Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 23.12.2003

LSG Berlin-Brandenburg: arbeitsentgelt, grundsatz der gleichbehandlung, anspruch auf beschäftigung, bemessungszeitraum, arbeitslosigkeit, verfassungskonforme auslegung, diskriminierung, vergleich

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
12. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 12 AL 318/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 130 Abs 1 SGB 3 vom
23.12.2003, § 130 Abs 2 S 1 Nr
3 SGB 3 vom 23.12.2003, § 130
Abs 3 S 1 Nr 1 SGB 3 vom
23.12.2003, § 132 Abs 1 SGB 3
vom 23.12.2003, § 132 Abs 2
SGB 3 vom 23.12.2003
Arbeitslosengeld - fiktive Bemessung wegen Mutterschutz- und
Erziehungszeiten - Erweiterung des Bemessungszeitraums und -
rahmens - Verfassungsmäßigkeit - Europarechtskonformität
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Mai
2006 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens
der ersten Instanz zu erstatten, im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu
erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Höhe des Arbeitslosengeldes.
Die 1966 geborene Klägerin hat zwei im Mai 2001 bzw. August 2002 geborene Kinder.
Nach Erwerb eines Abschlusses an der Hotelfachschule Berlin als staatlich geprüfte
Betriebswirtin (Hotel- und Gaststättengewerbe) am 20. Juni 1995 war sie ab März 1996
bei der A und S GmbH & Co als Gebietsleiterin tätig. Im Anschluss an den Bezug von
Mutterschaftsgeld (8. April 2001 bis 26. Juli 2001) befand sie sich vom 27. Juli 2001 bis
zum 15. August 2005 in Elternzeit. Erziehungsgeld erhielt sie vom 1. Juli 2001 bis 30.
November 2001, vom 16. September 2002 bis zum 15. Februar 2003 und vom 22.
Oktober 2003 bis zum 15. August 2004. Ab dem 16. August 2005 arbeitete sie wieder
bei ihrem alten Arbeitgeber gegen ein monatliches Gehalt von 3.417,78 Euro. Das
Arbeitsverhältnis wurde vom Arbeitgeber aus betriebsbedingten Gründen zum 30.
November 2005 gekündigt.
Auf die am 20. Oktober 2005 mit Wirkung zum 1. Dezember 2005 erfolgte
Arbeitslosmeldung gewährte die Beklagte durch Bescheid vom 19. Dezember 2005 der
zu diesem Zeitpunkt dauernd getrennt lebenden Klägerin (Steuerklasse II)
Arbeitslosengeld ab 1. Dezember 2005 für 360 Kalendertage mit einem täglichen
Leistungsbetrag von 29,05 Euro auf der Grundlage eines täglichen
Bemessungsentgeltes von 64,40 Euro. Die Klägerin legte Widerspruch ein und rügte eine
falsche Berechnungsgrundlage. Die Elternzeit sei außer Betracht zu lassen. Da sie seit
März 1996 ständig gearbeitet habe, müsse der Leistungsbetrag höher ausfallen. Die
Beschränkung des Bemessungsrahmens auf zwei Jahre führe zu einer Verschlechterung
der Lage von Eltern und Familien, da die Elternzeit üblicherweise drei Jahre betrage. Eine
fiktive Berechnung des Einkommens sei regelmäßig ungünstiger.
Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 10. Februar
2006, der Klägerin zugegangen am 14. Februar 2006). Zur Begründung legte sie
zunächst dar, dass sich das Arbeitslosengeld als Prozentsatz des um pauschalierte
Abzüge verminderten Bemessungsentgeltes berechne. Das Bemessungsentgelt ergebe
sich aus dem durchschnittlichen auf einen Tag entfallenden Arbeitsentgelt, das im
Bemessungszeitraum erzielt worden sei. Der Bemessungszeitraum müsse aber in
einem Bemessungsrahmen von längstens zwei Jahren vor Entstehung des Anspruchs
auf Arbeitslosengeld liegen und mindestens 150 Tage betragen. Ansonsten sei ein
fiktives, nach Qualifikationsgruppen zu ermittelndes Arbeitsentgelt zuzuordnen. Die
Klägerin habe in der Zeit vom 16. August 2005 bis 30. November 2005 an 107 Tagen ein
beitragspflichtiges Entgelt von 13.304,05 Euro erzielt, woraus sich zwar ein
durchschnittliches tägliches Entgelt von 124,34 Euro ergebe. Da in dem
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durchschnittliches tägliches Entgelt von 124,34 Euro ergebe. Da in dem
Bemessungsrahmen aber keine 150 Tage zurückgelegt worden seien, sei eine fiktive
Einstufung mit einem Bemessungsentgelt von 64,40 Euro vorzunehmen gewesen.
Dagegen richtet sich die am 14. März 2006 bei dem Sozialgericht eingegangene Klage.
In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte anerkannt, dass der Berechnung des an
die Klägerin zu zahlenden Arbeitslosengeldes ein tägliches Bemessungsentgelt von
80,50 Euro zugrunde zu legen sei (Qualifikationsgruppe 2 statt bisher 3). Entsprechend
hat sie der Klägerin durch Bescheid vom 14. August 2006 ab 1. Dezember 2005
Arbeitslosengeld in Höhe von 34,41 Euro täglich bewilligt, nachdem sie bereits vorher
durch Bescheid vom 11. April 2006 Leistungen in gleicher Höhe ab 14. März 2006
bewilligt hatte.
Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 29. Mai 2006 die angefochtenen Bescheide
geändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin seit dem 1. Dezember 2005
Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines Bemessungsentgeltes von 135,13 Euro täglich
zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klägerin Anspruch auf
höheres Arbeitslosengeld habe, weil die Erziehungszeiten den Bemessungsrahmen
erweiterten. Der Begriff des Bemessungsrahmens stehe im Zusammenhang mit dem
des Bemessungszeitraums. Die in § 130 Abs. 2 des Sozialgesetzbuchs, Drittes Buch -
SGB III - aufgeführten Zeiten würden - unter Umständen - nicht in den
Bemessungsrahmen eingehen, sondern ihn stattdessen dynamisch verlängern. § 130
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III erfasse auch Berechtigte, die während der Erziehungszeit
nicht gearbeitet hätten. Das ergebe sich aus einem Vergleich mit der
Vorgängervorschrift des § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III a.F. Da Zeiten ohne
Arbeitsentgelt schon nach § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III nicht beim Bezugszeitraum
berücksichtigt werden könnten, ergebe sich aus der Aufführung dieser Erziehungszeiten
in § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III, das sie Bedeutung für den Bemessungsrahmen
haben müssten. Diese Auslegung entspreche dem Willen des historischen
Gesetzgebers, den Regelungszwecken der Vorschrift sowie den verfassungsrechtlichen
und europarechtlichen Vorgaben. Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich, dass
lediglich eine Vereinfachung und keine Absenkung des Leistungsniveaus beabsichtigt
gewesen sei. Nach altem Recht habe aber wegen des dreijährigen Bemessungsrahmens
(§ 133 Abs. 4 SGB III a.F.) ein zweijähriger Erziehungsurlaub nicht zu einer fiktiven
Bemessung führen können. Bei längerem Erziehungsurlaub sei nach richtiger Auffassung
der Bemessungsrahmen zu verlängern gewesen. Letzteres sei bei der jetzigen
Rechtslage angesichts der Verkürzung des Bemessungsrahmens auf zwei Jahre und
einer drastischen Absenkung der fiktiven Entgelte vor dem Hintergrund des
Schutzauftrags aus Art. 6 Abs. 4 des Grundgesetzes - GG - noch drängender.
Die Neuregelung der fiktiven Bemessung in § 132 SGB III kürze die Leistungsansprüche,
obwohl nach der Gesetzesbegründung gerade keine Verschlechterung habe eintreten
sollen. Dies sei verfassungswidrig, weil es gegen Art. 3, 6 und 14 GG verstoße. Ohne
rechtfertigenden Grund würden Normadressaten anders als andere behandelt, weil die
mit der Pauschalierung verbundenen Härten ohne Schwierigkeiten vermeidbar gewesen
wären. Soweit die Vorschrift auf Mütter nach einem Erziehungsurlaub angewandt würde,
werde der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 4 GG verletzt, weil die Pauschalen nicht am
Regelfall ausgerichtet wären. Die tatsächlichen Durchschnittsgehälter aller der in § 132
Abs. 2 Satz 2 SGB III genannten Qualifikationsgruppen lägen über den fiktiven Entgelten,
die das Gesetz als Prozentsätze der Bezugsgröße ausdrücke. Das ergäbe sich bereits
aus einem Vergleich mit den Werten der Tabellen der Anlage 14 zum SGB VI.
Die hinter den tatsächlichen Durchschnittsentgelten zurückbleibenden Pauschalen seien
jedenfalls in den Fällen verfassungsrechtlich bedenklich, in denen wegen der
Nichtberücksichtigung von in § 130 Abs. 2 SGB III aufgelisteten Zeiten eine fiktive
Berechnung erforderlich werde. Das gelte insbesondere, wenn der Berechtigte vor
Eintritt der Arbeitslosigkeit einer Teilzeitbeschäftigung nachgegangen sei. Hier treffe das
Argument für die Reduzierung, es werde sich bereits eine gewisse Entfremdung vom
Arbeitsmarkt eingestellt haben, evident nicht zu. Das Rechtsstaatgebot gebiete zudem,
dass die Pauschalen das regelmäßig erzielbare Entgelt widerspiegeln müssten. Dafür
dürfe nicht auf die Abweichung des durchschnittlichen Entgelts der Arbeitslosen von der
Bezugsgröße abgestellt werden, weil die Menge der Arbeitslosen völlig anders
zusammengesetzt sei als die bei der Ermittlung der Bezugsgröße berücksichtigten
Versicherten. Zudem verweise das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zur
Begründung der reduzierten Pauschalsätze sehr suggestiv auf die Gruppe der
Strafgefangenen, denen Erziehende, Wehrdienstleistende und Rentner gleichzustellen
seien. Zur Vermeidung der aus der Festsetzung der fiktiven Entgelte herrührenden
verfassungsrechtlichen Probleme seien die Regelungen der §§ 130, 132 SGB III
verfassungskonform auszulegen. Deswegen dürfe insbesondere nicht danach
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verfassungskonform auszulegen. Deswegen dürfe insbesondere nicht danach
unterschieden werden, ob neben der Erziehung noch eine Teilzeitbeschäftigung
ausgeübt worden ist.
Nach Außerachtlassung der Erziehungszeiten ergebe sich für die Klägerin jedenfalls ein
Bemessungsrahmen vom 15. September 2000 bis 30. Mai 2001 und vom 16. August bis
30. November 2005. Bei Einbeziehung der Zeit ab 23. Juli 2000 ergebe sich ein
versicherungspflichtiges Entgelt in Höhe von insgesamt 49.321,69 Euro, was zu einem
täglichen Bemessungsentgelt von 135,13 Euro führe.
Gegen das ihr am 14. Juni 2006 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten
vom 12. Juli 2006. Für die Bemessung von Arbeitslosengeld könnten nur die
Arbeitsentgelte herangezogen werden, welche innerhalb des Bemessungszeitraums,
begrenzt auf den Bemessungsrahmen, erzielt worden seien. Das Sozialgericht sei
fälschlich davon ausgegangen, dass die Klägerin Zeiten nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 SGB III
zurückgelegt habe, denn es fehle eine Beschäftigung während der Elternzeit. Die vom
Sozialgericht aufgeworfene Frage, ob Zeiten nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 SGB III auch zu
einer Ausdehnung des Bemessungszeitraums führen könnten, stelle sich damit nicht. §
132 Abs. 2 Nr. 3 SGB III sei eine begünstigende Regelung und könne schon deswegen
nicht gegen das GG verstoßen. Auch sei nicht ersichtlich, gegenüber welchem
vergleichbaren Personenkreis die Klägerin eine Schlechterstellung beklage. Das fiktive
Entgelt bestimme sich nach dem maßgeblichen Tarifvertrag, nicht nach einem
Durchschnittsentgelt der gesetzlichen Rentenversicherung.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Mai 2006 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie sei während der Erziehungszeit sehr wohl einer Beschäftigung nachgegangen, sie
habe nämlich Kinder erzogen. Die von der Beklagten favorisierte Auslegung des
Gesetzes führe dazu, dass sich keine Frau mehr dem „Risiko des Kinderkriegens“
aussetzen werde, und verletze Art. 3 Abs. 1 und 2, Art. 6 Abs. 1 und 4 sowie Art. 14 GG.
Der Gedanke der Rechtssicherheit spreche ebenfalls für die vom Sozialgericht
gefundene Auslegung, da die maßgeblichen Vorschriften erst während der Elternzeit der
Klägerin verändert worden seien. Nach altem Recht habe der Bemessungszeitraum um
die Erziehungszeiten erweitert werden können. Zutreffend habe das Sozialgericht der
Neufassung des Gesetzes entnommen, dass § 130 Abs. 2 Nr. 3 SGB III nunmehr auch
Erziehungsgeld-Empfänger ohne Teilzeitbeschäftigung erfasse. Anderenfalls würde die
Klägerin schlechter gestellt als Personen, die keine Erziehungszeit in Anspruch
genommen hätten. Hilfsweise werde angeregt, das Verfahren nach Art. 100 GG
auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob §§ 130 Abs.2
Nr. 3, 132 SGB III mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Lege man §§ 130 Abs. 2 Nr. 3,
132 SGB III im Sinne der Beklagten aus, verstießen sie gegen die Richtlinie 79/7/EWG und
seien deswegen nicht anwendbar. Die Richtlinie beinhalte den Grundsatz der
Gleichberechtigung und den Fortfall jeglicher Diskriminierung aufgrund des
Geschlechtes. Es liege eine mittelbare Diskriminierung vor, weil wesentlich mehr Frauen
als Männer Erziehungszeiten in Anspruch nehmen würden. Das ergebe sich aus dem
vorgelegten Gender- Datenreport. Die im Falle einer Arbeitslosigkeit nach Elternzeit
anzuwendende Pauschalregelung betreffe daher vor allem Frauen. Höchst hilfsweise
werde angeregt, dem Europäischen Gerichtshof im Rahmen eines
Vorabentscheidungsverfahrens die Frage vorzulegen, ob eine Regelung des nationalen
Rechts wie die in den §§ 130 Abs. 2 Nr. 3, 132 SGB III der Richtlinie 79/7/EWG
entgegenstehe.
Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und
die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht
die Beklagte verurteilt, Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines Bemessungsentgeltes
von 135,15 Euro täglich zu gewähren. Der Bescheid vom 19. Dezember 2005 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 2006 sowie der Bescheide vom
11. April 2006 und 14. August 2006 erweist sich nicht als rechtswidrig, so dass das Urteil
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11. April 2006 und 14. August 2006 erweist sich nicht als rechtswidrig, so dass das Urteil
des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen war.
Die Klägerin hat nach § 118 SGB III seit dem 1. Dezember 2005 Anspruch auf
Arbeitslosengeld. Denn sie ist arbeitslos, hat sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos
gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt. In der Rahmenfrist von zwei Jahren vor dem
1. Dezember 2005 (§ 124 Abs. 1 SGB III) hat sie mehr als zwölf Monate in einem
Versicherungspflichtverhältnis (§ 123 SGB III) gestanden. Ein
Versicherungspflichtverhältnis bestand sowohl nach § 26 Abs. 2a SGB III während der
Elternzeit als auch nach § 24 Abs. 1 SGB III während der nachfolgenden Beschäftigung.
Die Höhe des Arbeitslosengeldes beträgt nach § 129 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz SGB III für
die Klägerin 67 Prozent des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelts), das sich
aus dem Bruttoentgelt ergibt, welches sie im Bemessungszeitraum erzielt hat
(Bemessungsentgelt). Nach § 130 Abs. 1 SGB III umfasst der Bemessungszeitraum die
bei Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis
abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume im Bemessungsrahmen. Der
Bemessungsrahmen umfasst grundsätzlich das Jahr, das mit dem letzten Tag des
letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor Entstehung des Anspruchs endet (§ 130
Abs. 1 Satz 2 SGB III), er wird nach § 130 Abs. 3 SGB III auf zwei Jahre erweitert, wenn der
Bemessungsrahmen weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält oder
es mit Rücksicht auf das Bemessungsentgelt im erweiterten Bemessungsrahmen
unbillig hart wäre, von dem Bemessungsentgelt im Bemessungszeitraum auszugehen.
Innerhalb des Bemessungsrahmens von einem Jahr vor Eintritt der Arbeitslosigkeit am 1.
Dezember 2005 sind für die Klägerin Entgelte lediglich für die Monate August bis
November 2005 abgerechnet worden. Damit werden 150 Tage nicht erreicht, so dass
gemäß § 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III der Bemessungsrahmen auf zwei Jahre zu
erweitern ist. Auch in den zwei Jahren vor Eintritt der Arbeitslosigkeit sind für die Klägerin
indessen keine 150 Tage mit abgerechneten Entgelten festzustellen. Zwar bestand
während der Elternzeit nach § 26 Abs. 2a SGB III Versicherungspflicht und waren nach §
345a Abs. 2 SGB III iVm § 347 Nr. 9 SGB III auch pauschal Beiträge vom Bund zu zahlen.
Das ändert aber nichts daran, dass die Elternzeit der Klägerin weder ein
Beschäftigungsverhältnis war noch für sie Entgelte abgerechnet wurden. Beschäftigung
ist in § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV als nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem
Arbeitsverhältnis, (Arbeits-)Entgelt in § 14 Abs. 1 SGB IV als Einnahme aus einer
Beschäftigung definiert. Da danach auch innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten
Bemessungsrahmens kein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen festgestellt
werden kann, ist nach § 132 Abs. 1 SGB III ein fiktives Bemessungsentgelt zugrunde zu
legen.
Die gegenteilige Rechtsauffassung des Sozialgerichtes ist mit dem Wortlaut des § 130
SGB III unvereinbar. Weder sind Erziehungszeiten ohne gleichzeitig erzielte
Arbeitsentgelte Zeiten nach § 130 Abs. 2 Satz 3 SGB III, noch können Zeiten nach § 130
Abs. 2 SGB III zur Erweiterung des Bemessungsrahmens führen (so auch LSG Nordrhein-
Westfalen, Urteil v. 21. März 2007 – L 12 AL 113/06 – und LSG Baden-Württemberg v. 15.
September 2006 - L 8 AL 3082/06 -). Bemessungszeitraum im Sinne von § 130 Abs. 1
Satz 1 SGB III sind Zeiträume, in denen Entgelte für eine versicherungspflichtige
Beschäftigung abgerechnet wurden. Wenn § 130 Abs. 2 Satz 3 SGB III davon bestimmte
Zeiten ausnimmt, kann sich das nur auf Zeiträume beziehen, die ohne diese Ausnahme
in den Anwendungsbereich der Vorschrift des § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III fallen würden.
Das ist für Zeiten der Kindererziehung ohne Beschäftigung (im Sinne des § 7 SGB IV)
nicht der Fall, weil für diese - trotz Versicherungspflicht während der ersten drei
Lebensjahre des Kindes nach § 26 Abs. 2a SGB III – keine Entgelte zugunsten des
Versicherten abgerechnet werden. Deswegen muss sich der letzte Halbsatz in § 130
Abs. 2 Nr. 3 SGB III („wenn wegen der Betreuung und Erziehung des Kindes das
Arbeitsentgelt oder die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit gemindert war“) auch
auf den ersten Teil der Vorschrift („Zeiten, in denen der Arbeitslose Erziehungsgeld
bezogen oder nur wegen der Berücksichtigung von Einkommen nicht bezogen oder ein
Kind unter drei Jahren betreut und erzogen hat“) beziehen. Zeiträume ohne den Bezug
von Arbeitsentgelt (und damit der Kindererziehung ohne Beschäftigung) können
begrifflich niemals Bemessungszeiträume sein. Folglich können sie von einer für
Bemessungszeiträume geltenden Ausnahmeregelung auch nicht erfasst werden. Das
zeigt auch ein Vergleich zu den übrigen Fallgruppen in § 130 Abs. 2 Nr. 1 – 4 SGB III, die
sämtlich eine (entgeltliche) Beschäftigung voraussetzen.
Davon abgesehen eröffnet das Gesetz ebenso wenig die Möglichkeit, den
Bemessungsrahmen durch beim Bemessungszeitraum außer Betracht bleibende Zeiten
zu verlängern (Bundessozialgericht - BSG - , Urteil v. 2. September 2004 - B 7 AL 68/03
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zu verlängern (Bundessozialgericht - BSG - , Urteil v. 2. September 2004 - B 7 AL 68/03
R -). § 130 Abs. 2 SGB III bestimmt ausdrücklich, dass Zeiten (nur) für die Ermittlung des
Bemessungszeitraumes außer Betracht bleiben. Die Folgen eines nicht mit Zeiten
gefüllten Bemessungszeitraumes für den Bemessungsrahmen sind in § 130 Abs. 3 SGB
III und § 132 Abs. 1 SGB III geregelt. Liegen in dem grundsätzlich ein Jahr umfassenden
Bemessungsrahmen (§ 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III) weniger als 150 Tage mit
Arbeitsentgelt vor, die als Bemessungszeitraum zu berücksichtigen sind, wird der
Bemessungsrahmen auf zwei Jahre erweitert, ebenso in dem Fall, dass zwar mindestens
150 Tage vorliegen, die Heranziehung dieser Arbeitsentgelte aber im Hinblick auf die im
erweiterten (zweijährigen) Bemessungsrahmen erzielten (höheren) Arbeitsentgelte
unbillig hart wäre (§ 130 Abs. 3 SGB III). Kann auch der erweiterte Bemessungsrahmen
von zwei Jahren nicht mit mindestens 150 Tagen Bemessungszeitraum gefüllt werden,
ist nach § 132 Abs. 1 SGB III ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen. Selbst wenn
diese Regelung zu Ergebnissen führen sollte, welche als sachlich unangemessen
empfunden werden, besteht deswegen noch keine verdeckte Lücke. Der
Bemessungsrahmen ist nach dem Gesetz auf die Zeit von einem bzw. zwei
Kalenderjahren vor Beginn der Arbeitslosigkeit beschränkt. Die vom Sozialgericht
gefundene Rechtsfolge, dass der Bemessungsrahmen über die Dauer von zwei Jahren
durch einzelne Monate verlängert werden kann, sieht das Gesetz der Art nach nicht vor.
Die Auslegung einer Norm darf aber die Grenzen ihres möglichen Wortsinns nicht
übersteigen (Bundesverfassungsgericht – BVerfG – v. 14. Dezember 1999 – 1 BvR
1327/98 - = BVerfGE 101, 312, 329). Auch das Bemühen um eine verfassungskonforme
Auslegung befreit die Gerichte nicht von der Bindung an das Gesetz. Nach § 130 Abs. 1
Satz 2 SGB III bestimmt sich der Bemessungsrahmen nach dem letzten Tag vor Beginn
der Arbeitslosigkeit, er läuft rückwärtsgerichtet kalendermäßig ab (BSG, Urteil v. 2.
September 2004 - B 7 AL 68/03 R -). Diese Vorgabe ist keiner Auslegung zugänglich.
Auch in der Sache vermögen die von dem Sozialgericht für die von ihm vorgenommene
„Auslegung“ vorgebrachten Argumente nicht zu überzeugen. Soweit es § 130 Abs. 2
SGB III als „dynamische Erweiterungsregelung“ auch des Bemessungsrahmens versteht,
setzt es sich darüber hinweg, dass das Gesetz in den §§ 130, 132 SGB III zwischen
Bemessungszeitraum und Bemessungsrahmen unterscheidet und jeweils eigene
Regelungen vorsieht. Die Verwischung der Grenzen lässt sich nicht mit der Erwägung
rechtfertigen, die Neufassung der Vorschrift des § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III belege,
dass der Gesetzgeber auch den Personenkreis der in Elternzeit befindlichen Versicherten
ohne Beschäftigung habe erfassen wollen, für den sich eine Regelung aber nur in Bezug
auf den Bemessungsrahmen auswirken könne. Diese Erwägung ist schon deshalb
verfehlt, weil sich – wie oben nachgewiesen - § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III nur auf
während der Elternzeit Beschäftigte bezieht. Im Übrigen geht das Sozialgericht von
falschen Voraussetzungen aus, weil nichts dafür ersichtlich ist, dass der historische
Gesetzgeber Versicherte, die während der Elternzeit ohne Beschäftigung sind, durch die
Vorschrift erfassen wollte. Dafür gibt insbesondere ein Vergleich mit der
Vorgängervorschrift nichts her. In § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III alter Fassung war
angeordnet, dass bei der Ermittlung des Bemessungszeitraumes Zeiten außer Betracht
bleiben, in denen Versicherungspflicht wegen des Bezugs von Mutterschaftsgeld oder
der Erziehung eines Kindes bestand oder in denen Erziehungsgeld bezogen oder nur
wegen der Berücksichtigung von Einkommen nicht bezogen worden ist, soweit wegen der
Betreuung oder Erziehung eines Kindes das Arbeitsentgelt oder die durchschnittliche
regelmäßige Arbeitszeit gemindert war. Die Neufassung der Regelung in § 130 SGB III
enthält nunmehr - neben der Herausnahme von Zeiten des Bezugs von
Mutterschaftsgeld - als weiteres Tatbestandsmerkmal Zeiten, in denen „ein Kind unter
drei Jahren betreut und erzogen“ worden ist. Durch dieses Tatbestandsmerkmal werden
zusätzlich zu den bisher schon geregelten Fällen des Bezugs von Erziehungsgeld oder
des Nichtbezugs wegen der Berücksichtigung von Einkommen nunmehr auch solche
Zeiten der Kindererziehung erfasst, für die bereits dem Grunde nach kein Anspruch auf
Erziehungsgeld besteht, was nach dem – seit dem 1. Januar 2007 durch das
Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz ersetzten - Bundeserziehungsgeldgesetz –
BErzGG - insbesondere im dritten Lebensjahr des Kindes der Fall gewesen ist (vgl.
Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III, § 130 Rdnr. 71). Die Auffassung des Sozialgerichts,
mit der zum 1. Januar 2005 in § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III neu eingefügten
Tatbestandsvariante („oder ein Kind unter drei Jahren betreut und erzogen hat“) seien
nunmehr (alle) Zeiten der Kindererziehung (ohne Rücksicht auf Ansprüche nach dem
BErzGG) gemeint, sofern Versicherte in ihnen einer Beschäftigung nachgegangen sind,
so dass Kindererziehungszeiten ohne Beschäftigung unter die ersten beiden
Tatbestandsvarianten („Erziehungsgeld bezogen oder nur wegen der Berücksichtigung
von Einkommen nicht bezogen hat“) fielen, überzeugt schon sprachlogisch nicht. Der
Konditionalsatz („wenn wegen der Betreuung und Erziehung des Kindes das
Arbeitsentgelt oder die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit gemindert war“)
bezieht sich nämlich auf (alle) Zeiten, welche durch den Attributsatz („in denen der
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bezieht sich nämlich auf (alle) Zeiten, welche durch den Attributsatz („in denen der
Arbeitslose Erziehungsgeld bezogen oder nur wegen der Berücksichtigung von
Einkommen nicht bezogen hat oder ein Kind unter drei Jahren betreut und erzogen hat“)
erst näher bestimmt werden, also auch auf Zeiten, in denen Erziehungsgeld bezogen
oder nur wegen der Berücksichtigung von Einkommen nicht bezogen worden ist.
Ebenso wenig ergeben sich aus der vom Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung
formulierten Absicht, keine Leistungseinschränkungen zu bezwecken (BT-Drucks.
15/1515 S. 73), Argumente für das Ergebnis des Sozialgerichts. Die Festschreibung des
Bemessungsrahmens auf zwei Jahre ist ausdrücklich im Gesetz formuliert worden und
schon deswegen vom Gesetzgeber gewollt gewesen, sie kann nicht im Hinblick auf an
anderer Stelle zu findende allgemeine Absichtserklärungen außer Acht gelassen werden.
Demnach kann nichts daraus hergeleitet werden, dass früher wegen der Regelung in §
133 Abs. 4 SGB III a.F. Arbeitsentgelt aus den letzten drei Jahren vor der Arbeitslosigkeit
berücksichtigt werden konnte, so dass eine Elternzeit von zweijähriger Dauer der
Anknüpfung an vorher erzieltes Arbeitsentgelt nicht zwingend entgegengestanden hätte.
Überdies hat sich die Klägerin tatsächlich mehr als vier Jahre in Elternzeit befunden.
Auch nach altem Recht war aber die Bezugnahme auf vorheriges Arbeitseinkommen bei
einer mehr als dreijährigen Unterbrechung der Beschäftigung (auch durch Elternzeit)
ausgeschlossen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 10. März 2004 – L 12 AL 83/03 - ).
Anhaltspunkte für eine frühere gegenteilige Rechtspraxis sind nicht ersichtlich und auch
vom Sozialgericht und der Klägerin nicht aufgezeigt worden. Die Neufassung des
Gesetzes hat in Bezug auf den Bemessungsrahmen zu keiner Verschlechterung geführt,
die sich bei der Klägerin auswirken könnte.
Findet demnach § 132 SGB III Anwendung, so ist die Klägerin in die Qualifikationsgruppe
2 einzuordnen. Das ist zwischen den Beteiligten nach dem angenommenen
Anerkenntnis der Beklagten vom 29. Mai 2006 unstreitig. Danach ist ein
Dreihundertsechzigstel der Bezugsgröße zugrunde zu legen. Aus der für das Jahr 2005
maßgebenden Bezugsgröße von 28.980 Euro ergibt sich so ein tägliches
Bemessungsentgelt von 80,50 Euro. Angesichts der eindeutigen gesetzlichen
Bestimmungen sieht der Senat auch insoweit nicht, wie im Wege der Auslegung ein
anderes Ergebnis gefunden werden könnte. Abzuziehen von dem Bemessungsentgelt
sind nach § 133 SGB III eine Sozialversicherungspauschale in Höhe von 21 Prozent,
weiter Lohnsteuer entsprechend Steuerklasse 2 nach der für 2005 gültigen
Lohnsteuertabelle sowie der Solidaritätszuschlag. 67 Prozent der danach verbleibenden
51,36 Euro ergeben den von der Beklagten bewilligten Leistungssatz von 34,41 Euro
kalendertäglich.
Der Senat hat keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die
gesetzlichen Regelungen. Allerdings bewirken die §§ 130, 132 Abs. 1 SGB III, dass nach
längerer Unterbrechung der Berufstätigkeit wegen Kindererziehung für die Berechnung
des Arbeitslosengeldes nicht mehr an ein tatsächlich erzieltes früheres
Arbeitseinkommen angeknüpft wird. Das fiktive Arbeitsentgelt kann niedriger, aber auch
höher sein. Ist es niedriger als das tatsächliche frühere Arbeitseinkommen, kommt es
trotz Elternzeit bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes zu nachteiligen
wirtschaftlichen Folgen. Das ist aber nicht schlechthin verfassungswidrig. Zwar verlangt
Art. 6 Abs. 4 GG nach der Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss v. 10. Februar 1982 –
1 BvL 116/78 -; Beschluss v. 28. März 2006 – 1 BvL 10/01 -) vom Gesetzgeber, dass er
den im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft stehenden Belastungen
entgegen wirkt, ohne ihn aber zu verpflichten, jede mit der Elternschaft
zusammenhängende wirtschaftliche Belastung auszugleichen. Eine Verpflichtung zum
vollständigen Ausgleich (soweit als möglich) hat das BVerfG bisher nur für Zeiträume
eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbotes gesehen (Beschluss v. 28. März
2006 – 1 BvL 10/01 - ). Damit ist die Elternzeit nicht zu vergleichen. Durch sie werden
Eltern weder rechtlich noch faktisch daran gehindert, ihre bisherige Beschäftigung nach
der Geburt innerhalb des (verlängerten) Bemessungsrahmens wieder aufzunehmen. Ein
Widerspruch zur Rechtsprechung des BVerfG liegt weiter nicht im Hinblick auf dessen
Forderung vor, dass Erziehungszeiten unabhängig von der Beitragszahlung nicht zu
einer Unterbrechung von Anwartschaftszeiten führen dürfen (Beschluss v. 5. April 2005 –
1 BvR 774/02 - ). Die Kontinuität der Versicherung wird nämlich durch § 26 Abs. 2a SGB
III gewährleistet.
Dass bei längerer Unterbrechung der Beschäftigung für die Höhe des Arbeitslosengeldes
nicht mehr auf vorheriges Arbeitseinkommen Bezug genommen wird, ist eine durch
sachliche Gründe zu rechtfertigende Regelung, weil Arbeitslosengeld keine
Gegenleistung für eingezahlte Beiträge darstellt. Versichert ist das Risiko, das sich durch
den Eintritt von Arbeitslosigkeit verwirklicht. Der Versicherungsschutz als solcher wird
durch Elternzeit nicht unterbrochen. Bei der Höhe der Leistungen ist zu berücksichtigen,
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durch Elternzeit nicht unterbrochen. Bei der Höhe der Leistungen ist zu berücksichtigen,
dass – zeitlich befristet – der Ausfall des während der Arbeitslosigkeit zu erzielenden
Entgelts ersetzt werden soll, dessen Höhe sich nicht vergangenheitsbezogen an den
früheren Entgelten, sondern zukunftsbezogen an den künftig entgehenden Entgelten
orientiert (BSG Urteil v. 11. Juni 1987 – 7 RAr 29/86 - = SozR 4100 § 112 Nr. 31). Die
Einschätzung des Gesetzgebers, der davon ausgeht, dass ein zuletzt bezogener
Arbeitslohn nur dann zuverlässige Hinweise auf die in einer neuen Beschäftigung zu
erwartenden Einkünfte gibt, wenn die vorherige Beschäftigung eine gewisse Dauer hatte
und noch nicht längere Zeit zurückliegt, ist nicht sachwidrig. Je kürzer eine Beschäftigung
war und je länger sie bereits zurückliegt, desto weniger sagt sie über die gegenwärtigen
Möglichkeiten eines Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt aus. Der zeitliche Anschluss
zur letzten (längeren) Beschäftigung fehlt bei jeder längeren Beschäftigungspause.
Insoweit unterscheidet sich der Eintritt von Arbeitslosigkeit nach längerer Elternzeit nicht
von der Situation etwa eines Arbeitslosen, der zuletzt eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf
Zeit bezogen hat. In beiden Fällen sprechen die gleichen Gründe dafür, die Bemessung
des Arbeitslosengeldes von dem zuletzt erzielten Entgelt zu lösen. Auch arbeitsrechtlich
besteht nach der Elternzeit ein Anspruch auf Beschäftigung zu unveränderten
Arbeitsbedingungen nur im Rahmen des letzten Arbeitsverhältnisses, nicht darüber
hinaus.
Nicht sachwidrig ist es, wenn der Gesetzgeber im Rahmen von kurzzeitigen
Lohnersatzleistungen bei der Zuordnung von fiktiven Entgelten an die Qualität der
Berufsausbildung anknüpft. Die in § 132 Abs. 2 SGB III deutlich werdende Erwartung des
Gesetzgebers, dass die Qualität der Berufsausbildung wesentliches Kriterium für die
Höhe des gezahlten Entgeltes ist, erscheint nicht offensichtlich verfehlt. Auch die Höhe
der nach § 132 SGB III anzusetzenden Pauschalentgelte ist nicht verfassungswidrig. Zwar
würde es dem Rechtsstaatsgebot widersprechen, wenn der Gesetzgeber fiktive
Arbeitslöhne ohne Bezug zur Wirklichkeit angesetzt hätte. Davon kann hier aber nicht die
Rede sein, weil die Bezugsgröße, an der sich der Gesetzgeber orientiert hat, nach § 18
SGB IV das Durchschnittsentgelt aller Versicherten abbildet. Ebenso wenig ist das
Zurückbleiben der nach § 132 Abs. 2 SGB III zu ermittelnden Arbeitsentgelte hinter dem
tatsächlichen Durchschnittsentgelt der jeweiligen Qualifikationsgruppen willkürlich. Es
lässt sich dadurch rechtfertigen, dass Rückkehrer in den Beruf betroffen sind, welche in
der Realität des Arbeitsmarktes typischerweise für die erste Zeit Lohnabschläge
gegenüber den im Berufsleben gebliebenen hinnehmen müssen (vgl. Schreiben des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales v. 14. Dezember 2005, abgedruckt bei
Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III, Anlage zu § 132). Auch gilt es zu verhindern, dass
hohe Entgeltersatzleistungen das Interesse an der Aufnahme einer neuen zwar
erreichbaren aber niedriger entlohnten Beschäftigung verringern. Dass diese
Erwägungen nicht ausnahmslos in allen Fällen zutreffen mögen, ist hinzunehmen, weil es
sich um eine – zulässige - Pauschalregelung handelt (vgl. BVerfG Beschluss v. 23. Juni
2004 - 1 BvL 3/98, 9/02, 2/03 - = BVerfGE 111, 115, 137). Im Übrigen ist nicht ersichtlich,
dass insoweit gerade der Fall der Klägerin eine Ausnahmeregelung erfordern würde. Sie
hat nach Aktenlage mehr als vier Jahre außerhalb des Berufslebens gestanden. Ihre
weitere Berufsbiographie zeigt, dass sie in dem hier maßgeblichen Zeitraum keine ihrer
früheren Vergütung entsprechende Tätigkeit gefunden hat. Schließlich ist darauf
hinzuweisen, dass die fiktive Einstufung nach § 132 SGB III nicht ausnahmslos zu
negativen Konsequenzen führt. Wenn nämlich vor der Elternzeit ein eher geringes
Einkommen (gemessen an der Qualität der Ausbildung) erzielt wurde, wirkt sich die
Regelung positiv aus.
Auch die von der Klägerin herangezogene Richtlinie 79/7/EWG vermag die
Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide nicht zu begründen. Nach Art. 4 Abs. 1
der Richtlinie zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung
von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (79/7/EWG) beinhaltet der
Grundsatz der Gleichbehandlung den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren
Diskriminierung auf Grund des Geschlechts (…) und zwar im besonderen betreffend: (…)
- die Berechnung der Leistungen (…) sowie die Bedingungen betreffend die
Geltungsdauer und die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die Leistungen. Ein Verstoß
gegen die Richtlinie ergibt sich nicht schon daraus, dass die Regelungen in §§ 130, 132
SGB III, gemäß denen frühere höhere Einkünfte nach zwei Jahren für die Berechnung des
Arbeitslosengeldes nicht mehr zu berücksichtigen sind, negative Folgen auch für Frauen
haben, die ihre Erwerbstätigkeit wegen Kindererziehung unterbrochen haben. Zwar ist
eine nur mittelbare Diskriminierung durch Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7/EWG
gleichermaßen verboten, so dass ein Verstoß schon gegeben sein kann, wenn eine
Norm vorrangig auf Frauen angewandt wird, obwohl sie geschlechtsneutral formuliert ist.
Die deutschen Vorschriften sind aber nicht nur geschlechtsneutral formuliert, sondern
betreffen neben Eltern alle für längere Zeit aus dem Erwerbsleben Ausgeschiedenen,
etwa zeitweise Erwerbsunfähige, Selbständige, Pflegende usw. Deswegen belegt der
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etwa zeitweise Erwerbsunfähige, Selbständige, Pflegende usw. Deswegen belegt der
Umstand, dass Elternzeit zumeist von Frauen genommen wird, noch nicht eine
überwiegende Anwendung der Vorschriften auf Frauen. Darüber hinaus ist nach der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) Voraussetzung für eine
unzulässige mittelbare Diskriminierung, dass die Regelungen nicht durch objektive
Faktoren zu rechtfertigen sind, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des
Geschlechtes zu tun haben (EuGH, Urt. v. 14. Dezember 1995 – C-317/93 und C-444/93
- = SozR 3-6083 Art. 4 Nr. 11 und 12; v. 1. Februar 1996 – C-280/94 - = SozR 3-6083
Art. 4 Nr. 13). Solche Faktoren liegen hier indessen vor. Funktion des Arbeitslosengeldes
ist es, Leistungen für aktuell dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehende Personen zu
gewähren, es soll deren künftige Lohnausfälle ersetzen. Diese Funktion rechtfertigt eine
Differenzierung nach der Kontinuität des Versicherungsverlaufs, weil dieser als Basis für
die anzustellende Prognoseentscheidung dienen kann, auch wenn Lücken in der
Erwerbsbiographie (wegen Kindererziehung) bei Frauen häufiger als bei Männern
vorkommen (vgl. Bieback in Fuchs [Hg.], Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl., Richtlinie des
Rates 79/7/EWG, Art. 4 Rdnr. 18). Wie oben schon erörtert worden ist, bestehen sachliche
Gründe für die Entscheidung des Gesetzgebers, das Ausmaß des zu erwartenden
Lohnausfalles nur dann vom bisherigen tatsächlichen Arbeitsentgelt abhängig zu
machen, wenn es über einen gewissen Zeitraum und in einer Beschäftigung erzielt
wurde, die noch nicht längere Zeit zurückliegt. Damit scheidet aber ein Verstoß gegen
Art. 4 der Richtlinie 79/7/EWG aus.
Nach alledem war auf die Berufung der Beklagten hin das Urteil des Sozialgerichts
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG, sie berücksichtigt das Ergebnis in der
Hauptsache.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache insbesondere im Hinblick auf die beim BSG bereits anhängigen Verfahren B
11a/7a AL 64/06 R und B 11a AL 23/07 R zugelassen.
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