unterschiedliche Gesundheitsstörungen als Folge des Unfalls vom 25. August 1998
angeführt worden. Dies seien insbesondere ein Sehfehler, Wachstumsstörungen sowie
psychische Beeinträchtigungen. Im Abschlussbericht der Rehabilitationsklinik G vom 12.
Juli 1999 werde ausführlich zu den Unfallfolgen Stellung genommen. Insbesondere der
Verdacht auf eine Fraktur des fünften Lendenwirbelkörpers habe ausgeräumt werden
können, da es sich bei der vermuteten Frakturlinie um eine beim Heranwachsenden
übliche Wachstumsstruktur handele. Zum Sehfehler sei auszuführen, dass es sich
hierbei um einen normalen Astigmatismus handele, der mit dem Unfall nichts zu tun
habe und mit einer üblichen Brillenversorgung bedacht worden sei. Der von dem Vater
des zum Zeitpunkt der Untersuchung 1, 38 m großen Klägers vorgebrachte Hinweis auf
eine Wachstumsstörung sei nachgerade widersinnig. Als Begründung sei angegeben
worden, ein Freund des Klägers sei vor dem Unfall kleiner, jetzt nach dem Unfall aber
größer als dieser. Zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung sei der Vater des Klägers
knapp einen Kopf größer gewesen als sein Sohn, aber auch der dezente Hinweis auf
diese Tatsache habe ihn nicht bewegen können, über andere Ursachen der angeblichen
Wachstumsstörung nachzudenken.
Die MdE betrage bis zum 25. September 1998 100 v. H., ab dem 26. September 1998
bis zum 15. November 1998 50 v. H., vom 16. November 1998 bis zum 21. Mai 1999
(Ende des stationären Aufenthalts in der Rehabilitationsklinik G) 20 v. H. und ab dem 22.
Mai 1999 bis zum 05. Januar 2000, dem Tag vor der Untersuchung durch den Gutachter,
10 v. H. Ab dem 06. Januar 2000 werde die MdE voraussichtlich bis zum 30. Juni 2000
weiter 10 v. H. betragen, danach voraussichtlich nur noch 0 v. H.
Nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme erkannte die Beklagte mit
Bescheid vom 24. März 2000 den Unfall des Klägers vom 25. August 1998 als
Arbeitsunfall an und gewährte ihm eine Verletztenrente für die Zeit vom 26. August bis
zum 25. September 1998 nach einer MdE von 100 v. H., für die Zeit vom 26. September
bis zum 15. November 1998 nach einer MdE von 50 v. H. sowie für die Zeit vom 16.
November 1998 bis zum 21. Mai 1999 nach einer MdE von 20 v. H. Über den 21. Mai
1999 hinaus werde die Gewährung einer Rente abgelehnt, weil keine
rentenberechtigende MdE mehr vorliege. Als Folgen des Arbeitsunfalls wurden eine
geringe Einschränkung der Beweglichkeit der rechten Hand nach in achsengerechter
Stellung knöchern konsolidierter distaler Unterarmfraktur rechts sowie eine
Zahnhalsfraktur Grad II des Zahnes 12 anerkannt. Das Schädelhirntrauma zweiten
Grades, die Schädelbasis- und Gesichtsschädelfrakturen, die Nasenbeinfraktur, die
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Grades, die Schädelbasis- und Gesichtsschädelfrakturen, die Nasenbeinfraktur, die
Lungenkontusion beidseitig, die Prellungen im Bereich des fünften Lendenwirbelkörpers,
das Leberhämatom, das kapsuläre Hämatom der rechten Niere und die
Schnittverletzungen im Gesicht seien folgenlos ausgeheilt. Den gegen den Bescheid
eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, bei der für den Rentenbescheid
ausschlaggebenden Begutachtung durch Dr. V-S seien die psychischen und
neurologischen Beeinträchtigungen, die er durch den Unfall als Spätfolgen erlitten habe,
völlig außer Acht gelassen worden. Er leide seit fast zwei Jahren nach dem Unfall unter
Rückenschmerzen, gelegentlichen Kopfschmerzen, Schmerzen im linken unteren Bein,
schneller Ermüdbarkeit, Vergesslichkeit und Trägheit. Deshalb werde Rente auch für die
Zeit nach dem 21. Mai 1999 begehrt. Es sei davon auszugehen, dass eine dauerhafte
Beeinträchtigung von mindestens 20 v. H. bestehe. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.
Juli 2000 wies die Beklagte den Widerspruch unter Bezugnahme auf das Ergebnis der
medizinischen Ermittlungen zurück.
Dagegen hat der Kläger vor dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben, mit der er sein
Begehren, eine Verletztenrente über den 21. Mai 1999 hinaus zu erhalten, weiterverfolgt
hat. Er hat sich auf ein Attest des Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie G H vom 05.
September 2000 bezogen, der den Kläger seit dem 18. Mai 2000 behandelt. Dieser hat
eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine Störung des Sozialverhaltens mit
depressiver Störung diagnostiziert.
Zur Ermittlung des Sachverhalts hat das Sozialgericht die Schulzeugnisse des Klägers
von der R Grundschule im Bezirk N vom 19. Juni 1996, 18. Juni 1997 und 08. Juli 1998, die
Zeugnisse der T-S-Grundschule, ebenfalls im Bezirk N, vom 29. Januar 1999, 14. Juli
1999, 28. Januar 2000 und 19. Juli 2000 sowie die Zeugnisse der O-W-Grundschule im
Bezirk F-K vom 31. Januar 2001, 18. Juli 2001 und 31. Januar 2002 beigezogen. Im Termin
am 27. Mai 2003 hat das Sozialgericht den Lehrer an der O-W-Grundschule N M als
Zeuge zu dem Verhalten des Klägers nach dem Arbeitsunfall am 25. August 1998
befragt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des
Sitzungsprotokolls vom 27. Mai 2003 Bezug genommen. Außerdem hat das
Sozialgericht einen Befundbericht der Fachärztin für Kinderkrankheiten Dr. E vom 26. Juni
2003 eingeholt. Im Anschluss daran hat das Sozialgericht Prof. Dr. L, Direktorin der Klinik
für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der C
Campus V-Klinikum, mit der Begutachtung und Untersuchung des Klägers beauftragt.
Ein Gutachten ist jedoch nicht erstattet worden, da der Kläger mehrfachen
Aufforderungen, sich zur Untersuchung einzufinden, nicht gefolgt ist.
Durch Urteil vom 26. Februar 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur
Begründung ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung einer
Verletztenrente über den 21. Mai 1999 hinaus, weil seine Erwerbsfähigkeit ab diesem
Zeitpunkt wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 25. August 1998 nicht mehr in
rentenberechtigendem Grad gemindert sei. Die unfallbedingten Gesundheitsstörungen
auf körperlichem (orthopädisch-chirurgischem) Fachgebiet rechtfertigten über den 21.
Mai 1999 hinaus nur noch die Einschätzung einer MdE von 10 v. H. Aus dem Gutachten
des Dr. V-S ergebe sich, dass aus unfallchirurgischer Sicht nur eine Narbenbildung am
rechten distalen Unterarm als Unfallfolge verblieben sei. Die Beweglichkeit der rechten
Hand sei nahezu uneingeschränkt. Eine Wachstumsstörung liege nicht vor. Die
nachgewiesenen Sehstörungen seien Folge eines unfallunabhängigen Astigmatismus.
Wie sich aus dem Zeugnis vom 19. Januar 1996 ergebe, sei die Feinmotorik des Klägers
bereits vor dem Unfall gestört gewesen und hätte weiterer Förderung bedurft. Erst im
Laufe der Jahre habe sich die Feinmotorik gebessert, wie sich aus den Zeugnissen vom
18. Juni 1997 und 08. Juli 1998 ergebe. Nach dem Abschlussbericht der
Rehabilitationsklinik G seien die feinen Hand- und Fingerbewegungen rechts mehr als
links noch unsicher und verlangsamt gewesen. Die diskreten feinmotorischen
Schwierigkeiten beeinträchtigten den Kläger jedoch nicht wesentlich im Alltag und in der
Schule und bedürften keiner besonderen Behandlung. Für die vom Vater des Klägers
geforderte weiterführende Untersuchung der Wirbelsäule bzw. des Rückens hätten die
behandelnden Ärzte der Rehabilitationsklinik keine Indikation gesehen. Psychische
Unfallfolgen seien bisher nicht nachgewiesen. Insofern könne auch keine MdE objektiviert
werden. Unfallbedingte Konzentrationsstörungen bestünden nach gegenwärtigem
Erkenntnisstand nicht. Während des stationären Aufenthalts in der Rehabilitationsklinik G
hätten Konzentrationsstörungen nicht festgestellt werden können. Die von Herrn H
attestierte posttraumatische Belastungsstörung sei ebenfalls bisher nicht nachgewiesen.
Dies gelte auch für die Diagnose einer Störung des Sozialverhaltens mit depressiver
Störung. Nach dem Abschlussbericht der Rehabilitationsklinik G habe sich der Kläger
dort rasch eingelebt und sei sehr kontraktfreudig und selbständig gewesen. Im
Klinikschulunterricht sei er motiviert und lernbereit gewesen. Er habe sich auch über
längere Zeiträume gut konzentrieren können, habe sauber und überdurchschnittlich,
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längere Zeiträume gut konzentrieren können, habe sauber und überdurchschnittlich,
aber etwas verlangsamt gearbeitet. Ähnlich habe sich der Zeuge M geäußert. Danach
sei der Kläger ziemlich schnell von der Klasse akzeptiert worden, in die er Ende August
2000 gekommen sei. Der Kläger sei dem Zeugen M verträumt in dem Sinne erschienen,
als dass er manchmal abwesend gewesen sei. Im Vergleich zu seinen Mitschülern habe
der Kläger nach Aussage des Zeugen eher eine Ausnahme im positiven Sinne gebildet.
Er habe konstruktiv mitgearbeitet und z. B. nicht den Unterricht gestört. Die
sprachlichen Störungen des Klägers seien nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
Unfallfolge. Aus dem Zeugnis vom 19. Juni 1996 ergebe sich, dass der Kläger damals
über keinerlei aktiven Wortschatz in der deutschen Sprache verfügt habe.
Der Kläger sei aus nicht stichhaltigen Gründen der Aufforderung zur Begutachtung nicht
gefolgt. Ein kinderpsychiatrisches Gutachten nach Aktenlage erscheine der Kammer
nicht sinnvoll. Soweit sich jedoch unfallbedingte Gesundheitsstörungen und
Funktionseinschränkungen nicht objektivieren ließen, gehe dies nach dem auch im
sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten
des Klägers.
Gegen das Urteil des Sozialgerichts richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er
seine Bereitschaft erklärt hat, sich einer gutachterlichen Untersuchung zu unterziehen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Februar 2004 aufzuheben und die
Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 24. März 2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2000 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des
Arbeitsunfalls vom 25. August 1998 eine Verletztenrente über den 21. Mai 1999 hinaus
nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 v. H. zu gewähren, hilfsweise
Beweis zu erheben hinsichtlich der vom Gericht aufgeworfenen grundsätzlichen
Zweifel an der Fachlichkeit des jugendpsychiatrischen Gutachtens von Prof. Dr. L durch
weitere Fragen an Frau Prof. Dr. L, hilfsweise
ein weiteres jugendpsychiatrisches Gutachten eines anderen Sachverständigen, der
sich auch mit dem Gutachten von Prof. Dr. L auseinanderzusetzen hat, einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ermittlung des Sachverhalts hat der Senat Befundberichte der Fachärztin für
Kinderkrankheiten Dr. E vom 22. September 2005 und 25./28. November 2005
eingeholt. Danach bestanden bei dem Kläger im Vergleich zu Kindern seiner
Altersgruppe und Sozialisation weder vor noch nach dem Unfall Auffälligkeiten im
Hinblick auf das Konzentrationsvermögen, den Affekt und den Antrieb. Veränderungen
im Verhalten bzw. im psychischen Gesundheitszustand seien nach dem Unfall am 25.
August 1998 nicht eingetreten.
Daraufhin hat der Senat Prof. Dr. L erneut mit der Untersuchung und Begutachtung des
Klägers beauftragt. In ihrem Gutachten vom 03. April 2006 hat die Sachverständige
festgestellt, der Kläger leide unfallbedingt an einem hirnorganischem Psychosyndrom
nach Schädelhirntrauma (ICD-10: F 07.2). Es handele es sich dabei um einen
Hirnschaden mit psychischer Störung, in diesem Fall mittelgradig, da der Kläger im
Alltag deutlich beeinträchtigt sei und somit ein „Grad der Behinderung/MdE-Grad“ von
50 bis 60 bestehe. Es müsse davon ausgegangen werden, dass dies durch den Unfall
ausgelöst worden sei und seither bestehe.
In der ergänzenden Stellungnahme vom 15. Februar 2007 hat sich die Sachverständige
zu den Einwendungen der Beklagten und der Aufforderung des Gerichts, die
Einschätzung der MdE zu präzisieren und näher zu begründen, geäußert. Danach liege
bei dem Kläger eine organische Störung mittelgradigen Ausmaßes vor. Dafür sei bei
Schönberger/Mertens/Valentin eine MdE von 40 bis 50 v. H. angesetzt. Hinzu kämen
zentrale vegetative Störungen als Ausdruck eines Hirndauerschadens wie
Kopfschmerzen, Schwindel und Schlafstörungen, die ebenfalls als mittelgradig
einzustufen seien, da sie sehr häufig berichtet würden. Hierfür sei eine MdE von 20 bis
30 v. H. angegeben. Insofern sei eine Gesamt-MdE von 50 bis 60 auch bei
Zugrundelegung der Kriterien von Schönberger/Mertens/Valentin angemessen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
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Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig aber
unbegründet. Ihm steht, wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat, wegen der
Folgen des am 25. August 1998 erlittenen Arbeitsunfalls eine Verletztenrente über den
21. Mai 1999 hinaus nicht zu.
Der Rentenanspruch richtet sich nach § 56 Abs. 1 S. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch
(SGB VII). Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines
Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um
wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des
körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten
Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Bei jugendlichen
Versicherten wird die MdE nach den Auswirkungen bemessen, die sich bei Erwachsenen
mit gleichem Gesundheitsschaden ergeben würden (§ 56 Abs. 2 S. 1 und 2 SGB VII).
Für die Weitergewährung der begehrten Verletztenrente ist danach erforderlich, dass
sowohl zwischen der unfallbringenden Tätigkeit und dem Unfallereignis als auch zwischen
dem Unfallereignis und der Gesundheitsschädigung ein innerer ursächlicher
Zusammenhang besteht. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, der Unfall und die
Gesundheitsschädigung im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen
Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst
im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist,
grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße
Möglichkeit - ausreicht (BSG SozR 3-2200 § 551 RVO Nr. 16 m. w. N.). Ein
Zusammenhang ist wahrscheinlich, wenn bei Abwägung aller Umstände die für den
Zusammenhang sprechenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die
Überzeugung des Gerichts gegründet werden kann.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 24. März 2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 13. Juli 2000 hat die Beklagte das Ereignis vom 25. August
1998 als Arbeitsunfall i. S. von § 8 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 8b) SGB VII
anerkannt und festgestellt, dass die geringe Bewegungseinschränkung der rechten Hand
nach in achsengerechter Stellung knöchern konsolidierter distaler Unterarmfraktur
rechts Folge dieses Arbeitsunfalls ist. Das Schädelhirntrauma zweiten Grades, die
Schädelbasis- und Gesichtsschädelfrakturen, die Nasenbeinfraktur, die Lungenkontusion
beidseitig, die Prellung im Bereich des fünften Lendenwirbelkörpers, das Leberhämatom,
das subkapsuläre Hämatom der rechten Niere und die Schnittverletzungen im Gesicht
seien folgenlos ausgeheilt.
Die Anerkennung des mittelgradigen Astigmatismus als Unfallfolge ist von der Beklagten
ausdrücklich abgelehnt worden.
Diese Feststellungen hält der Senat für zutreffend. Er ist davon überzeugt, dass die
anerkannten Unfallfolgen keine MdE in rentenberechtigendem Grade ergeben und dass
keine weiteren Gesundheitsstörungen nachgewiesen sind, die wahrscheinlich auf den
Arbeitsunfall vom 25. August 1998 zurückzuführen sind. Der Senat stützt seine
Auffassung im Wesentlichen auf den Abschlussbericht der Rehabilitationsklinik G vom 12.
Juli 1999, auf das im Verwaltungsverfahren erstattete Gutachten von Dr. V-S/Dr. G vom
11. Januar 2000 und auf das Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. L
vom 03. April 2006.
Danach rechtfertigt die unfallbedingte geringe Bewegungseinschränkung der rechten
Hand keine MdE von 20 v. H. über den 21. Mai 1999 hinaus. Denn die Einschränkungen
der Beweglichkeit weichen nach den gutachterlichen Feststellungen von Dr. V-S nur
geringfügig um 5-10 Grad von dem Bewegungsausmaß der linken Hand ab. Im Übrigen
entsprechen die nach der Neutral-Null-Methode erhobenen Bewegungsausmaße mit
65/0/65 für Strecken und Beugen sowie mit 40/0/25 für Abwinkeln speichen- und
ellenwärts den Normalmaßen (35-60/0/50-60 und 30-40/0/25-30; vgl.
Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. A. 2003, Kap.
2.3.3.3).
Auf orthopädisch-chirurgischem Gebiet bestehen keine - weiteren - Unfallfolgen mehr.
Der Verdacht auf eine LWK-5-Fraktur, wie er in dem D-Arztbericht von Prof. Dr. R vom 25.
August 1998 erstmals gestellt worden ist, hat sich nicht bestätigt. Dr. V-S hat dies damit
erklärt, dass es sich bei der vermuteten Frakturlinie um eine bei Heranwachsenden
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erklärt, dass es sich bei der vermuteten Frakturlinie um eine bei Heranwachsenden
übliche Wachstumsstruktur handele. Auch das orthopädische Konsil vom 14. Mai 1999
für die Rehabilitationsklinik G hat keinen Anhalt für eine Fraktur feststellen können. Für
die geklagten Rückenschmerzen im thorako-lumbalen Übergang hat sich kein
objektivierbarer Befund, auch nicht auf neurologischem Gebiet, ergeben. Klinisch zeigte
sich die Wirbelsäule gerade aufgebaut und in allen Segmenten frei beweglich. Sowohl in
dem Abschlussbericht als auch in dem Gutachten wird nicht ausgeschlossen, dass bei
den Beschwerden der Vater des Klägers eine Rolle spielt. Der Kläger ist auch nicht
unfallbedingt kleinwüchsig, wie Dr. V-S, der auf den nur knapp einen Kopf größeren Vater
des zum Zeitpunkt seiner Untersuchung erst 11 Jahre alten Klägers verweist, ausführt.
Bei der Untersuchung durch die gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. L am 16. Februar
2006 war der zu dieser Zeit 17 Jahre alte Kläger immerhin 1,71 m groß. Damit kann von
einem - unfallbedingten - Kleinwuchs keine Rede sein.
Der Kläger leidet weiter an einem Astigmatismus, d. h. einer Hornhautverkrümmung,
wodurch ein in den Augapfel einfallender Lichtstrahl unterschiedlich stark gebrochen
wird. Dem Kläger ist zur Korrektur dieser degenerativen Fehlsichtigkeit eine Brille
verordnet worden, die er jedoch nach seinen eigenen Angaben gegenüber der
Sachverständigen Prof. Dr. L und dem Senat in der mündlichen Verhandlung nicht trägt.
Eine traumatische Verursachung dieser Fehlsichtigkeit, etwa durch die unfallbedingte
Narbe auf dem rechten Oberlid, ist von allen den Kläger behandelnden und
begutachtenden Ärzten ausgeschlossen worden. Da auch die Schwester des Klägers an
Astigmatismus leidet, ist eine familiäre Disposition nicht auszuschließen.
Das Hals-Nasen-Ohrenärztliche Konsil vom 29. März 1999 für die Rehabilitationsklinik G
hat ebenfalls keine posttraumatischen Auffälligkeiten erbracht. Die geklagten
Beschwerden des Klägers, der behauptet, wegen der Nasenbeinfraktur eine schiefe Nase
zu haben und nicht genug Luft durch die linke Seite der Nase zu bekommen, sind damit
nicht belegt.
Auch auf internistischem Gebiet bestehen keine Unfallfolgen mehr. Bereits aus dem
Bericht der Klinik für Anaesthesiologie und operative Intensivmedizin des
Universitätsklinikums B F vom 30. August 1998 ergibt sich ein fast vollständig
resorbiertes Leberhämatom, die Nierenfunktion war qualitativ und quantitativ im
Normbereich und der pulmonale Gasaustausch ausreichend. In dem Entlassungsbericht
der Abteilung für Kinderchirurgie des Universitätsklinikums B F vom 11. September 1998
wird von vollständig resorbierten Hämatomen berichtet.
Letztlich hält es der Senat nicht für wahrscheinlich, dass der Unfall bei dem Kläger zu
Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet geführt hat, die seine
Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigendem Grad mindern.
Die gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. L hat in ihrem Gutachten vom 03. April 2006
einen insgesamt unauffälligen neurologischen Befund erhoben. Die von ihr veranlassten
EEG-Untersuchungen am 20. Februar und 02. März 2006 haben einen
altersentsprechenden Befund ergeben. Das MRT vom 15. März 2006 ergab keinen
Nachweis von intrakraniellen Residuen. Es ist aufgrund des MRT die Diagnose einer nicht
näher bezeichneten Verletzung des Kopfes (Verletzung: Gesicht o. n. A., Nase o. n. A.,
Ohr o. n. A.) nach ICD-10 S 09.9 gestellt worden. Bereits die EEG-Untersuchungen am
02. September 1998 im Universitätsklinikum B F sowie am 06. April 1999 in der
Rehabilitationsklinik G haben einen insgesamt altersentsprechenden Befund erbracht.
Das Schädel-CT in der Rehabilitationsklinik G vom 18. Mai 1999 war ebenfalls im
Wesentlichen unauffällig, es waren keine posthämorrhagischen und postkontusionellen
Substanzdefekte und keine Liquorzirkulationsstörungen festzustellen, sondern damals
allenfalls eine diskrete Hypodensität beidseits fronto-basal.
Prof. Dr. L hat die von dem behandelnden Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie H
gestellte Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht bestätigt.
Allerdings hat sie ein hirnorganisches Psychosyndrom (ICD-10 F 07.2) festgestellt, das
wahrscheinlich durch den Arbeitsunfall verursacht worden sei. Es müsse davon
ausgegangen werden, dass die schwache intellektuelle Leistung des Klägers als Folge
des Schädel-Hirn-Traumas zu werten sei. Bis zu dem Unfall seien seine schulischen
Leistungen durchschnittlich gut gewesen, wie seine Zeugnisse belegten. Er habe in
seinen Leistungen denen seiner jüngeren Geschwister, die inzwischen erfolgreich
weiterführende Schulen besuchten, geähnelt. An den Zeugnisnoten nach dem Unfall sei
eindeutig abzulesen, dass seine intellektuellen Möglichkeiten nicht mehr ausreichten,
um die an ihn gestellten Erwartungen zu erfüllen. Im Rahmen der durchgeführten
testpsychologischen Untersuchung habe eindeutig belegt werden können, dass der
Lernprozess des Klägers erheblich verlangsamt sei und eine deutliche Beeinträchtigung
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Lernprozess des Klägers erheblich verlangsamt sei und eine deutliche Beeinträchtigung
in der visuell-figuralen Lern- und Gedächtnisleistung bestehe. Die Vergessensrate sei
auffällig hoch bei weit unterdurchschnittlicher Lernleistung gewesen. Im Verlauf der
testpsychologischen Untersuchung habe die Konzentration nachgelassen. Das Ganze
sei von einer milden bis mäßigen Ausführung depressiver Symptome begleitet gewesen.
Alle von dem Kläger geschilderten und durch Untersuchungen belegten Symptome
seien in die gestellte Diagnose eingebettet. Aufgrund des offensichtlich seit Jahren
bestehenden hirnorganischen Psychosyndroms sei davon auszugehen, dass sich dieser
Zustand nicht mehr wesentlich ändern werde. Der Kläger bedürfe der spezifischen
Förderung sowohl in der Schule als auch später in der Berufsausbildung.
Nach dem ICD-10 F 07.2 folgt das organische Psychosyndrom einem Schädeltrauma,
das meist schwer genug ist, um zur Bewusstlosigkeit zu führen. Es besteht aus einer
Reihe verschiedenartiger Symptome, wie Kopfschmerzen, Schwindel, Erschöpfung,
Reizbarkeit, Schwierigkeiten bei Konzentration und geistigen Leistungen,
Gedächtnisstörungen, Schlafstörungen und verminderter Belastungsfähigkeit für Stress,
emotionale Reize oder Alkohol. Außerdem erscheint es als postkontusionelles Syndrom
(Enzephalopathie) und posttraumatisches (organisches) Psychosyndrom nicht
psychotisch.
Die Diagnose leitet die Sachverständige aus den die Erkrankung charakterisierenden
Symptomen ab, die allein aufgrund der Angaben des Klägers und seines ebenfalls
befragten Vaters sowie der Ergebnisse der mitarbeitsabhängigen psychologischen Tests
festgestellt worden sind.
Diese Feststellung der Sachverständigen ist jedoch nicht ausreichend, denn sie setzt
sich nicht mit dem bestehenden organischen Befund im Bereich des Gehirns und den
nachgewiesenen intellektuellen Fähigkeiten des Klägers auseinander.
Nach dem Durchgangsarztbericht von Prof. Dr. R vom 25. August 1998, bestätigt durch
den Entlassungsbericht des Universitätsklinikums B F vom 11. September 1998, erlitt
der Kläger durch den Unfall ein Schädel-Hirn-Trauma zweiten Grades. Dabei handelt es
sich um eine Hirnprellung (Contusio cerebri) leichten Grades mit morphologisch
fassbarer Schädigung der Hirnsubstanz und Rückbildung der objektiven psychischen
Beeinträchtigung innerhalb von 21 Tagen. Die Diagnose einer Hirnkontusion wird
aufgrund des klinischen Untersuchungsbefunds gestellt, wenn die auf das Trauma
folgende (initiale) Bewusstseinstörung länger als zwei Stunden andauert, neurologische
Anfallssymptome, z. B. Lähmungen, auftreten oder der Verletzte einen epileptischen
Anfall erleidet. Gelegentlich werden hirnkontusionelle Schäden bei deutlich kürzerer
Bewusstlosigkeit nachgewiesen; dies gilt vor allem bei Gesichtschädelverletzungen unter
frontaler Gewalteinwirkung auf den Schädel (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a.
O., Kap. 5.3.2.2.). Solche Gesichtsschädelverletzungen hat der Kläger in Form von
Schädelbasis- und Gesichtsschädelfrakturen sowie einer Nasenbeinfraktur erlitten, die
jedoch nach den unangegriffenen Feststellungen in dem angefochtenen Bescheid
folgenlos ausgeheilt sind. Der Nachweis einer Hirnsubstanzschädigung geschieht mittels
apparativer Verfahren, insbesondere Elektroenzephalographie (vor allem zur
Anfalldiagnostik), kranialer Computertomographie und Kernspintomographie. Bei
ausgedehnter Hirnsubstanzschädigung können Dauerschäden verbleiben:
Halbseitenlähmung, neuropsychologische Störungen, posttraumatische Anfallsleiden
und psychische Auffälligkeiten im Sinne einer „Hirnleistungsschwäche und
Wesensveränderung“ (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Kap. 5.3.2.2.).
Die bei dem Kläger mehrfach durchgeführte apparative Diagnostik hat jedoch
keineswegs Hirnverletzungen nachgewiesen, die über den 21. Mai 1999 hinaus
bestehen. Am Unfalltag wurden diskrete, bifrontale Kontusionsblutungen ohne Zeichen
eines Hirnödems und ohne weitere intracerebrale Blutungen festgestellt. Im Kontroll-CCT
vom 28. August 1998 zeigten sich die Kontusionsblutungen bereits in Resorption (Bericht
der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin des Universitätsklinikums B
F vom 30. August 1998). Während zunächst das EEG vom 02. September 1998 eine
leichte, streckenweise mäßige Allgemeinveränderung ohne sichere lokalisierte
Funktionsstörung und ohne epilepsiespezifische Potentiale und dass EEG vom 28.
Oktober 1998 nur noch eine Grundaktivität an der Grenze zur leichten
Allgemeinveränderung mit der Beurteilung einer deutlichen Besserung ergeben hatte,
waren die Befunde aufgrund der EEG-Untersuchung am 06. April 1999 in der
Rehabilitationsklinik G insgesamt altersentsprechend. Das Schädel-CT in der
Rehabilitationsklinik G vom 18. Mai 1999 war ebenfalls unauffällig, es waren keine
posthämorrhagischen und postkontusionellen Substanzdefekte und keine
Liquorzirkulationsstörungen festzustellen, sondern damals allenfalls eine diskrete
Hypodensität beidseits fronto-basal. Auch die von Prof. Dr. L veranlassten EEG-
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Hypodensität beidseits fronto-basal. Auch die von Prof. Dr. L veranlassten EEG-
Untersuchungen am 20. Februar und 02. März 2006 haben einen altersentsprechenden
Befund ergeben. Das MRT vom 15. März 2006 ergab außerdem keinen Nachweis von
intrakraniellen Residuen.
Damit ist eine Hirnsubstanzverletzung als notwendige Voraussetzung eines
hirnorganischen Psychosyndroms ausgeschlossen. Zu diesem Schluss ist die
Rehabilitationsklinik G in dem Abschlussbericht vom 12. Juli 1999 gekommen. Sie hat
keinen Anhalt für ein hirnorganisches Psychosyndrom gefunden und nachvollziehbar
ausgeführt, das Schädel-Hirn-Trauma habe vermutlich eine vorübergehende
hirnorganische Leistungsminderung verursacht, wie sie auch in dem Entlassungsbericht
vom 11. September 1998 und dem Zwischenbericht vom 14. Oktober 1998 des
Universitätsklinikums B F zum Ausdruck gekommen ist. Hier wird nämlich geschildert,
dass der Kläger noch über deutliche Konzentrationsschwäche und schnelle Ermüdbarkeit
klage.
Die Sachverständige, die die fehlenden objektiven Befunde zur Kenntnis nimmt, aber
nicht weiter berücksichtigt und diskutiert, hat sich auch nicht mit den gegenteiligen
Bewertungen der Leistungsfähigkeit und des Sozialverhaltens des Klägers durch die
Rehabilitationsklinik G, den Zeugen M und die beigezogenen Zeugnisse
auseinandergesetzt. Das Sozialgericht hat in seinem Urteil vom 26. Februar 2004
ausführlich und nachvollziehbar dargelegt, dass unfallbedingte Konzentrations- und
Sprachstörungen des Klägers, der von seiner neuen Klasse schnell akzeptiert worden
und dessen Muttersprache türkisch sei, nicht belegt seien. Dagegen hat der Kläger keine
Einwendungen vorgebracht. Der Senat verweist deshalb zur Vermeidung von
Wiederholungen auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung, § 153 Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die bis zum Abschluss der fünften Klasse am 18. Juli 2001,
also knapp drei Jahre nach dem Arbeitsunfall, vorliegenden Zeugnisse belegen eine
durchschnittliche schulische Leistung des Klägers mit zum Teil nur ausreichenden Noten
im Fach Deutsch. Dass die Noten des Klägers, der im Zeitpunkt der Begutachtung durch
Prof. Dr. L die zehnte Klasse einer Realschule besucht hat, ohne bisher eine Klasse
wiederholt zu haben, nach Auffassung der Sachverständigen im letzten Schuljahr
deutlich schlechter geworden seien, mag zwar zutreffen, kann aber auch auf Gründen
beruhen, die die Sachverständige nicht einmal ansatzweise diskutiert hat, obwohl sie
sich nahezu aufdrängen. So sind die Noten des Klägers, die sie nur auszugsweise
wiedergibt, auf der Oberschule (Gymnasium) sofort drastisch schlechter geworden
(Hauptfächer: 5). Nach dem Wechsel auf die Realschule weist das Zeugnis vom 02. Juli
2003 nach den gutachterlichen Ausführungen jedoch wieder gute bis durchschnittliche
Noten auf, so etwa in Deutsch mündlich 2, Rechtschreibung 5 und Deutsch allgemein 3.
Prof. Dr. L konstatiert zunächst eine leichte Stabilisierung der Notenlage mit später
erneuter Verschlechterung, zuletzt in dem Zeugnis vom 27. Januar 2006 mit einer 5 in
Deutsch schriftlich und mündlich, einer 4 in Englisch sowie in Erdkunde, Chemie und
Arbeitslehre. Diese Verschlechterung der schulischen Leistung auf den Arbeitsunfall
zurückzuführen, hätte jedoch, abgesehen vom fehlenden organischen Befund, einer
besonderen Erklärung angesichts des langen Zeitablaufs seit dem Arbeitsunfall, dem
Eintritt der Pubertät des jugendlichen Klägers und den damit verbundenen
allgemeinbekannten Schwierigkeiten auch im schulischen Bereich sowie der
zwischenzeitlichen Stabilisierung einer durchschnittlichen Leistung bedurft. Des Weiteren
hätte sich die Sachverständige mit dem Umstand auseinandersetzen müssen, dass der
entgegen der Empfehlung des Grundschullehrers M von den Eltern veranlasste Wechsel
auf das Gymnasium eine erhebliche Überforderungssituation für den Kläger darstellte.
Es ist auch keine hinreichende Erklärung, auf die in schulischer Hinsicht erfolgreicheren
jüngeren Geschwister des Klägers zu verweisen, denn es gibt keinen Erfahrungssatz,
dass alle Kinder eines Elternpaares gleich intelligent und leistungswillig sind. Keineswegs
kann ausgeschlossen werden, dass der Kläger, der die deutsche Sprache erst mit
Schuleintritt erlernt hat und zumindest dessen Vater nahezu kein Deutsch spricht,
diesen Mangel, wie viele Migranten, im Laufe der Jahre nicht hinreichend beheben
konnte. Letztlich sind die angegebenen Kopfschmerzen, die Müdigkeit und
Konzentrationsschwäche von der Sachverständigen nicht weiter hinterfragt worden.
Dazu hätte aber angesichts des Umstands, dass sich der Kläger trotz seines
Astigmatismus weigert, die verordnete Brille zu tragen, Anlass bestanden. Die
Sachverständige hat auch die Testergebnisse, die eine weit unterdurchschnittliche
Lernleistung und eine auffallend hohe Vergessensrate erbracht haben, kritiklos
übernommen, obwohl diese mitarbeitsabhängig sind und in einem auffallenden
Missverhältnis zu den Testergebnissen in der Rehabilitationsklinik G und letztlich auch zu
den größtenteils durchschnittlichen Schulzeugnissen stehen. Im Termin zur mündlichen
Verhandlung hat der Kläger angegeben, das Fachabitur, Schwerpunkt Kfz-Technik,
ablegen zu wollen. Deshalb habe er den Realschulabschluss zweimal gemacht, um den
Notendurchschnitt zu verbessern. Sowohl diese Ausführungen des Klägers als auch die
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Notendurchschnitt zu verbessern. Sowohl diese Ausführungen des Klägers als auch die
nachgewiesenen bzw. durch die Sachverständige mitgeteilten schulischen Leistungen
lassen sich zur Überzeugung des Senats mit dem Bild eines Menschen mit einer
intellektuellen Gesamtbefähigung im Grenzbereich von durchschnittlicher bis
unterdurchschnittlicher Intelligenz, der nach Auffassung der Sachverständigen der
spezifischen Förderung sowohl in der Schule als auch später in der Berufsausbildung
bedarf, nicht vereinbaren.
Nach alledem kann der Auffassung von Prof. Dr. L, bei dem Kläger bestehe ein
unfallbedingtes hirnorganisches Psychosyndrom, nicht gefolgt werden.
Die Einschätzung der MdE durch die Sachverständige ist erst recht nicht nachvollziehbar.
Zum einen sind die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen
Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX), auf die sich
Prof. Dr. L zunächst bezogen hat, im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung nicht
anwendbar. Aber auch bei Anwendung der unfallversicherungsrechtlichen
Erfahrungssätze, wie sie z. B. bei Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Kap. 5.3.7.1.
und 5.3.7.2. wiedergegeben sind, ist eine MdE von 50 oder 60 und damit eine
Verletztenrente über den 21. Mai 1999 hinaus nicht zu rechtfertigen. Dies setzt
beispielsweise einen Gesundheitszustand voraus, wie er bei einer Hirnleistungsschwäche
und organischen Wesensveränderung mittelgradigen bis schweren Ausmaßes oder bei
hirnpathologischen herdbedingten Ausfällen mittelgradigen Ausmaßes, zerebral
bedingten Teillähmungen mittelgradigen bis schweren Ausmaßes bzw. zerebralen
Anfällen mittlerer Häufigkeit mit Pausen von Wochen gegeben ist. Dass bei dem Kläger
Unfallfolgen von solch einem Schweregrad vorliegen, ist auch nach dem von Prof. Dr. L
erhobenen Befund offensichtlich nicht der Fall.
Anhaltspunkte für weitere medizinische Ermittlungen sind für den Senat nicht ersichtlich.
Den Hilfsanträgen des Klägers brauchte der Senat ebenfalls nicht nachzugehen.
Unabhängig davon, dass die Beweisanträge, bei denen sowohl die Benennung des
Beweismittels als auch des Beweisthemas fehlt, in dieser Form nicht zulässig sind, wären
sie auch in der Sache nicht begründet. Der gerichtlichen Sachverständigen ist nämlich
bereits Gelegenheit gegeben worden, zu den Einwänden der Beklagten und des Gerichts
Stellung zu nehmen. In der Stellungnahme vom 15. Januar 2007 hat sie sich geäußert.
Diese Äußerung hatte der Senat unter Berücksichtigung der bereits vorliegenden
medizinischen Berichte, Befunde und Gutachten zu bewerten. Der Senat hat außerdem
keine Zweifel an der „Fachlichkeit des jugendpsychiatrischen Gutachtens von Prof. Dr.
L“, er kann vielmehr die dort getroffene Diagnose mit den vorliegenden Befunden und
Symptomen nicht nachvollziehen. Es bedurfte auch nicht der Einholung eines weiteren
jugendpsychiatrischen Gutachtens, denn der Senat ist aufgrund des Entlassungsberichts
der Rehabilitationsklinik G vom 12. Juli 1999 davon überzeugt, dass der Kläger, der sich
dort immerhin fast zwei Monate aufgehalten hat, nicht an einem hirnorganischen
Psychosyndrom leidet. Weitere psychiatrische Erkrankungen hat die gerichtliche
Sachverständige nicht bestätigt.
Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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