Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 17.03.2005

LSG Berlin-Brandenburg: arbeitslosenhilfe, verwertung, bedürftigkeit, form, kurswert, verkehrswert, verwaltungsakt, erwerb, unzumutbarkeit, aktionär

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
30. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 30 AL 106/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 6 Abs 3 S 1 AlhiV, § 8 S 2
AlhiV, § 193 Abs 2 SGB 3
Arbeitslosenhilfe - Bedürftigkeitsprüfung -
Vermögensverwertung - Zumutbarkeit - Aktienvermögen -
offensichtliche Unwirtschaftlichkeit - wirklicher Wert -
Verkehrswert
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 17. März
2005 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für
die Zeit vom 27. März 2001 bis 23. Juli 2001 sowie damit verbunden die Erstattung von
Arbeitslosenhilfe nebst Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung mit einer
Rückforderungssumme von insgesamt 7393,51 DM (=3.780,24 Euro).
Der Kläger ist gelernter Kfz-Mechaniker und war zuletzt bis zum 31. März 2000 als
Meister bei der A & A GmbH T beschäftigt.
Am 30. März 2000 meldete der Kläger sich beim Arbeitsamt Potsdam - Dienststelle
Luckenwalde – mit Wirkung zum 1. April 2000 arbeitslos und beantragte
Arbeitslosengeld. Ausweislich der Arbeitsbescheinigung der A & A GmbH vom 10. April
2000 erhielt der Kläger in den Monaten April 1999 bis März 2000 ein gleichbleibendes
Bruttoarbeitsentgelt von 4.800,-- DM monatlich, insgesamt 57.600,-- DM, bei einer 40-
Stunden-Arbeitswoche. In die Lohnsteuerkarte des Klägers für das Jahr 2000 war zu
Beginn des Jahres die Steuerklasse I ohne Kinderfreibeträge eingetragen. Die Beklagte
bewilligte dem Kläger daraufhin antragsgemäß für die Zeit vom 01. April 2000 bis zum
26. März 2001 - zunächst nach einem Bemessungsentgelt von 1.110,-- DM wöchentlich,
dann rückwirkend ab 1. April 2000 nach einem Bemessungsentgelt von 1.220,-- DM
wöchentlich – Arbeitslosengeld, zuletzt bis zum 26. März 2001 in Höhe von 425,25 DM
wöchentlich (Leistungsgruppe A/Leistungssatz 60 v. H./ SGB III-LeistungsentgeltVO 2001
– vgl. Zahlungsnachweis Nr. 3 vom 27. März 2001, enthalten in den Leistungsakten der
Beklagten).
Im Zeitraum von März 2000 bis Oktober 2000 erwarb der Kläger Aktien der B AG (02. Mai
2000), der GE AG (04. Oktober 2000), der D T AG (27. März 2000, 05. Mai 2000, 19. Juni
2000), der M AG (04. Oktober 2000), der IAG (23. und 29. Juni 2000), der T- I AG (10. Mai
2000) und der L EN. V. (27. März 2000, 17. Mai 2000), deren Erwerbskosten unter
Zugrundelegung des jeweiligen Kurswerts am jeweiligen Kauftag umgerechnet
insgesamt 53.056,81 Euro betrugen.
Am 01. März 2001 beantragte der Kläger für die Zeit nach Erschöpfung des
Arbeitslosengeldanspruchs Arbeitslosenhilfe. In die Lohnsteuerkarte des Klägers für das
Jahr 2001 war zu Beginn des Jahres die Steuerklasse I ohne Kinderfreibeträge
eingetragen. In dem Zusatzblatt „Bedürftigkeitsprüfung“ beantwortete er die Frage nach
Freistellungsaufträgen (8.2) mit „nein“. Ebenso gab er auf die Frage nach Vermögen
(8.3) als Antwort „nein“ an. Die weiteren Fragen, insbesondere nach Wertpapieren (z. B.
Aktien, Fonds-Anteilen usw.) unter 8.3 d ließ er offen. Mit Unterschrift vom 01. März 2001
bestätigte er die Richtigkeit seiner Angaben. Die Beklagte bewilligte ihm daraufhin
antragsgemäß ab dem 27. März 2001 (bis 31. Dezember 2001) Arbeitslosenhilfe in Höhe
von 351,02 DM wöchentlich (50,15 DM täglich) nach einem Bemessungsentgelt von
gerundet 1.110,00 DM wöchentlich (Leistungsgruppe A/Leistungssatz 53 v. H./SGB III-
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gerundet 1.110,00 DM wöchentlich (Leistungsgruppe A/Leistungssatz 53 v. H./SGB III-
LeistungsentgeltVO 2001/Bewilligungsverfügung vom 08. März 2001, Zahlungsnachweis
Nr. 1 vom 04. Februar 2002) und vom 01. Januar 2002 bis zum 03. Februar 2002 in Höhe
von 179,55 Euro wöchentlich.
Aufgrund eines Datenabgleichs mit dem Bundesamt für Finanzen teilte das Zentralamt
der Beklagten dem Arbeitsamt Potsdam mit Schreiben vom 16. Januar 2002 mit, dass
für den Kläger ein Freistellungsauftrag für das Jahr 2000 bei der D B mit einem
Kapitalertrag von 469 DM bestehe. Die Beklagte fragte bei dem Kläger daraufhin mit
Schreiben vom 13. März 2002 zu dem Freistellungsauftrag nach. Der Kläger erklärte mit
Schreiben vom 25. März 2002 mit, er verfüge bei der D B unter der Kontonummer über
.
übersandten Kontoauszug der D B vom 20. März 2002 ließ sich dort ein Depot mit
Aktienpaketen in einem Gesamtwert von 14.072,-- Euro für den 27. März 2001
entnehmen. Im Hinblick auf dieses Vermögen hörte die Beklagte den Kläger mit
Schreiben vom 01. Oktober 2002 zu einer beabsichtigten Rückforderung der
Arbeitslosenhilfe für den Zeitraum vom 27. März 2001 bis zum 31. Dezember 2001 in
Höhe von 14.042,00 DM (7.179,56 Euro) an. Weiter bezifferte sie die für diesen Zeitraum
zu Unrecht entrichteten Beiträge zur Krankenversicherung mit 3.115,87 DM (1.593,12
Euro) und zur Pflegeversicherung mit 238,71 DM (122,05 Euro). Hierzu erklärte der
Kläger mit Schreiben vom 10. Oktober 2002, seines Erachtens sei die Verwertbarkeit des
Vermögens nicht zumutbar, da die Verwertung einen Wertverlust von mehr als 10
.
Mit Bescheid vom 17. Dezember 2002 hob die Beklagte die Bewilligung von
Arbeitslosenhilfe für den Zeitraum vom 27. März 2001 bis zum 31. Dezember 2001
aufgrund verwertbaren Vermögens in Höhe von 19.522,44 DM auf und forderte vom
Kläger Arbeitslosenhilfe in Höhe von 14.042,00 DM nebst Beiträgen zur Kranken- und
Pflegeversicherung in Höhe von 3.354,58 DM, insgesamt 17.396,58 DM (8.894,73 Euro),
zurück.
Hiergegen erhob der Kläger am 15. Januar 2003 Widerspruch. Bei einem Wertpapierkurs
beim Kauf in Höhe von umgerechnet 53.052 Euro wäre am 27. März 2001 lediglich ein
geringer Teil in Höhe von umgerechnet 14.072 Euro realisierbar gewesen. Bei
Verwertung des Vermögens wäre daher ein Kursverlust von 73,48 Prozent eingetreten.
Eine derartig unwirtschaftliche Veräußerung der erworbenen Wertpapiere sei ihm nicht
zumutbar. Es sei zudem einhellige Empfehlung der Medien gewesen, Wertpapiere in
jedem Fall zu halten und nicht etwa bei extremem Wertverlust zu verkaufen. Im Übrigen
sei das Vermögen in unzulässiger Weise mehrfach angerechnet worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 05. September 2003 wies die Beklagte den Widerspruch
zurück. Ausgehend von einem Vermögen in Form von Wertpapieren mit einem
Depotwert von 14.072 Euro (=27.522,44 DM) sei abzüglich eines Freibetrages von 8.000
DM ein zu berücksichtigendes Vermögen von 19.522,44 DM vorhanden gewesen. Dieses
Vermögen habe zunächst zu einer fehlenden Bedürftigkeit von 17 Wochen geführt. Nach
Ablauf dieser 17 Wochen habe der Kläger einen erneuten Antrag auf Arbeitslosenhilfe
stellen können, es wäre dann jedoch die Bedürftigkeit nach dem dann vorhandenen
Vermögen neu zu prüfen gewesen wäre. Auch bei einem Antrag mit wahrheitsgemäßen
Angaben im Jahre 2001 habe dies zu einer Wiederanrechnung des vorhandenen
Vermögens abzüglich der zu Unrecht gezahlten Arbeitslosenhilfe geführt. Insgesamt sei
damit für den Zeitraum vom 27. März 2001 bis zum 31. Dezember 2001 eine
Bedürftigkeit nicht gegeben. In diesem Zeitraum seien Arbeitslosenhilfe in Höhe von
14.042 DM (7.179,56 Euro), Beiträge zur Krankenversicherung in Höhe von 3.115,78 DM
(1.593,12 Euro) sowie Beiträge zur Pflegeversicherung in Höhe von 238,71 DM (122,05
Euro) gezahlt worden. Diese seien zu erstatten. Eine wiederkehrende Anrechnung des
Vermögens sei auch trotz der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG -
möglich, da das entsprechende Urteil erst vom 29. Januar 2002 datiere und damit die
hiesigen Zeiträume bereits zuvor am 31. Dezember 2001 abgeschlossen gewesen
seien.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 06. Oktober 2003 vor dem Sozialgericht
Potsdam Klage erhoben. Die Verwertung des Aktienpaketes sei offensichtlich
unwirtschaftlich. Wie bereits im Widerspruchsverfahren vorgetragen, trete bei Verwertung
am 27. März 2001 ein Verlust von 73,48 Prozent ein. Zudem sei nach der
Rechtsprechung des BSG vorhandenes Vermögen nur einmal anzurechnen, so dass ein
Leistungsanspruch mangels Bedürftigkeit allenfalls für die Dauer von 17 Wochen nicht
gegeben sei.
Während des Klageverfahrens hat die Beklagte dem Begehren des Klägers insoweit
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Während des Klageverfahrens hat die Beklagte dem Begehren des Klägers insoweit
entsprochen, als sie mit Bescheid vom 19. März 2004 den Bescheid vom 17. Dezember
2002 dahingehend geändert hat, dass sie die Entscheidung über die Bewilligung von
Arbeitslosenhilfe (nur noch) für die Zeit vom 27. März 2001 bis zum 23. Juli 2001
aufgehoben hat. Aufgrund des verwertbaren Vermögens in Höhe von 19.522,44 DM
(9.981,67 Euro) ergebe sich ein Ruhenszeitraum von 17 Wochen, in denen der Kläger
keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe habe. Es seien innerhalb dieses Zeitraumes
Arbeitslosenhilfe in Höhe von 5.967,85 DM (3.051,31 Euro) nebst Beiträgen zur
Krankenversicherung in Höhe von 1.324,22 DM (677,06 Euro) und
Pflegeversicherungsbeiträgen in Höhe von 101,45 DM (51,87 Euro), insgesamt eine
Summe von 7.393,51 DM (3.780,24 Euro), zu Unrecht gezahlt worden, die zu erstatten
sei.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 17. Dezember 2002 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 05. September 2003 in der Fassung des
Änderungsbescheides vom 19. März 2004 aufzuheben.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie auf ihre Bescheide verwiesen.
Das Sozialgericht Potsdam hat mit Urteil vom 17. März 2005 die Klage abgewiesen. Die
Bescheide der Beklagten in Gestalt des Änderungsbescheides vom 19. März 2004 seien
rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten. Nach § 45 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB X) i. V. m. § 330 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) sei der
rechtswidrige begünstigende Bewilligungsbescheid zurückzunehmen. Auf Vertrauen
könne sich der Kläger nicht berufen, da der rechtswidrige Verwaltungsakt auf Angaben
beruhe, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder
unvollständig gemacht habe. Im streitigen Zeitraum sei der Kläger nicht bedürftig
gewesen und habe keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe gehabt. Schließlich stehe auch
der Wertverlust des Aktienpaketes einer Verwertung nicht entgegen, da das Vermögen
in Höhe des Verkehrswertes ermittelt werden könne, dieser realisierbar sei und damit
zwischen dem Verkehrswert und dem zu realisierenden Verkaufswert keine Diskrepanz
bestehe.
Gegen dieses dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 19. April 2005 zugestellte
Urteil hat der Kläger am 18. Mai 2005 Berufung bei dem Landessozialgericht für das
.
bei Aktien- und Fondsanteilen durchaus eine Diskrepanz zwischen dem wirklichen Wert
und dem durch Wertpapierveräußerung zu erzielenden Wert. Die vom Kläger gehaltenen
Wertpapiere verkörperten Unternehmensbeteiligungen an Aktiengesellschaften. Der
wirkliche Wert dieser Gesellschaften bemesse sich jedoch nicht allein an ihrem
Börsenwert. Der Wert des Unternehmens sei vielmehr anhand seiner Bilanzdaten
ermittelbar. Bei einem Verkauf der Aktien bliebe der Erlös deutlich hinter dem
tatsächlichen Wert der Unternehmensbeteiligung des Klägers zurück. Die Verwertung sei
auch aus diesem Grund unwirtschaftlich und eine Berücksichtigung als Vermögen
.
Nach den vorgelegten Abrechnungen für die Anschaffung der Aktien hätten die
.
2002 stünde diesen Erwerbskosten mit einem Bewertungsstichtag per 27. März 2001 ein
möglicher Veräußerungserlös von nur 14.072,00 Euro gegenüber.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 17. März 2005 sowie den Bescheid der
Beklagten vom 17. Dezember 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.
September 2003 und des Änderungsbescheides vom 19. März 2004 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 17. Oktober 1990 - 11 RAr 133/88 und
17. Oktober 1996 - 7 RAr 2/96) sei eine offensichtlich unwirtschaftliche
Vermögensverwertung nur gegeben, wenn das Ergebnis der Verwertung vom wirklichen
Wert nicht nur geringfügig abweiche. Im vorliegenden Fall entspreche jedoch der wirkliche
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Wert nicht nur geringfügig abweiche. Im vorliegenden Fall entspreche jedoch der wirkliche
Wert (aktueller Kurswert) auch dem tatsächlichen Wert des Vermögens. Insoweit könne
sie sich auch der vom Landessozialgericht Berlin (Urteil vom 29. April 2004 - L 8 AL
90/02) entwickelten Rechtsprechung nicht anschließen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Verfahrens im
Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Leistungsakte der
Beklagten (Stamm-Nr.), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind,
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Sie ist ohne weitere
Zulassung nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, weil der Wert
des Beschwerdegegenstandes 500,00 Euro übersteigt.
Die Berufung des Klägers ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht Potsdam hat die
Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 17. Dezember 2002 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. September 2003 und des
Änderungsbescheides vom 19. März 2004 ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die
Entscheidung der Beklagten ist in Form des Änderungsbescheides vom 19. März 2004
rechtmäßig.
Die Beklagte hat zu Recht nach § 45 SGB X i. V. m. § 330 Absatz 2 SGB III die
Leistungsbewilligung für den noch streitbefangenen Zeitraum vom 27. März 2001 bis 23.
Juli 2001 zurückgenommen und gemäß § 50 Abs. 1 SGB X die erbrachte Leistung
erstattet verlangt. Der Kläger kann sich weiter auf Vertrauen nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr.
2 SGB X nicht berufen, da die rechtswidrige Leistungsbewilligung auf Angaben beruht, die
er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig
gemacht hat.
Nach § 45 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem
er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz
oder teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Abs. 1). Er
darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des
Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen
Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (Abs. 2 Satz 1). Das Vertrauen ist in der
Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine
Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren
Nachteilen rückgängig machen kann (Abs. 2 Satz 2). Auf Vertrauen kann der
Begünstigte sich nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der
Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder
unvollständig gemacht hat (Abs. 2 Satz 3 Nr. 2). Gleiches gilt, soweit er die
Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht
kannte (Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 erster Halbsatz). Liegen die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X
genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden
Verwaltungsaktes vor, ist dieser gemäß § 330 Abs. 2 des Dritten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB III) auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
§ 45 SGB X kommt im Falle des Klägers zur Anwendung, weil bereits die erstmalige
Bewilligung von Arbeitslosenhilfe ab 27. März 2001 im Hinblick auf die fehlende
Bedürftigkeit des Klägers rechtswidrig im Sinne der Vorschrift war.
Anspruch auf Arbeitslosenhilfe haben gemäß § 190 Abs. 1 SGB III in der hier
anzuwendenden vom 01. Januar 2000 bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung
des 3. SGB III-Änderungsgesetzes vom 22. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2624)
Arbeitnehmer, die
1. arbeitslos sind,
2. sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet haben,
3. einen Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht haben, weil sie die Anwartschaftszeit
nicht erfüllt haben,
4. in der Vorfrist Arbeitslosengeld bezogen haben, ohne dass der Anspruch wegen
des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt 24 Wochen erloschen ist
und
5. bedürftig sind.
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Der Kläger war zwar arbeitslos im Sinne von § 118 Abs. 1 SGB III, da er vorübergehend
nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stand (§ 118 Abs. 1 Nr. 1 SGB III) und eine
versicherungspflichtige Beschäftigung suchte (§ 118 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 119 Abs. 1
SGB III). Denn nach den Angaben in seinem Antrag auf Arbeitslosenhilfe vom 01. März
2001 wollte er alle Möglichkeiten nutzen, um seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden
und stand den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung. Der Kläger
hatte sich ferner arbeitslos gemeldet und keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, weil er
die Anwartschaftszeit nicht erfüllt hatte. Er bezog ferner in der Vorfrist von einem Jahr
vor Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen (§ 192 Satz 1 SGB III), d. h. in der Zeit
vom 27. März 2000 bis 26. März 2001, zumindest einen Tag Arbeitslosengeld, ohne dass
der Anspruch wegen des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt 24
Wochen erloschen ist.
Der Kläger war jedoch zum Zeitpunkt der erstmaligen Bewilligung von Arbeitslosenhilfe
(27. März 2002) nicht bedürftig.
Bedürftig ist nach § 193 Abs. 1 SGB III in der hier anzuwendenden bis zum 31. Dezember
2004 geltenden Fassung ein Arbeitsloser, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf
andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreitet oder bestreiten kann und das zu
berücksichtigende Einkommen die Arbeitslosenhilfe nicht erreicht.
Nach § 206 Nr. 1 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung ist das
Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung ermächtigt, im Einvernehmen mit dem
Bundesministerium der Finanzen durch Rechtsverordnung zu bestimmen, inwieweit
Vermögen zu berücksichtigen und unter welchen Voraussetzungen anzunehmen ist,
dass der Arbeitslose seinen Lebensunterhalt auf andere Weise bestreitet oder bestreiten
kann. Nach § 6 der im Jahre 2001 geltenden Arbeitslosenhilfe-Verordnung vom 07.
August 1974 - Alhi-VO ist das Vermögen des Arbeitslosen und seines nicht dauernd
getrennt lebenden Ehegatten zu berücksichtigen, soweit es verwertbar ist, die
Verwertung zumutbar ist und der Wert des Vermögens, dessen Verwertung zumutbar
ist, jeweils 8000 Deutsche Mark übersteigt (§ 6 Abs. 1 Alhi-VO). Die Verwertung ist
zumutbar, wenn sie nicht offensichtlich unwirtschaftlich ist und wenn sie unter
Berücksichtigung einer angemessenen Lebenshaltung des Inhabers des Vermögens und
seiner Angehörigen billiger Weise erwartet werden kann (§ 6 Abs. 3 Satz 1 Alhi-VO).
Schließlich wird das Vermögen ohne Rücksicht auf steuerliche Vorschriften mit seinem
Verkehrswert berücksichtigt (§ 8 Satz 1 Alhi-VO). Nach § 8 Satz 2 Alhi-VO ist für die
Bewertung der Zeitpunkt maßgebend, in dem der Antrag auf Arbeitslosenhilfe gestellt
wird, bei späterem Erwerb von Vermögen der Zeitpunkt des Erwerbs. Die Dauer der
Berücksichtigung ergibt sich aus § 9 Alhi-VO. Danach besteht die Bedürftigkeit nicht für
die Anzahl voller Wochen, die sich aus der Teilung des zu berücksichtigenden Vermögens
durch das Arbeitsentgelt ergibt, nach dem sich die Arbeitslosenhilfe richtet.
Die Leistungsbewilligung für den streitigen Zeitraum ist rechtswidrig, weil dem Kläger
zum damaligen Zeitpunkt ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe mangels Bedürftigkeit nicht
zustand.
Am Tag des Beginns der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (27. März 2001) verfügte der
Kläger ausweislich des Kontoauszuges der Deutschen Bank 24 vom 20. März 2002 allein
in dem Wertpapierdepot über ein Guthaben von mindestens 14.072 Euro in Form von
Aktien. Umgerechnet in DM entspricht dieses einem Betrag von 27.522,44 DM. Von
diesem Betrag ist ein Freibetrag in Höhe von 8.000 DM abzuziehen, wonach sich ein
anrechenbarer Betrag in Höhe von 19.522,44 DM ergibt. Dieser Betrag ergibt nach dem
Berechnungsgrundsatz gemäß § 9 Alhi-VO nach Teilung durch das – von der Beklagten
unter Berücksichtigung von § 132 Abs. 2 SGB III in der im Jahre 2001 geltenden Fassung
und des § 200 Abs. 1 SGB III in der im Jahre 2001 geltenden Fassung des
Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetzes vom 21. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1971) –
zutreffend ermittelte Bemessungsentgelt (1.110 DM wöchentlich = Bruttoarbeitsentgelt
von 57.600 DM : 52 Wochen = 1.107,69 DM wöchentlich,
gerundet 1.110 DM wöchentlich) einen Zeitraum von 17 Wochen, in denen eine
Bedürftigkeit nicht bestand.
Das Aktienvermögen ist auch verwertbar. Insbesondere ist eine Verwertung nicht nach §
6 Abs. 3 Satz 1 Alhi-VO ausgeschlossen, weil die Verwertung nicht offensichtlich
unwirtschaftlich ist.
Eine solche offensichtliche Unwirtschaftlichkeit ergibt sich weder daraus, dass seit dem
Erwerb der Aktien erhebliche Kursverluste eingetreten sind, noch daraus, dass der
Aktienwert nicht dem Verkehrswert der aktiennotierten Unternehmen entsprach.
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Nach der Rechtsprechung des BSG ist eine Verwertung im Sinne von § 6 Abs. 3 Satz 1
Alhi-VO offensichtlich unwirtschaftlich, wenn der zu erzielende Gegenwert in einem
deutlichen Missverhältnis zum wirklichen Wert des zu verwertenden
Vermögensgegenstandes steht (BSG, Urteil vom 25. April 2002 - B 11 AL 69/01 R - in:
DBlR 4750 a, § 137 AFG). Zur Beurteilung der Zumutbarkeit der Verwertung ist deshalb
darauf abzustellen, ob die für den Vermögensgegenstand erzielbare Gegenleistung
nennenswert hinter seinem „wirklichen Wert“ zurückbleibt (BSG, a.a.O.). Es ist ein rein
wirtschaftlich-ökonomischer Maßstab bei der Frage anzulegen, ob Sachen und Rechte
unwirtschaftlich verwertet werden können (BSG, Urteil vom 09. Dezember 2004 - B 7 AL
44/04 R - in: SozR 4-4300 § 193 Nr. 3). Eine Verwertung wurde als unwirtschaftlich
angesehen, wenn ein normal und ökonomisch Handelnder sie unterlassen würde (BSG,
Urteil vom 09. Dezember 2004 - B 7 AL 30/04 R - in: SozR 4-4300 § 193 Nr. 2). Im Falle
der Berücksichtigung eines Bausparvertrages sah das Bundessozialgericht eine
Unwirtschaftlichkeit der Verwertung beispielsweise als gegeben an, wenn der Zwang zur
Verwertung des Bausparvertrages die eingezahlten Beträge in einem nennenswerten
Umfang entwerten würde (BSG, Urteil vom 25. Mai 2005 - B 11 a/11 AL 73/04 R - in:
SozR 4-4420 § 6 Nr. 3).
Dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an. Aus ihr ergibt
sich vorliegend keine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Verwertung der Aktien des
Klägers zum Stichtag am 27. März 2001.
Entgegen der Ansicht des Klägers bleibt der am 27. März 2001 realisierbare Wert der
Aktienpakete des Klägers nicht hinter ihrem wirklichen Wert an diesem Tage zurück und
führt nicht bereits aus diesem Grund zur Unzumutbarkeit der Verwertung. Denn die
Aktien repräsentieren nicht den Gegenwert der Aktiengesellschaft, sondern stellen nach
§ 1 Abs. 2 Aktiengesetz (AktG) Bruchteile des Grundkapitals dar. Dieses muss nach § 6
AktG auf einen Nennbetrag lauten. Der Mindestnennbetrag des Grundkapitals sind
50.000 Euro (§ 7 AktG). Damit verkörpert der an der Börse notierte Wert der Aktien nicht
den Wert des Unternehmens, sondern stellt lediglich einen Teil des Grundkapitals dar.
Dieses wiederum dient der Sicherung der Gläubiger und stellt den notwendigen
Ausgleich für den in § 1 Abs. 1 Satz 2 AktG angeordneten Haftungsausschluss der
Aktionäre dar (Hüffer, Aktiengesetz, 7. Auflage, 2006 § 1 Rdnr. 10). Die
Aktiengesellschaft muss über Vermögensgegenstände verfügen, deren Gesamtwert
wenigstens dem Betrag des Grundkapitals entspricht (Hüffer, a.a.O.). Seiner Rechtsnatur
nach ist das Grundkapital also nichts anderes, als eine satzungsmäßig fixierte
Bilanzziffer mit bestimmten Funktionen im Aufbau der Aktiengesellschaft; dabei steht die
Garantiefunktion im Vordergrund. Vergleichbar dem Stammkapital nach dem GmbH-
Gesetz repräsentiert das in Aktien zerlegte Grundkapital nicht den wirklichen Wert des
Unternehmens, sondern stellt eine Haftungsmasse dar.
Insoweit ist es unerheblich, ob der wirkliche Wert des Unternehmens dem Wert der am
Stichtag gehandelten Aktien entsprach. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Werte der
Aktienpakete des Klägers am Bewertungsstichtag seinem wirklichen Wert entsprach.
Dies ist vorliegend der Fall, da der Wert den Kurswert und damit den Marktwert vom
Bewertungsstichtag wiedergibt. Die in dem Kontoauszug der D B vom 20. März 2002
festgestellten Werte der Aktienpakete entsprechen mithin dem Wert, den der Kläger bei
Veräußerung dieser Pakete am 27. März 2001 erzielt hätte. Damit bleibt der mit
Kontoauszug vom 20. März 2002 bescheinigte Wert der Aktienpakete nicht hinter dem
Handelswert zum gleichen Stichtag zurück und ist als maßgeblicher Verkehrswert nach §
8 Alhi-VO anzusehen.
Auch der erhebliche Kursverlust der Aktienpakete bis zum Stichtag führt nicht zu einer
Unzumutbarkeit der Verwertung wegen offensichtlicher Unwirtschaftlichkeit.
Unter Zugrundelegung eines rein wirtschaftlich-ökonomischen Maßstabes fehlt es bei
einem Verkauf der Aktien am 27. März 2001 bereits an dem durch den Verkauf
verursachten Eintritt eines wirtschaftlichen Verlustes; hierdurch wird er („nur“) offenbar.
Wie oben dargestellt, stellt der mit Kontoauszug vom 20. März 2002 bescheinigte
Kurswert den tatsächlichen Wert der Aktien zum damaligen Stichtag dar. Damit hatte
sich der wirtschaftliche Verlust bereits zu diesem Stichtag realisiert. Im Vergleich zum
Zeitpunkt des Erwerbs der Aktien verloren diese bis zu dem Stichtag erheblich an Wert.
Demgegenüber tritt der Wertverlust nicht dadurch ein, dass die Aktien verkauft werden.
Denn der Vorgang des Verkaufes führt nicht zu einer Reduktion des Vermögens; diese
ist bereits durch den Kursverlust der Wertpapiere eingetreten.
Hier liegt ein wesentlicher Unterschied der Verwertung eines Aktienvermögens
beispielsweise zu einem Vermögen in Form einer Kapitallebensversicherung. Bei
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beispielsweise zu einem Vermögen in Form einer Kapitallebensversicherung. Bei
letzterer tritt oftmals ein wirtschaftlicher Verlust erst dadurch ein, dass der Vertrag
vorfristig beendet wird und sich aus diesem Grunde ein reduzierter Rückkaufswert ergibt.
In diesem Zusammenhang vermag der Senat der Rechtsprechung des 8. Senates des
Landessozialgerichts Berlin (Urteil vom 29. April 2004 - L 8 AL 90/02 – zitiert nach juris)
nicht zu folgen, wenn dieser u. a. ausführt:
„…Nach der Rechtsprechung des BSG ist allgemein zu sagen: Offensichtlich
unwirtschaftlich ist eine Verwertung dann, wenn der dadurch erlangte oder zu erzielende
Gegenwert in einem (deutlichen) Missverhältnis zum wirklichen Wert des verwerteten
oder zu verwertenden Vermögensgegenstandes steht oder stehen würde (BSG SozR 3-
4100 § 137 Nr. 7 und Urteil vom 17. Oktober 1990 - 11 RAr 133/88 -). Es kann
dahingestellt bleiben, ob dies auch im Fall der Verwertung von Aktien gilt mit der Folge,
dass ihr wirklicher Wert der Kurswert im maßgeblichen Zeitpunkt ist; denn auch eine
mehr wirtschaftliche Betrachtungsweise unter Berücksichtigung des Einkaufs- bzw.
Anschaffungswertes der Aktien führt zu keinem anderen Ergebnis. Auch bei dieser
Betrachtungsweise kann im Hinblick auf die mit dem Kauf von Aktien verbundenen
erheblichen Risiken, deren Verwertung als „offensichtlich unwirtschaftlich" nur dann
angesehen werden, wenn der Kurswert im maßgeblichen Zeitpunkt in einem krassen
Missverhältnis zum Anschaffungswert steht und mit einem derartigen Kursverfall nur in
äußerst seltenen Fällen zu rechnen ist ...“.
Der Handel mit Aktien ist nämlich bereits von seiner Anlage her hoch spekulativ und die
Möglichkeit erheblicher Kursverluste ist die Kehrseite der Chance zur Erzielung
erheblicher Kursgewinne, die oftmals weit über Renditen anderer konservativer
Geldanlagen liegen. Gerade in dieser Gewinnerzielungschance gründet ein wesentlicher
Anreiz für den Aktienhandel. Anders als bei vielen anderen Anlageformen, muss bei
Aktienvermögen deshalb stets auch mit einem erheblichen Kursverfall bis zum
Totalverlust gerechnet werden.
Auch die vom BSG (Urteil vom 09. Dezember 2004 – B 7 AL 30/04 R – in: SozR 4-4300 §
193 Nr. 2) als Maßstab angeführte Parallelwertung, ob ein normal und ökonomisch
Handelnder die Verwertung der Aktien zum Stichtag (27. März 2001) offensichtlich
unterlassen hätte, wirkt sich nicht zugunsten des Klägers aus.
Wie bereits dargestellt, ist der Handel mit Aktien mit erheblichen Risiken verbunden. Ein
normal und ökonomisch Handelnder entscheidet über Kauf und Verkauf unter
wirtschaftlichen Gesichtspunkten regelmäßig unter Zugrundelegung einer eigenen
Zukunftsprognose. Geht ein Aktionär davon aus, dass der Wert der Aktien weiter sinken
und er dadurch (noch) größere Verluste erleiden wird, so wird er seine Aktien zur
Schadensminimierung regelmäßig auch dann veräußern, wenn sich bereits erhebliche
Verluste realisiert haben. Zur Gewinnmaximierung wird er die Aktien zudem veräußern,
wenn er den Einsatz seines Kapitals in einer anderen Konstellation als rentabler ansieht.
Insgesamt kann daher nicht unterstellt werden, dass ein wirtschaftlich handelnder
Aktionär das Aktienpaket des Klägers am Bewertungsstichtag offensichtlich nicht
verwertet hätte.
Die tatsächlichen Entwicklungen für den Zeitpunkt der Veräußerung (27. März 2001) auf
dem Aktienmarkt legen vielmehr den gegenteiligen Schluss nahe. Da Angebot und
Nachfrage die bestimmenden Faktoren an den Märkten für den Aktienkurs darstellen, ist
am Kurswert regelmäßig auch das Angebot zu erkennen. Wie der Wertverlust der auch
vom Kläger u. a. erworbenen Aktien der D T und später der Zusammenbruch des so
genannten Neuen Marktes zeigte, haben viele Aktionäre 2001 und in den Folgejahren
ihre Aktien mit teils erheblichen Verlusten veräußert. Die Mehrheit dieser Aktionäre wird
hierbei normal und ökonomisch gehandelt haben. Sie haben damit unter Beweis gestellt,
dass ein Großteil ökonomisch handelnder Aktionäre auch und gerade in solchen
Wirtschaftsphasen ihre Aktien verkaufen, um die Vermögensverluste zu begrenzen.
Eine andere Einschätzung zur Zumutbarkeit der Aktienverwertung ergibt sich schließlich
nicht aus dem Urteil des BSG vom 03. Mai 2005 (B 7a/ 7 AL 84/04 R – in: SozR 4-4220 §
1 Nr. 4). In dieser Entscheidung hat der 7. Senat bei der Bewertung einer offensichtlichen
Unwirtschaftlichkeit auf einen Vergleich zwischen den Kosten der Anschaffung eines
Vermögenswertes mit dem Erlös bei einem Verkauf abgestellt.
Einer solchen Betrachtungsweise kann sich der Senat nicht anschließen.
Eine so verstandene Betrachtungsweise stünde im Widerspruch zu den bereits zitierten
Entscheidungen des 7. und des 11. Senats des Bundessozialgerichts, obwohl der 7.
Senat in seinem zuletzt oben genannten Urteil zur Begründung gerade auf diese
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Senat in seinem zuletzt oben genannten Urteil zur Begründung gerade auf diese
Rechtsprechung (Urteile vom 09. Dezember 2004, B 7 AL 30/04 R - in: SozR 4-4300 §
193 Nr. 2 und B 7 AL 44/04 R - in: SozR 4-4300 § 193 Nr. 3) Bezug genommen hat. Wie
bereits dargestellt, ist nach diesen Entscheidungen unter Anlegung eines rein
wirtschaftlich-ökonomischen Maßstabes darauf abzustellen, ob bei Verkauf des
Vermögensgegenstandes nach Antragstellung auf Arbeitslosenhilfe der Erlös hinter dem
wirklichen Wert nennenswert zurückbleibt. Ein Wertverlust, der unabhängig von der
Notwendigkeit eines Verkaufes bereits vor Antragstellung der Arbeitslosenhilfe
eingetreten ist, ist bei dieser Betrachtungsweise unerheblich.
Weiter stünde diese Ansicht im Widerspruch zu dem Zweck der Regelungen der § 190 f.
SGB III und dem Charakter der Arbeitslosenhilfe. Auf Arbeitslosenhilfe bestand nur ein
Anspruch bei fehlender Eigenleistungsfähigkeit (vgl. § 193 Abs. 1 SGB III). Ist eine
Eigenleistungsfähigkeit im Hinblick auf Vermögen vorhanden, so liegt keine Bedürftigkeit
vor, sodass ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe grundsätzlich ausgeschlossen ist. Dies gilt
auch dann, wenn die Eigenleistungsfähigkeit sich aufgrund von Wertverlusten reduziert
hat. Maßgeblich ist allein, ob (noch) eine ausreichende Eigenleistungsfähigkeit im Sinne
der §§ 190 f. SGB III i. V. m. der Alhi-VO gegeben ist. Hat beispielsweise ein Multimillionär
durch Aktienspekulationen neun von zehn Millionen verloren, so ist er gleichwohl noch
Millionär. Die Gewährung einer steuerfinanzierten Sozialleistung unter
Bedürftigkeitsgesichtspunkten dürfte für einen Millionär jedoch kaum als gerechtfertigt
im Sinne von § 193 Abs. 2 SGB III anzusehen sein. Dieses extreme Beispiel zeigt, dass
ein ohne Bezug zu einer Arbeitslosenhilfe-Antragstellung eingetretener Wertverlust
grundsätzlich keinen erheblichen Grund für die Unzumutbarkeit einer
Vermögensverwertung darstellen kann, sondern auf den Wert des noch vorhandenen
Vermögens abzustellen ist. Nur wenn die Vermögensreduktion erst aufgrund der nach
Antragstellung notwendigen Verwertung beispielsweise wegen einer
Vorfälligkeitsentschädigung, erheblichen Veräußerungskosten oder eines geringen
Rückkaufwertes einer Lebensversicherung eintreten würde, kann dieser wirtschaftliche
Verlust beachtlich werden. Bei Abwägung der Interessen der Sozialgemeinschaft und des
Arbeitslosen kann es dann gerechtfertigt sein, eine Verwertung des Vermögens im
Hinblick auf den grundsätzlich nur vorübergehenden Leistungsanspruch auf
Arbeitslosenhilfe als unzumutbar anzusehen, wenn dem Arbeitslosen gerade durch die
Verwertung ein wirtschaftlicher Schaden in erheblichem Umfang entstehen würde.
Auch die Systematik der Alhi-VO spricht nicht für ein Verständnis der Regelung im Sinne
einer offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit der Verwertung des Aktienvermögens bei
erheblichen Kursverlusten vor Antragstellung.
Nach § 8 Satz 2 Alhi-VO ist für die Bewertung der Zeitpunkt maßgebend, in dem der
Antrag auf Arbeitslosenhilfe gestellt wird, bei späterem Erwerb von Vermögen der
Zeitpunkt des Erwerbs. Diese Regelung stellt klar, dass zur Beurteilung des
Verkehrswertes Geschehnisse vor der Antragstellung unbeachtlich sind. Das BSG hat
hierzu ausgeführt (Urteil vom 08. Juni 1989 - 7 RAr 34/88 - in: SozR 4100 § 138 Nr. 25),
dass (lediglich) bei Erwerb von Vermögen nach Antragstellung dies gegebenenfalls zu
berücksichtigen sei (ständige Rechtsprechung, s.a. BSG, Urteile vom 09. August 2001, B
11 AL 11/01 R – in: SozR 3-4300 § 193 Nr. 2 - und B 11 AL 9/01 R – in: NZA 2002, 206
). Aus dieser Reglung ist ersichtlich, dass bei Erlass der Verordnung
das Problem der Veränderlichkeit des Verkehrswertes durchaus gesehen wurde. Es wäre
ohne weiteres möglich gewesen, auch für die Zeit vor Antragstellung eine
entsprechende Regelung zu schaffen. Nach Ansicht des Senats spricht der Umstand,
dass eine solche Regelung nicht ausdrücklich erfolgte ebenfalls für die rein wirtschaftlich-
ökonomischen Betrachtungsweise. Nur wenn der Verkehrswert im Zeitpunkt der
Antragstellung durch die Notwendigkeit einer Veräußerung nach Antragstellung erheblich
reduziert würde, kann dies unter Berücksichtigung des § 8 Alhi-VO nach § 6 Abs. 3 Satz1
Alhi-VO zu einer offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit führen.
Zudem würde bei einer anderen Betrachtungsweise die Gefahr der Verletzung des
Gleichheitssatzes aus Art. 3 des Grundgesetzes bestehen. Würde einem Aktionär, der
keine erheblichen Verluste erlitten hat, die Verwertung seines gesamten
Wertpapiervermögens abzüglich eines Freibetrages zugemutet, einem Aktionär mit
erheblichen Verlusten jedoch die Verwertung gänzlich erlassen, so wäre hierfür ein
sachlicher Grund kaum ersichtlich. Solange ein über den Freibeträgen liegendes
Aktienvermögen besteht, sind beide eigenleistungsfähig.
Darüber hinaus ist für den Senat eine Unzumutbarkeit der Vermögensverwertung
deshalb nicht erkennbar, weil dem Wertverlust der Aktien leistungsrechtlich Rechnung
getragen wird; es erfolgt zumindest teilweise eine Kompensation. Denn das nunmehr
geringere Vermögen führt zu einem früheren Anspruch auf Arbeitslosenhilfe. Wäre seit
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geringere Vermögen führt zu einem früheren Anspruch auf Arbeitslosenhilfe. Wäre seit
der Anschaffung der Aktien durch den Kläger kein Kursverlust eingetreten, so hätte die
Verwertung zu einem entsprechend längeren Zeitraum mit fehlender Bedürftigkeit
geführt. Im vorliegenden Fall wäre ausgehend von einem Vermögen in Höhe des
Anschaffungswertes (rund 53.000 €, entspricht 103.650,-DM) abzüglich des Freibetrages
von 8000,00 DM von einem verwertbaren Vermögen in Höhe von rund 95.000,00 DM
auszugehen. Dieses Vermögen hätte nach § 9 Alhi-VO geteilt durch das
Bemessungsentgelt (1.110,00 DM) zu 87 Wochen (statt 17 Wochen) ohne Bedürftigkeit
und damit ohne Leistungsanspruch geführt. Unterstellt, während dieser Zeit würde der
Lebensunterhalt in Höhe des Leistungssatzes durch die Verwertung des Vermögens
bestritten, so wäre beim Kläger bei einem wöchentlichen Leistungssatz von 351,05 DM
eine Vermögensabschmelzung um 30.541,35 DM (= 351,05 DM x 87 Wochen)
eingetreten. Bei 17 Wochen würde die Vermögensreduktion demgegenüber nur 5.967,85
DM (= 351,05 DM x 17 Wochen) betragen. Dem Kläger wird also unter Berücksichtigung
seines ursprünglichen Vermögens nur ein weitaus geringerer Einsatz zugemutet.
Schließlich stehen auch Vertrauensgesichtspunkte einer Leistungsrücknahme und
Erstattungsforderung nicht entgegen.
Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X kann sich der Kläger nicht auf Vertrauensschutz
berufen, weil der rechtswidrige Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich
oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig und unvollständig gemacht hat.
Der Kläger hat in seinem Antrag vom 01. März 2001 sowohl die Fragen nach
Freistellungsaufträgen als auch nach Vermögen (in Form von Aktien) wahrheitswidrig
verneint. Dies geschah zumindest grob fahrlässig, da er ausweislich der vorgelegten
Bescheinigungen der Deutschen Bank 24 über die Wertpapierabrechnungen die
Aktienpakete im Zeitraum zwischen März 2000 und Oktober 2000 erwarb. Im Folgejahr
dieses Erwerbes musste ihm bei Antragstellung am 01. März 2001 bewusst sein, dass er
über Aktien verfügt und diese auf ausdrückliche Nachfrage im Antragsformular
anzugeben sind. Dies gilt unabhängig davon, ob der Kläger bereits damals eine
Verwertung für unzumutbar hielt. Entscheidend ist allein, dass seine Angaben für ihn
leicht erkennbar nicht der Wahrheit entsprachen. Darüber hinaus ließ er die erforderliche
Sorgfalt in besonders schwerem Maße unberücksichtigt und handelte auch insoweit
zumindest grob fahrlässig, in dem er mit seiner Unterschrift die Richtigkeit seiner
wahrheitswidrigen Angaben bestätigte.
Die Beklagte hat nach alledem mit dem Bescheid vom 17. Dezember 2002 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. September 2003 und des
Änderungsbescheides vom 19. März 2004 die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die
Zeit vom 27. März 2001 bis 23. Juli 2001 zu Recht ganz zurückgenommen und die nach §
45 Abs. 4 SGB X zu beachtende Jahresfrist eingehalten.
Die Erstattungspflicht ergibt sich aus § 50 Abs. 1 SGB X. Der Erstattungsbetrag von
5.967,85 DM (=3.051,31 Euro - Arbeitslosenhilfe) ist von der Beklagten rechnerisch
zutreffend ermittelt worden.
Die zu erstattenden Beiträge zur Krankenversicherung in Höhe von 1.324,22 DM (677,06
Euro) und Pflegeversicherungsbeiträgen in Höhe von 101,45 DM (51,87 Euro) sind von
der Beklagten rechnerisch jedenfalls nicht zu Ungunsten des Klägers ermittelt worden
(Errechnung des zu erstattenden Krankenversicherungsbeitrages nach § 335 SGB III
i.V.m. § 232a SGB V wie folgt: 58 % des Bemessungsentgeltes in Höhe von 1.110 DM
wöchentlich : durch 7 Wochentage x 119 Leistungstage für die Zeit vom 27. März 2001
bis 23. Juli 2001 = 10.944,60 DM, davon 12,1 % Krankenversicherungsbeitrag BIG
Gesundheit Die Direktkrankenkasse Dortmund = 1.324,30 DM; Errechnung des
Pflegeversicherungsbeitrages nach § 335 Abs. 5 SGB III i.V.m. § 57 SGB XI in der im Jahre
2002 geltenden Fassung wie folgt: 5.967,85 DM gezahlte Arbeitslosenhilfe, davon 1,7 %
(= Beitragssatz in der gesetzlichen Pflegeversicherung ab 01. Juli 1996) = 101, 45 DM).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war im Hinblick auf die Entscheidung des 7. Senats vom 03. Mai 2005 (B 7
a/7 AL 84/04 R) zuzulassen, weil das Urteil von dieser Entscheidung des
Bundessozialgerichts abweicht (§ 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG). Darüber hinaus kommt der
Rechtssache wegen der Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zu, ob die Verwertung
eines Aktienvermögens bei erheblichen Kursverlusten vor Beantragung einer unter
Bedürftigkeitsgesichtspunkten gewährten steuerfinanzierten Sozialleistung als
offensichtlich unwirtschaftlich anzusehen ist. Auch wenn die hier streitentscheidende
Regelung des § 6 Abs. 3 Alhi-VO nicht mehr wirksam ist, ist dieser Frage im Hinblick auf §
12 Abs.3 Nr. 6 Zweites Buch Sozialgesetzbuch grundsätzliche Bedeutung im Sinne von §
12 Abs.3 Nr. 6 Zweites Buch Sozialgesetzbuch grundsätzliche Bedeutung im Sinne von §
160 Abs. 2 Nr. 1 SGG beizumessen.
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