Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 12.11.2008

LSG Berlin und Brandenburg: treu und glauben, erlass, berufliche eingliederung, unentgeltliche tätigkeit, einziehung, materielle rechtskraft, arbeitslosigkeit, verein, rückwirkung, versicherungsträger

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 12.11.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Neuruppin S 6 AL 403/04
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 30 AL 18/07
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 02. Juni 2005 wird zurückgewiesen. Die
Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision
wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten den Erlass eines titulierten Rückerstattungsanspruchs in Höhe von ursprünglich
10.658,64 DM (= 5.449,68 EUR) wegen zu Unrecht geleisteten Arbeitslosengeldes (Alg).
Der Kläger war im Rahmen einer befristeten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) vom 01. Oktober 1993 bis zum
30. September 1994 als Leiter des Projekts ,,K C" tätig, durch das mehrere Klubs zur Betreuung von Kindern
zwischen 10 und 13 Jahren betrieben wurden. Maßnahmeträger war das Amt T-L, mit dem auch das entsprechende
Arbeitsverhältnis bestand. Als Projektleiter errichtete und betreute der Kläger Treffpunkte für Kinder in verschiedenen
Orten des Einzugsbereichs des Amtes T-L.
Die Beklagte bewilligte ihm auf seinen Antrag ab dem 01. Oktober 1994 Alg für 448 Tage (Bewilligungsbescheid vom
27. Oktober 1994; Änderungsbescheide vom 18. November 2004 und 2. Januar 2005).
Für den Zeitraum vom 01. Oktober 1995 bis zum 30. Juni 1996 beschäftigte der K C e.V. den Kläger in einem Umfang
von 40 Wochenstunden. Auf entsprechende Mitteilung des Klägers hob die Beklagte die Alg-Bewilligung mit Bescheid
vom 06. Oktober 1995 zum 01. Oktober 1995 auf.
Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 07. Oktober 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.
November 1996 forderte die Beklagte das an den Kläger geleistete Alg für den Zeitraum vom 01. Oktober 1994 bis
zum 30. September 1995 in Höhe von 10.662,37 DM zurück.
Die hiergegen erhobene Klage des Klägers wies das Sozialgericht Neuruppin mit Urteil vom 13. Mai 1998 ab (Az.: S 4
AL 181/96). Auf die Berufung des Klägers wurde das erstinstanzliche Urteil vom Landessozialgericht für das Land
Brandenburg mit Urteil vom 19. Juli 2001 (Az.: L 8 AL 49/98) unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen
dahingehend geändert, dass der Erstattungsbetrag um 3,73 DM auf 10.658,64 DM reduziert wurde. Die dagegen von
dem Kläger eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision verwarf das Bundessozialgericht durch
Beschluss vom 27. Juni 2002 (Az.: B 7 AL 258/01 B) als unzulässig.
Mit Bescheid vom 14. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Dezember 2003 rechnete
die Beklagte ab dem 01. November 2003 die Erstattungsforderung gegen den in der Zwischenzeit von der Beklagten
ab 01. Januar 2003 bewilligten Alg-Anspruch des Klägers in Höhe von täglich 15,95 EUR auf. Eine Klage dagegen
wurde vom Kläger nicht erhoben.
Bereits mit Schreiben vom 21. Mai 2003, dem er eine Kopie eines Schreibens des Amtsdirektors des Amtes T-L vom
27. September 2000 beifügte, beantragte der Kläger, die gegen ihn bestehende Erstattungsforderung in Höhe von
10.658,64 DM, worauf er nach eigenen Angaben schon monatliche Ratenzahlungen erbracht habe, niederzuschlagen
oder zu erlassen. Zur Begründung führte er aus, dass heute unentgeltliche ehrenamtliche Tätigkeiten der
Arbeitslosigkeit nicht mehr entgegenstünden, wenn diese bestimmten Anforderungen genügten. Diese lägen bei ihm
vor. Das Urteil zu seinem damaligen Verhalten habe ihn nicht nur finanziell, sondern auch moralisch tief getroffen.
Mit Bescheid vom 21. November 2003 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, die Voraussetzungen,
die § 76 Abs. 2 Nr. 3 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) an einen Forderungserlass stellt, seien nicht erfüllt.
Die Einziehung der Forderung sei weder aus persönlichen noch sachlichen Gründen unbillig. Die Existenz des Klägers
sei nicht gefährdet, da er Leistungen des Arbeitsamtes Eberswalde beziehe und der notwendige Lebensunterhalt
durch die Beschränkungen des § 51 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) sichergestellt sei. Auch eine sachliche
Unbilligkeit liege nicht vor, da die Einziehung der Forderung weder dem Zweck der anspruchsbegründenden Regelung
widerspräche, noch mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen oder verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen unvereinbar
sei. Vielmehr sei die ursprüngliche Entscheidung des Arbeitsamtes in mehreren Instanzen geprüft und inhaltlich
bestätigt worden.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 10. Dezember 2003 Widerspruch ein. Es liege eine sachliche
Unbilligkeit vor. Hierauf weise schon die Tatsache hin, dass die Regelung, die den Anspruch begründet habe,
aufgehoben worden sei. Es sei davon auszugehen, dass diese Aufhebung selbst aus Gründen der Unbilligkeit
vorgenommen worden sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12. März 2004 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Eine
sachliche Unbilligkeit liege nicht vor. Die Einziehung der Forderung widerspräche im Hinblick auf das rechtskräftige
Urteil des Landessozialgerichts Brandenburg nicht den Geboten der Gleichheit und des Vertrauensschutzes, den
Grundsätzen von Treu und Glauben, dem Erfordernis der Zumutbarkeit oder dem der gesetzlichen Regelung zugrunde
liegenden Zweck. Auch eine persönliche Unbilligkeit liege nicht vor, da der wirtschaftlichen Lage des Klägers durch
eine ratenweise Begleichung der Forderung angemessen Rechnung getragen werden könne.
Mit der dagegen am 08. April 2004 bei dem Sozialgericht Neuruppin erhobenen Klage hat der Kläger die Auffassung
vertreten, dass eine persönliche Unbilligkeit zwar nicht vorliege, von einer sachlichen Unbilligkeit aber wegen der
Änderung der Rechtslage auszugehen sei.
Die Beklagte hat sich vollumfänglich auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 12. März 2004 berufen.
Durch Urteil vom 02. Juni 2005 hat das Sozialgericht Neuruppin die Klage abgewiesen; wegen der Einzelheiten des
Urteils wird auf Bl. 10 bis 23 der Gerichtsakten verwiesen.
Gegen das dem Kläger am 04. August 2005 zugestellte Urteil hat er am 29. August 2005 Berufung bei dem
Sozialgericht Neuruppin zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Er habe der Beklagten die seinerzeit
ausgeführte Tätigkeit sowohl vom Umfang als auch von der Art her mitgeteilt. Zudem habe das erstinstanzliche Urteil
zu Unrecht nicht geprüft, ob sein Schreiben an das Arbeitsamt vom 16. Januar 1995, auf das er verweise, nicht die
Einbeziehung des Gebotes des Vertrauensschutzes bzw. des Grundsatzes von treu und Glauben gerechtfertigt hätten
und so eine sachliche Unbilligkeit begründen hätte können. Es könne nicht sein, dass einerseits ausschließlich dieses
Schreiben als Grundlage der Rückforderung und Beweis der zuviel geleisteten Stunden gewertet werde, andererseits
dadurch aber kein Vertrauensschutz begründet werde. Er habe diese Angaben noch während der Bezugszeit des Alg
gemacht, ohne dass daraufhin die Leistung eingestellt worden sei. Oberstes Prinzip solcher (Erlass-) Entscheidungen
durch die Beklagte sei es, im Interesse der Versichertengemeinschaft zu entscheiden. Dieses Interesse dürfe nicht
nur im Finanziellen gesucht werden.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 02. Juni 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. November
2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01. April 2004 aufzuheben, und die Beklagte zu verpflichten,
seinen Erlassantrag vom 21. Mai 2003 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten, der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten des Landessozialgerichts
Brandenburg (L 8 AL 49/98 ER) und des Sozialgerichts Neuruppin (S 4 AL 181/96) Bezug genommen, die Gegenstand
der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligte ihr Einverständnis mit dieser
Verfahrensweise erteilt haben (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§ § 144, 151 SGG), jedoch unbegründet. Das Sozialgericht
Neuruppin hat die Klage durch Urteil vom 02. Juni 2005 zu Recht abgewiesen. Die Klage ist zulässig, aber
unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 21. November 2003 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 01. April 2004 ist rechtmäßig. Die Beklagte hat den Antrag des Klägers auf Erlass des
gegen ihn bestehenden Rückerstattungsanspruchs aus dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 07. Oktober
1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. November 1996 ermessensfehlerfrei abgelehnt.
Bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass des Rückerstattungsanspruchs der Beklagten gegen den
Kläger sind nicht erfüllt. Gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV darf ein Versicherungsträger Ansprüche nur erlassen, wenn
deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Vorschrift stellt eine Ausnahme von dem in § 76
Abs. 1 SGB IV normierten Grundsatz dar, dass die Versicherungsträger dazu verpflichtet sind, ihre Einnahmen
rechtzeitig und vollständig zu erheben. Zu den Einnahmen gehören nach der Grundsatzvorschrift des § 20 SGB IV zur
Aufbringung der Mittel für die Finanzierung der Sozialversicherungsträger und der Arbeitsverwaltung auch die zu den
sonstigen Einnahmen zählenden Erstattungsansprüche (Borrmann in Hauck/Noftz, Kommentar, SGB IV, K § 76 Rn.
4).
Das Prinzip der rechtzeitigen und vollständigen Entnahmenerhebung darf nicht durch eine zu großzügige Auslegung
der Erlassvoraussetzungen unterlaufen werden. Denn mit dem Erlass wird gegenüber dem Schuldner auf einen
bestehenden Anspruch ganz oder teilweise verzichtet. Der Anspruch erlischt; seine spätere Geltendmachung ist
ausgeschlossen. Der Erlass begünstigt damit den Einzelnen zu Lasten der Versichertengemeinschaft. Es ist
zwischen den Interessen des Versicherungsträgers und der Verpflichtung aus § 76 Abs. 1 SGB IV, Einnahmen
rechtzeitig und vollständig zu erheben, und den Individualinteressen des Zahlungspflichtigen abzuwägen. Dies
erfordert enge Maßstäbe (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Dezember 2005, Az.: L 8 AL 4537/04, zitiert nach
juris). In diesem Zusammenhang ist das von § 76 SGB IV zugrunde gelegte Interesse des Versicherungsträgers und
das in Bezug genommene und in die Abwägung eingestellte Interesse der Versichertengemeinschaft allein finanzieller
Art. Sonstige Kriterien können allenfalls bei der Beurteilung des Vorliegens einer Unbilligkeit aus sachlichen Gründen
Berücksichtigung finden.
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die Einziehung der Forderung weder aus persönlichen noch aus sachlichen
Gründen unbillig.
Eine in der Person des Klägers begründete persönliche Unbilligkeit liegt nicht vor. Der Erlass wegen persönlicher
Unbilligkeit setzt voraus, dass die Einziehung für den Zahlungspflichtigen in wirtschaftlicher Hinsicht Existenz
bedrohend oder zumindest in hohem Maße Existenz gefährdend ist. Dies ist bei dem Kläger nicht ersichtlich. So hat
er weder vorgetragen, durch die Einziehung in eine wirtschaftliche Notlage zu geraten, noch ist hierfür angesichts der
ratenweise im Wege der Aufrechnung mit dem Anspruch auf Alg realisierten bzw. noch zu realisierenden Forderung
etwas ersichtlich. Eine andere Beurteilung drängt sich für den Senat auch ansonsten nicht auf.
Zudem liegt auch eine sachliche Unbilligkeit nicht vor. Ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen ist angezeigt,
wenn die Geltendmachung eines Anspruches zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, aber nach dem Zweck
des zugrunde liegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist, weil er dessen Wertungen zuwiderläuft. Umstände,
die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes einer Vorschrift hingegen bewusst in Kauf
genommen hat, können dagegen keine sachliche Unbilligkeit begründen (Bundefinanzhof, Urteil vom 05. Juni 1996,
Az.: X R 234/93, in BFHE 180, 240; LSG Niedersachsen, Urteil vom 02. März 1999, Az.: L 3 U 27/99, in HVBG-INFO
1999, 1893 und juris).
Insoweit ist das Erlassverfahren auch kein geeigneter Rechtsbehelf, Versäumnisse des Zahlungspflichtigen, die zur
Forderungserhebung durch den Sozialversicherungsträger geführt haben, auszugleichen (LSG Baden-Württemberg a.
a. O.). Insbesondere sind bei der Prüfung der Unbilligkeit im Rahmen des § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV die Umstände, die
zum Rückforderungsbetrag geführt haben, nicht zu berücksichtigen. So steht einer erneuten Überprüfung des
Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 07. Oktober 1996 gemäß § 141 Abs. 1 SGG die Rechtskraft der
Entscheidung des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 19. Juli 2001 bzw. der des
Bundessozialgerichts vom 27. Juni 2002 entgegen. Der Kläger kann nicht damit gehört werden, dass er seinerzeit
seiner Anzeigepflicht durch richtige und vollständige Angaben gegenüber dem Arbeitsamt nachgekommen sei und der
Bescheid daher gar nicht hätte ergehen dürfen. Gleiches gilt für seine Auffassung, das Schreiben vom 16. Januar
1995 habe für ihn einen der Einziehung entgegenstehenden, an Treu und Glauben orientierten Vertrauensschutz
begründet. Denn durch das rechtskräftige Urteil des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 19. Juli 2001
steht zwischen den Beteiligte rechtskräftig fest, dass der Rückforderungsbescheid rechtmäßig ist und den Kläger
nicht in seinen Rechten verletzt ist. Der Kläger kann nicht durch einen Erlassantrag die erneute Überprüfung eines
bestandskräftigen Bescheides (§ 77 SGG) verlangen, gegen den er - erfolglos - den Rechtsweg erschöpft hat. Die
materielle Rechtskraft bindet die am gerichtlichen Verfahren Beteiligten im Interesse der Rechtssicherheit und des
Rechtsfriedens. Sie ist insbesondere auch zu beachten, wenn das rechtskräftige Urteil falsch ist oder von einem
Beteiligten dafür gehalten wird (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig u. a., SGG, Kommentar, 9. Aufl., § 141 Rn. 3).
Darüber hinaus liegen weitere, für die Beurteilung der Forderungseinziehung relevante Gründe, die zu einer sachlichen
Unbilligkeit führen könnten, nicht vor.
Insoweit ist - wie bei allen Ermessensentscheidungen - auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, also
den Widerspruchsbescheid vom 12. März 2004, abzustellen. Es handelt sich bei der Beurteilung der sachlichen
Unbilligkeit zwar um eine tatbestandliche Voraussetzung der Norm. Durch den unbestimmten Rechtsbegriff der
Unbilligkeit und dem hierdurch eröffneten Beurteilungsspielraum des Versicherungsträgers kann eine Bewertung des
Einzelfalles aber nicht losgelöst von dem auf der Rechtsfolgenseite der Norm eröffneten Ermessen gewürdigt werden.
Vielmehr muss eine einheitliche Ermessensentscheidung getroffen werden (vgl. LSG Baden-Württemberg, a. a. O.).
Die im Hinblick auf den durch das Job-AQTIV-Gesetz vom 10. Dezember 2001 (BGBl. I 3443) in das SGB III
eingeführten § 118a geänderte Rechtslage zum 01. Januar 2002 kann eine sachliche Unbilligkeit nicht begründen.
Diese Vorschrift ist mit Wirkung zum 01. Januar 2002 in Kraft getreten und zum 01. Januar 2005 durch den
inhaltsgleichen § 119 Abs. 2 SGB III aufgrund des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt
vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2848) ersetzt worden. Die Regelung bestimmte bzw. bestimmt, dass eine
ehrenamtliche Tätigkeit Arbeitslosigkeit nicht ausschließt, wenn dadurch die berufliche Eingliederung des Arbeitslosen
nicht beeinträchtigt wird.
§ 118a SGB III bzw. § 119 Abs. 2 SGB III ist zum einen nicht direkt anwendbar auf die Entscheidung der Beklagten
durch den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 07. Oktober 1996, mit der Erstattungsansprüche für den
Zeitraum zwischen 1994 und 1995 geltend gemacht wurden. Denn der Gesetzgeber hat der Vorschrift keine
Rückwirkung beigemessen. Ebenso wenig enthält die Vorschrift eine gesetzliche Wertung, der der Forderungseinzug
zuwiderlaufe würde.
Zum einen hätte der Kläger auch unter Geltung des neu eingeführten § 118a SGB III bzw. § 119 Abs. 2 SGB III
keinen Anspruch auf die Bewilligung von Alg gehabt.
Hierzu ist zunächst festzustellen, dass sich die Rechtslage durch die Einführung des § 118a SGB III tatsächlich nicht
geändert hat. Denn die Vorschrift stellt lediglich klar, dass Arbeitslosigkeit allein wegen des Ausübens einer
ehrenamtlichen Tätigkeit nicht ausgeschlossen ist. Nicht dagegen wird bestimmt, dass es dem Arbeitslosen generell
ohne Verlust seines Leistungsanspruches erlaubt sei, eine ehrenamtliche Tätigkeit auch in einem Umfang von 15 und
mehr Wochenstunden auszuüben. Denn wenn es sich bei der über 15-stündigen ehrenamtlichen Tätigkeit um eine
versicherungspflichtige Beschäftigung nach §§ 24 ff. SGB III i. V. m. §§ 7, 8 SGB IV handeln würde, wäre
entsprechend § 118 Abs. 2 SGB III gerade dadurch die Arbeitslosigkeit ausgeschlossen. Dass eine Tätigkeit keine
versicherungspflichtige Tätigkeit sei, wenn sie ehrenamtlich ausgeübt werde, ist nicht im Gesetz geregelt worden
(Wissing, SGb 2002, S. 367).
Im Gegensatz zu den versicherungspflichtigen Tätigkeiten sind ehrenamtliche Tätigkeiten i. S. d. § 118a SGB III bzw.
§ 119 Abs. 2 SGB III freiwillige und uneigennützige Betätigungen im sozialen, kulturellen, karitativen oder sportlichen
Bereich, die dem Gemeinwohl dienen und bei einer Organisation erfolgen, die ohne Gewinnerzielungsabsicht
öffentliche oder gemeinnützige Aufgaben ausführt (Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB III, Kommentar, § 119 Rn. 45). Die
Abgrenzung hat danach zu erfolgen, ob es sich um ein öffentlich-rechtliches Sonderverhältnis handelt, dem aufgrund
von Zielsetzung und Ausgestaltung das - ein sozialrechtliches Beschäftigungsverhältnis kennzeichnende -
Austauschverhältnis fehlt, oder ob die betreffenden Personen über ihre Repräsentationsfunktionen hinaus dem
allgemeinen Erwerbsleben zugängliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Im Übrigen ist eine versicherungspflichtige
Tätigkeit gekennzeichnet durch eine Weisungsgebundenheit des Beschäftigten und dessen Eingliederung in die
Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat der Kläger keine klassische ehrenamtliche Tätigkeit im Rechtssinne
ausgeübt, sondern vielmehr eine unentgeltliche Mehrarbeit für den Verein, die in untrennbaren Zusammenhang mit
dem bestehenden versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat. Die unentgeltliche Tätigkeit des
Klägers beschränkte sich nicht auf die reine Repräsentation des Vereins, sondern umfasste im Wesentlichen die
Fortführung der entlohnten Arbeit. Deren Versicherungspflichtigkeit folgt nicht zuletzt aus dem wirtschaftlichen Wert,
den die Tätigkeit des Klägers für den Verein hatte. Denn sowohl die Betreuung der Jugendklubs als auch deren
entsprechende Organisation ist eine Tätigkeit, die dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnen ist. Darüber hinaus war
der Kläger auch dem Direktionsrecht des Vereins unterworfen. Ausweislich seiner Berufungsbegründung vom 06.
Dezember 2005 durfte er nur nach vorheriger Absprache mit dem Verein zusätzliche Angebote in den Jugendklubs
erbringen. Der Kläger hätte angesichts des zeitlichen Umfangs seiner Tätigkeit also auch unter Geltung der neuen
Regelung keinen Anspruch auf Alg gehabt.
Eine sachliche Unbilligkeit anzunehmen, würde dazu führen, dem Kläger eine Leistung zu belassen, auf die er zu
keiner Zeit einen Anspruch gehabt hat. Dies hieße den Kläger im Vergleich zu der übrigen Versichertengemeinschaft -
die bei gleichen Voraussetzungen ebenfalls keinen Leistungsanspruch hätten - zu privilegieren.
Zum anderen würde auch die Anerkennung der Tätigkeit des Klägers als ehrenamtlich im Rechtssinne zu keinem
anderen Ergebnis führen. Denn auch in dem Fall könnte hieraus im Hinblick auf die neue gesetzliche Regelung keine
sachliche Unbilligkeit hergeleitet werden. Es handelt sich bei der gesetzgeberischen Entscheidung gegen die
Beimessung einer Rückwirkung um einen Umstand, dessen sich der Gesetzgeber bewusst war. Denn der
Gesetzgeber selbst war nicht der Meinung, dass ehrenamtliche Tätigkeiten nach der alten Rechtslage die
Arbeitslosigkeit ohne weiteres ausschließen würden. Er glaubte jedoch, die Möglichkeit ausschließen zu müssen,
dass das Bundessozialgericht in Anwendung der Gleichzeitigkeitsthese so entscheiden könnte. Nach dieser These
stünde ein ehrenamtlich tätiger Arbeitsloser schon deswegen der Arbeitsvermittlung nicht mehr zur Verfügung, weil er
ehrenamtlich tätig ist und deswegen nicht gleichzeitig auch Eingliederungsvorschlägen des Arbeitsamtes Folge leisten
könne. Der Gesetzgeber wollte derartige Entscheidungen, die zu einem rechtspolitisch unerwünschten Ergebnis
führen würden, verhindern (Wissing, SGb 2002, S. 369). Er wollte insoweit für die Zukunft die ehrenamtliche Tätigkeit
im Hinblick auf den Leistungsanspruch des Arbeitslosen absichern. Nicht aber wollte er in die Rechtsverhältnisse der
Vergangenheit eingreifen.
Nach alledem erweist sich die Berufung als unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Grund hierfür nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.