Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 20.10.2005

LSG Berlin-Brandenburg: diagnose, behinderung, operation, auskunft, verdacht, belastung, mammographie, schwerhörigkeit, geschwulst, form

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
11. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 11 SB 22/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 69 SGB 9, § 44 SGB 10, § 6
Abs 1 SchwbAwV
Beginn der Heilungsbewährung bei einer Krebserkrankung nach
dem Schwerbehindertenrecht
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 20.
Oktober 2005 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 bereits ab 16.
November 2000 zuzuerkennen ist.
Die 1945 geborene Klägerin stellte am 16. Dezember 2002 einen Antrag auf Feststellung
einer Behinderung und des GdB gemäß § 69 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX). Sie sei
bereits vor dem 16. November 2000 wegen mehrerer Leiden in ärztlicher Behandlung
gewesen. Am 15. September 2000 sei ein Mammatumor und am 28. Mai 1996 seien
Veränderungen der HWS deutlich oberhalb der Altersnorm, eine Discopathie und
Spondylose C 4/5 und C 6/7 diagnostiziert worden. Sie leide an einer Arthrose des
Endgelenks des zweiten Fingers der rechten Hand. Ferner lägen mit Einschränkungen
des Gleichgewichts einhergehende Störungen des Gehörs vor. Schwerhörigkeit bestehe
seit Jahren. Auch aus internistischer Sicht seien seit August 1999 Einschränkungen
vorhanden.
Zur Ermittlung des Sachverhalts zog der Beklagte ärztliche Auskünfte der Hals-Nasen-
Ohren-Ärzte Dres. B und H vom 17. März 2003 mit der Diagnose einer geringfügigen
Schallempfindungsschwerhörigkeit rechts ohne Tinnitus, Schwindel oder Sprachstörung,
des Gynäkologen Dr. R vom 18. März 2003 und 22. August 2003, der u.a. angab, es
gebe keinen Anhalt für ein Tumorrezidiv, der Orthopädin Dr. P vom 08. April 2003 und
des Allgemeinmediziners Dipl. med. K vom 16. Juni 2003, der seiner Auskunft Kopien
einer Vielzahl medizinischer Befunde seit 2001 beifügte, bei.
Nach Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme der Fachärztin für öffentliches
Gesundheitswesen und Arbeitsmedizin Dr. K vom 25. September 2003 stellte der
Beklagte mit Bescheid vom 09. Oktober 2003 einen GdB von 70 ab 16. Dezember 2002,
dem Zeitpunkt der Antragstellung, wegen folgender Behinderungen fest:
1. Erkrankung der Brust rechts (in Heilungsbewährung)
2. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule
3. chronische venöse Insuffizienz (Krampfaderleiden) des Beines beiderseitig,
Funktionseinschränkung des Fußes beiderseitig
4. Schwerhörigkeit rechts
5. Herzrhythmusstörungen
Intern wurden die Behinderung zu 1. mit einem Einzel-GdB von 50, die Behinderung zu 2.
mit einem Einzel-GdB von 40, die Behinderung zu 3. mit einem Einzel-GdB von 20 und
die Behinderungen zu 4. und 5. mit einem Einzel-GdB von jeweils 10 bewertet.
Mit weiterem Bescheid vom 10. Oktober 2003 stellte der Beklagte einen GdB von 50
bereits ab 01. Dezember 2000 fest. Aus der gutachterlichen Stellungnahme von Dr. K
ergebe sich, dass die Schwerbehinderteneigenschaft wegen der Erkrankung der Brust in
Heilungsbewährung bereits zu dem früheren Zeitpunkt festzustellen gewesen sei.
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Mit dem gegen den letztgenannten Bescheid eingelegten Widerspruch machte die
Klägerin geltend, die gesundheitlichen Einschränkungen, die einen GdB von 50
rechtfertigten, hätten bereits am 16. November 2000 vorgelegen. Es bestehe auch ein
schützenswertes Interesse an dieser Feststellung, da eine Rente an schwerbehinderte
Menschen ohne Abschläge nur dann zu leisten sei, wenn diese bis zum 16. November
1950 geboren und am 16. November 2000 schwerbehindert seien. Diese
Voraussetzungen erfülle sie.
Der Beklagte befragte daraufhin erneut den Gynäkologe Dr. R, der den histologischen
Bericht des Klinikums B vom 06. Dezember 2000 mit dem Ergebnis einer am 04.
Dezember 2000 durchgeführten Stanzbiopsie im äußeren oberen Quadranten der linken
Mamma sowie den Bericht der Frauenklinik des Klinikums B vom 28. Dezember 2000
über die am 13. Dezember 2000 durchgeführte wide excision der linken Mamma
übersandte.
Am 03. Dezember 2003 stellte die Klägerin einen Antrag auf Überprüfung des
Bescheides vom 09. Oktober 2003 nach § 44 Sozialgesetzbuch X (SGB X) und verwies
dabei auf einen Bericht des J Krankenhauses im F gGmbH vom 11. November 2003 über
ihre Vorstellung wegen orthopädischer Beschwerden. Außerdem legte die Klägerin ein
Attest von Dr. R vom 11. Dezember 2002 vor. Danach wurde bei ihr am 15. September
2000 ein Mammatumor diagnostiziert. In einer weiteren Auskunft vom 15. Januar 2004
gab Dr. R erneut an, wegen der Geschwulsterkrankung hätten keine
Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt werden können. In einer ärztlichen Auskunft
vom 22. Februar 2004 erklärte Dipl. med. K u.a., eine entzündliche rheumatische
Erkrankung sei auszuschließen. Nach Einholung einer weiteren gutachterlichen
Stellungnahme erließ der Beklagte den Bescheid vom 06. Mai 2004 und stellte unter
entsprechender Rücknahme des Bescheides vom 09. Oktober 2003 fest, der GdB von 70
liege bereits ab 13. Dezember 2000 vor. Den dagegen ohne Begründung eingelegten
Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05. Oktober 2004 zurück.
Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 04. Oktober 2004 wies der Beklagte auch den
Widerspruch gegen den Bescheid vom 10. Oktober 2003 zurück. Die vorliegenden
medizinischen Unterlagen ließen nicht den Nachweis zu, dass bereits ab November 2000
ein GdB von 50 vorgelegen habe. Die Diagnose Brustkrebs sei erstmals mit der OP am
13. Dezember 2000 gestellt worden. Eine Anerkennung besonderer Auswirkungen
aufgrund einer zum Stichtag 16. November 2000 noch nicht anerkannten
Krebsbehandlung sei nicht möglich. Vor Dezember 2000 habe höchstens ein GdB von 30
vorgelegen, da lediglich eine Funktionsstörung der HWS bestanden habe. Erst in dem
Befund von 2003 sei eine Funktionsbehinderung stärkeren Ausmaßes belegt. Dafür sei
Einzel GdB von 40 gerade noch zulässig. Er habe keinesfalls ab November 2000
bestanden.
Dagegen hat die Klägerin am 21. Oktober 20004 Klage bei dem Sozialgericht Frankfurt
(Oder) eingelegt, mit der sie unter Abänderung des Bescheides vom 10. Oktober 2003 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. Oktober 2004 die Feststellung eines
GdB von 50 bereits ab dem 16. November 2000 begehrt hat. Zur Begründung ihrer
Klage hat sie erneut geltend gemacht, bereits am 16. November 2000 hätten
gesundheitliche Einschränkungen vorgelegen, die einen GdB von 50 bedingten. Dies
werde durch die Auskünfte von Dr. R nicht negiert. Aus dessen Kurzbefund vom 11.
Dezember 2002 ergebe sich vielmehr, dass die Diagnose Krebserkrankung bereits am
15. September 2000 gestellt worden sei.
Die Klägerin hat außerdem geltend gemacht, auch psychische Leiden seien bei der
Bemessung des GdB zu berücksichtigten. Zwar seien in einem GdB-Grad regelhaft
psychische Beeinträchtigungen bereits enthalten. Als regelhaft seien jedoch nicht solche
psychischen Störungen anzusehen, die für sich allein wieder Krankheitswert gewönnen.
Deshalb käme häufig bei dem Verlust der Brust auch nach der Heilungsbewährung noch
ein GdB von 50 in Betracht, wenn erhebliche psychische Störungen aufträten. Insofern
verkenne der Beklagte die massiven Beeinträchtigungen der weiblichen Psyche, wenn sie
bei Vorliegen einer Diagnose eines Mammatumors am 15. September 2000 einen GdB
von 50 erst ab dem 01. Dezember 2000 anerkenne.
Dem hat der Beklagte entgegengehalten, die Bewertung des GdB von 50 beruhe auf
einer Heilungsbewährung im Sinne der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit
im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)
2004 - AHP 2004 - Nr. 26.1 Seite 37 und Nr. 26.14 Seite 50 bzw. den Anhaltspunkten für
die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem
Schwerbehindertengesetz 1996 - AHP 1996 - Seite 48 und Seite 114. Dort werde
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Schwerbehindertengesetz 1996 - AHP 1996 - Seite 48 und Seite 114. Dort werde
ausdrücklich ausgeführt, maßgeblicher Bezugspunkt für den Beginn der
Heilungsbewährung sei der Zeitpunkt, an dem die Geschwulst durch Operation und
andere Primärtherapie als beseitigt angesehen werden könne; eine zusätzliche
medikamentöse Therapie habe keinen Einfluss auf den Beginn der Heilungsbewährung.
Entscheidend sei damit nicht der Zeitpunkt der Diagnose eines Tumors, sondern der Tag
seiner operativen Entfernung. Diese sei erst im Dezember 2000 erfolgt, so dass erst ab
diesem Zeitpunkt der GdB von 50 gerechtfertigt sei.
Zur Ermittlung des Sachverhalts hat das Sozialgericht einen Befundbericht von Dr. R
vom 08. Juni 2005 eingeholt, der angegeben hat, am 08. November 2000 sei bei der
Klägerin eine Mammographie mit dem Ergebnis eines suspekten Mikrokalks in der linken
Brust durchgeführt worden. Am 04. Dezember 2000 habe sich der Verdacht nach einer
Vakuumbiopsie der linken Brust bestätigt. Als Diagnose hat er einen Brustdrüsenkrebs
im sehr frühen Stadium im Bereich der linken Brust gestellt.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20. Oktober 2005 hat die Klägerin erklärt,
nicht in neurologisch-psychiatrischer Behandlung gewesen zu sein. Sie habe sehr großes
Vertrauen zu Dr. R und habe deshalb auf eine solche Behandlung verzichtet.
Durch Urteil vom 20. Oktober 2005 hat das Sozialgericht die Klage abwiesen und zur
Begründung ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB
von 50 seit 16. November 2000. Aus den AHP ergebe sich zweifelsfrei, dass nicht schon
bei Bestehen des Verdachts eines Tumors ein GdB von 50 festgestellt werden könne.
Auf die Besonderheiten der Heilungsbewährung habe der Beklagte zutreffend
hingewiesen. Nach Ablauf der Heilungsbewährung betrage der GdB bei Verlust der Brust
einseitig 30. Die orthopädischen Beschwerden rechtfertigten ebenfalls keinen GdB von
50 seit 16. November 2000. Der Röntgenbefund vom 28. Mai 1996 belege, dass ein
regelrechtes Schultergelenk rechts ohne Zeichen der Arthrose vorgelegen habe und
degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule bestanden hätten. Nach den AHP
erscheine ein GdB von 20 für das Wirbelsäulenleiden angemessen. Die Beklagte selbst
habe den GdB im November 2000 insoweit mit 30 eingeschätzt.
Entgegen der Ansicht der Klägerin sei kein GdB für die im Klageverfahren vorgetragenen
psychischen Belastungen anzunehmen. Sie sei wegen der behaupteten psychischen
Erkrankung von Dr. R mitbehandelt worden. Den Befundberichten des Arztes sei jedoch
eine auf eine psychische Erkrankung hinweisende Diagnose nicht zu entnehmen. Die
Klägerin habe dieses Leiden in ihrem am 16. Dezember 2002 gestellten Antrag auch
nicht mitgeteilt.
Gegen das am 07. Februar 2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 07. März 2006
eingelegte Berufung der Klägerin. Zur Begründung wiederholt und vertieft die Klägerin ihr
bisheriges Vorbringen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 20. Oktober 2005 aufzuheben und
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 10. Oktober 2003 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 04. Oktober 2004 zu verurteilen, bei ihr einen Grad
der Behinderung von 50 bereits ab 16. November 2000 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend. Soweit sich die
Klägerin auf das Urteil des Landessozialgerichts Bayern vom 30. Juni 2005, Aktenzeichen
L 15 SB 86/04, berufe, sei zu berücksichtigen, dass nach dieser Entscheidung der Beginn
der Heilungsbewährung an den mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
erbrachten Nachweis der Tumorerkrankung gebunden sei. Der Beklagte befinde sich
damit in vollkommener Übereinstimmung mit dem LSG Bayern, denn bereits im
Schriftsatz vom 03. August 2005 sei erklärt worden, dass die Heilungsbewährung erst ab
definitiver Diagnosestellung beginnen könne. In den vorliegenden Unterlagen finde sich
keine Bestätigung der Behauptung der Klägerin, es sei bereits am 15. September 2000
ein Mammatumor diagnostiziert worden. Vielmehr ergebe sich aus dem Befundbericht
von Dr. R, dass die erste Behandlung am 15. September 2000 stattgefunden habe. Zwar
müsse der Verdacht auf eine Geschwulsterkrankung bereits vor dem 04. Dezember
2000 bestanden haben, denn die Klägerin habe sich am 08. November 2000 einer
Mammographie und am 04. Dezember 2000 einer Vakuumstanzbiopsie unterzogen, die
definitive Diagnose einer Krebserkrankung sei jedenfalls am 16. November 2000 nicht
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definitive Diagnose einer Krebserkrankung sei jedenfalls am 16. November 2000 nicht
gestellt worden. Außerdem müsse klargestellt werden, dass nicht das Vorliegen eines
Tumorleidens an sich mit einem GdB berücksichtigt werde, sondern die Auswirkungen
der Erkrankung. Der Tumor an sich wäre also mit einem GdB von 0 zu bewerten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig aber unbegründet. Die
Klägerin hat, wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat, keinen Anspruch auf
Feststellung eines GdB von 50 bereits ab November 2000.
Der Senat ist nach Auswertung aller medizinischen Unterlagen und Gutachten zu der
Überzeugung gelangt, dass bei der Klägerin zu diesem Zeitpunkt zwar Behinderungen
vorgelegen haben, die durch sie bedingten Funktionsstörungen jedoch nicht so
schwerwiegend waren, dass sie die Feststellung eines GdB von 50 rechtfertigten. Denn
ein GdB von 50 kann beispielsweise nur angenommen werden, wenn die
Gesamtauswirkungen der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen so erheblich sind
wie etwa beim Verlust einer Hand oder eines Beins ab Unterschenkel, bei einer
vollständigen Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, bei Herz-Kreislauf-Schäden
oder Einschränkungen der Lungenfunktion mit nachgewiesener
Leistungsbeeinträchtigung bei bereits leichter Belastung (AHP 1996/2004/2005 Nr. 19
(2)).
Bei der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft trifft der Beklagte eine
Statusentscheidung, die generell nur für die Zukunft wirkt. Im Interesse des
schwerbehinderten Menschen, durch die Dauer des Verwaltungsverfahrens nicht
unzumutbar benachteiligt zu werden, ordnet jedoch § 6 Abs. 1 S. 1
Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) an, dass die Feststellung des GdB
nicht erst ab dem Zeitpunkt der Entscheidung hierüber, sondern ab dem Zeitpunkt der
Antragstellung gilt. Dass ist im Fall der Klägerin der 16. Dezember 2002. Eine weitere
Rückwirkung eines solchen Antrags ist nach Maßgabe des § 6 Abs. 1 S. 2 SchwbAwV
vorgesehen; sie ist allerdings auf offenkundige Fälle zu beschränken (BSG SozR 3-1300 §
44 Nr. 3; Urteil des Bayerischen LSG vom 24. Oktober 2006, Aktenzeichen L 18 SB
18/04).
Vorliegend hat sich der Beklagte bei der Bewertung des GdB nicht an dem
Antragsdatum, dem 16. Dezember 2002, orientiert, sondern zugunsten der Klägerin
auch eine Feststellung mit Wirkung für die Zeit vor der Antragstellung getroffen, denn er
hat ihre Schwerbehinderteneigenschaft bereits ab dem 01. Dezember 2000 festgestellt.
Es ist nicht offenkundig, dass der Klägerin bereits zum 16. November 2000 die
Schwerbehinderteneigenschaft zugestanden hat.
Maßgebend für die Bewertung des GdB sind allein die Funktionseinschränkungen, die bei
der Klägerin im November 2000 bestanden haben. Zu diesem Zeitpunkt war die
Operation wegen eines Mamma-CA links noch nicht durchgeführt. Nach den AHP Nr.
26.14 rechtfertigt aber allein der vollständige oder teilweise Verlust der weiblichen Brust
einen GdB. Weitere Funktionsbeeinträchtigungen durch diese Erkrankung vor der
Operation sind nicht nachgewiesen, wie Dr. R in seiner ärztlichen Auskunft vom 15.
Januar 2004 ausdrücklich ausgeführte. Deshalb ist der Einzel-GdB für die
Krebserkrankung für den hier streitigen Zeitraum mit 0 anzusetzen.
Dass die Klägerin wegen ihrer Krebserkrankung bereits vor der operativen Entfernung
des Tumors psychisch beeinträchtigt war, ist nachvollziehbar. Es ist jedoch zur
Überzeugung des Senats nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
nachweisen, dass sie im November 2000 an einer psychischen Erkrankung litt, die
gemäß den AHP Nr. 26.3 als beeinträchtigende Störung einzustufen war. Weder befand
sich die Klägerin in fachärztlicher Behandlung noch ist von dem sie zu diesem Zeitpunkt
behandelnden Arzt Dr. R in seinen zahlreichen Berichten die Diagnose einer Depression
oder einer anderen psychischen Erkrankung gestellt worden. Es kann auch nicht außer
Acht gelassen werden, dass die Klägerin erstmals im Klageverfahren behauptet hat, an
einer solchen Erkrankung zu leiden. Die pauschale Annahme, vor der Entfernung eines
Mammatumors habe die Klägerin wie alle Patientinnen mit dieser Erkrankung an einer
psychischen Störung gelitten, die als Behinderung einzustufen wäre, ist mit den AHP
nicht zu vereinbaren.
Die Annahme einer Heilungsbewährung und damit Erhöhung des GdB auf 50 gemäß den
AHP Nr. 26.14 konnte erst ab dem 13. Dezember 2000 vorgenommen werden, dem
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AHP Nr. 26.14 konnte erst ab dem 13. Dezember 2000 vorgenommen werden, dem
Zeitpunkt der Excision im Bereich der linken Mamma im Klinikum B. Mit der
Heilungsbewährung wird pauschalierend anerkannt, dass nach Transplantationen innerer
Organe und nach der Behandlung bestimmter Krankheiten - insbesondere
Tumorerkrankungen -, die zu Rezidiven (Wiederauftreten der Krankheit) neigen, bei der
GdB- Bemessung eine Heilungsbewährung abzuwarten ist. In dieser Zeit, die i.d.R. 5
Jahre ab dem Zeitpunkt, an dem etwa die Geschwulst durch Operation oder andere
Primärtherapie als beseitigt angesehen werden kann, andauert, ist abzuwarten, ob sich
der Zustand des Betroffenen stabilisiert oder ob neue Krankheitsschübe auftreten. Diese
Zeit ist häufig durch eine außerordentliche seelische und körperliche Belastung des
Erkrankten gekennzeichnet. Deshalb wird während des Zeitraums der
Heilungsbewährung ein höherer GdB- Wert angenommen, als üblicherweise der Fall ist
(BSG vom 9.8.1995, Az. 9 RVs 14/94; AHP Nr. 26.1 (3))
Nach den AHP Nr. 26.14 beginnt die Heilungsbewährung bei einem Mamma-CA nach
Entfernung des malignen Brustdrüsentumors. Für den Beginn der Heilungsbewährung ist
deshalb nicht maßgebend, wann die Erkrankung diagnostiziert worden ist. Wie der Begriff
Heilungsbewährung besagt, kommt es auf die Bewährung der Heilung an. Diese kann
begriffsnotwendig nicht vor Beginn der Heilbehandlung und schon gar nicht vor der
Diagnosestellung beginnen. Die operative Heilbehandlung in Form einer wide excision ist
erst am 13. Dezember 2000 durchgeführt worden.
Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg auf die Entscheidungen des Landessozialgerichts
Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 19. Dezember 2006, Az.: L 6 SB 54/06), des
Sächsischen Landessozialgerichts (Urteil vom 25. Mai 2005, Az.: L 6 SB 55/04) und des
Bayerischen Landessozialgerichts (Urteil vom 30. Juni 2005, Az.: L 15 SB 86/04) berufen.
Die Ausführungen des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen als auch das
Bayerische Landessozialgerichts beziehen sich unter Wiedergabe der o.g. Entscheidung
des BSG auf den Zeitpunkt der Diagnose der Krebserkrankung für den Beginn der
Heilungsbewährung. Abgesehen davon, dass der Beginn einer Heilungsbewährung bei
einem Brusttumor, wie bereits erläutert, nach den AHP 26.14 ausdrücklich erst nach der
Entfernung des Tumors beginnt, ist die Diagnose einer Krebserkrankung bei der Klägerin
erstmals durch die Stanzbiopsie am 04. Dezember 2000 gesichert. Durch die
Mammographie am 08. November 2000 ist lediglich der Verdacht dieser Erkrankung
geäußert worden, da sich ein suspekter Mikrokalk in der linken Brust der Klägerin fand. In
dem Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts, in dem es um die Herabsetzung des
GdB wegen Ablaufs der Heilungsbewährung geht, wird keine andere Auffassung
vertreten. Das Landessozialgericht betont hier, solange die „Heilungsbewährung“ noch
nicht eingetreten sei, hänge das Damoklesschwert des Rezidivs über dem Betroffenen,
dessen besonderer psychosozialer Belastung durch eine pauschale Regelung Rechnung
getragen werde. Die Heilungsbewährung bezeichnet aber nicht, wie die Klägerin diesen
Ausführungen zu entnehmen meint, die Zeit vor der Diagnosestellung bzw. Entfernung
des Tumors, sondern den Ablauf ab diesem Zeitpunkt für die Dauer der in den AHP
geregelten Zeit, also hier 5 Jahre.
Weitere Gesundheitsstörungen, insbesondere im Bereich des Stütz- und
Bewegungsapparats, die bereits im November 2000 einen GdB von 50 bedingen
könnten, sind nicht nachgewiesen und von der Klägerin auch nicht geltend gemacht
worden. Die Einschätzung der Funktionsbehinderung der Wirbelsäule durch den
Beklagten mit einem GdB von 40, was nach den AHP Nr. 26.18 mittelgradigen bis
schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Lendenwirbelsäulenabschnitten entspricht,
ist nach den vorliegenden medizinischen Befunden, wie sie sich aus den ärztlichen
Auskünften von Dr. P vom 08. April 2003 und Dipl. med. K vom 16. Juni 2003 ergeben,
nicht zu beanstanden, sondern, worauf bereits das Sozialgericht hingewiesen hat, eher
als großzügig zu bezeichnen. Insbesondere ist nicht zu erkennen, dass noch stärker
behindernde Einschränkungen im Bereich der Wirbelsäule bereits im November 2000
vorgelegen haben, denn die Klägerin war zu diesem Zeitpunkt nicht in fachärztlicher
Behandlung.
Gleiches gilt für die übrigen Gesundheitsstörungen, die der Beklagte der Bildung des
Gesamt-GdB zugrunde gelegt hat. So liegen keine ärztlichen Befunde vor, die nach den
AHP Nr. 26.9 einen höheren GdB als 20 für das Krampfaderleiden bedingen. Wegen der
Schwerhörigkeit rechts und der Herzrhythmusstörungen liegen ebenfalls keine Befunde
vor, die einen höheren GdB von 10 nach den AHP Nr. 26.5 und 26.9 rechtfertigen
könnten. Allein das Vorliegen von Herzrhythmusstörungen ist durch ein Belastungs-EKG
vom 11. August 1999 nachgewiesen.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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